28. Du und ich

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Nachdem Emil nun nicht mehr bei uns blieb, wurde es wieder sehr ruhig im Anwesen. Ich hatte mich gerade an seine Gegenwart gewöhnt, da war er schon wieder weg. Auch wenn mich eine leichte Melancholie befiel, freute ich mich sehr für ihn. Die Hauptsache war, dass es ihm gut ging. Und ich war mir sicher, dass es ihm bei Elijah und Luisa mehr als gut gehen würde. Nathan kümmerte sich neben den ganzen Dingen, die er für das Krankenhaus tun musste, nun auch zusätzlich um alle Formalien für die Annahme von Emil. Nathans Einfluss in der Stadt war hierbei von großem Vorteil für die Familie. Es ging alles deutlich schneller vonstatten und vieles wurde durch die richtige Menge an Geld ermöglicht.

Ich konnte wieder mit gutem Gewissen meiner Beschäftigung nachgehen und ins Krankenhaus zurückkehren. Bis die ausländischen Mediziner eintreffen würden, mussten wir unser Bestes versuchen die Seuche - so gut es eben ging - im Zaum zu halten. Und obwohl ich mich freuen sollte zurück ins Krankenhaus zu können, um wieder zu helfen und sinnvolles zu tun, frustrierte es mich ungemein, dass ich dadurch wieder keine Gelegenheit bekommen würde mit Nathan zu sprechen.

Die Tatsache, dass wir so nah und doch so fern waren, deprimierte mich zutiefst. Ich musste mich ständig mit den Blicken zufrieden geben, die wir uns zuwarfen. Natürlich ließen seine dunklen Augen allein bereits mein Puls schneller schlagen -  doch ich wollte mehr. Ich wollte viel mehr. Und so wie er mich ansah, ging es ihm scheinbar genauso.

Es war fast so, als hätten die Anderen im Anwesen sich geschworen uns unter keinen Umständen allein zu lassen. Immer dann, wenn ich dachte, Nathan und ich haben endlich einen ungestörten Augenblick für uns, wurden wir im nächsten Moment bereits unterbrochen. Selbst in den späten Abendstunden lief ich ständig einem der anderen Bediensteten über den Weg.

So wie an jenem Abend, an dem mir Mathilda beim Vorbeigehen einen Korb voller Wäsche in die Hände drückte, die ich in der Waschküche aufhängen sollte. Niedergeschlagen ging ich in den dunklen Raum, stellte mir eine Öllampe auf und fing an die nasse Wäsche aufzuhängen. Ich machte mir schon längst keine Hoffnungen mehr, dass Nathan und ich in diesem Haus einen ruhigen Moment für uns haben könnten. Da hörte ich beim Aufhängen der Wäsche, wie die Tür leise hinter mir geschlossen wurde. Überrascht blickte ich über meine Schulter, nur um mich dann schlagartig umzudrehen. Nathan war mir in den Raum gefolgt. Er lehnte für einen Moment gegen die Tür und sah mich mit unergründlichen Augen an. Sein Blick schien mich förmlich zu durchdringen.

"Es könnte jemand kommen.", flüsterte ich. Das Herz pochte mir bis zum Hals.

Dann klickte das Türschloss, als er den Schlüssel mit einer raschen Handbewegung drehte. Ich sah ihn wie versteinert an, doch noch ehe ich die Gelegenheit hatte mir irgendwelche Sorgen oder Gedanken zu machen, war er durch den Raum getreten und nahm mein Gesicht in beide Hände. Er wusste, was er wollte und würde es sich nehmen - und niemand würde ihm dazwischen kommen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als er mir mit einer solchen Härte die Lippen auf meine presste, als würde sein Leben davon abhängen. Er küsste mich wie ausgehungert und mit einer Intensität, die mein Innerstes zum Explodieren brachte. Ich vergaß alles um mich herum und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich vergaß die ganze Welt um mich herum. Wie von selbst krallten sich meine Hände in seine Haare, während er von mir Besitz ergriff. Er schien mich vollkommen einnehmen zu wollen - meine Lippen, meinen Körper und meine Seele. Der Kuss war nicht einfach nur ein Kuss. Es war die Sehnsucht, die Begierde und das Verlangen, das sich aus unserem tiefsten Inneren befreite und den jeweils anderen erfüllte. Wir brauchten einander. Wir fühlten dasselbe und wären bereit dafür alles zu riskieren.

Aber noch nie hatte sich ein Risiko so gefährlich und zugleich so sicher und geborgen angefühlt.

Seine Hände wanderten von meinen Wangen hinab, an meinem Hals vorbei zu meinen Schultern. Dabei hinterließ er eine prickelnde Spur auf meiner Haut, die mich wahnsinnig machte. Er schien jede kleinste Ecke und Kante meines Körpers fühlen zu wollen. An meinem Rücken hinab, glitten seine Hände an meiner Taille, um mich im nächsten Moment fester an sich zu drücken. Ich keuchte auf, als ich die Härte seines Körpers unter der Kleidung spürte. Das musste für ihn wie eine Ermutigung gewesen sein, weiter zu machen, denn seine Hände wanderten weiter runter zu meinen Hüften, wo er über meine Rundungen strich. Ich seufzte an seinen Lippen bei dem Gefühl seiner warmen Hände. Als Reaktion drang ein tiefes Stöhnen aus seiner Kehle, als ihn die Gier nach mehr packte. Es war ein Klang, der mich schier um den Verstand brachte. Noch ehe mich mich versah, hatte er mich mit den Händen unter meinen Schenkeln hochgehoben. Es fühlte sich an, als würde ich über den Wolken fliegen, ehe ich im nächsten Moment die Wand an meinem Rücken fühlte. Er drückte sich noch inniger gegen mich, sodass mir die Luft wegblieb. Ich beschwerte mich aber nicht und schlang stattdessen die Beine um ihn herum. Sein Körper strahlte eine unbeschreibliche Hitze aus, die mich komplett umgab. Und während ich bereit war für, was er als nächstes mit mir vorhatte, schien ein Punkt erreicht zu sein, an dem er sichtlich um seine Fassungen ringen musste. Ich spürte, wie er sich an meinem Körper anspannte und den Kuss verlangsamte. Doch in mir sträubte sich alles dagegen, dass er sich zu bremsen versuchte. Ich wollte nicht aufhören und wusste, dass er es genauso wenig wollte. Ich krallte meine Finger in sein Hemd. Und trotzdem beherrschte er sich besser, als ich es jemals gekonnt hätte, und nahm seine Lippen schließlich von meinen.

Ella - Die Stille nach dem SturmOù les histoires vivent. Découvrez maintenant