♔ Jonathan II ♔

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Nur wenige Minuten, nachdem mein Vater und ich im Thronsaal Platz genommen hatten, um unsere Gäste gebührend zu begrüßen, lauschten wir den Schritten in der Eingangshalle. In gemäßigtem Tempo näherten sie sich, während ich, entgegen meiner Erwartungen, Nervosität aufsteigen spürte. Diplomatische Gespräche und Besuche hatte ich in meinem Leben zur Genüge erlebt, die brachten mich nicht mehr aus der Ruhe. Dieses Treffen würde jedoch nicht nur die Zukunft des Reiches in großem Ausmaß bestimmen, sondern auch die der Geladenen und meiner selbst. Ich spürte den Blick meines Vaters nachdenklich auf mir ruhen, als meine Hände sich fester um die Armlehnen schlossen. Das Ziel war es, eine gute Beziehung zu den äußeren Grafschaften aufzubauen, um sich in Zukunft der Loyalität der regierenden Familien sicher sein zu können, und ich würde mein Bestes geben es zu erreichen. Alles andere war nebensächlich.

„Gräfin Katrina, Herrin der Rosenburg", ertönte die Stimme eines Bediensteten, bevor ich die Anwesenheit des ersten Gastes überhaupt bemerkt hatte. Anmutig schritt die junge Gräfin in einem altmodischen Seidenkleid auf Almar und mich zu, wobei ihre Schritte kaum einen Laut auf dem glatten Steinboden machten. Ihre Begrüßung war ebenso formell wie unpersönlich und ich erwiderte den Knicks mit einem wohlwollenden Lächeln, ihr zunickend. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie weiß wie ein Stück Pergament war, von den schmalen Fingern bis hin zu den feinen Gesichtszügen. Die Pastellfarben ihres Kleides unterstrichen das Leuchten ihrer Haut und des hellblonden Kranzes, der sich um ihren Kopf schlang. Ihre Präsenz war schwach, obwohl an ihrem Äußeren nichts auszusetzen war; sobald die nächste Geladene im Türrahmen erschien, verblasste sie daneben.

Der Neuankömmling, der mit wallendem dunklem Haar und großen Schritten auf uns zukam, strahlte ein seltenes Selbstbewusstsein aus, gepaart mit einer Energie, die alle zu ihren Zuschauern machte.

„Komtess Juliana, jüngste Tochter der Herrin von Ehrenhall", stellte der Bedienstete die in roten Samt gehüllte Komtess vor.

Ihr Knicks war tief und lang; ihre Augen hielt sie dabei jedoch nicht auf den Boden gerichtet, sondern heftete sie an mein Gesicht. Einen besonderen Grund zur Aufregung wird sie darin kaum finden, dachte ich unwillkürlich, da ich weder entstellt noch von überragend gutem Aussehen gezeichnet bin. Im Gegensatz zu meinem Bruder war mein braunes Haar glatt und wurde am heutigen Tag von einem dunklen Band zurückgehalten. Während Cambriels blonde Locken einen Teil seines fragwürdigen Charmes ausmachten, stellten meine Haare höchstens ein Ärgernis da, wenn sie mir beim Arbeiten ins Gesicht fielen. Neugierig erwiderte ich die Musterung der Komtess während meiner Überlegungen, war jedoch bemüht darum, nicht in ihren üppigen Ausschnitt zu blicken. Obwohl mir Mode ein Rätsel war, konnte ich den Zweck dieses Kleides problemlos erkennen.

"Meine Familie und ich sind ausgesprochen dankbar für Ihre Einladung, Eure Majestät", sagte sie noch, als sie sich aufrichtete, und ein raubtierhaftes Lächeln zeigte.

"Bitte, wartet - wartet noch einen Moment, Eure Hoheit ..."

Mein Mund verzog sich unwillkürlich zu einem kleinen Lächeln, als sich alle zu dem ankündigenden Bediensteten wandten, der eine junge Frau in zitronenfarbener Spitze bekniete.

Als er unsere Blicke bemerkte, räusperte sich der Mann hastig und kündigte sie in kräftiger Stimme an. Die Komtess von Ehrenhall schien derweil alles andere als erfreut darüber zu sein, dass man ihr die Möglichkeit gestohlen hatte, sich zu präsentieren. Mit scharfen Blicken durchbohrte sie die eintretende Adelige, die nichts davon mitbekam. „Prinzessin Raven, neunte Tochter der Königin des Westens."

Die Frau mit rabenschwarzem Haar hüpfte in einen achtlosen Knicks, verfing sich beinahe in ihrem schockierend kurzen Spitzenkleid, das ihre Knöchel entblößte, und blinzelte mich gut gelaunt an. Als ich ihr zunickte, wunderte ich mich für einen Moment darüber, dass sie das Protokoll befolgte. Doch dann öffnete sie auch schon den ungeschminkten Mund und zerstörte diese Illusion.

SilberblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt