5. Kapitel

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Der nächste Tag verging viel zu schnell.
Xander hatte mich, nachdem wir zum Abschluss nochmal in jeder Disziplin gegeneinander gekämpft hatten, wobei er natürlich jedes Mal als herausragender Sieger hervorgegangen war, für den Rest des Tages entlassen und ich nutzte die übrige Zeit, um sie mit Lex und Stana zu verbringen.
Ich hatte es bisher immer geschafft mich davor zu drücken, ihnen von meinem langfristigen Fortgang zu erzählen, doch nun führte kein Weg mehr dran vorbei.
,,Hey, Leute.'' Mit einem unwohlen Gefühl im Bauch gesellte ich mich zu ihnen, nachdem ich die beiden auf den zerfallenen Gesteinen der alten Ruine sitzend entdeckte, unter der unser kleines Quartier war.
Ihre Gesichter waren dem Himmel zugewandt und wurden von den warmen Sonnenstrahlen gewärmt, die auf ihre Haut trafen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an einen großen Steinbrocken und ließ die Beine von der kleinen Mauer baumeln, die den Grundriss des ehemaligen Gebäudes zeichnete.
Ein Lächeln schlich sich auf Stana's Gesicht. ,,Hey. Lange nicht mehr gesehen.''
,,Ja.'' Ich seufzte. ,,Tut mir leid, dass ich in letzter Zeit kaum da war.''
Lex richtete seinen Blick auf mich und musterte mich neugierig. ,,Wo wir gerade dabei sind....Was hast du eigentlich jetzt genau gemacht? Wo warst du? Wenn wir morgens aufgestanden sind, warst du schon weg, wenn wir durchs Lager gelaufen sind, warst du unauffindbar. Außerdem hast unseren Waschplan nicht eingehalten.''
Stana's Kopf fuhr zu ihm herum. ,,Der Waschplan? Ist das dein ernst, Lex? Die dreckige Wäsche interessiert hier gerade niemanden!''
,,Äh, doch mich?''
,,Du zählst zu niemandem.'' Stana blitzte ihn noch kurz aufgebracht an, bevor sie sich wieder mir zuwandte. ,,Und was dich angeht...ich will eine Erklärung!''
Ich stieß hörbar die Luft aus und richtete meinen Blick gen Himmel, wo ich eine der wenigen Wolken beobachtete wie sie über den Himmel zog. ,,Die bekommst du, aber ich darf dir leider keine Details geben.''
,,Erzähl einfach. Ich will endlich wissen was los ist.'' Ungeduld und Neugier schwang in ihrer Stimme mit.
,,Also gut. Ich habe einen neuen Auftrag. Ich- ‚''
Lex unterbrach mich. ,,Was? Ohne uns? Und dann auch noch so einen so langen?''
,,Ähm, ja. Und nein....der Auftrag hat noch gar nicht angefangen. Ich-‚''
Diesmal fiel Stana mir ins Wort. ,,Hä? Das versteh ich nicht. Was ist das für ein Auftrag und was hast du dann die ganze Zeit über gemacht?''
,,Lasst mich doch mal ausreden!'' Ich atmete tief durch. ,,Was das genau für ein Auftrag ist, darf ich euch nicht sagen. Roywen hat es ausdrücklich verboten. Und ich wurde in den letzten Wochen von Xander in Kampfkunst trainiert.''
Lex pfiff durch die Zähne. ,,Na dann muss er ja echt wichtig sein.''
Mit einem strengen Blick in seine Richtung fuhr ich nun niedergeschlagen fort: ,,Ich werde schon übermorgen in den frühen Morgenstunden aufbrechen und dann für eine ganze Weile weg sein.''
Stana und Lex schwiegen einige Sekunden, bevor Stana mich mit einem traurigen Blick in den Augen ansah. ,,Ist es denn gefährlich? Also noch gefährlicher als die üblichen Missionen eh schon sind?''
Ich lächelte bedrückt. ,,Ja, vermutlich. Ich werde mich irgendwo einschleichen und meine Zielperson ausschalten müssen, die leider sehr gut bewacht wird. Und das am besten ohne dabei aufzufliegen und an den Pranger gestellt zu werden.''
Aufrichtig besorgt starrte Stana mich an. ,,Ich weiß, dass Aufträge Aufträge sind und man sie nicht ablehnen kann....also pass einfach auf dich auf und komm schnell wieder zurück.''
,,Ja, lebend und in einem Stück gefällst du mir doch am besten.'' Auch wenn Lex seine Angst um mich mit seinen Kommentaren versuchte zu überspielen, konnten seine Augen die Wahrheit doch nicht verbergen.
Berührt lächelte ich ihnen zu. ,,Keine Sorge, ich bin doch eine Rebellin, oder? Ich rebelliere einfach gegen den Tod, wenn er mich holen kommen will.'' Scherzhaft zwinkerte ich und bekam dafür nur einen Augenverdreher von Lex zurück.
Später ließen wir den Abend dann am Lagerfeuer ausklingen und mir wurde bewusst, wie sehr ich das Ganze hier in den letzten Tagen vermisst hatte und vermissen werde.
Ich lauschte den Geschichten der anderen Rebellen, die sich hier versammelt hatten, und konnte zumindest für den Moment meinen Auftrag vergessen.
Das Feuer flackerte hell über die Gesichter, malte Schatten und brachte gleichzeitig Licht in die angebrochene Nacht.
Das Knistern beruhigte mich und ich starrte in die Flammen, versank in ihrem Tanz und verlor mich im rötlich gelben Schein.
Irgendwann erhob ich mich und entfernte mich vom regen Treiben um das Lagerfeuer, bis ich das fröhliche Gelächter nicht mehr hören konnte.
Ich lehnte mich an einen Baum und sank mit geschlossenen Augen an ihm herunter.
,,Hast du Angst?''
Ich schreckte hoch und sah mich hektisch um, sackte aber erleichtert wieder zusammen, als ich Xanders Shillioette neben mir ausmachen konnte. Darüber, das ich ihn gar nicht kommen gehört hatte, wunderte ich mich mittlerweile schon gar nicht mehr.
Xander hatte sich mit mir zugewandtem Körper an den breiten Stamm einer Buche neben mir gelehnt und schien mich mit seinem kalten Blick zu durchleuchten.
,,Vielleicht ein bisschen. Aber wer hätte das nicht?'' Mit einem Blick auf ihn fügte ich noch hinzu. ,,Abgesehen von dir natürlich.''
Xander setzte sich mit einem Seufzen, das ich von ihm bisher noch nie gehört hatte, neben mich und lehnte seinen Rücken an die Rinde hinter ihm. Überrascht sah ich zu ihm und er erwiderte meinen Blick still in der dämmrigen Dunkelheit, die von dem Eis seiner Augen durchbrochen wurde.
,,Der Hof ist ein Haifischbecken, das jeden zerfleischt, der nicht stark genug ist, um mit den Haien zu schwimmen. Also pass auf dich auf. Oder besser pass dich an.'' Ein merkwürdiger Ausdruck lag in seinen Augen, doch er war genauso schnell verschwunden wie er aufgetaucht war.
Ich musterte ihn neugierig. ,,Woher weißt du das?''
Sein Gesicht verschloss sich noch mehr als es eh schon war. ,,Ein paar Aufträge haben mich dahin geführt.'', erklärte er ausweichend und ich beließ es dabei, auch wenn ich innerlich darauf brannte, mehr von ihm und seinem Leben zu erfahren, doch ich wollte nicht, dass er sich noch mehr von mir zurückzog als er es eh schon tat.
,,Hast du sonst noch irgendwelche Tipps für mich?''
,,Vermeide es zu viel Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen. Keine persönlichen Gespräche. Gib so wenig wie möglich über dich preis. Achte auf dein Verhalten und deine Worte. Behalte immer dein Ziel im Auge. Sei einfach stets wachsam und vertraue niemanden. Verräter gibt es überall.'' Ich bildete mir ein einen bitteren Unterton in seiner Stimme gehört zu haben, doch auch darauf sprach ich ihn nicht an.
,,Aber mach dir darum nicht so viele Gedanken. Ins höfische Leben werden dich die Dorados einweisen. Sie werden dir alles sagen, was du wissen musst und dir die richtigen Umgangsformen beibringen.''
Auch wenn ich seinen halbherzigen Aufmunterungsversuch sehr zu schätzen wusste, blieb die Unsicherheit, die seine vorherigen Worte ausgelöst hatten und die sich nun in meinem Inneren breitmachte, dennoch bestehen.
,,Denk dran, wir sind überall. Du wirst nicht ganz auf dich alleine gestellt sein, sondern kannst notfalls Kontakt zu uns aufnehmen, auch wenn das so lang wie möglich vermieden werden sollte. Und solange dürftest du auch gar nicht im Palast sein, wenn du deinen Auftrag schnell erfüllst.''
,,Stimmt, das kann ja nicht so schwer sein, oder? Ich meine, es ist nur ein dummer Prinz, den ich leicht umbringen kann, wenn er mit mir alleine ist, nicht wahr?'' Es klang unsicherer als beabsichtigt und ich verfluchte mich für meine Schwäche.
,,Du solltest deinen Feind nie unterschätzen. Er ist nicht dumm, eher im Gegenteil. Du musst bei ihm aufpassen.'' Xander's Stimme war ernst und so eine Warnung ausgerechnet von ihm zu hören, verstärkte meine Angst vor dem vor mir liegenden nur noch mehr. Doch sie trat schnell in den Hintergrund, als sich mir eine ganz andere, viel wichtigere Frage auftat. ,,Du kennst den Prinzen?''
Xander spannte sich an, das konnte ich selbst in der Dunkelheit erkennen und ich fand mich schon damit ab, keine Antwort mehr zu erhalten, da seufzte Xander leise. ,,Kennen ist übertrieben. Sagen wir, ich hatte schon mit ihm zu tun und wir verstehen uns nicht sonderlich gut.''
Ich musste lächeln. Xander hatte mir etwas über sich erzählt.
Da ich diese Stimmung nicht mit irgendwelchen unüberlegten Worten zerstören wollte, schwieg ich und schloss einfach die Augen. Dann jedoch fiel mir plötzlich etwas ein, was ich unbedingt noch loswerden wollte. ,,Ähm, Xander? Ich wollte mich noch bedanken....''
,,Du musst dich nicht für das Training bedanken, Lyana. Es war mein Auftrag.'' Er klang gleichgültig.
,,Das habe ich nicht gemeint. Naja, doch schon. Aber eigentlich galt mein Dank etwas anderem..."
Xander legte den Kopf schief. ,,Was dann?"
,,Ich" Unbehaglich rutschte ich etwas auf dem Boden rum. ,,Ich wollte noch Danke für damals sagen. Ich glaube, das habe ich nie wirklich getan."
Es vergingen einige Minuten in denen kein einziger Ton von Xander kam, bis er leise sagte: ,,Auch dafür gebührt mir kein Dank von dir. Es war ebenfalls nur ein Auftrag, den du mir sogar unwissentlich abgenommen hast.''
,,Du hättest mich einfach da lassen können. Aber das hast du nicht.''
,,Du warst ein hübsches, junges Ding mit einem brennenden Hass auf die Gesellschaft. Ich wusste, du wirst uns einmal nützlich sein. Und ich hatte Recht.'' Sein Blick war kalt, als er mit schief gelegten Kopf meine Reaktion auf seine harschen Worte beobachtete.
Ich ballte meine Fäuste, meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen. Doch obwohl ich im Inneren total aufgewühlt war, beharrte ich dennoch trotzig auf das Gute in ihm. Wollte nicht wahrhaben, was er da von sich gegeben hatte. Das ich nichts weiter als eine Figur in einem perfiden, grausamen Spiel war.
,,Das ist nicht wahr. Ich weiß, dass du mich damals mitgenommen hast, weil auch du ein Herz besitzt. Und du weißt es auch, du leugnest es nur.''
Xander erwiderte nichts darauf, sondern beugte sich vor und legte seine Hände um Meine. Ich spürte wie seine kalten Finger meine Fäuste fast schon zärtlich lösten und sie dann sanft festhielten. Er war mir jetzt so nah, dass die kleinen Wölkchen, die sein Atem aufgrund der Kälte der Nacht bildete, mein Gesicht streiften und ich den eisigen Farbton seiner faszinierenden Augen aus der Nähe betrachten konnte. Beim Training hatte ich nie Zeit gehabt, da Xander mich stets auf Trab gehalten hatte und ich keine Zeit hatte um die kühle Schönheit Xanders' zu bewundern.
Jetzt aber strahlten sie mir in der Dunkelheit entgegen und ich konnte mich nicht von Ihnen lösen. Mir vielen die feinen silbernen Sprenkel auf, die seine Pupille fast schon geometrisch umgaben und Muster in seine Augen zeichneten, was sie nur noch besonderer machten.
Ich vergaß alles um mich herum, war nur noch auf diese schönen Eiskristalle, die direkt vor meinem Gesicht schwebten, fixiert.
,,Vielleicht hast du Recht, vielleicht auch nicht. Es spielt keine Rolle.'' Xander's raue, dunkle Stimme brachte mich unsanft zurück in die Realität, doch ich konnte mich immer noch nicht von seinen Augen losreißen und auch er wandte kein einziges Mal den Blick ab.
,,Was wenn es für mich eine Rolle spielt? Eine sehr große sogar?''
Seine Mundwinkel zuckten. ,,Dann wirst du mit meiner Antwort wohl sehr unzufrieden sein. Denn es bleibt die Gleiche wie gerade.''
Meine Augen verengten sich. ,,Wieso fällt es dir so schwer zuzugeben Gefühle wie jeder andere auch zu haben? Was ist daran falsch?''
,,Weil sie dir nur Kummer und Schmerz bereiten und eine Ablenkung sind.''
Gerade als ich den Mund öffnen wollte, um etwas zu erwidern, spürte ich plötzlich Xander's Mund  auf meiner Stirn. Ich riss die Augen auf. Seine Lippen waren rau, fühlten sich aber trotzdem angenehm an. Sein Kuss war überraschend sanft, doch bevor ich das Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit, das er mir gab, genießen konnte, löste sich Xander auch schon von mir und stand eilig auf. Er starrte noch einen Moment mit unleserlichen Gesichtsausdruck auf mich herab, bevor er ohne ein weiteres Wort an mich zu verlieren in der Nacht verschwand.
Völlig vor den Kopf gestoßen beobachtete ich wie die Umrisse seiner Gestalt langsam von der Dunkelheit verschluckt wurden, je tiefer er in sie eintauchte, bis er nicht mehr zu sehen war.
Es dauerte noch einige Minuten, in denen ich einfach regungslos sitzen blieb und benommen in den vor Sternen funkelnden Nachthimmel hinaufsah. Erst nachdem ich mich soweit gesammelt hatte, dass ich aufstehen konnte, kehrte ich zum Lager zurück. Ich mied den immer noch vom Schein des Lagerfeuers hell erleuchteten Platz, von dem lautes Stimmengewirr zu mir rüber drang und bewegte mich stattdessen in den Schatten.
Als ich endlich mein Quartier erreicht hatte, zitterte ich ein wenig durch die nächtliche Kälte und ließ mich gleich auf meine Matratze fallen. Doch ich fand kaum Schlaf, da zu viele Gedanken in meinem Kopf rum schwirrten und sich mir so viele ungelöste Fragen stellten, dass es hinter meinen Schläfen brummte.

Lyana- The Story of a QueenWhere stories live. Discover now