♕ Raven VIII ♕

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Die Schritte des Bediensteten hallten wider in den Steingängen, durch die ich mit seltener Hast geführt wurde. Heute hatte ich weder versucht, meine Zofen von meinen Haaren fernzuhalten, noch war ich nach dem Mittagessen meinen Leibwächtern entwischt; ein Umstand, der sicher nicht einer plötzlichen Laune entsprang, denn alles in mir schrie danach, die Bänder aus meinem Haar zu ziehen und in die entgegengesetzte Richtung zu laufen. Prüfend linste ich hinter mich und stellte fest, dass uns meine Wache tatsächlich noch in angemessenem Abstand folgte.

"Eure Hoheit, Ihr seid angekommen", sagte der Bedienstete, den meine ungewohnt ernste Stimmung sichtbar neugierig gemacht hatte. Schon als er mich an meinen Gemächern abgeholt hatte, war sein Blick für eine Sekunde an der braven Hochsteckfrisur hängen geblieben, die ich mir heute angetan hatte, und dem schweren, goldenen Samtrock. Abgesehen davon, dass die Zofen ekstatisch darüber gewesen waren, meine wirren schwarzen Locken zu einer angemessenen Frisur bändigen zu dürfen, wollte ich mich heute ganz und gar einnehmend präsentieren. Womöglich würde es nötig sein, den König zu überzeugen, mich nicht in den Westen zurückzuschicken und Cam keine Karriere als Priester nahezulegen.

"Eure Hoheit? Würdet Ihr gerne eintreten?"

Mit einem tiefen Seufzer, fingerte ich ein letztes Mal an den winzigen Holzperlen in meinem Haar herum, und nickte. Hatte ich denn eine Wahl? Als Cam vor über einer Stunde zu seinem Vater gerufen worden war, hatte ihn mit dem Bediensteten eine geschriebene Nachricht erreicht, die alles Blut aus seinem Gesicht weichen hatte lassen. Über den Inhalt konnte ich nur mutmaßen, immerhin wollte er mir kein Wort verraten, außer dass er von Almar war und uns beide betraf.

Die großen Flügeltüren vor mir wurden aufgestoßen und offenbarten die private Bibliothek des Königs. Bedeutend kleiner, aber auch gemütlicher als die große Schlossbibliothek, hatte Almar dieses Zimmer vor lange Zeit dazu auserkoren, sein persönliches Arbeits- und oftmals auch Empfangszimmer zu sein. Ich konnte die Gelegenheiten, an denen ich hierher gerufen worden war, schon nicht mehr zählen, aber selten hatten sich meine Besuche um etwas anderes als Zurechtweisungen und Appelle an meine Vernunft gedreht. Um mir heute Mut und etwas Haltung zu geben, atmete ich tief ein, bevor ich den Schritt über die Schwelle wagte. Was mir bevorstand konnte ich nicht sagen; womöglich hatte der König bereits andere Pläne für Cambriel und unsere Verbindung war das letzte, das ihm in den Sinn gekommen wäre. Als Tochter eines Königs war ich mit einer durchaus ansehnlichen Mitgift ausgestattet; als neunte Tochter war sie jedoch nicht ganz so groß, wie sie sein hätte können. Falls Almar eine Frau für seinen Sohn suchte, die seine Staatskassen füllen würde, dann säße ich morgen früh in einer Kutsche nach Hause. Alleine, darüber bestand kein Zweifel.

Für eine Sekunde überlegte ich mir, umzudrehen. Was tat ich hier überhaupt? Wie hatte es Cam geschafft, mich dazu zu überreden? Noch diesen Frühling hatte ich daran gedacht, mir einen zahmen Raben zuzulegen und es dabei zu belassen. Nun war ich dabei, mich zu verloben.

"Raven? Möchtest du denn nicht eintreten?"

Almars Stimme weckte mich aus meinen unangenehmen Tagträumen und ich beeilte mich, an den Schreibtisch zu treten. Zu meiner Überraschung war der König jedoch nicht alleine; niemand anderes als Cam saß in einem Ledersessel ihm gegenüber. Seine Kleidung war ordentlicher als sonst; sogar seine Locken wurden von einem dünnen schwarzen Band im Nacken zusammengehalten. Als ich eingetreten war, stand der blonde Prinz auf und kam direkt auf mich zu. Angespannt versuchte ich, seinen Gesichtsausdruck zu deuten und meinte, keine Anzeichen von Zorn zu sehen. Gut, dachte ich, zumindest hat er sich nicht mit ihm gestritten - das heißt, Almars Laune ist noch intakt. Mit einem leichten Nicken, nicht mehr, drückte Cam sich an mir vorbei aus dem Raum und mein Blick folgte ihm. Wie gerne ich ebenfalls gehen würde.

SilberblutWhere stories live. Discover now