2. Kapitel

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Selbst jetzt, wo Xander so offen spottete, klang seine Stimme noch kalt und sein Gesicht sowie seine Augen waren so emotionslos wie eh und je.
Lex blickte ihm herausfordernd in die Augen. ,,Du warst doch auch schon im Palast und wenn ich mich nicht komplett irre, dann sind das Könispaar und der Prinz noch putzmunter und haben nicht den kleinsten Kratzer."
Wie immer war Xander's Gesicht versteinert und ohne jegliche Regung, trotz der offensichtlichen Provokation. ,,Nun, da bist du richtig informiert, jedoch war das auch nicht mein Auftrag. Und ich halte mich strikt an meine Aufträge. Immer."
Lex knirschte wütend mit den Zähnen, da Roywen's Rechte Hand sich einfach nicht aus der Ruhe bringen ließ und nicht mal ein Anzeichen irgendeiner Emotion zeigte. Mit den Worten ,,Hättest du den König aus dem Weg geräumt, wären wir dir sicher alle dankbar gewesen", wandte er sich schließlich von Xander ab, da er wusste, dass eine Diskussion oder gar ein Streit mit ihm aussichtslos war, und schob sich stattdessen weiter in der Schlange vor.
Xander warf noch einen letzten Blick auf mich, bevor er uns den breiten Rücken zukehrte und in der Menge verschwand.
Die Frage, was er denn überhaupt gerade hier gemacht hatte, beschäftigte mich noch die ganze Zeit über, bis wir uns schließlich mit unseren Tablets an einem kleinen, freien Tisch niederließen und Lex empört schnaubte. ,,Dieser arrogante Eisklotz."
,,Also ich finde Stein ja viel passender." Stana zwinkerte uns im Vorbeigehen zu, bevor sie sich genauso wie wir zuvor in der Schlange vor der Essensausgabe einreihte.
Lex neben mir murmelte grinsend vor sich hin:,, Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Ab jetzt ist er ein arroganter, eisklotziger Stein."
Nicht ganz überzeugt hob ich eine Augenbraue. ,,Eisklotziger Stein? Meinst du das Ernst?"
,,Wenn's doch auf ihn zutrifft." Lex zuckte grinsend mit den Schultern und fing an sich das Brot in den Mund zu stopfen. Ich verzog leicht mein Gesicht, als ich ihn so essen sah, bevor ich schnell den Blick abwandte und selber etwas zivilisierter mit dem Essen begann.
Nach einigen Minuten gesellte sich auch Stana wieder zu uns und wir begannen uns zu unterhalten, während wir das Frühstück hinunterschlangen.
Wieder einmal merkte ich, wie sehr ich mich mittlerweile an die regelmäßigen Essenszeiten gewöhnt hatte, denn wo ich früher mehrere Tage ohne Essen ausgehalten hatte, bekam ich jetzt schon Hunger, wenn auch nur eine Mahlzeit für mich wegen eines Auftrags ausfiel.
Direkt nach dem Essen verabschiedete ich mich, um die dreckige Wäsche von gestern zu holen und mit ihr zu dem kleinem Fluss in dem Waldstück hinter den Mauern zu gehen, den wir zum Waschen nutzten.
Da wir nicht allzu viele Klamotten besaßen -uns fehlten einfach die finanziellen Mittel- mussten wir jeden zweiten Tag waschen gehen, wobei sich die Bewohner eines Quartiers immer abwechselten. Und heute hatte ich eben das Pech dran zu sein.
Um den Gang zum Wasser auch richtig nutzen zu können, nahm ich mir in weiser Voraussicht noch zusätzlich ein einfaches langes Baumwollhemd mit, da ich plante nach dem Reinigen der Schmutzwäsche mich auch selber noch zu säubern.
Das Laub unter meinen Füßen raschelte, als ich durch den dichten, grünen Wald lief und mich zwischen den dicken Stämmen der hohen Bäume durchschlängelte, bis ich das leise Rauschen des Flusses hören konnte und sich der Abstand der mächtigen Buchen zueinander vergrößerte, sodass sie sich irgendwann lichteten und den Blick auf einen nicht allzu tiefen Fluss freigaben. Am Ufer des Flusses wanderte ich noch einige Meter aufwärts zu der seichten Stelle, die am Ufer deutliche Zeichen für ihren Gebrauch aufwies.
Ein junges Mädchen kam mir mit einigen frisch gewaschenen Kleidungsstücken in den Armen entgegen, dessen stumpfe Augen nicht ungewöhnlich für Rebellen waren, als wir uns im Vorbeigehen kurz in die Augen schauten und grüßten.
Als ich die Stelle erreichte, an der die Strömung kaum vorhanden und das Wasser gerade Knietief war, lud ich die Sachen direkt am Ufer nur mit einer Handbreit Abstand zum Wasser ab und schlüpfte aus meiner Hose und den Stiefeln, die ich unordentlich möglichst weit vom Wasser entfernt ins trockene Gras warf.
Dann griff ich nach dem obersten Teil des Haufens, was sich als ein enges schwarzes Sweatshirt von Stana herausstellte, und watete vorsichtig ins kalte Nass. Ich zitterte kurz, als ich die Kälte spürte, doch ich versuchte sie auszublenden und konzentrierte mich darauf, ein Teil nach dem anderen zu waschen und danach zum Trocknen auf ein paar große, flache Steine am Ufer zu legen, die schon durch die Sonne erhitzt, jedoch noch etwas feucht von der Wäsche der Rebellin vorhin, waren.
Während die Sonne also ihr übriges tat, zog ich mir auch noch mein Oberteil aus und schnappte mir stattdessen das schlichte braune Baumwollhemd. Mit diesem in der Hand folgte ich schließlich am Ufer der Strömung, bis zu einer Stelle, wo man baden konnte, jedoch auch noch gefahrlos stehen konnte und die Strömung nicht sonderlich stark war.
Ich ließ das Hemd ins Gras fallen und sprang ins kalte Wasser. Zuerst war es noch ziemlich eisig, doch schon kurze Zeit später hatte ich mich an die frostige Temperatur gewöhnt und empfand es als angenehm kühl.
Da mir bedauerlicherweise nicht das Glück Schwimmunterricht erteilt bekommen zu haben zuteil wurde, vergrub ich lieber fest meine Zehen in dem schlammigen Untergrund, wobei ich es kurz mit der Angst zu tun bekam, als ich mir vorstellte, was passieren würde, wenn ich ausrutschte oder stolperte, da der Untergrund hier aus Schlamm und Schlick und nicht wie oben aus Steinen bestand. Außerdem war die Strömung hier im Vergleich zu oben wesentlich ausgeprägter, wenn auch noch verhältnismäßig leicht.
Ich würde innerhalb weniger Sekunden ertrinken.
Schnell schüttelte ich das beklemmende Gefühl ab und schrubbte mir mit den Händen den Dreck vom Körper, der sich in den letzten Tagen an ihm festgesetzt hatte.
Nachdem sich mein Körper nicht mehr ganz so schmutzig anfühlte, versuchte ich mich so gut es ging in dem frischen Gewässer zu entspannen und die beruhigende Stille der Natur zu genießen, wobei ich mich etwas im Wasser zurücklehnte.
,,Ganz schön mutig für jemanden der nicht schwimmen kann."
Ich fuhr herum, als die wohlbekannte tiefe und doch gleichzeitig kalte Stimme hinter mir ertönte, und verlor dabei vor Schreck beinahe das Gleichgewicht. In letzter Sekunde gelang es mir mich wieder zu fangen und nicht von der leichten Strömung mitgerissen zu werden, was unweigerlich passieren würde, wenn ich den Halt unter meinen Füßen verlor. Ängstlich klammerte ich mich an einem schmalen Ast fest, der zwar nicht wirklich stabil aussah, aber ins Wasser reichte und so zumindest ein wenig Sicherheit für meinen Geist bot, und zog mich an diesem zum rettenden Ufer, da ich kein unnötiges Risiko nach diesem kurzen Schock eingehen wollte. Gleichzeitig fragte ich mich jedoch verärgert, wieso ich ihn nicht kommen gehört hatte. Ich war nachlässig geworden. Früher hätte mich das das Leben kosten können.
,,Oder dumm." Kurz meinte ich hinter dem amüsierten Aufflackern in seinem Blick noch eine Spur Besorgnis gesehen zu haben, doch sicher war ich mir nicht.
Xander stand am Rand des Ufers und das Blau seiner eisigen Augen strahlte eine ganz andere Kälte als die des Wassers aus. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich tausendmal lieber in einen eiskalten Fluss im Winter springen als dem stechenden Eis seiner Augen ausgesetzt zu sein, obwohl ich zugeben musste, dass sie mich irgendwie auch faszinierten, denn ich war bisher vermutlich der einzige Mensch, der je einen Blick hinter diese schockfrierende Fassade seiner Augen geworfen hatte.
Leider war es aber eben nur Momente, die genauso schnell wieder vorbeigingen. Doch hätte es sie nicht gegeben, würde ich vermutlich genau wie alle anderen an das Gerücht glauben, er besäße keinerlei Gefühle. Aber das stimmte nicht, das wusste ich. Und Xander wusste es ebenfalls, was wahrscheinlich der Grund dafür war, dass es ihm, in dem seltenen Fall, dass wir mal allein waren, irgendwie schwerer zufallen schien, keine Gefühle zuzulassen. Einen anderen Grund konnte ich mir nicht vorstellen.
Keine Frage, Xander war kalt und oft auch grausam, doch auch er besaß ein Herz, welches so viel größer war als das vieler anderer Menschen, auch wenn das nicht gleich erkennbar war.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als mich mein Baumwollhemd ins Gesicht traf und ich es mir mit einem gleichermaßen wütenden wie empörten Blick in seine Richtung überstreifte, wobei ich völlig vergaß, dass ich gerade nur in der häßlichen Baumwollunterwäsche herumlief, die jedes Mädchen hier geschenkt bekam.
Die Tatsache, dass Xander nur wenige Jahre älter und ziemlich gutaussehend war, machte es auch nicht besser.
Doch jetzt war es eh zu spät, um noch etwas daran zu ändern und ihn zu bitten sich umzudrehen, bevor ich aus dem Wasser kam -was er nebenbei höchstwahrscheinlich eh nicht gemacht hätte. Trotzdem schlich sich nun eine verräterische Röte auf meine Wangen, obwohl es eigentlich völlig unbegründet war. Es war schließlich ausgeschlossen, dass Xander jemals etwas von mir wollen würde. Dazu hatte er einfach schon zu viel von mir und meiner Vergangenheit mitgekriegt und auch so...
Als ich mich selber dabei ertappte in welche Richtung meine Gedanken abschweiften und sie schnellstmöglich unterband, vertiefte sich das Rot in meinem Gesicht zusehends nur noch weiter.
Und das obwohl Xander nichts weiter tat, als mich mit seinem ausdruckslosen Blick zu durchbohren.
Oh Gott.
Wieso sagte er denn nichts?!
Irgendwie wurde die Situation für mich immer peinlicher, was mein Gesicht leider immer roter werden ließ und ich erneut ein belustigtes Aufblitzen in seinen harten Augen ausmachen zu glauben meinte.
Beschämt wandte ich den Blick von ihm ab und räusperte mich peinlich berührt. ,,Äh...Willst du auch schwimmen gehen?" Kaum hatte der Satz meine Lippen verlassen, hätte ich mir auch schon am liebsten selber gegen die Stirn geschlagen. Xander's Mundwinkel zuckte für einen Moment verräterisch, worüber ich mich wahrscheinlich gefreut hätte, würde ich nicht gerade mit dem Gedanken spielen, mich einfach kopfüber in den Fluss hinter mir zu stürzen und am besten nie wieder aufzutauchen.
,,Soso. Ich wusste gar nicht, dass man das, was du da getan hast, als schwimmen bezeichnen kann." In seiner Stimme schwang deutlich die Belustigung mit und seine kalte Fassade schien langsam zu bröckeln.
Ich hatte mir zwar immer gewünscht ein paar richtige Emotionen aus ihm herauszulocken, doch das es dabei so unangenehm für mich werden würde, hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
Belustigung und Amüsement über mich waren irgendwie auch nicht ganz die gewünschten Gefühle.
Erneut räusperte ich mich verlegen. Doch irgendwie schienen mich sowohl mein Wortschatz als auch meine Schlagfertigkeit im Stich gelassen zu haben, denn ich brachte kein einziges Wort heraus. Dabei war ich normalerweise gar nicht so. Und ich wollte so auch nicht sein. Ich war eine Rebellin und Rebellen ließen sich nicht so leicht unterkriegen. Also reckte ich mein Kinn und machte einen Schritt auf ihn zu.
,,Und ich wusste nicht, dass du Mädchen beim Baden stalkst.'' 
,,Liegt vielleicht daran, das ich das auch gar nicht tue.''
Ich hob eine Augenbraue. ,,Ach nein?''
,,Nein.'' Xander's Augen ließen mich keine Sekunde lang los und seltsamerweise war es mir nicht mal unangenehm, wie es jeder andere empfand, wenn er Xander's Aufmerksamkeit auf sich zog.
Nachdem wir uns eine Weile einfach gegenseitig in die Augen gestarrt hatten und sich eine unsichtbare Bindung zwischen uns zu entwickeln schien, wandte er sich urplötzlich ab und lief ohne mich weiter zu beachten an mir vorbei.
Ich brauchte einen kurzen Moment, um mich zu sammeln, bevor ich ihm nachsetzte.
,,Wohin gehst du?'' Ich hatte Mühe mit seinen großen Schritten mitzuhalten und joggte so mehr als das ich lief, während ich versuchte auf gleicher Höhe mit ihm zu bleiben. Xander ließ sich zu keiner Antwort herab, sondern folgte unbeirrt weiter dem schmalen Pfad, den ich vorhin schon entlanggelaufen war, nur das wir diesmal in entgegengesetzter Richtung zur Strömung liefen und nicht mit ihr so wie ich vorher.
Da ich wusste, dass es keinen Sinn hatte weiter auf eine Antwort zu warten, folgte ich ihm einfach schweigend.
Als wir bei der Waschstelle ankamen, die ich erst vorhin zum Waschen der dreckigen Kleidung genutzt hatte, hielt er an.
Ich konnte gerade noch rechtzeitig abbremsen, um einen Zusammenstoß mit Xander's breitem Rücken zu verhindern und mir bei dessen stählernen Muskeln nicht die Nase zu brechen, was durchaus hätte passieren können.
,,Nimm dir die Wäsche und komm.''
,,Was?'' Verwirrt sah ich zu Xander, doch seine Mimik war genauso undurchsichtig wie immer und ließ nichts verlauten.
Mit einem genervten Seufzen kam ich seinem Befehl schließlich nach und griff nach der immernoch feuchten, nun aber sauberen Kleidung. Mit dem Haufen im Arm drehte ich mich wieder zu Xander um, der schon längst losgelaufen war und gerade hinter ein paar Bäumen verschwand.
Ich schnaubte kurz wütend, bevor ich mich beeilte ihm hinterherzukommen und dabei hoffte nicht zu stolpern. Ich wollte nicht direkt wieder umkehren und nochmal in den kalten Fluss springen müssen. Ich schluckte eine Beschwerde runter, dafür war ich Xander einfach viel zu dankbar. Als ich ihn endlich eingeholt hatte, waren wir schon kurz vor den niedrigen Mauern Zeradas.  Xander steuerte unser kleines Quartier an, was mich noch mehr verwirrte.
,,Bring die Sachen weg. Ich warte hier.''
Nach einem verwirrten Blick in seine Richtung folgte ich seiner Anweisung und hängte die Kleidungsstücke hastig über ein gespanntes Seil, damit sie schneller trockneten und dabei nicht allzu sehr knitterten.
Als ich wieder fertig vor ihm stand, drehte er sich erneut einfach um und lief ohne ein weiteres Wort in Richtung Zentrum des Lagers, jedoch wusste ich auch so, dass ich mit ihm kommen sollte.
Meine Verwirrung stieg noch weiter an, als wir in das Hauptgebäude traten und er den Weg zum Arbeitszimmer unseres Anführers einschlug. Nun schlich sich auch noch etwas Angst und Unsicherheit hinzu.
Gestern erst war ich schon hier gewesen, warum also ließ er mich jetzt erneut zu sich rufen?
Ein Auftrag war eher unwahrscheinlich, da meine letzte Mission erst gestern zu Ende war und ich meistens mit Stana und Lex losgeschickt wurde und keiner von beiden hier war. Ich wurde alleine geholt.
Was also war dann der Grund? Hatte ich einen Fehler gemacht?
Als wir vor Roywen's Tür hielten und Xander anklopfte, schlug mir mein Herz bis zum Hals und ich spürte wie meine Hände feucht wurden. Hinter Xander betrat ich nervös den spärlich ausgestatteten Raum, der jedoch trotz seiner wenigen, aber massiven Möbeln beeindruckend wirkte. Mein Blick richtete sich direkt auf den einschüchternden Mann mit den schon früh ergrauten Haaren, der wie jedes mal hinter dem aus dickem Eichenholz gefertigten Schreibtisch saß und uns mit ernster Miene empfing.
Obwohl ich innerlich total nervös und unsicher war, bemühte ich mich nach Außen hin gelassen zu wirken.
Es gab nicht viele Personen, die mich so einschüchtern konnten, doch Roywen und auch Xander gehörten dazu. Beide respektierte ich und hatte keinerlei Probleme mich ihnen unterzuordnen, was bei mir echt selten war.
Während Xander sich als Rechte Hand von Roywen rechts hinter ihm positionierte, stellte ich mich mit aufrechter Haltung vor dem Schreibtisch auf und senkte kurz den Kopf, als Zeichen meines Respekts. ,,Sir.''
,,Lyana, ein ganz schön schnelles Wiedersehen, nicht wahr?'' Roywen betrachtete mich entspannt und doch hatte ich das trügerische Gefühl, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag.
,,Das stimmt.'' Etwas unsicher fügte ich hinzu. ,,Verzeiht die Frage, Sir, aber habe ich einen Fehler begangen?''
Roywen lachte kurz auf. ,,Nein, nein. Du hast anscheinend einen völlig falschen Eindruck vermittelt bekommen, aber es ist nichts dergleichen. Eher im Gegenteil. Aber dazu kommen wir gleich.''
Meine angespannte Körperhaltung lockerte sich zwar etwas, aber ganz verschwand die Anspannung nicht. Ich war nun zwar ein wenig beruhigt, aber wusste immer noch nichts über den eigentlichen Grund meiner geforderten Anwesenheit. Abwartend schwieg ich. Roywen musterte mich noch einen Moment abschätzend, bevor er seufzte. ,,Du erinnerst dich noch an den Brief?''
Natürlich tat ich das. Es war nicht nur erst einen Tag her, sondern mich plagte auch noch immer die Neugier.
Auf mein knappes Nicken hin, holte er ihn unter seinem Tisch hervor und schob ihn über die ebene Holzplatte zu mir rüber.
Ich betrachtete neugierig den nun geöffneten Briefumschlag, bevor ich verwirrt wieder hoch zu unserem Anführer sah.
Roywen wies auf den Brief. ,,Lese ihn.''
Während in mir immer mehr Fragen aufkamen, griff ich zögerlich nach dem edlen Papier und faltete es vorsichtig aus.

Hochverehrte Adelsfamilien von Crowen,
Mein geschätzter Sohn und Thronfolger von Crowen, Prinz Leyon Daren, ist nun bereit den Thron zu besteigen. Schon in geraumer Zeit werden wir die frohe Kunde im ganzen Land verkünden lassen, doch noch bitten wir den Adel um Stillschweigen. Denn zurzeit befindet sich der Kronprinz auf der Suche nach einer geeigneten Braut.
Sollten sich in ihrem angesehenem Haus also eine oder mehrere unvermählte Töchter im heiratsfähigem Alter aufhalten, so laden wir sie mit Freuden zu dem extra zu diesen Ehren stattfindenden Ball des Prinzen ein.
Wir sind hocherfreut ihre reizenden Töchter schon bald im Palast Willkommen heißen zu können.

Ihr hochverehrter König Lysander Avenik von Crowen,

Ich starrte auf das feine Blatt in meinen Händen und versuchte meine Gedanken zu ordnen, die wild in meinem Kopf herumflogen. Der König trat den Thron an seinen Sohn ab? Warum? So alt war der doch noch gar nicht mit Mitte Fünfzig, ganz abgesehen davon, dass jeder um seine Machtgier wusste. Und der Prinz wollte also eine Heirat? Okay, das war logisch. Jeder Kronprinz musste erst heiraten, bevor er sein Erbe antreten durfte. Doch das war gar nicht das, was mich am meisten beschäftigte. Eine ganz andere Frage kristallisierte sich klar heraus und verschaffte mir ein mulmiges Gefühl. Wieso ließ man mich an solch mächtigen Informationen teilhaben? Welche Rolle nahm ich ein, dass sie mich in diese wichtigen Angelegenheit einweihten?
Langsam ließ ich den Brief sinken. ,,Entschuldigen Sie, Sir, aber ich verstehe nicht ganz, was der Grund für meinen Aufenthalt hier und das Vertrauen mir diese bedeutsamen Informationen zuteil werden zu lassen ist.''
Ein schmales Lächeln huschte über seine Lippen als Roywen den Brief wieder an sich nahm und ihn neben sich auf dem Tisch ablegte, bevor er sich etwas vorlehnte, sich mit seinen Ellenbogen auf der Platte abstützte und das Kinn auf die verschränkten Finger ablegte. ,,Nun....deine sprachliche Ausdrucksweise ist nur ein weiterer Punkt, der mir zeigt, dass du die richtige Wahl bist.''
Eine üble Vorahnung überkam mich. ,,Die Wahl für was?'' Ein leichtes Zittern schwang kaum merklich in meiner Stimme mit.
,,Du, Lyana Kariba,wurdest auserwählt den Platz der Tochter einer verbündeten Adelsfamilie einzunehmen, den Prinzen zu umwerben und ihn dabei bei einer günstigen Gelegenheit zu töten.'' Ein harter Zug legte sich um seine Mundwinkel. ,,Solltest du dabei auch noch die Möglichkeit bekommen, andere Mitglieder der Königsfamilie zu beseitigen, wären wir dir sehr verbunden, wenn du sie nicht ungenutzt verstreichen lässt.''

Lyana- The Story of a QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt