24. Heimweh Teil 2

5.4K 351 91
                                    

Am nächsten Morgen stand ich völlig neben der Spur. Es schien alles wieder so unwirklich, wie an meinem ersten Tag in diesem Haus. Ich wollte alles stehen und liegen lassen und sofort wieder ins Krankenhaus, um nach dem kranken Mann und seiner schwangeren Frau zu sehen. Als ich mich für den Tag fertig machte, hörte ich bereits den Krach und den Trubel im Flur. Für die geplante Feier am Wochenende laufen die Vorbereitungen in Hochtouren. Das Essen, die Musik, die Einladungskarten, das Catering. Alles sollten wir - die Hausangestellten - planen und erledigen. Das hieß also, Mr Kurt plante uns zwar für den Abend mit ein, jedoch nur als Kellner und Kellnerinnen. Ich vermutete stark, damit wollte er auch gleichzeitig sicher gehen, dass ICH mitkriege, wie er sich mit den angesehenen und reichen Damen begnügen wird. Aber ich wappnete mich innerlich bereits und hatte bereits Pläne geschmiedet, wie ich im Fall der Fälle dazwischen platzen könnte.

Aber nicht, dass du denkst, ich hätte vor mich lächerlich zu machen oder mich auffällig in seine Arme zu werfen... aber genau das wollte ich doch?

Ich schüttelte den Gedanken ab, ging aus dem Zimmer und trat in den kühlen Flur.

„Zur Seite!", zischte Rosalie und erschrak mich. Ich drückte mich an die Tür, als sie mit einem Korb voll Einladungen an mir vorbei trampelte. Peter nahm ihr diese an der Eingangstür ab und verschwand aus dem Haus. Wahrscheinlich, um sie rechtzeitig abzuschicken.

„Ich brauche mehr Mehl!", rief Mathilda aus der Küche, „Hilde, bring mir etwas aus dem Keller!"

Gerade als diese aus der Küche lief, prallte sie mit Marie zusammen, die Tischdecken vor sich hertrug. Der Aufprall war demnach weich, sorgte aber zu einem kleinen Aufschrei beider Mädchen. Ich nutzte den Moment, um mich an ihnen vorbeizuschleichen und in Richtung Ausgang zu begeben. Ich hatte gerade meinen Schleier gepackt, da hörte ich ein Räuspern hinter mir, bei dem mir ein kalter Schauer den Rücken runter lief.

„Wohin denkst du, dass du gehst junges Fräulein?", fragte Mr Kurt mit verschränkten Armen, „Es gibt viel zu tun."

Ich seufzte. „Sie verstehen das nicht, Sir. Ich muss ins Krankenhaus. Ganz dringlich." Bei dem Gedanken der kranken Mann könnte schon an seinen Symptomen gestorben sein, ließ mich schwer schlucken.

Er sah meinen besorgten Blick, woraufhin sich etwas in seiner Mimik änderte. „Was ist los?", wollte er sofort wissen.

Ich presste die Lippen. „Ich kann nicht drüber sprechen."

„Dann ist es sicher auch nichts wichtiges."

Ich runzelte die Stirn. „Sir, bitte."

„Ich denke, ich hatte mich klar und deutlich ausgedrückt, als ich sagte, dass für dich keine Sonderregelungen gelten. Du hast zu arbeiten."

„Das ist mir klar.", sagte ich eindrücklich, „und ich will ja auch arbeiten - aber im Krankenhaus. Die anderen Schwestern brauchen mich jetzt. Es ist im Moment wirklich eine kritische Phase."

Er sah mich einen Moment an, während im Hintergrund alle auf und ab liefen und uns scheinbar keine Beachtung schenkten. Als Rosalie an uns vorbei ging, fiel mir jedoch ihr gekränkter Blick sofort auf. Ich wurde unruhig. „Mr Kurt?"

„Warte eine Sekunde.", befahl er und trat zurück. Er ging ins Wohnzimmer und kam wenig später mit seinem Mantel und dem Hut auf dem Kopf wieder zurück. „Ich komme mit."

„W-Was? Wieso das denn?", widersprach ich erschrocken.

„Ich will mir einen Überblick über die Zustände im Krankenhaus machen.", log er wie gedruckt. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Er wollte mich beschatten!

„Und was ist mit den ganzen Vorbereitungen für das Wochenende?", fragte ich und konnte mir den sarkastischen Unterton nicht verkneifen, „Immerhin muss alles perfekt werden für Ihre Gäste."

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now