♔ Jonathan III ♔

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Die aufgeregten Worte der Hausherrin drangen kaum zu mir durch, während sie mir einen mit Kitsch vollgepackten Raum nach dem anderen zeigte, in denen man das Gefühl hatte einen langsamen Erstickungstod zu erleiden. Wäre ich bei der Sache gewesen, hätte ich mich vermutlich darüber gewundert, wie man eine Abendgesellschaft mehrere Stunden lang in ihrem Salon zwischen all den dicken Vorhängen, Kissen und Beistelltischchen mit glänzendem Krimskrams beherbergen konnte, ohne dass am Ende der Nacht einige der Anwesenden an Sauerstoffmangel verendet wären. Stattdessen machte ich mir jedoch Gedanken, um Victorias Reitunfall. War es tatsächlich nur ein Zufall gewesen, dass sich der Sattelgurt gelockert hatte? Im Schloss aufzuwachsen hatte mich gesundes Misstrauen gegen alles und jeden gelehrt, daher machte ich mir im Stillen die Notiz, nach unserer Rückkehr einen Bediensteten loszuschicken, um den Sattel zu holen. Man müsste erkennen können, ob er manipuliert worden war und falls dem so war, würde ich die nötigen Schritte einleiten, um den Schuldigen oder die Schuldige zu finden. Unwillkürlich tauchte Lady Julianas Gesicht in meinen Gedanken auf. Sie war ohne Frage eine sehr zielstrebige Person und nach dem Vorfall mit Ravens Tee trauten Cambriel und ich ihr so einiges zu, aber ohne Beweise würde ich nicht handeln.
Seufzend versuchte ich der Hausherrin wieder meine Aufmerksamkeit zu schenken, um sie nicht zu beleidigen. Solange Victoria nicht verletzt worden war, war für den Moment alles in Ordnung – sicherheitshalber würde ich jedoch den Arzt zu ihr schicken, wenn wir wieder auf Silbermeer waren. Als ich sie fallen hatte sehen, war mein Herz für einen Moment stehen geblieben; zukünftig würde ich nicht mehr beruhigt mit ihr ausreiten können ohne zuvor den Sattel kontrolliert zu haben.

„Und hier, Eure Hoheit, hätten wir den letzten Raum dieses Anwesens. Er ist nicht ganz so schmuck wie die anderen fürchte ich, doch mein Mann hat darauf beharrt ihn im Originalzustand zu belassen", platzte sie mit einer Miene heraus, die deutlich zeugte wie wenig sie davon hielt. Ich hingegen war von diesem Zimmer um einiges mehr angetan, als den vorherigen. Es schien die Bibliothek ihres Gatten zu sein, mit dickwandigen Bücherregalen an den Wänden und einem altmodischen Sekretär, auf dem ein unvollendeter Brief lag. Die Fenster wurden nicht von dicken Brokatvorhängen verschluckt, sodass das Sonnenlicht frei ins Innere fiel und den kleinen Raum um einiges geräumiger machte, als der weitläufige Salon dieses Hauses es wirkte. „Aber Sie wissen ja, um den Geschmack kann man sich am besten streiten", fuhr sie wieder heiter fort, ihren kräftigen Körper an mir vorbei zwängend. Mit einem kleinen Lächeln zwinkerte sie mir zu, woraufhin ich nicht umhin konnte etwas verwirrt zurückzublinzeln. „Die jungen Leute vermissen Sie bestimmt bereits, kommen Sie. Wir wollen das schöne Wetter auf der Terrasse ausnutzen und einige dieser wunderbaren Leckereien kosten, die unsere Köchin uns so gern zaubert."
Nur allzu bereitwillig folgte ich ihr wieder nach draußen, wobei ich Acht gab keine Vasen umzustoßen oder Beistelltische anzurempeln, die mir im Weg standen. Insgeheim kam in mir etwas Bewunderung für die ältere Dame auf, die sich ihren Weg zwischen all dem Gerümpel mit den dicken Röcken bahnte, als ob es ihr nicht die geringste Mühe bereiten würde.

Nach all dem Staub und der dicken Luft im Inneren empfing ich dankbar die frische Brise, die draußen wehte. Doch außer ihr drangen auch die Gesprächsfetzen von Victoria und ihrer Freundin zu uns durch, bevor wir noch um die Ecke und bei ihnen waren.

„ ... aber sag, fändest du es nicht aufregend Herrin von einem eindrucksvollen Anwesen wie Silbermeer zu sein? Stell dir vor, sie haben eine Tafel, an die angeblich 600 Leute passen sollen!"

Das gedämpfte Lachen, das folgte, erkannte ich sofort als Victorias. „Ach, Charlotte, das sind doch nur Gerüchte." Und dann nach einer kleinen Pause: „Es sind vier Tafeln."

Diesmal lachten beide auf und ich lächelte unwillkürlich. Ich war erleichtert, dass unser kleiner Ausflug Victoria eine Freude bereitete, trotz dem was am Hinweg geschehen war.

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