SIEBZEHN - Herzschmerz, heiße Tränen und alleinlassen

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SIEBZEHN

Herzschmerz, heiße Tränen und alleinlassen

Nachdem ich zwanzig Minuten im Coffeeshop verbracht habe, um den Abschied hinauszuzögern, rapple ich mich nach gefühlten Ewigkeiten auf und fahre nachhause. Wie in einer Schockstarre betrete ich unsere Wohnung, woraufhin mir erst einmal auffällt, wie sehr ich hier alles vermissen werde. Klar, diese tristen Wände haben mich manchmal eingeengt, ich musste mich um alles kümmern, ich wollte Abwechselung haben, Ellie hat mir meine Nerven geraubt, doch andererseits hat Als Lächeln mir immer gezeigt, dass es das wert ist. Und auch Dads Lachen, das ich für meinen Geschmack viel zu selten gehört habe, werde ich schrecklich vermissen. Einfach alles. Ja, selbst Ellie.

Niedergeschlagen schmeiße ich meine Schultasche auf mein Bett und muss folgendes feststellen: Wenigstens eine gute Sache ist heute ans Tageslicht gekommen. Mein Zeugnis ist ganz okay, ich werde ins nächste Jahr kommen und habe nun Ferien. Das einzige Problem hierbei ist, dass ich diese Ferien nicht genießen kann. Wie soll es eigentlich funktionieren, wenn ich nach den Ferien noch nicht hier bin? Wie soll das mit der Schule funktionieren?

Bevor ich weiter über die Schule grübeln kann, fällt mein Blick auf den roten Koffer, der neben meinem Schreibtisch steht. Hoffentlich wird niemand am See sein, denn was denken bitte die Leute, wenn ein Mädchen mit einem Koffer untertaucht und nicht mehr an die Oberfläche kommt? Das wäre äußerst seltsam.

Seufzend richte ich mich auf. Ein leises Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich ringe mir ein lautes „Ja" ab, denn eigentlich möchte ich nein sagen, weil ich noch nicht bereit bin. Noch nicht bereit für den Abschied. Noch nicht bereit, für mehrere Wochen mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde zu verlassen.

Langsam geht die Tür auf und Dad kommt herein. Seine Augen glänzen und sind ein wenig gerötet.

„Ich ... Ich denke, es wäre jetzt Zeit, wenn später noch Emma, Tyler und Adam kommen, um sich zu verabschieden", sagt er leise. Benommen nicke ich.

„Vor Al werde ich das mit der Therapie natürlich nicht behaupten, deswegen sage ich es Ellie, wenn er weg ist." Erneut nicke ich – wie eine Maschine. Ja, ich fühle mich wie eine menschliche Maschine, die nur darauf hofft, ausgeschaltet zu werden. Denn ich möchte das nicht erleben.

Im Moment fühle ich mich noch unglaublich leer, die Ruhe vor dem Sturm, aber ich weiß, dass ich dem nicht lange standhalten kann. So bin ich nun mal nicht. Meine Fassade bröckelt schnell.

Wenige Augenblicke kommt Dad mit Al an der Hand ins Wohnzimmer. Ich schlucke und lächle meinem kleinen Bruder breit zu, als er sich gegenüber von mir hinsetzt. Dad setzt sich neben mich.

„Ellie kommt gleich", erklärt er mir.

„Was ist denn los, Daddy? Nora?", fragt Al nach. Wir antworten ihm nicht, weil Ellie gerade mit einem genervten Gesichtsausdruck hereinspaziert kommt. Jeden Tag würde ich mir diesen genervten Gesichtsausdruck antun, wenn ich nicht weggehen müsste. Und so langsam bröckelt die Fassade ...

Langsam aber sicher kommen die Gefühle hoch.

„Was ist denn hier los?", fragt meine Schwester schnippisch und setzt sich neben Al. Nun sitzen die beiden Dad und mir gegenüber. Das Reden überlasse ich auf jeden Fall Dad, denn wenn ich meinen Mund öffne, würde meine Stimme sofort brechen. Ich will nicht weg. Ich will hier bleiben.

„Also ...", beginnt Dad, findet allerdings nicht die richtigen Worte. Meine Wenigkeit starrt nur wie gebannt auf den Boden.

„Komm bitte auf den Punkt, Dad. Ich muss noch mit den anderen Theresas Geburtstag planen."

Blazing FireWhere stories live. Discover now