DREIßIG - Menschliches Beruhigungsmittel, Musik und Vorfreude

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DREIßIG

Menschliches Beruhigungsmittel, Musik und Vorfreude

Um Punkt 16 Uhr finde ich mich auf der Krankenstation ein. Dieses Mal habe ich es tatsächlich geschafft, den Flügel alleine zu finden, auch wenn es deutlich länger gedauert hat. Liz, Nicholas und Darius sitzen schon auf ihren Liegen. Mein Kopf dröhnt, als ich auf die Liegen zulaufe und mich niederlasse. Das Training liegt mir immer noch schwer im Magen und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses schwere Gefühl lange andauernd wird, denn wenn ich daran denke, dieses Szenario immer wieder durchleben zu müssen, wird mir schlecht. Schnellstmöglich verdränge ich den Gedanken.
„Auch mal da", neckt Liz mich, die links von mir liegt, mit einem breiten Grinsen in ihrem Gesicht. Doch ihre dunklen Augen bilden einen starken Kontrast zu diesem. Bewusst spreche ich sie nicht darauf an, weil ich mir den Grund, warum ihre Augen so traurig aussehen, denken kann. Stattdessen werfe ich ihr einen vielsagenden Blick zu. Von Darius und Nicholas möchte ich erst gar nicht anfangen ... Offensichtlich hat das Training bei uns allen Spuren hinterlassen. Wenn ich jetzt schon fast zusammenbreche, möchte ich mir nicht ausmalen, was passieren würde, falls wir Valorac in naher Zukunft gegenüber treten müssen. Ich bin schwach. Aber Corin und Concordia meinen, ich sei es nicht. Kann ich ihnen in dieser Hinsicht trauen? Darauf vertrauen, stärker zu werden? Immerhin habe ich ihnen diesen ganzen Mist abgekauft, also warum sollte ich ihnen gerade jetzt, wo ich so etwas gut gebrauchen kann, nicht glauben? Letztendlich läuft alles, was ich hier erlebe, auf das selbe Ergebnis hinaus: Mir bleibt keine andere Wahl. Das ist die einzige, die ich habe, um meine Familie zu beschützen.

Es herrscht absolute Stille zwischen uns, bis wenig später zwei Krankenschwestern auf uns zukommen.

„Kennt ihr mich noch?", lächelt Ana Nicholas und mich an.

„Oh ja, Sie sind die nette Frau, die mir letzte Woche Höllenschmerzen verursacht hat", sagt Nicholas ironisch, während er panisch auf das Silbertablett sieht, das sie in der Hand hält.

„Wie nett von dir. Ja, hi Ana", entgegne ich etwas freundlicher. Ups, ich hoffe doch, ich kann sie Ana nennen ...

„Euch auch einen schönen Tag. Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber ich werde dir jetzt wohl jede Woche Höllenschmerzen zufügen müssen, Nicholas."

Die hübsche Krankenschwester zwinkert mir zu, woraufhin ich mir ein Lachen unterdrücken muss.

Ein Blick zu Liz und Darius verrät mir, dass ihre Krankenschwester gerade schon dabei ist, ihnen abwechselnd den Impfstoff zu spritzen. Ana bemerkt meinen Blick und stellt daraufhin das Tablett ab.

„Wieder abwechselnd. Nora, wärst du so gut und beginnst?", fragt sie mich freundlich. Ich nicke, sie füllt die Spritze auf. Erneut schließe ich die Augen und spüre den Stich nur kurz, dann ist er schon wieder weg. Spritzen waren noch nie ein Problem für mich, wofür mich Mom als kleines Kind immer vergöttert hat. Während Ellie als Baby andauernd wie am Spieß geschrien hat, blieb ich überwiegend ruhig. Bei diesem Gedanken muss ich lächeln. Nun ist Nicholas dran, der mal wieder Panik schiebt, als würde er gleich tot umfallen.

„Es tut nicht weh", versuche ich ihn zu beruhigen, denn ich merke, dass Ana mit der Situation ein wenig überfordert ist und nicht weiß, wie sie ihn zur Vernunft bringen soll. Zugegeben, eine Krankenschwester sollte dies eigentlich können, aber selbst nach jahrelanger Berufserfahrung kann ich ihr Dilemma durchaus verstehen. Nicholas zappelt nämlich wie Espenlaub.

„Nicholas, halte bitte still", sagt sie ruhig, doch er schüttelt nur heftig den Kopf. Ich vergreife mir ein Grinsen, aber als er das sieht, wirft er mir einen Killerblick zu. Es ist irgendwie amüsant, dabei zuzusehen, da er doch immer einen auf den Starken und Unnahbaren macht, sich aber von Nadeln aus der Ruhe bringen lässt. Allerdings wirft er mir nicht nur einen Killerblick zu, nein, im Gegenteil. Es ist sicherlich ungewollt, jedoch erkenne ich die blanke Angst in seinen Augen. Sofort verschwindet mein Grinsen, und mir wird bewusst, dass Nicholas tatsächlich eine Heidenangst verspürt. Gott, Nora, du urteilst jedes Mal viel zu schnell. Ganz sicher verbindet er mit Spritzen, besser gesagt Nadeln, etwas aus seiner Kindheit oder ähnliches, was ihn auf ewig verfolgt.

Blazing FireWhere stories live. Discover now