♕ Juliana IV ♕

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Ich schniefte, während ich mir unauffällig die Nase putzte. Diese ärgerliche Erkältung würde mir noch den Abend ruinieren, wie sie es bereits mit meiner Schminke tat. Sogleich steuerte ich die Waschräume an, um meine Nase nachzupudern und hob dabei die wallenden Röcke meines mitternachtsblauen Kleides an, um schneller voranzukommen. Als ich mein Antlitz in dem Spiegel über den Waschbecken erblickte, verfluchte ich Raven einmal mehr. Sorgfältig frischte ich meine Schminke auf und richtete meine Frisur und entschied, dass es nicht schaden konnte, auch den dunkelroten Lippenstift nachzuziehen. Die Frauen, die lachend ein- und ausgingen, wussten es besser, als mich anzusprechen, worüber ich heute mehr denn je froh war. Als ich mich wieder für vorzeigbar befunden hatte, zupfte ich noch einmal am Bardot-Ausschnitt meines Traums von Kleid, bevor ich mich auf den Weg zurück zu den Feierlichkeiten machte. Wieder zurück im Ballsaal, erschlug mich die Lautstärke förmlich. Das Orchester spielte Tanzmusik und die Gäste waren zu dieser fortgeschrittenen Stunde lauter als sie es zu Beginn gewesen waren. Die Tanzfläche war gesteckt voll und ich beschleunigte meine Schritte, als ich Jonathans Haarschopf bei einem Tisch am Rand des Saals auszumachen glaubte. Vielleicht würde ich nun endlich Gelegenheit haben, mich mit ihm zu unterhalten. Den ganzen Abend über versuchte ich bereits, ein paar Minuten mit ihm allein zu ergattern, aber stets kam etwas dazwischen. Ob es nun ein Adeliger war, der auf einen Tanz bestand oder jemand, der behauptete, mich zu kennen. Natürlich waren einige bekannte Namen aus Ehrenhall anwesend, aber ich war heute nicht in der Stimmung, in alten Erinnerungen zu schwelgen und vorsätzliche Nettigkeiten auszutauschen.

Ich gab vor, meinen Namen nicht gehört zu haben und steuerte weiterhin auf den Prinzen zu, während ich in Gedanken beim gestrigen Abend war. Obwohl ich Raven am liebsten am höchsten Berg von Himmelsboden wüsste, musste ich zugestehen, dass sie mir unwissentlich zu Zeit mit Jonathan verholfen hatte. Nach dem gemeinsamen Ritt zurück ins Schloss hatte er mich zu meinem Zimmer begleitet und sich versichert, dass ich wohlauf war und obwohl er mit den Gedanken woanders gewesen zu sein schien, verließ ich mich doch darauf, dass sich nicht nur Pflichtbewusstsein hinter seinem Benehmen verbarg. Es waren bereits Wochen vergangen und ich war noch immer nicht wesentlich weiter als zu Beginn des Sommers. Der gestrige Abend allerdings ließ mich hoffen, dass ich endlich Fortschritte gemacht hatte. Wenn es mir nur gelänge, ihn heute ein paar Minuten von der Gesellschaft loszueisen...

„Ana!" Beim Klang dieser Stimme kam ich abrupt zum Stehen und war mir für einen Moment lang nicht sicher, ob ich sie mir nur eingebildet hatte. Zögernd drehte ich mich um, innig hoffend, dass bloß ein riesiger Irrtum vorlag.

„Dachte ich es mir doch, dass du es bist." Meine Gesichtszüge entgleisten mir unwillkürlich, als ich den Mann vor mir erblickte. Die Geräusche, die Leute, alles trat in den Hintergrund. Den Mund zu einem schiefen Grinsen verzogen, trat er einen Schritt auf mich zu, eine Hand lässig in der Hosentasche.

Ich schluckte und unterdrückte ein Niesen. „Lennard."

Seine blauen Augen funkelten vergnügt, während sie meine Erscheinung von oben bis unten musterten. „Du hast dich nicht verändert." Der anerkennende und gleichzeitig spöttische Ton sorgte dafür, dass sich mein Körper ungewollt versteifte und ich mich wieder fing.

„Das gleiche könnte ich von dir sagen." Ich hob mein Kinn und richtete mich etwas auf, um den Größenunterschied zwischen uns auszugleichen. „Genauso selbstgefällig und arrogant wie früher."

Bei meinen Worten brach er in Gelächter aus und ich musste mich beherrschen, ihm keine Ohrfeige angedeihen zu lassen. Seine Stimme weckte ungewollt Erinnerungen, die ich eigentlich im hintersten Eck meines Verstandes vergraben geglaubt hatte.

„Schließ die Augen, Ana." Warme Hände, die über mein Gesicht strichen.

Ich versuchte, die Gedanken an diesen verhängnisvollen Sommer zurückzudrängen, aber es gelang mir nicht. Wie um mich zu quälen, zogen die Erinnerungen in kurzen Schnipseln an meinem inneren Auge vorbei.

SilberblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt