8. Gebrochen - Teil 2

13.6K 712 122
                                    

Ich fühlte mich nicht mehr wie dieselbe.

Ich fühlte mich taub und leer - weder traurig, noch glücklich.

Seit der Nacht hatte ich keinen ruhigen Schlaf mehr. Immer wieder wurde ich von Alpträumen heimgesucht.

Ich konnte es nicht beschreiben, aber ein ständiges Gefühl von Schmutz verfolgte mich. Jeden Tag wusch ich mich inzwischen. Ich schrubbte mir die Haut wund unter der Dusche. Aber ich wurde das Gefühl von seinen Händen nicht los. Ich versuchte nicht mehr dran zu denken und doch schien nichts anderes meine Gedanken zu füllen.

Wie Rosalie mir geraten hatte, erfuhr niemand von dem Vorfall. Ich hielt es für mich, aber merkte auch, wie es mich von innen zu zerfressen schien.

Im Krankenhaus war ich völlig neben der Spur. Ich bekam kaum mit, wenn mir Oberschwester Helene Anweisungen gab oder wie ich einen Patienten behandelte. Ich hatte sogar einmal die Symptome eines Patienten völlig missinterpretiert und hätte fast falsche Maßnahmen ergriffen, wenn Doktor Thomas nicht rechtzeitig eingeschritten wäre. Glücklicherweise nahm er es mir nicht übel und meinte, dass sich jeder mal täuschen könnte. Ich widersprach nicht.

Ich nahm es einfach hin.

Auch im Anwesen lief nichts wie früher. Ich brauchte länger als sonst um meine Arbeit zu verrichten. Natürlich entging Mathildas mütterlichen Augen nichts. Sie fragte mich fast stündlich, ob es mir gut ginge. Und zwei Mal war ich zu erschöpft, um es länger für mich zu behalten und war gerade dabei, ihr alles zu erzählen, als Rosalie dazwischenkam und das Thema wechselte. Sie warf mir einen warnenden Blick zu und sagte mir, ich solle mich gefälligst zusammenreißen.

Vermutlich hatte sie recht; Es war immerhin nichts passiert. Nicht wirklich. So weit kam er nicht - zum Glück.

Aber warum fühlte ich mich dann so schrecklich?

Warum konnte ich mich nicht erholen, obwohl bereits Tage vergangen waren?

„Hörst du, Mädchen?", riss mich Mathilda aus meiner Trance. Wir saßen gemeinsam am Esstisch in der Küche. Ich sah auf mein unberührtes Essen.

„Wie bitte?", fragte ich nach kurzem Zögern.

Mathilda seufzte ungeduldig. „Der Hausherr wird morgen wieder kommen. Hast du schon seine Bettwäsche gewechselt?"

Ich dachte einen Moment nach. Hatte ich?

„Ja. Ja, ich denke schon.", antwortete ich nachdenklich und stocherte im Essen herum.

„Was soll hier 'ich denke schon' heißen, Fräulein? Hast du oder hast du nicht?", fragte sie fassungslos.

Ich konnte mich ehrlich nicht mehr erinnern. Sie muss mir meine Verwirrung angesehen haben, denn sie seufzte nur. „Du machst das besser jetzt. Egal, ob du es schon getan hast. Wir sollten sicher gehen."

Ich nickte nur und stand auf.

„Ich meine doch nicht jetzt sofort, Mädchen. Iss erst zu Ende. Dein Essen ist schon ganz kalt."

Oh.

Ich setzte mich wortlos wieder hin und begann zu essen. Es war wirklich schon kalt. Ich spürte Mathildas Blick auf mir ruhen, aber ich sah nicht auf. Damit sie sich jedoch nicht noch mehr unnötige Sorgen machte, zwang ich mich meinen Teller zu leeren. Es wäre mir fast wieder alles hochgekommen, wenn ich nicht mit einem Schluck Wasser nachgespült hätte.

Nach dem Abendessen holte ich die frische Bettwäsche aus dem Waschraum und stieg dann auf das Schlafzimmer von Mr Kurt, nur um mich dort erschöpft auf das große Bett fallen zu lassen. Beim letzten Mal hatte ich die Wäsche auch nicht gewechselt und Mr Kurt schien nichts bemerkt zu haben. Daher machte ich mir nicht erst die Mühe. Meine Finger waren ohnehin viel zu taub, um die einzelnen Knöpfe zu öffnen.

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now