35. Die Zeit rückt näher

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Ich öffnete die Augen.

Grelle, weiße Sonnenstrahlen schienen in das Schlafzimmer, direkt in meine Augen. Schmerzverzerrt schloss ich sie schnell wieder und drehte mich auf die andere Seite. Mein Bett war kuschelig warm. Am liebsten wär ich hier geblieben. Aber der Druck an meinen Schläfen zwang mich aufzuwachen. Ich erinnerte mich an das Alkohol, das in meinem Blut rauschte.

Nie wieder, versprach ich mir, während ich müde aufstöhnte. Es pochte unerträglich in meinem Kopf. Weiter liegen zu bleiben, wär nur eine Qual gewesen. Widerwillig setzte ich mich auf, ohne meine Augen zu öffnen und warf die Beine über die Bettkante. Dort versuchte ich erstmal zu mir zu kommen. Langsam öffnete ich wieder die Augen. Ich musste mehrmals blinzeln, um mich an das helle Licht im Zimmer zu gewöhnen. Ich fasste mir an die Stirn und drückte meine Handfläche gegen die schmerzende Stelle.

Fast beiläufig schaute ich rüber zur Uhr.

12:42 Uhr

„Was?!", stieß ich überrascht aus. Niemals habe ich so lange geschlafen!

Was war nur in mich gefahren?

Ich brauchte einen Moment um mich zu sammeln. Was war geschehen?

Erinnerungsfetzen von letzter Nacht drangen in mein Bewusstsein. Rosalie in Männerklamotten vor meiner Wohnungstür, wirre Geschichten über Zeitreisen und Stürme sowie die Konsequenzen, die ich nun tragen musste. Ich seufzte erschöpft und massierte mir die Nasenwurzel, als ich mich an weitere Dinge erinnerte.

Nathan.

Mich traf es wie ein Blitz, als mir mit einem Mal einfiel, dass er bei mir übernachtet hatte. Ich wirbelte herum und sah auf die andere Bettseite rüber.

Leer.

Wie erstarrt blickte ich einen Augenblick auf die aufgeschlagene Bettdecke. Er war weg. Nicht da. Ich fasste mir an die schmerzende Stirn und stöhnte fassungslos. Ich hatte verschlafen und er war gegangen. Weder der Abend noch der Morgen verlief so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war für ihn vermutlich die reinste Folter gewesen seine Zeit mit Rumliegen zu verschwenden. Wer weiß, wie lange er gewartet haben musste... und ich war nicht aufgewacht. Ich stöhnte erneut auf und drehte mich wieder um. Das konnte doch nicht wahr sein.

Ich stand auf und sah erst dann an mir herab. Nach wie vor trug ich nur das Korsett und das Nachthemd. Ob Nathan mich ein letztes Mal angesehen hatte, bevor er gegangen war? Ich schüttelte den Kopf und warf mir den Morgenmantel über. Ich schlang ihn mir um die Mitte und ging gähnend aus dem Schlafzimmer.

Auf dem Weg in die Küche fiel mein Blick auf ein Stück Papier auf meinem Esstisch. Überrascht ging ich drauf zu und hob es hoch.

"Danke für die Nacht. Ich habe lange nicht mehr so tief geschlafen.

- Nathan.

PS: Wir fangen sofort mit den Hochzeitsvorbereitungen an. Ich kann nicht mehr warten."

Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, das sich zu einem breiten Grinsen entwickelte. Ich las mir die Nachricht nochmal und nochmal durch. Ein Kichern entwich mir, das ich nicht unterdrücken konnte. Ich tänzelte idiotisch vor mich hin, als es plötzlich an der Tür klopfte.

Ich blieb abrupt stehen und horchte für eine Sekunde hin. Als ich nicht sofort reagierte, klopfte es erneut. Ich legte das Papier beiseite und zog die Schnüre meines Morgenmantels fester um meine Mitte, ehe ich zur Tür ging. "Wer ist da?"

"Wir sind es, Marie und Hilde.", drang eine weibliche Stimme durch die Tür.

Überrascht hob ich die Augenbrauen. War meine Wohnung inzwischen ein Treffpunkt für alle Bediensteten aus dem Anwesen geworden? Den Anschein machte es jedenfalls.
Ich öffnete die Tür. Die beiden knicksten leicht zur Begrüßung.

Ella - Die Stille nach dem SturmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt