Silberblut

♕ Raven V ♕

Lachend sah ich mich in dem gut gefüllten Saal um, in dem die geschlossene Gesellschaft heute Abend stattfand und lehnte mich entspannt zurück. Ich genoss den Abend unwahrscheinlich, da ich ausnahmsweise einmal viele der anwesenden Gesichter persönlich kannte und schätzte; außerdem gab mir die Veranstaltung eine Gelegenheit, um mich von Jonathans Zorn ablenken zu lassen. Der Kronprinz hatte sich noch immer nicht dazu überwinden können mehr als zwei Wörter am Stück mit mir und Cambriel zu reden, weshalb wir ihm seit unserer unbedachten Aktion mit Juliana so gut wir eben konnten aus dem Weg gingen. Doch ich lief nicht nur vor Jonathan davon, wenn ich ihn am Gang sah. Auch Cams Anblick bedrückte mich im Moment. Es war meine Idee gewesen, Juliana auf diese Art und Weise hereinzulegen und auch wenn er sehr gut ablehnen hatte können, so wäre es doch besser gewesen, wenn ich von Anfang an meinen Mund gehalten hätte und ihn nicht in diesen kindischen Racheplan hineingezogen hätte. Da ich jedoch nicht sonderlich gut darin war, meine Schuld einzugestehen oder mich zu entschuldigen, fiel es mir leichter, ihn einfach nicht zu treffen und mich stattdessen mit den anderen Mädchen oder Handarbeiten abzulenken.

"Raven, du bist dran", erinnerte mich Viktoria, die mit einem ausgelassenen Lächeln im Gesicht ihre Karten umklammert hielt. "Und spick mir nicht wieder ins Deck, ja?"

Mit einem entschuldigenden Grinsen schüttelte ich den Kopf. "Nein, keine Sorge. Ich glaube nur ich muss mir kurz ... die Nase pudern gehen."

Verständnisvoll nickten die Anwesenden und kümmerten sich nicht weiter darum, dass ich mitten im Spiel den Tisch verließ. Wenn eine Dame sich die Nase pudern wollte, dann fragte niemand nach, so viel hatte ich bereits als Kind gewusst. Und diesen Umstand natürlich ausgiebig ausgenutzt. Mit einem Anflug von Unschlüssigkeit sah ich zum Spieltisch zurück. Sollte ich vielleicht doch noch ... Ach, ich war sowieso am Verlieren und darin war ich nicht besonders gut. Agnesa hingegen war einfach unglaublich in dem Spiel; ich vermutete bereits, dass sie schummelte, aber nachweisen konnte ich ihr nichts.

Als ich wieder zurück zu den anderen kommen wollte, sah ich, dass Jonathan meinen Platz eingenommen hatte und machte lieber einen großen Bogen um den Spieltisch. Meine heute ausnahmsweise einmal bodenlangen Röcke raffend, machte ich mich rasch auf zu den Gärten, da der König gerade eben die Türen öffnen hatte lassen. Ich wollte Jonathan noch nicht begegnen, vor allem nicht, bevor ich mir überlegt hatte, was ich sagen sollte, um ihn wieder auf meine Seite zu holen. Wenn er mir nicht vergeben wollte, dann konnte ich nichts weiter tun, doch ich wollte es zumindest versucht haben. Was Cam anging, so machte ich mir keine Sorgen. Die Brüder hatten schon immer miteinander gestritten, doch nach einer Weile vergaben sie sich eben, ganz egal was passiert war.

Die kalte Nachtluft draußen half mir dabei meine Gedanken zu sortieren und ich sah einen Moment lang hinauf zu den winzigen Sternen, bevor ich mein brombeerfarbenes Tuch enger um mich zog und in die Gärten hineinlief. Es war an der Zeit reinen Tisch mit den Brüdern zu machen und mich zu entschuldigen, selbst wenn die Angelegenheit mir furchtbar unangenehm war. Wir waren schon seit ewigen Zeiten Freunde und das wollte ich durch so eine dumme Aktion nicht aufs Spiel setzen, also musste ich mir eiligst überlegen, was ich am besten zu ihnen sagte.

Ohne ein Ziel schlenderte ich gedankenverloren über die Wege, bis ich bei dem Brunnen landete, in den Elion mich beim letzten Ball fast gestoßen hatte. Erinnerungen an den Abend kamen hoch und ich musste unwillkürklich lächeln. Heute Abend hatte der Bastard von Ostwald so fröhlich gewirkt; es war schön zu sehen, dass sie langsam etwas mehr Persönlichkeit bekam und sich nicht mehr für alles, das sie tat, entschuldigte.

"Manch einer würde sagen, dass es gruselig ist, ganz alleine im Dunkeln zu sitzen und in die Leere zu grinsen", sagte auf einmal Cam, der offenbar den selben Weg gekommen war wie ich.