34. Prinzipien, welche?

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Das Antibiotikum hatte gewirkt.

Auch wenn ich Hoffnung hatte, gab es trotzdem noch die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht funktionieren würde. Mit dieser Angst hatte ich tagelang gebannt, bis Nathan schließlich die Augen geöffnet hatte. Die Erleichterung, die ich verspürt hatte, konnte ich kaum in Worte fassen.

Außer mir hatte keiner mehr mit seinem Überleben gerechnet.

Dr. Gosio war überglücklich. Nicht unbedingt, weil Nathan überlebt hatte, sondern viel mehr weil seine wissenschaftliche Arbeit nun ein Abschluss gefunden hatte. Er wollte sofort damit beginnen eine Publikation zu veröffentlichen, mit allen Informationen, die er gesammelt hatte. Ob er schneller sein würde als Alexander Flemming mochte ich bezweifeln - denn ich kannte ja bereits die Zukunft. Dennoch sagte ich kein Wort, als er euphorisch am nächsten Tag abreiste.

Dr. Pasteur und Dr. Yersin halfen noch in der Stadt als wissenschaftliche Berater aus, um Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Pest zu ergreifen. Diese waren maßgeblich für die Abnahme der Zahl an Neuinfizierten. Von Woche zu Woche wurden die Gänge und Räume im Krankenhaus leerer. Die meisten Erkrankten konnten zwar nicht mehr gerettet werden, aber es gab wenigstens keine Neuankömmlinge mehr.

Es waren inzwischen drei Wochen vergangen, seitdem Nathan wieder zu sich gekommen war und unsere Verlobung offiziell gemacht hatte. Ich musste zugeben, dass seine Ansprache mir geschmeichelt hatte, aber ob das die Gesamtsituation im Anwesen nun besser gemacht hatte, stellte ich offen in Frage. Ich war nur froh, dass ich nicht mehr dort wohnte, denn in den ersten Tagen nach der Verkündung war die Spannung zwischen mir und den Angestellten deutlich spürbar. Es war sehr unangenehm, wenn ich ihnen gegenüberstand. Sie achteten penibel darauf nichts falsches zu sagen oder zu tun. Sobald ich den Raum betrat, verstummten sie und blickten weg. Sie schienen mich partout zu meiden. Als hätten sie nicht mich, sondern Mr Kurt vor sich stehen. Vielleicht machte es für sie keinen Unterschied mehr.

Wie aber sollte ich unter solchen Umständen zurück ins Anwesen kommen, wenn wir geheiratet hatten? Das war nicht auszuhalten!

Aus diesem Grund nahm ich mir fest vor bei der nächsten Gelegenheit etwas dagegen zu unternehmen. Ich wusste noch nicht wie, aber ich würde dafür sorgen, dass sich das Eis löste und die Bediensteten wieder etwas lockerer werden würden.

Für diesen Abend jedoch schob ich den Gedanken noch beiseite. Denn heute Abend war ein besonderer Abend.

Heute sollte das erste Mal sein, dass Nathan und ich etwas unternehmen würden. Ich strich mir das Kleid zurecht und blickte abermals in den Spiegel, als könnte sich inzwischen etwas an meinem Aussehen geändert haben. Da ich ohnehin nicht viel Auswahl an Kleidern hatte, hatte ich nur ein schlichtes, weinrotes Kleid mit Ärmeln angezogen. Das einzige Besondere an dem Kleid war der eckige Ausschnitt, der mich an eine Dirndl erinnerte.

Vermutlich war ich zu schlicht gekleidet für das Restaurant, in dem wir essen wollten. Nathan hatte eigentlich vorgeschlagen das Restaurant dicht machen zu lassen, damit wir unter uns sein konnten, aber die Idee hatte ich abgeschlagen. Das war mir zu viel, nur um mal eben was gemeinsam zu essen. Dann ertrug ich lieber die Blicke der anderen Gäste im Restaurant, als dass so ein riesen Wirbel um uns gemacht werden sollte.

Ich trat an das Fenster und blickte ungeduldig hinaus auf die Straße. Wo Nathan wohl blieb?

So wie er nunmal war, hatte er sich gleich nach seiner Genesung wieder auf die Arbeit gestürzt, daher hatten wir kaum eine ruhige Sekunde für uns. Schmidt, der seinen Augen nicht trauen konnte, war überglücklich Nathan wieder auf den Beinen zu sehen. Auch wenn Nathan mir nicht glaubte, dass Schmidt ihn wie ein Freund mochte, konnte er es spätestens dann nicht mehr abstreiten, als er Schmidt mit dem breiten Grinsen im Gesicht sah - jeden Gott verdammten Tag. Man könnte fast glauben, er wäre die Verlobte von Nathan Kurt. Es war unglaublich, dass ich mit einem Sekretär konkurrieren musste. Schmidt sah ihn sogar öfter als ich!

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now