10. Kapitel

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Der nächste Tag hatte viel zu früh begonnen, und das, obwohl es im Vergleich zu meinem gewohnten Aufstehen, doch ziemlich spät war.
Vermutlich kam es mir auch nur so vor, weil ich so gut wie hier noch nie zuvor geschlafen hatte. Das Bett war so warm und weich, ganz anders als die dünne, harte und stets kalte Matratze aus dem Lager. Es war mir wirklich schwergefallen, mich von der kuschligen Umarmung meiner dicken Decke zu entfernen. Doch letztendlich hatte kein Weg daran vorbei geführt. Leider. Denn jetzt wünschte ich mir nichts sehnlicher, als einfach liegen geblieben zu wären.
,,Lyana, Konzentration!'', die Stimme der Herzogin ließ mich aufschrecken und prompt stolperte ich, knickte um und schaffte es gerade noch mich mit den Händen am Boden abzufangen. Trotzdem war die Landung schmerzhaft.
,,Das war jetzt schon dein vierter Sturz. Wenn du willst, dass es bei diesen bleibt, solltest du anfangen dich zu konzentrieren. Sonst wird das nie etwas.'' Atlanta's Hoffnung in mich, verschwand mit jeder weiteren Minute, in der ich mich noch ungeschickter als in der vorherigen anstellte, immer mehr.
Unmotiviert rappelte ich mich wieder auf, was mit den hohen Absätzen an meinen Füßen gar nicht so leicht war. Wackelig richtete ich mich auf und sah von Atlanta zu der anderen Seite des Raumes, die mir plötzlich viel zu weit weg erschien.
Konzentration. Du schaffst das, Lyana. Du hast schon viel schwierigeres gemeistert.
Zögerlich stöckelte ich los, setzte konzentriert einen Fuß vor den anderen und kämpfte dabei verbissen um mein Gleichgewicht. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich endlich die andere Seite erreichte.
Applaus ertönte. ,,Du hast es also doch noch geschafft. Und jetzt noch Zehn mal hin und her, damit du ein wenig Sicherheit bekommst, bevor wir an deiner Gangart arbeiten. Du sollst über den Boden schweben wie eine Elfe und nicht lauter trampeln als eine Horde Elefanten, während du mit deinen Armen einen Ventilator imitierst.'' Herzogin Atlanta warf mir einen strengen Blick zu und ich folgte ihrer Anweisung unbegeistert. Mehr schlecht als Recht brachte ich das Laufen hinter mich und stellte mich dann unsicher zu Atlanta, die mich einmal umrundete und dabei ihre Augenbrauen zusammenzog. ,,Gott, Kind, deine Haltung ist wirklich grottig.''
Hinter mir blieb sie stehen und legte ihre Hände sanft auf mein Schultern, bevor sie sie nach hinten zog. ,,Kopf hoch und zieh den Bauch ein, geh nicht so ins Hohlkreuz.'' Erneut korrigierte sie mich. ,,Du musst den Rücken immer gerade halten, Lyana. So und jetzt noch Kinn hoch....Na also, geht doch.'' Atlanta entfernte sich ein paar Schritte von mir und erst jetzt viel mir auf, dass sie wirklich kaum Geräusche machte beim Gehen und das, obwohl sie ebenfalls hohe Schuhe trug.
Kritisch betrachte sie mich, bevor sie nickte. ,,Und jetzt läufst du genau so nochmal zehn weitere Runden durch den Raum.''
Angestrengt versuchte ich dem nach zu kommen, doch es fiel mir schwer mich darauf zu konzentrieren nicht hinzufallen und gleichzeitig auch noch auf meine Körperhaltung zu achten.
,,Stampf nicht so auf, sondern setz den Fuß langsam auf. Und versuch Geschmeidigkeit und Eleganz in deine Bewegungen reinzubringen. Im Moment erinnerst du mich an einen angeknacksten Stock.''
Ich schnaubte als Antwort nur, bemühte mich aber dennoch ihren Worten Folge zu leisten.
Nach einer Weile war die Herzogin zwar immer noch nicht zufrieden, brach aber trotzdem ab. ,,Du wirst diese Highheels die ganze Zeit über tragen und nur zum Schlafen und Baden abnehmen.'' Auf mein Nicken hin fuhr sie fort. ,,Gut, wir arbeiten noch etwas weiter an deiner Haltung. Komm mit.''
Herzogin Atlanta führte mich nach draußen und hielt vor einem großen Stein mitten auf einer Wiese hinter dem gewaltigen Gemäuer an. Das Dienstmädchen, dem sie unterwegs aufgetragen hatte ein paar Bücher zu bringen, tauchte auf und stellte sich hinter ihre Herrin, die mich anwies auf den Stein zu steigen. Nach kurzem Zögern tat ich es und rang augenblicklich um mein Gleichgewicht, da ich mit den hohen und vor allem dünnen Absätzen einfach keinen Halt fand.
Nachdem ich endlich einen halbwegs sicheren Stand gefunden hatte, forderte sie mich auf, ein Bein nach hinten auszustrecken. Nur sehr zögerlich und widerwillig kam ich dem nach und schaffte es sogar diese Position zu halten, zwar mit zitternden Beinen, aber immerhin.
Die Herzogin umrundete mich und korrigierte dabei meine Haltung. Beine gerader durchstrecken, Rücken gerade, Kopf hoch, Bein höher. Mein Wackeln verstärkte sich bei jeder weiteren ihrer Korrekturen immer mehr und schließlich verlor ich mein Gleichgewicht und stürzte. Mit einem schmerzvollen Stöhnen rappelte ich mich gleich wieder auf und nahm nach einem kurzen Blick zu Atlanta wieder dieselbe Position wie vorher ein.
Ihre Hände griffen sanft nach meinen Armen und streckten sie gerade zu beiden Seiten aus, bevor sie meinen Oberkörper noch etwas aufrichtete und sich dann etwas zurückzog.
Je länger ich so dastand, desto sicherer wurde mein Stand und das Zittern und wackeln ließ nach.
Atlanta lächelte zufrieden und ließ sich von dem Dienstmädchen die dicken Bücher reichen. ,,Perfekt. Und jetzt noch die Bücher.''
Mein stolzer Blick wich einem panischem und unsicher verfolgte ich, wie sie sich mir mit dem Stapel in ihren Händen nährte und Anstalten machte sie mir auf den Kopf zu legen. Ich wollte gerade den Mund aufmachen, um ihr von dieser überaus schlechten Idee abzuraten, als es auch schon zu spät war und das Gewicht auf meinem Kopf mich erneut aus dem Gleichgewicht brachte und ich mit einem Aufschrei zu Boden fiel.
Lautes Gelächter ließ mich zusammenfahren und erschrocken blickte ich auf. Meine Augen huschten über den Platz, auf der Suche nach dem Ursprung dieses Geräusches und blieben bei einer männlichen Gestalt hängen, die in gemächlichem Tempo auf uns zu kam.
,,Cousinchen!'', lachte er, während er immer näher kam. ,,Wie schön dich endlich mal nach zwanzig? Jahren kennenzulernen!'' Verwirrt sah ich ihm entgegen und stand schnell auf, da ich es dann doch als sehr herabwürdigend empfand, so auf dem Boden zu liegen.
Interessiert musterte ich ihn. Seine Statur war recht schlank, seine Körperhaltung selbstbewusst und elegant, sein Gesicht war blass und schmal, blonde Locken umrahmten es und verliehen ihm das Aussehen eines Engels. Nur der Schalk in seinen hellbraunen Augen deutete auf etwas anderes hin. Alles in Allem sah er ganz gut.
Herzogin Atlanta neben mir sah fast schon entsetzt in die Richtung des jungen Mannes. ,,Was macht er denn hier? Wir ließen doch absagen. Das ist-‚'' ,,Mit Verlaub, Tante, ich würde es sehr begrüßen mich meiner reizenden Cousine selbst vorstellen zu dürfen.'', unterbrach er sie und griff sich, bevor ich reagieren konnte, meine Hand, um mir einen hauchzarten Handkuss zu geben, wobei er mir amüsiert zuzwinkerte. ,,Ich bin Quiron Lybtos, zukünftiger Herzog von Lybtos, es ist mir eine Ehre meiner mysteriösen Cousine endlich zu begegnen. Zu meiner Freude entsprichst du nicht meinen Erwartungen.'' Querin lächelte charmant. ,,Du bist außerordentlich hübsch, wenn ich das mal so sagen darf.''
Langsam zog ich meine Hand zurück und zwang mir ein Lächeln aufs Gesicht. ,,Vielen Dank. Gehe ich recht in der Annahme, dass eine Vorstellung meinerseits nicht mehr von Nöten ist?''
Überrascht blinzelte der junge Mann, dann schmunzelte er vergnügt. ,,Nun, wenn es sich bei dir um Lyana Dorados handelt?'' ,,Zu deinem Glück, ja. Andernfalls befändest du dich jetzt in einer überaus peinlichen Lage.''
,,Da hast du wohl Recht.'' Sein Grinsen wurde breiter und er wandte sich Atlanta zu, die über sein Auftauchen alles andere als begeistert schien. ,,Tantchen, wieso habt ihr dieses Goldstück bloß so lange vor uns verborgen? Sie gefällt mir.'' Er warf mir einen belustigten Blick zu. ,,Auch wenn ich es bei der Tölpelhaftigkeit verstehen kann. Sie ist nicht sehr elegant.'' ,,Bitte?'' Entrüstet sah ich ihn an und schnaubte. ,,Und ich kann verstehen, dass ihr mich bei der Manierlosigkeit ihm nicht vorstellen wolltet. Er ist nicht sehr höflich.'' Mein Konter ließ ihn mich mit einem anerkennenden Blick bedachen. ,,Wow, du gefällst mir immer mehr, Cousinchen.''
Atlanta lächelte angestrengt. ,,Es ist wirklich sehr erfreulich, dass ihr euch so gut versteht, jedoch bitte ich euch, euer Gespräch zu späterer Stunde fort zu führen. Querin, hast du unsere Nachricht nicht bekommen? Ein Bote sollte dir doch unsere Absage auf deinen gewünschten Aufenthalt hier zukommen lassen.''
,,Das hat er auch. Ein wirklich jämmerlicher Versuch mich von eurer sagenumwobenen Tochter fernzuhalten. Es bereitet euch doch wohl hoffentlich keine Unannehmlichkeiten mich für einige Tage in eurem Anwesen unterbringen zu lassen, oder?'' Herausfordernd sah er seine Tante an, die unterdrückt mit den Zähnen knirschte, ein falsches Lächeln auf den Lippen. ,,Nein, natürlich nicht. Ich werde gleich ein Gästezimmer für dich herrichten lassen.''
,,Wundervoll. Ich werde sogleich Onkel Shalom über meine Ankunft und die Länge meines Aufenthalts unterrichten.'' Er wandte sich mir zu. ,,Und auf ein Kennenlernen mit dir freue ich mich schon, kleine Cousine.'' Querin deutete eine spöttische Verbeugung an und entfernte sich von uns. Ich sah ihm hinterher, bis er im Schloss verschwunden war. Erst dann drehte ich mich wieder zur Herzogin, die über den unangekündigten Besuch alles andere als erfreut war. Sie sah mich entschuldigend an. ,,Das ist der Sohn des Bruders meines Gatten. Er ist für seine Unverschämtheit bekannt, trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen ist er sehr beliebt bei den Adelstöchtern. Ich fürchte sein Selbstbewusstsein ist dadurch in ungesunde Höhen gestiegen.'' Sie schüttelte den Kopf. ,,Jedenfalls ist seine Neugierde auf dich schon seit vielen Jahren sehr groß, sei also stets auf der Hut und wachsam, bei dem was du von dir gibst. Das musst du ab jetzt sowieso. Rede nie unüberlegt.'' Auf mein Nicken hin, ließ der Ernst in ihrer Stimme nach. ,,Und jetzt fahren wir mit der Übung fort.''

,,Und du wirst also auch am Ball des Prinzen teilnehmen?'' , erkundigte sich Querin neugierig.
,,Ja.'' Meine Antwort fiel einsilbig aus, aus Angst etwas falsches zu sagen. Doch Querin ließ sich davon nicht abschrecken und fragte unbekümmert weiter. ,,Und bist du Prinz Leyon schon einmal begegnet?'' Diesmal schüttelte ich einfach nur den Kopf und spießte ein Stück des saftigen Kalbsfilet auf. Genüsslich kaute ich und ignorierte den amüsierten Blick von Querin, der sich jedoch keinen Kommentar verkneifen konnte. ,,Was hast du denn auf der Farm zu Essen gekriegt, dass du dich so über ein Stück Kalbsfilet freust?''
Ich verschluckte mich fast und suchte angestrengt nach einer guten Anntwort. Wäre Atlanta hier, könnte sie mir bestimmt helfen, jedoch hatten sie und der Herzog noch eine wichtige Besprechung und konnten deswegen nicht mit uns Speisen, sodass ich nun alleine mit Querin im Esszimmer sitzen musste. Wenn man die beiden, wie letztes Mal an der Wand stehenden, Diener außen vor ließ, natürlich.
,,Das Essen war unter den dort gegebenen Umständen keinesfalls schlecht, doch muss ich zugeben das es sich nicht mit diesem vergleichen lässt.'', brachte ich schließlich hervor und war sogar ganz stolz auf mich für diese Antwort. Im selben Moment fiel mir jedoch mein Fehler auf und mir wurde bewusst, dass dieses Gespräch gerade in eine für mich äußerst gefährliche Richtung verlief.
,,Atlanta und Shalom haben dich also wirklich auf dieser Farm großziehen lassen?'' Unglaube schwang in seiner Stimme mit. Ich runzelte verärgert die Stirn. ,,Zweifelst du etwa daran?''
,,Nein, nein.....Es fällt nur schwer zu Glauben. Ich hätte nie gedacht, dass sie ihr einziges Kind weggeben würden, wenn auch nur für bestimmte Zeit. Das passt einfach nicht zu ihnen, sie haben sich immer so sehr ein Kind gewünscht.''
Ich schwieg kurz. ,,Es ist ihnen auch alles andere als leicht gefallen. Die ersten Jahre bin ich hier auch sehr behütet aufgewachsen. Ich hatte damals aus irgendeinem mir heute sehr unverständlichen Grund Angst vor fremden Menschen und hier waren so viele. Mutter und Vater wollten nur das Beste für mich, und beschlossen mich so weit es geht von der Öffentlichkeit fernhalten. Sie hatten eine gute Freundin mit einer abseits gelegenen Farm zu der sie mich brachten. So konnte ich weiter aufwachsen ohne Druck, ohne viele Menschen und lernte die Privilegien, wie wir Adlige sie haben, zu schätzen. Das war ihnen äußerst wichtig. Außerdem war es immer mein Wunsch. Ich wollte dieses Leben fernab der Öffentlichkeit, und sie haben mir diesen Wunsch erfüllt, auch wenn es schmerzhaft war. Und dafür liebe ich sie. Und jetzt kann ich ihnen durch eine mögliche Verlobung mit dem Prinzen vielleicht etwas zurückgeben. Sie stolz machen.''
Überrascht starrte er mich an und ich starrte nicht minder überrascht über meine Lügenkünste zurück.
,,Das...Ich...'' Sprachlos schaute er mich einfach nur an, bevor er sich zusammen riss. ,,Das ist eine außergewöhnliche Geschichte. Anders kann ich es nicht beschreiben. Ungewöhnlich, aber irgendwie auch schön.'' Faszination lag in seiner Stimme.
Den Rest des Essens schwiegen wir. Zu meiner Überraschung jedoch war es kein unangenehmes Schweigen.
Irgendwie mochte ich Querin.

Lyana- The Story of a QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt