neunzehn

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Seit einer Woche blieb ich bei meiner Mutter. Da meine Eltern getrennt sind, wohnt meine Mutter am Ende der Stadt. Meiner Mutter habe ich erzählt, dass ich sie nur vermisst habe und deswegen bei ihr eine Zeit lang bleiben werde. Sie denkt aber, es wäre wegen eines Jungen. Was einigermaßen auch stimmt, aber nicht wie sie es sich vorstellt. Ich verstecke mich nicht vor ihm weil ich Liebeskummer habe, sondern weil ich Angst habe. Ich bin Zeuge und das heißt nichts Gutes für mich.

Mein Vater war einverstanden gewesen, obwohl er skeptisch war, wieso ich so plötzlich abgehauen bin. Mein Handy habe ich zu Hause gelassen, da ich keine Kraft dazu hatte mit Caro jetzt zu reden, falls sie anrufen würde.

Und Ricardo?

Ich kann mir schon vorstellen wie er die ganze Stadt nach mir suchte. Um natürlich sicher zu stellen, das ich ja niemanden davon erzähle. Wenn man mich fragen würde, wieso ich es bis jetzt noch niemanden erzählt habe, könnte ich der Person nicht antworten.
Denn ich weiß es selber nicht. So oder so würde mir niemand glauben. Ich hab keine Beweise und Ricardo hat wohlhabende Eltern. Und obwohl wir vor paar Wochen nicht mal was zu tun hatten, bin ich keine Verräterin.

Plötzlich klopfte jemand an meiner Tür und ich stoppte meine Serie, die ich mir auf Netflix ansah.
Meine Mutter steckte ihren Kopf durch die Tür und sah mich besorgt an. Und da ich wusste, worüber sie reden wollte, verkroch ich mehr unter meine Decke.

„Alles gut, Schatz?", fragte sie mich besorgt und setzte sich an mein Bettrand. Ich nickte nur und hoffte, dass sie nicht weiter fragen würde.

„Du bist die letzten drei Tagen nicht in die Schule gegangen. Gehst du morgen hin?", fragte meine Mutter. Ich habe vorgetäuscht, dass ich Krank wäre, nur damit ich ihm aus dem Weg gehen kann. Ich hasse es meine Eltern anzulügen aber ich konnte nicht wieder in die Schule gehen. Als ich meiner Mutter nicht antwortete, lächelte sie mich an und küsste auf meine Stirn. Sie stand auf und kurz bevor sie aus dem Zimmer ging, drehte sie sich wieder zurück zu mir.

„Bis es dir wieder gut geht, kannst du zu Hause bleiben. Ruh dich aus." Ich bedankte mich dann bei ihr und sie verließ dann schließlich das Zimmer. Seufzend kuschelte ich mich wieder in die Decke und schloss meine Augen. Ich kann mich nicht für immer verstecken. Und vor allem mache ich dieses Jahr meinen Abschluss und je mehr Unterricht ich verpasse, desto schwieriger wird es für mich alles nachzuholen. Also heißt es für mich, dass ich wieder in die Schule gehen muss und lebend daraus kommen muss.

***
Am nächsten Morgen fuhr mich meine Mutter in die Schule und je näher wir der Schule kamen, desto fester drückte ich mich in den Sitz. Meine Mutter bemerkte meine Laune und sah mich beunruhigt an.
Als sie wieder anfangen wollte, darüber zu reden, stoppte ich sie.

„Mir geht es gut, Mum. Mach dir keine Sorgen.", sagte ich und entdeckte die Schule von weitem. Sie nickte nur und parkte dann schließlich vor der Schule.

„Bis heute Abend!", verabschiedete sich meine Mutter von mir und ich stieg aus. Meine Mutter fuhr weg und ich lief schleunigst Richtung Eingangstür. Ich hielt Ausschau nach ihm oder nach Caro aber keiner von den Beiden war auf dem Hof. Sogar seine Raucher-Ecke, wo er mit seinen Freunden immer ist, ist leer. Ich atmete erleichtert aus und wollte gerade die Eingangstür aufmachen, als mich eine Hand zurückhielt. Erschrocken zuckte ich auf und drehte mich um. Aber anstatt einen wütenden Ricardo zu sehen, sah ich Luisa.

„Hey, hab dich lange nicht mehr gesehen. Ist alles okey? Meine Anrufe nimmst du auch nicht an?", fragte sie mich besorgt und umarmte mich. Ich nickte nur und umarmte sie zurück.

„Alles gut, kein Grund zur Sorge." Erst sah sie mich skeptisch an aber lächelte dann.

„Du weißt nicht, was alles passiert ist...", fing sie an zu erzählen, während ich zu meinem Spind lief. „Kannst du das glauben... Hey, hörst du mir überhaupt zu?", fragte sie mich nach einer Zeit, indem sie über belangloses geredet hatte. Ich nickte und schloss meinen Spind zu.

„Ich hab jetzt Geschichte. Man sieht sich.", und damit verabschiedete ich mich von ihr. Als ich den Flur runter zu meinem Klassenzimmer ging, bemerkte ich zwei Freunde von Ricardo an einer Ecke stehen. Als ich schnell wie möglichst an ihnen vorbeilaufen wollte, bemerkte ich wie der Eine mich ausdruckslos ansah und dann stupste er seinen Freund an, der dann auch in meine Richtung sah.
Mit großen Augen drehte ich mich um, als plötzlich eine Person vor mir stand. Als ich erkannte, dass Carolin vor mir stand, atmete ich erleichtert aus.

„Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Wo warst du? Geht es dir gut?", fragte sie mich und umarmte mich fest. Als ich es geschafft hatte mich von ihr zu lösen, ging ich einen Schritt zurück, da wir uns echt nahestanden. Carolins Gesichtsausdruck veränderte sich schlagfertig und sie sah traurig auf den Boden.

„Natürlich geht es dir nicht gut. Und das meinetwegen. Es tut mir so leid.", sagte sie. Ich schüttelte meinen Kopf und schenkte ihr ein Lächeln.

„Carolin, mir geht es gut. Nichts ist deine Schuld.", versicherte ich ihr. Ich frage mich echt, wie oft ich diesen Satz noch wiederholen muss. Carolin sah wieder hoch zu mir mit einem Lächeln, aber es veränderte sich als sie hinter mir sehr. Es klingelte zum Unterricht und die Fluren wurden immer leerer.

„Carolin, hast du keinen Unterricht?", fragte plötzlich eine Stimme hinter mir, welches mir eine Gänsehaut brachte. Ich dachte, ich könnte es überstehen aber schon allein seine Stimme brachte mich zum Zittern. Carolin verdrehte die Augen und war davor zu widerstehen aber gab dann schließlich nach. Sie sah mich entschuldigend an und machte sich dann auf den Weg zum Unterricht. Ich wollte auch den Anstand machen zum Unterricht zu laufen aber wurde am Arm zurückgehalten. Genervt drehte ich mich um und erblickte die brauen Augen von ihm. Aber anstatt wütende Blicke zu ernten, sah er mich besorgt an.

„Lass mich los!", sagte ich wütend und ängstlich zugleich.

„Bitte lass mich mit dir reden. Ich kann alles erklären."

„Was willst du erklären?! Du weißt, was du getan hast.", sagte ich wütend und ich versuchte meinen Arm von ihm loszureißen, was nicht klappte.

„Mariah, das was du gesehen hast...", fing er an aber ich stoppte ihn.

„Werde ich niemanden erzählen. Aber denk ja nicht, dass ich es für dich tun würde. Ich mach es für Carolin, damit sie nicht weiß was für einen Bruder sie hat." Geschockt sah er mich an und schüttelte dann sein Kopf.

„Carolin weiß es. Sie wusste es schon immer.", sagte er was mich mehr als nur verwirrte.

„Was...?", fragte ich ihn verwirrt.

„Es gibt Dinge, die du nicht weißt und Dinge für die du nicht bereit bist. Du kennst mich nicht, Mariah. Meine Familie, mein Leben. Alles ist nicht wie du es denkst...", plötzlich wurde er von seinem Freund unterbrochen, der die Schule betrat. Erst sah Ricardo zu ihm und dann wieder zu mir.

„Wenn du die Wahrheit wissen willst, dann komm zu mir. Ich erzähle es dir.", sagte er und verschwand dann mit seinem Freund aus der Schule.

Wie angewurzelt stand ich im menschenleerem Flur.

Will ich überhaupt die Wahrheit wissen?

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