20. Nathan Kurt

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*Mr Kurts POV*

Es war später Nachmittag und ich saß nun Stunden im Arbeitszimmer an unberührten Unterlagen. Die Papiere häuften sich mit der Zeit an und die Kopfschmerzen verstärkten sich bei dem Anblick der vielen Zahlen. Ich stieß verärgert die Luft aus und ließ die Feder auf den Tisch fallen. Einen ewigen Moment lang sah ich nur auf die gegenüberliegende Wand, an der die Uhr hing. Der Zeiger und das tickende Geräusch machten mich schier wahnsinnig. Verbittert raufte ich mir die Haare und stand von meinem Stuhl auf, um ans Fenster zu treten. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich an den Fensterrahmen. Im Innenhof bewegten sich nur die Äste der Bäume im Wind, im ganzen Haus war es vollkommen still - man könnte annehmen, es sei jemand verstorben. Und um ehrlich zu sein, wäre mir das um einiges lieber gewesen, als meine Arbeit zu vernachlässigen. Seit Tagen konnte ich mich nicht richtig konzentrieren und meine Laune hatte nun den Tiefpunkt erreicht. Denn es machte mich wütend, dass ich zwar wusste, was der Grund für meine geistliche Abwesenheit war, ich aber nichts dagegen tun konnte!

Der plötzliche Brief von meiner Schwägerin war eine große Überraschung gewesen - und ich hasste Überraschungen mehr als die Pest. Ich hatte jahrelang nichts von meinem Bruder gehört. Wie viele Jahre es waren, hatte ich nicht gezählt. Solch eine sinnlose Mühe hätte ich mir nicht gemacht. Ich hatte aber schon lange aufgehört eine Nachricht von ihm zu erwarten - im Grunde genommen war der Brief auch nicht wirklich von ihm. Luisa, seine Frau, hatte den Brief im Vertrauen zu mir geschickt. Sie sei nun schwanger, was eigentlich Grund zur Freude gewesen wäre - sie hatte jedoch nur Grund zur Sorge, denn finanziell ginge es ihnen nicht gut. Sie könnten sich gerade noch über Wasser halten, aber mit dem Kind würden schwere Zeiten auf sie zukommen. Mein Bruder arbeitete zwar, aber es reichte nicht. Wäre er nicht zu stolz um nach Hause zurückzukehren, wäre ihr gemeinsames Leben um einiges einfacher. Er weigerte sich jedoch das Erbe unserer Eltern anzunehmen und wollte auch nichts mit den Familien-Unternehmen zu tun haben, die ihm eigentlich rechtmäßig zustanden. Wenn er sich weigerte, war ich nicht gewollt ihn zu seinem Glück zu zwingen. Ich hatte genug Probleme, um die ich mich kümmern musste. Mein Bruder war alt genug, um seine Entscheidungen selbst zu treffen.

Luisa bat mich in dem Brief um finanzielle Unterstützung, ohne dass mein Bruder etwas davon erfahren sollte. Ich musste zugeben, als ich das gelesen hatte, war ich zunächst nicht wirklich angetan. Denn ich hatte den beiden bereits nach dem Tot unserer Eltern ein, zwei Briefe geschrieben mit einer Einladung zum Anwesen. Doch es kam nie eine Antwort. Wenn ich etwas verabscheute, dann Menschen, die mir nicht gehorchten! Und dann noch die Dreistigkeit zu besitzen, um um Geld zu bitten, für das ich Tag und Nacht arbeitete, gab mir Grund genug ihnen nicht zu helfen. Aber ich wusste, dass Luisa mir niemals geschrieben hätte, wenn es nicht wirklich dringend gewesen wäre. Daher hatte ich entschieden ihnen widerwillig zu helfen - aber nur wegen des ungeborenen Kindes Willen! So hatte ich es auch in meiner Antwort geschrieben.

Zudem würde ich nicht die Konsequenzen verantworten, die folgen würden, wenn mein Bruder von der finanziellen Unterstützung meinerseits erfahren würde. Mein Bruder konnte sehr imposant und leicht reizbar sein - was vermutlich in der Familie lag. Nur im Gegensatz zu mir, konnte er sein Temperament nicht gut einbehalten. Er neigte gerne dazu unüberlegte Dinge zu tun, wobei er sich auch nicht gerne Einheit gebieten ließ - weder von mir, noch von sonst jemanden.

In meinem Leben kannte ich nur zwei Menschen, die es jemals gewagt hatten, sich mir zu widersetzen; Mein Bruder und Ella.

Ella.

Ich biss die Zähne zusammen.

Sie war ein ganz anderes und eigenes Problem, das mir Kopfschmerzen bereitete. Sie beherrschte die Kunst mich immer wieder aufs Neue in Weißglut zu versetzen - etwas, das ganz sicher nicht einfach war.

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now