12. Kapitel

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Die nächsten Tage waren anstrengend. Ich lernte von morgens bis abends und erhielt in allen möglichen Sachen Unterricht. Darunter waren auch Dinge, die mir einfach nur unverständlich vorkamen, wie das richtige Trinken. Ich wusste nicht mal, dass man auch falsch trinken konnte. Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln, trotzdem führte kein Weg daran vorbei.
Am meisten Freude bereitete mir jedoch der Reitunterricht. Schon vom ersten Moment an hatte ich eine große Bewunderung für die majestätischen Tiere entwickelt und verbrachte jede freie Minute bei ihnen.
So auch heute.
Meine Finger glitten sanft durch die weiche Mähne des Schimmels und weiter über das kurze, erhitzte Fell. Fasziniert beobachtete ich wie es leicht erzitterte, als ein kühler Windhauch uns streifte. Ich lehnte mich etwas an den großen, warmen Körper, der mir auf seltsame Art und Weise ein Gefühl von Sicherheit vermittelte und schloss zufrieden die Augen. Tief atmete ich den Geruch des Pferdes ein, der zwar etwas gewöhnungsbedürftig war, jedoch keinesfalls stank. Ich verband ihn eher mit Freiheit, denn das symbolisierten Pferde für mich. Schon als ich das erste Mal auf dem Rücken eines dieser Tiere saß, hatte ich mich frei gefühlt und als es dann auch noch angefangen hatte zu galoppieren und der Wind mir ins Gesicht gepeitscht war, da war ich regelrecht berauscht von diesem Gefühl gewesen.
Es war faszinierend.
Leise Geräusche nährten sich der Pferdebox, in der ich mich befand und Stimmen wurden laut. Ich öffnete die Augen und trat aus der Box, um zu sehen, um wen es sich handelte. Ich war mehr als überrascht, als ich die grazile Gestalt der Herzogin auf mich zukommen sah, dicht gefolgt von einem Stallburschen, der erleichtert auf mich wies und sich dann mit einer tiefen Verbeugung entfernte. Neugierig trat ich ihr entgegen. Es musste einen besonderen Grund geben, der Herzogin Atlanta dazu veranlasste den Stall zu betreten. Vor allem, weil es allgemein bekannt war, dass sie die Stallungen nicht nur mied, sondern auch aus unbekannten Gründen panische Angst vor Pferden hatte. Zu meiner Überraschung sah man ihr davon aber kaum etwas an, nur ihr unruhig hin und her zuckernder Blick und ihre leicht verkrampfte Haltung verrieten sie. Doch das auch nur, wenn man genau darauf achtete.
Ich schloss die Boxentür hinter mir, streichelte dem schönen Schimmel noch kurz leicht über die Nüstern und widmete dann meine Aufmerksamkeit voll und ganz der Herzogin von Dorados. ,,Mutter, ich hätte nicht damit gerechnet, dich jemals hier anzutreffen.''
Atlanta lächelte angestrengt, ihre Augen huschten unruhig über den dreckigen Steinboden zu den hölzernen Boxen, die die einzige Barrikade zwischen ihr und den Pferden darstellten.
,,Ich wollte mit dir sprechen, Lyana. Begleitest du mich auf einen Spaziergang?'' Zum ersten Mal seit ich hier war, klang ihre Stimme unsicher. Ich konnte beim besten Willen nicht sagen, ob das an dem bevorstehenden Gespräch oder unserer Umgebung lag. Bis jetzt war Atlanta mir immer stark und doch sanft rübergekommen und diese neue, so gar nicht zu ihr passende Gefühlsregung verunsicherte mich, als ich ihr meine Zustimmung gab.
Still folgte ich ihr aus den Stallungen und kaum hatten wir sie hinter uns gelassen, schien sich Atlanta gleich viel wohler zu fühlen. Sie verlangsamte ihr Tempo etwas, sodass wir nun direkt nebeneinander über den geebneten Weg, dessen Ränder mit Blumen gesäumt waren, gehen konnten. Ich bewunderte die natürliche Schönheit des Parks um mich herum, bis Herzogin Atlanta sich räusperte und damit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte.
,,Ich wollte dich nicht von irgendetwas abhalten, sollte ich unpassend gekommen sein, tut es mir leid. Ich wollte mich nur einmal ungestört mit dir unterhalten.'' Sie seufzte leise. ,,Und vielleicht dir die ein oder andere offene Frage, die dich beschäftigt, beantworten. Das steht dir zu.''
Überrascht musterte ich sie von der Seite, konnte meine Neugierde dabei nicht verbergen. Bevor ich jedoch den Mund öffnen konnte, hob Atlanta die Hand. ,,Warte, bevor ich dir deine Fragen so gut es mir möglich ist beantworte, würde ich dir gerne noch etwas sagen. Ich...schätze es sehr, wie engagiert du dich in deine Aufgabe reinhängst und was du bereit bist für ein Risiko dafür auf dich zu nehmen. Das ist bewundernswert, Lyana. Ich würde mich freuen dir vielleicht in unbestimmter Zeit als treue Untertanin zur Seite stehen zu können.'' Sie lächelte. ,,Das wollte ich dir nur kurz gesagt haben. Und jetzt komm, ich seh doch wie groß deine Neugierde ist. Frag mich, was du wissen willst.''
Kurz ließ ich ihre aufrichtigen Worte auf mich einwirken, dann konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. ,,Wieso helft ihr uns?'' Ich wagte es nicht Rebellen laut auszusprechen, sie verstand auch so. Über ihr feines Gesicht legte sich ein trauriger Schleier. ,,Ich wusste, dass du das fragen würdest. Nun gut, ich will es dir verraten. Hast du schon mal etwas von Rianne Helani Crowen gehört?''
Ich schüttelte den Kopf. Verwirrung machte sich in mir breit. Wenn diese Frau den Nachnamen Crowen trug, musste sie aus der königlichen Familie stammen, jedoch war mir dort keiner mit diesem Namen bekannt. Wer also war sie?
Atlanta schnaubte. ,,Natürlich, das war ja zu erwarten. Rianne war nicht nur meine beste Freundin seit Kindestagen, sondern auch die große Schwester unseres hochverehrten Königs.'' Spott schwang am Ende in ihrer Stime mit, trübte jedoch nicht über den Kummer hinweg. Ruckartig blieb ich stehen und Rang um Fassung. ,,Was....? Aber das würde ja bedeuten, dass-‚'' ,,Rianne als Erstgeborene den Thron hätte besteigen müssen.'' Sie blieb ebenfalls stehen und wandte sich mir mit zynisch verzogenem Gesicht zu. ,,Dazu kam es aber nie. Er hat sie umbringen lassen.'' Sie stockte, diesmal klang ihre Stimme hart. ,,Kannst du dir das vorstellen? Der kleine Bruder gibt deinen Tod in Auftrag, weil er den Thron will. Dabei stand er ihr zu!'' Der Hass in ihrem Blick, ließ mich erschrocken einen Schritt zurückweichen. Doch das merkte sie nicht mal.
,,Rianne hatte es nie einfach. Es war noch nie vorgekommen das ein Mädchen Thronfolgerin ist und doch wusste jeder, dass eine gute und vor allem gerechte Herrscherin aus ihr werden würde. Wir waren etwa im gleichen Alter. Meine Eltern haben viel Zeit am Hofe verbracht und mich immer mitgebracht. So war es klar, dass wir uns eines Tages kennenlernen würden. Vom ersten Moment an verstanden wir uns gut und es entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns. Du musst wissen, das ist im Adel sehr ungewöhnlich. Normalerweise weiß man nie, wem man vertrauen kann und wem nicht. Jeder ist sich selbst am nächsten und kaum drehst du ihnen den Rücken zu, ziehen sie über dich her und nutzen auf grausamste Art und Weise jede Schwachstelle aus, die sie finden können. Aber wir beide....bei uns war es von Anfang an anders. Solche Freundschaften sind selten und...Lysander hat sie zerstört. Rianne hat alles getan um den Ansprüchen gerecht zu werden und ihrem Land, wenn die Zeit gekommen ist, guten Dienst zu erweisen und er? Er hat seine eigene Schwester verraten! War zu feige um es selbst zu tun und hat einen Diener bestochen, Gift in ihr Glas zu geben. Sie ist einfach mitten auf dem Ball tot umgefallen, als sie sich gerade mit mir unterhalten hatte. Erst später habe ich verstanden, warum Lysander sie damals die ganze Zeit so eindringlich angestarrt hatte, als würde er auf etwas warten.'' Auf einmal hörte sie sich gebrochen und einfach nur tieftraurig ein, trotzdem sah man den Hass auf den König weiterhin in ihrem Blick. ,,Er ließ den Diener ohne Anhörung hinrichten. Ich hätte wahrscheinlich nie wirklich herausgefunden, wer ihr echter Mörder war, wenn ich nicht nach dem Ball direkt wutentbrannt in den Kerker gestürmt wäre. Ich wusste gar nicht, was ich da so wirklich wollte. Vermutlich einfach eine Erklärung wie er diese wundervolle, gütige Frau vergiften konnte. Unter Tränen hat er mir erzählt, dass der König ihm eine hohe Belohnung in Aussicht gestellt hatte und er das Geld brauchte, um seiner kleinen Schwester ein besseres Leben zu ermöglichen und er es jetzt mehr als alles andere bereute. Keiner hatte ihm geglaubt, außer mir. Es gab Anzeichen, Gott, es gab so viele Anzeichen! Aber ich hätte nie gedacht das Lysander wirklich dazu in der Lage wäre so eine Gräueltat gegenüber seiner eigenen Schwester zu begehen.'' Sie wurde immer leiser, bis ihr am Ende ganz die Stimme wegbrach und Tränen ihr über die Wangen liefen. Beschämt sah sie sich um und holte schnell ein Stofftuch hervor, mit dem sie die Tränen wieder wegwischte. Langsam glättete sich ihr Gesicht wieder. ,,Und weißt du, was mich am meisten entsetzt hat? In keiner einzigen Sekunde lag auch nur eine Spur von Reue in seinem Blick!'' Atlanta atmete tief ein und wieder aus, während sie sich wieder beruhigte. ,,Das Ganze liegt nun viele Jahre zurück, seitdem ist Rianne entweder in Vergessenheit geraten oder wird totgeschwiegen. Es ist ein stilles Gesetz, dass sie niemand anspricht oder ihren Namen in irgendeinem Zusammenhang erwähnt. Ich habe ein paar Monate später Shalom kennengelernt. Wir hatten Glück, dass wir uns vom ersten Moment an liebten, auch als unsere Ehe von unseren Eltern arrangiert wurde. Ich erzählte ihm irgendwann von Rianne und mir und verriet sogar den König, doch seine Liebe war zum Glück größer als sein Pflichtgefühl gegenüber Lysander. Und da hatte ich echt kurz gebangt. Shalom ist ein sehr treuer Mann und strenger Anhänger der Königsfamilie. Ehre, Pflicht und Treue sind für ihn von höchster Wichtigkeit. Deswegen darfst du ihm sein Verhalten auch bitte nicht übelnehmen, er.... ist eben doch auch nur ein Adliger. Er akzeptiert diesen Verrat gegenüber dem Königshaus nur wegen mir und weil Lysander sich auf schrecklichste Art und Weise die Krone zu Eigen gemacht hat und er wie gesagt viel von Ehre hält.''
Ich schwieg. Ich wusste einfach nicht was ich sagen sollte. Ich war einfach sprachlos. Mir waren viele Verbrechen der Krone bekannt, aber das? Die eigene Schwester ermorden lassen, um an die Macht zu kommen? Das war etwas ganz anderes. Wie grausam konnte ein Mensch sein, um so etwas zu tun? Hatte ich den König vorher schon gehasst, verabscheute ich ihn nun regelrecht. Und auch wenn es mir nicht ganz behagte, so musste ich zugeben, dass ich, sollte sich mir die Möglichkeit bieten, keine Chance verstreichen lassen würde, den König zu töten. Erschreckend war nur, das es mir wahrscheinlich nicht mal leid tun würde. Eher im Gegenteil.
,,Das ist übrigens auch der Grund, warum die königliche Familie so gut geschützt ist und kaum jemand an sie heran kommt. Lysander wusste wie leicht es möglich war jemanden seiner Blutlinie umzubringen und will nun vermeiden, das ihm oder einem anderen Mitglied seiner Familie dasselbe zustoßen kann. Du wirst die Erste Rebellin sein, die nah genug an ihn heran kommen wird, um einen erfolgreichen Mordversuch ausführen zu können. Achja... tu dir bitte keinen Zwang an, solltest du das Gleiche bei Lysander versuchen können. Du würdest nicht nur meinen Dank auf ewig empfangen.'' Mit diesen Worten war das Thema offensichtlich beendet, denn die Herzogin straffte die Schultern und setzte sich wieder in Bewegung. Von ihrem Gefühlsausbruch gerade eben nichts mehr zu sehen. Immer noch geschockt beeilte ich mich zu ihr aufzuholen.
,,Nun, wie wäre es, wenn ich dir ein paar Dinge über Prinz Leyon erzähle, schließlich besteht die Wahrscheinlichkeit, dass er dein zukünftiger Mann ist?'' Sie zwinkerte mir zu.
Es hörte sich noch genauso unrealistisch und unglaubwürdig an, wie am Anfang. Wieso gingen alle davon aus, dass er sich für mich entscheiden würde? Mit Sicherheit gab es viele Adelstöchter, die schöner, gebildeter und anmutiger waren als ich und generell viel besser an seine Seite passten.
,,Schaden kann es ja nicht.'' Nun doch neugierig geworden legte ich den Kopf leicht schief und betrachtete das makellose Seitenprofil der Herzogin. Ich kam nicht umhin erneut festzustellen, wie schön sie war.
Erfreut lächelte sie mich an und hakte sich bei mir unter. ,,Oh, wie aufregend! Ein richtiges Mutter-Tochter-Gespräch, wie ich es mir schon immer gewünscht habe! Leider waren mir keine Kinder vergönnt.'' Kurz sah ihr Gesichtsausdruck geknickt aus, bevor er durch ein strahlendes Lächeln ersetzt wurde. ,,Aber jetzt habe ich ja dich. Also, Lyana, spitz die Ohren.'' Ich musste schmunzeln.
,,Leyon ist nicht viel älter als du und vom Optischen äußerst ansprechend. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass er wirklich sehr attraktiv ist.'' Sie runzelte leicht die Stirn. ,,Es ist eigentlich Schade, dass er sterben muss, damit in diesem Land Frieden einkehren kann...obwohl ich da nicht verstehe, warum du nicht erst den König umbringst. Aber ich schweife ab. Ich bin mir sicher, er wird dir zumindest vom Äußerlichen her gefallen. Nun, über seinen Charakter kann ich nicht viel sagen. Nur das er zwar einen reservierten Eindruck macht, jedoch durchaus auch charmant sein kann. Aber am besten du machst dir in übermorgen deinen eigenen Eindruck.''

Lyana- The Story of a QueenOn viuen les histories. Descobreix ara