♕ Raven VI ♕

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Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen durch die dicken, dunkelvioletten Vorhänge des Teeraums, in den Cam und ich uns nach dem kurzen Spaziergang mit seinem Bruder und Rosalie zurückgezogen hatten, und kitzelten mich in der Nase. In einem Versuch mich vor ihnen zu schützen, rollte ich zur Seite, doch Cambriel zog mich wieder zu ihm und vergrub seine Nase in meinen schwarzen Locken.

"Willst du etwa abhauen?", fragte er halbernst nach, die Stimme durch mein dichtes Haar gedämpft.

Rasch drückte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und nutzte seine Überraschung  dazu mich aufzurichten. "Wer weiß."

"Wachen!"

Lachend versuchte ich mich aus Cams eisernem Griff zu befreien, den er um meine Taille gelegt hatte. Erfolglos.
Sanft, aber entschlossen löste ich einen Finger nach dem anderen von meiner verschnürten Mitte und schüttelte den Kopf. "Denk doch nach. Was machen wir, wenn jemand kommt?"

"Dann sollen es alle wissen."

"Cam", sagte ich warnend, doch er hob bloß eine Augenbraue und rückte näher. Er war ungeduldig geworden, ich wusste es und trotzdem war ich noch nicht bereit nachzugeben. Wir hatten von Anfang an gesagt, dass wir warten würden, bis Jonathans Geburtstag vorübergegangen war und sich die Aufregung auf Silbermeer gelegt hatte - eine Abmachung, an die ich mich trotzig klammerte. Wenn ich ehrlich zu mir war, dann traute ich der Situation noch immer nicht zur Gänze. Cambriel hatte sich zwar von seinen anderen Bekanntschaften zurückgezogen und ich glaubte ihm, wenn er sagte, dass ich ihm wichtig war - er sagte es ein wenig zu oft für meinen Geschmack - und dennoch. Irgendetwas hielt mich zurück. Obwohl ich den Prinzen seit meiner Kindheit kannte, wusste ich manchmal wenig über ihn. Mit seinen Freunden hatte ich nie viel zu schaffen gehabt, eine Tatsache die ich schleunigst ändern wollte. Wie Cam wohl war, wenn ich nicht dabei war?

Mit einem tiefen Seufzer legte er seinen Kopf zurück auf das dunkelgrün bezogene Samtsofa. "Wie Ihr wünscht, Hoheit."

Bei der vertraut-sarkastischen Anrede hoben sich meine Mundwinkel unwillkürlich und ich nahm seine Hand. "Sei nicht böse, Cam."

Der 18-Jährige sah mich aufrichtig an, die blonden Locken auf dem samtenen Stoff wie einen Heiligenschein ausgebreitet. "Niemals", versicherte er mir.

"Gut, merk dir das", begann ich grinsend, "denn ich möchte, dass du mich heute endlich deinen Freunden vorstellst. Und ich meine nicht die flüchtigen Bekanntschaften der letzten Gesellschaft, sondern Kael und Lora und all die anderen, von denen ich nie etwas höre."

Der Vorschlag schien Cam zu verstören. Während das Blut nach und nach aus seinem Gesicht wich, bemühte er sich stammelnd, um eine Ausrede, doch ich ließ es gar nicht erst dazu kommen.

"Früher oder später werde ich sie treffen."

Er strich mir das widerspenstige Haar aus dem Gesicht und zog eine Grimasse. "Besser später. Ich will gar nicht wissen, was sie dir erzählen würden."

Für wen hielt er mich?

"Denkst du ich werde meine Meinung ändern, nur weil ich mir alte Liebschaften von dir vorstellen muss?" Eine plötzliche Welle des Ärgers überkam mich bei dem Gedanken daran, dass Kael wohl einen ganzen Abend damit zubringen könnte, mir von allen zu erzählen - oberflächlich. Genervt quetschte ich Cams Hand etwas; er blieb still als könnte er meine Gedanken erraten. "Jonathan hat mir von den meisten Mädchen bereits berichtet; wobei ich vermute, dass er die unsittlichen Details für seine adelige Freundin ausgespart hat."

Cams Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er die Aussparungen für bedeutend hielt. Mir fiel nichts anderes mehr ein, als meine Trumpfkarte auszuspielen.

SilberblutWhere stories live. Discover now