23. Heimweh Teil 1

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Am nächsten Morgen machte ich mich fertig für die Frühschicht im Krankenhaus. Aus Gründen hatte ich in der vergangenen Nacht wunderbar geschlafen. Ich zog mich mit einem unglaublichen Gefühl der Leichtigkeit um und hielt vor dem Spiegel kurz inne. Ich strich mir gedankenverloren über mein Kleid. Es kam mir mit einem Mal merkwürdig vor, dass es Zeiten gab, an denen ich eine Hose getragen hatte. Ich war zwar nach wie vor gegen die ungerechte Behandlung der Frauen, aber inzwischen hatte ich mich eingelebt. Es müsste mich beunruhigen. Aber es tat es nicht. Ein leichtes Kribbeln auf meinen Lippen ließ mich erschaudern und erinnerte mich, warum ich mich hier vielleicht wohler fühlte, als ich es sollte. Ich schüttelte den Kopf und wischte die Bilder der vergangenen Nacht aus meinem Kopf. Ich verspürte tiefe Genugtuung und war bereit Nathan Kurt weiterhin zu zeigen, wer von uns die Hosen an hatte. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen bei der Ironie.

Um mich nicht weiter zu verspäten, nahm ich mir einen Schleier aus dem Schrank und trat aus dem Zimmer in den Flur und entlang in Richtung zur Eingangshalle. Es waren bereits gedämpfte Stimmen zu hören.

Schmidt, der gekommen war um mich zum Krankenhaus zu begleiten, hörte sich die Anweisungen von Mr Kurt geduldig an, als ich näher trat. Schmidt machte sich Notizen in sein kleines Heftchen. Mr Kurt trug einen grauen Anzug, der sich perfekt an seinen Körper schmiegte, und hatte eine Hand in die Hosentasche gesteckt, während er sich mit der anderen Hand gedankenverloren das Kinn rieb.

„Ich möchte, dass am Wochenende nichts schief läuft, hast du mich verstanden? Sollte es jemand wagen aus der Reihe zu tanzen, wird er es bitter bereuen. Ich werd-", Mr Kurt verstummte mitten im Satz, als er mich im Raum bemerkte. Mir blieb der Atem kurz stehen, als sich unsere Blicke trafen. Ein warmer Schauder durchzog meinen Körper, den ich versuchte mit aller Kraft zu ignorieren. Dass es ihm nicht anders erging, merkte ich an einer Art Blitzschlag in seinen Augen, der wie Feuer loderte. Ich wusste nur zu gut, was in ihm vorging.

Schmidt, der für einen Moment auf das Ende des Satzes wartete, hob fragend den Blick. Erst dann sah mich der Sekretär und unterdrückte völlig offensichtlich einen genervten Seufzer. „Sie wollten sagen, Sir?", fragte Schmidt an Mr Kurt gewandt. Dieser riss seinen Blick von mir und fuhr fort. „Ich werde einen Moment mit Fräulein Blanc sprechen müssen, Kevin."

Schmidt nickte, aber bewegte sich nicht vom Fleck.

„Allein.", knurrte Mr Kurt und warf ihm einen vielsagenden Blick zu, woraufhin der Sekretär zusammenzuckte und ohne ein weiteres Wort mit zwei schnellen Bewegungen aus der Eingangstür war. Ohne auf eine Erwiderung meinerseits zu warten, nickte Mr Kurt fordernd in Richtung Wohnzimmer und ging voran. Ich schlang meine Arme um meine Mitte, weil mir mit einem Mal unendlich kalt geworden war. Ich folgte ihm und schloss die Tür hinter mir. Er hatte den Rücken zu mir gedreht und sagte eine gefühlte Ewigkeit nichts.

Als er sich zu mir umdrehte, hatte er eine steinharte Miene aufgesetzt, die ich nur allzu gut von unserer ersten Begegnung kannte. Keine Emotionen, keine Wärme in den Augen. Ich versuchte mein bestes mir meine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. „Das, was gestern geschehen ist", fing er an und kam einen entschiedenen Schritt auf mich zu, „wird sich unter keinen Umständen und zu keiner Zeit wiederholen."

Sein Blick brannte sich in meine Haut. Ich erwiderte nichts - konnte nichts erwidern. Mir steckte ein Kloß im Hals.

„Denk ja nicht, ich hätte nicht verstanden, was deine Absichten sind.", fuhr er fort mit einer Kälte in der Stimme, die mich schier erschaudern ließ, „Ich werde mich ganz sicher nicht auf dein lächerliches Niveau herablassen. Bei mir gilt: ein Mann, ein Wort." Er kam einen entschlossenen Schritt auf mich zu. "Was geschehen ist, ist geschehen. Und ich ließ es zu, weil ich dachte-" Er unterbrach sich selbst, schien kurz seine Gedanken zu ordnen und fuhr dann fort: "Es war ein großer Fehler mich reinlegen zu wollen, Miss Blanc. Ein sehr großer Fehler. Aber die Spielchen sind vorbei. Solch banale Frauen wie dich kenne ich nur zu gut. Euch gibt es wie Sand am Meer. Ich war und bin kein Mann für Gefühlsduseleien."

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now