25. Wie Du mir, so ich Dir

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Die Veranstaltungsfreier im Saal des Rathauses war bereits voll im Gange. Eine große Eröffnungsrede von Mr Kurt wurde gehalten und alle Sponsoren sprachen ein kurzes Wort, ehe Thomas Edison seine Glühbirne vorführte. Sie sollte die Öllampe ersetzen und schon bald in sämtlichen Häusern eingeführt werden. Hierfür arbeitete er an einer Methode, die er als Gleichstrom bezeichnete. Diese wurde unter den Sponsoren jedoch ungern gesehen. Stattdessen schien Tesla's Idee des Wechselstroms der Favorit zu sein. So zeigte sich bereits zu Beginn des Abends die Tendenz der Sponsoren: Es sollten zwar Edisons Glühbirnen sein - so wie ich vorhergesagt hatte -, aber nicht seine Stromleitungen. Welch Ironie.
Den bisherigen Abend verbrachte Mr Edison daher damit, die Sponsoren vom Gegenteil zu überzeugen.

Jedenfalls wurde mir all das von den anderen zugeteilt, denn ich habe nichts von alledem mitbekommen. Bedauerlicherweise, denn Mr Kurt hatte seine Drohung wahr werden lassen und hatte mich zum Tellerwaschen verdonnert. Der halbe Abend war bereits vorbei und ich hatte nicht einmal die Küche verlassen. Leider bekam ich sonst keine weiteren Informationen, was sich im Saal abspielte, denn je fortgeschrittener der Abend war, desto hektischer wurde es. Die anderen Mädels waren so gestresst, dass sie kaum ein Wort mehr mit mir sprechen konnten. Es drangen nur gedämpfte Musik und ab und zu lautes Gelächter aus dem Saal zu mir durch. Der Abend diente nämlich nicht nur zum Verträge unterschreiben, sondern auch zum Vergnügen, wie es schien.

Du fragst dich sicher, warum ich nicht für einen kurzen Moment die Küche verlassen habe um nachzusehen, was ich so dringend wissen wollte; und zwar, mit wem Mr Kurt als Begleitperson aufgetaucht war. Aber als wäre es nicht schon Strafe genug den ganzen Abend in der Küche zu verbringen, musste mir auch noch Schmidt Gesellschaft leisten. Wahrscheinlich hatte Mr Kurt genau gewusst, dass mich eine Anweisung allein nicht davon abhalten würde mich aus der Küche zu schleichen - er kannte mich zu gut. Aus diesem Grund hatte er mir sein treues Schoßhündchen ans Bein gebunden. Dieser hatte zu meinem Glück genauso wenig Lust auf meine Anwesenheit, wie ich auf seine. Deshalb sprachen wir kaum ein Wort, außer wenn es wirklich sein musste. Beispielsweise als mir beim Abwasch die Ärmel runterrutschten und ich ihm bat sie mir wieder hoch zu krempeln.
Ich soll dir die Ärmel hochkrempeln?", fragte er entsetzt.

„Siehst du hier sonst noch eine Person?", erwiderte ich.

„Ich bin doch nicht dein Bediensteter.", weigerte er sich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Krempel mir die Ärmel hoch, Schmidt, sonst krempel ich dir etwas dort hoch, wo nie die Sonne scheint!", zischte ich genervt. Meine Laune war ohnehin nicht die Beste. Ich brauchte nicht noch seine bissigen Kommentare.

Eigentlich war meine Laune bereits seit Tagen am Tiefpunkt. Meine Stimmung konnte nicht einmal erheitert werden, als ich am Vortag Mrs Blanc das versprochene Geld überreicht hatte. Sie hatte sich anfangs gewehrt das Geld anzunehmen, aber ich bestand darauf. Es gab mir ein gutes Gefühl auf irgendeiner Art und Weise helfen zu können. Zu wissen, dass mein Urgroßvater in ihrem Bauch wuchs, gab mir Hoffnung. Emil Thomas hieß nämlich mein Urgroßvater. Und das wusste ich auch nur deshalb, weil mein eigener Vater seinen Vornamen Emil bekommen hatte. Er erzählte mir früher immer, wie sein Großvater - also mein Urgroßvater - ein tapferer Veteran im Krieg gewesen ist. Er soll den Krieg überlebt und nach Hause gekehrt sein, war dann jedoch in der ersten Nacht zu Hause in seinem Bett verstorben. Fast so, als hätte er nur so lange versucht durchzuhalten, bis er bei seiner Familie sterben konnte. Die Geschichte hatte mich so gerührt, dass ich mich noch gut daran erinnern konnte...

Schmidt schnäuzte verächtlich und riss mich aus meinen Gedanken. „Hoffentlich werden dir die Ärmel ein Leben lang beim Abwasch nass!", erwiderte er, aber krempelte sie mir widerwillig hoch.

„Du könntest mir ruhig helfen und mit anpacken.", sagte ich und ignorierte gekonnt seinen Fluch.

„Ach ja? Soll ich auch gleich das Essen kochen und die Wäsche waschen?!" Er sah mich dermaßen entsetzt an, als hätte ich seine Mutter beleidigt.

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now