15. Mi Casa Es Su Casa - Teil 2

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Nichts geschieht ohne Grund.

Diesen Satz hört man sehr oft. Es soll einen eigentlich trösten, um an schwierigen Tagen nach vorne schauen zu können. Aber mich macht es nur traurig. Denn wenn dem so ist, dass nichts ohne Grund passiert, warum gibt es dann keine Gerechtigkeit auf dieser Welt? Was kann es schon für einen guten Grund geben, dass Kinder hungern, während andere zu viel haben?  Warum sterben Menschen, die in ihrem Leben nur gutes getan haben? Warum erfährt man Leid, wenn man nur helfen will?

Nichts und niemand konnte mir die Antwort geben. Es machte mich nur traurig.

„Noch eine, bitte!", nuschelte ich und hob mein leeres Glas in die Luft.

Der Barkeeper runzelte leicht die Stirn, aber nahm mir dennoch das Glas ab. „Kommt sofort, Sir."

Ich nickte und zog mir den Hut tiefer ins Gesicht. Wie viel Zeit vergangen war, wusste ich nicht. Es mussten aber mehrere Stunden her sein, seitdem ich das Krankenhaus verlassen hatte. Ohne zu wissen wie, war ich zum Anwesen zurückgekehrt, um mir Mr Kurts Klamotten anzuziehen. Das Kleid von heute morgen wurde durch eine Hose, einem Hemd und einem Sakko ausgetauscht. Ich hatte mir Peters Hut genommen, unter dem ich meine langen Haare versteckte.

Da junge Damen nicht trinken durften, hatte ich keine andere Wahl, als mich als Mann zu verkleiden, um an etwas Alkohol zu kommen. Ich hatte die Befürchtung, dass man mich nichtsdestotrotz als Frau enttarnen würde. Aber es hatte bisher niemand in der Kneipe ein Wort gesagt.

„Hier." Der Barkeeper schob mir ein volles Glas zu.

Ich nahm es sofort entgegen und legte es an meine Lippen. Bei jedem Schluck brannte mir das Alkohol die Kehle hinab. Es tat aber gut, es betäubte meine Sinne. Das warme Gefühl, das es auslöste, verdrängte die bedrückenden Gedanken und das beklemmende Gefühl in meiner Brust.

Je mehr ich trank, desto leiser wurde die Stimme in meinem Hinterkopf.

Es ist meine Schuld.

Mein Griff um das Glas wurde fester, bis meine Fingerknöchel weiß hervorstachen. Sofort nahm ich noch einen Schluck.

„Darf ich mich setzen?", fragte ein Mann wie aus dem nichts und zeigte auf den Stuhl neben mir an der Theke. Ich hob mit viel Mühe den Kopf und musterte ihn angestrengt. Der Mann trug einen Anzug, genau wie alle anderen Herren in der Kneipe auch, und hatte schwarze Haare sowie braune Augen. Mir fiel auf, dass seine Nase leicht schief war und eine kleine Narbe seine rechte Wange zierte.

Ich zuckte die Achseln zur Antwort, woraufhin er sich niederließ.

„Ich hätte gern dasselbe wie mein Freund hier.", sagte er an den Barkeeper gewandt und wies auf mein Getränk. Der Barkeeper nickte.

Der Mann lehnte sich mit den Ellenbogen gegen die Theke und sah über seine Schulter zu mir. Ich wich dem Augenkontakt aus, weil ich befürchtete, er würde sofort sehen, dass ich eine Frau war.

„Der Abend ist noch jung.", bemerkte er und sah auf mein halb leeres Glas, „Und du scheinst schon ziemlich voll zu sein."

Ich ignorierte ihn und nahm noch einen Schluck.

„Sind es sehr große Sorgen?", fragte er plötzlich.

"Was geht dich das was an?", fragte ich etwas zu gereizt zurück.

"Wenn du nicht drüber sprechen willst, ist das in Ordnung." Der Fremde hob beschwichtigend die Hände. Ich sah ihn kurz misstrauisch an, aber besinn mich dann des Besseren.

„Es geht mir nicht um mich.", antwortete ich schließlich.

„Ach, die schlimmste Art der Sorge.", seufzte er bedrückt, „Die Sorge um andere Menschen."

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now