21. Kapitel

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Schwüle Luft schlug mir entgegen, als ich den Palast mit leichten Schritten verließ. Die Wachen und Bediensteten, die mir unterwegs begegneten, verneigten sich höflich vor mir und vermittelten mir damit immer und immer wieder ein unbehagliches Gefühl.
Sie sollten mich nicht so behandeln, als wäre ich etwas besseres als sie. Wenn man es genau nahm und nach der Gesellschaft ging, war ich sogar noch weniger wert als sie.
Abschaum, Straßendreck- ich hatte schon viele Bezeichnungen dieser Art zu Hören bekommen, eine abwertender ausgesprochen als die andere und jedesmal hatte sich das unsichtbare Messer in meiner Brust ein Stück weiter in mein Herz gebohrt, immer darauf aus es zum Erlöschen zu bringen. So wie es bei so vielen anderen Waisenkindern der Fall gewesen war.
Die Menschen taten so als könnten wir etwas dafür Straßenkinder zu sein, als hätten wir es uns ausgesucht- eine Wahl gehabt. Dabei hatten wir einfach nur nie eine Chance bekommen. Viele von uns waren Waisen- ob ihre Eltern tot waren oder sie einfach ausgesetzt wurden spielte dabei keine Rolle-, die anderen waren entweder wegen privater Gründe wie erzwungener Prostitution, Gewalt und dergleichen freiwillig von Zuhause abgehauen oder hatten einfach nie die Chance bekommen, es zu etwas zu bringen und waren somit zu einem Leben auf der Straße verdammt, denn ohne Status und Geld war es schwer irgendwo Fuß zu fassen. Als Kind aus ärmlichen Verhältnissen hatte man da kaum berufliche Möglichkeiten, deswegen war die Brutalität und Gewaltbereitschaft auf den Straßen auch so hoch. Wer mit dem Wissen aufwuchs eh nie ein gutes, erfülltes Leben führen zu können, eingeredet bekam wertlos und nutzlos zu sein, von allen Seiten abfällig angesehen wird, der gibt sein eigenes Leben auf und verliert sich in einem Strudel von Hass, Schmerz und Raserei. Meist endete es mit dem Tod durch Hunger und Kälte, Selbstmord, normalem Mord oder Hinrichtung.
Ich hatte oft die Leichen von Kindern würdelos an Straßenrändern liegen sehen. Wie Müll, der einfach weggeworfen worden war. Und genauso hatte die Gesellschaft sie vorher behandelt.
Nur zu gut erinnerte ich mich an Reina, ein junges Mädchen, dass ich vor vielen Jahren in einer winzigen Gosse kennengelernt hatte. Wir waren damals beide in einem Alter von 8 Jahren gewesen. Ausgemergelt, hungrig und in der gnadenlosen Kälte des Winters halb erfroren, hatten wir beide in dem selben alten Müllcontainer Schutz vor der beißenden Kälte und dem peitschenden Wind gesucht. Noch heute konnte ich mich genau an den Gestank nach verfaultem Essen und abgestandenen Produkten erinnern und auch an unser lautes Zähneklappern. Nie würde ich dies vergessen. Zusammen hatten wir einige Tage ausgeharrt, darauf wartend, dass der Schneefall stoppte und der Wind nachließ. Freundschaften gab es auf den Straßen nicht, jeder kämpfte ums eigene Überleben und dennoch haben wir uns immer wieder getroffen und uns ausgetauscht. Und es hat geholfen. Es war schön gewesen, endlich wieder mit jemandem Reden zu können. Einmal in einem Blick keine Verachtung zu sehen. Doch Reina war nicht stark genug gewesen. Die ständigen Boshaftigkeiten der reichen Bürger und das Straßenleben haben ihre Seele jeden Tag mehr zerstört, bis sie einfach aufgegeben hat in ihren Augen sinnlos zu kämpfen.
Ich ließ zu, dass der Schmerz, die Trauer, die Wut und der Hass mich überschwemmten und für einen Moment meinen Geist komplett einnahmen. Darauf musste ich mich konzentrieren. Ich durfte keine anderen Gefühle zulassen.
In den letzten Tagen hatte ich meine Mauern viel zu sehr einreißen lassen, hatte den Prinzen schon viel zu sehr an mich rangelassen, war nicht mehr Herrin meiner Selbst gewesen. Das würde ich jetzt wieder in den Griff bekommen.
Bau keine Bindung zu dem Prinzen auf, entwickle keine Gefühle für ihn, schärfte ich mir selbst ein. Im Stillen fragte ich mich jedoch, ob es dafür nicht schon zu spät war. Und ich wusste, dass mir die Antwort darauf nicht gefallen würde.
Ich musste es jetzt beenden, so schnell wie möglich. Denn je mehr Zeit verging, die ich mit Leyon verbrachte, desto schwieriger fiel es mir in dem Thronfolger mein Opfer zu sehen.
Fast fünf Tage waren nach dem Fiasko am See vergangen und ich hatte noch zwei weitere Treffen mit dem Kronprinzen gehabt. Bei jedem weiteren hatte ich eine neue Seite an ihm entdeckt, die mir alle ausgesprochen gut gefielen. Ich fing an ihn wirklich zu mögen. Und das war das Problem. Es wurde Zeit, dass ich es beseitigte.
Letzte Nacht hatte ich viel über einen weiteren möglichen Mordversuch nachgedacht, der diesmal Erfolg versprechen sollte. Mit dem Endergebnis war ich ganz zufrieden und nun drauf und dran meinen Plan in die Tat um zu setzen. Es war ein wenig gefährlich, es vor so vielen Zeugen durchzuführen, aber dieses Risiko musste ich eingehen und wenn ich es intelligent und unauffällig genug anstellte, würde es durchaus als Unfall angesehen werden können.
Ich spürte wie sich Adrenalin, Nervosität und Aufregung in mir anstauten, bei dem Gedanken an das, was gleich passieren würde.
Zielstrebig steuerte ich entschlossenen Schrittes auf den Übungsplatz der Soldaten zu und peilte ohne zu Zögern oder dem ausgebrochenem Getuschel und den auf mich gerichteten Blicken Beachtung zu schenken die Stelle an, wo ein paar Männer gerade Wurfmesser und Pfeile in Zielscheiben versenkten.
Das ständig versuchte Ausreden meiner Leibwachen, dass ich die ganze Zeit über ausgeblendet hatte und nach einiger Zeit, als sie bemerkten, dass es eh nichts bringen würde, abgebrochen war, setzte nun wieder ein.
,,Lady Lyana, bitte! Dieser Platz hier ist nichts für Euch! Ihr-‚'' Ich unterbrach ihn grob.,,Das entscheide jawohl immer noch ich! Wenn ich mich hier aufhalten möchte, dann werde ich es auch!'' Es regte mich auf, dass Ferin glaubte, mir vorschreiben zu können, welcher Ort etwas für mich war und welcher nicht. Ich hatte die Hölle dieses Landes überlebt, war in den schlimmsten Vierteln aufgewachsen und hatte Dinge gesehen und am eigenem Leib erfahren, die er sich nichtmal vorstellen konnte, geschweige denn selber durchmachen musste. Da sollte er mal lieber ganz schnell den Mund halten!
,,Lady Lyana, was für eine ungewöhnliche Ehre Euch hier anzutreffen.'' Ein Mann mittleren Alters löste sich aus der kleinen Gruppe, die bei meinem Anblick in ihren Bewegungen erstarrt waren. Auf dem Platz war es nun mucksmäuschenstill. ,,Können wir Euch behilflich sein?''
Ich lächelte einnehmend. ,,Das können Sie in der Tat, Sir.'', säuselte ich. ,,Ich verlange, Messerwerfen zu erlernen.''
Geschocktes Keuchen machte, kaum hatte ich mein Anliegen kundgetan, die Runde.
Der Soldat vor mir gab ein Lachen von sich, mit dem er nur zu deutlich machte, was er davon hielt hielt. ,,Mylady, ich bitte Euch, überlasst den Umgang mit Waffen getrost uns. Das ist nichts für Frauen und erst recht nichts für eine Lady.''
Meine Augen wurden zu Schlitzen, empört und wütend über diese Frauenfeindlichkeit. Ich konnte bereits mit Waffen umgehen, da würde er staunen. Nur konnte ich mein Können leider nicht vorführen, ich durfte mich schließlich nicht verraten und musste weiterhin die unschuldige Lady mimen.
Aufgebracht stemmte ich die Hände in die Hüften. ,,Maßen Sie sich gerade an, mir Vorschreibungen zu machen?''
Das herablassende Gelächter verstummte, als ihm anscheinend klar wurde vor wem er hier gerade überhaupt stand und das ich durchaus in der Lage war ihn zu maßregeln, wenn mir sein Verhalten nicht gefiel. ,,Nein, natürlich nicht, Mylady.''
,,Und wieso verweigern Sie sich dann meinem ausdrücklichen Befehl?''
,,Ich bitte um Verzeihung, Mylady.'', presste er zähneknirschend hervor.
Mein Lächeln kehrte zurück. ,,Gut. Wie lautet Ihr Name?''
,,Admiral Hawn, Mylady.''
,,Wie gut sind Sie im Messerwurf, Admiral Hawn?''
,,Sehr gut, Mylady.''
Mein Lächeln wurde breiter. ,,Wundervoll, dann bringen Sie es mir jetzt bei.''
Dem Admiral war anzusehen wie wenig ihm die Situation und mein Befehl passte, aber er hatte keine andere Wahl als sich zu fügen. Ich musste zugeben, es hatte etwas über so eine Befehlsgewalt zu verfügen. Schade, dass ich nicht lange von ihr Gebrauch machen werden konnte. Und auch gar nicht wollte.
,,Hattet Ihr schonmal so ein Messer in der Hand?'', erkundigte sich Admiral Hawn, während er mich näher an die Zielscheiben heranführte und sich von einem der Soldaten ein paar Messer reichen ließ.
Fast wäre mir ein belustigtes Schnauben entwischt, doch ich bekam mich rechtzeitig unter Kontrolle. Ein solches Geräusch ziemte sich nicht für eine Lady. Stattdessen schüttelte ich nur den Kopf, wissend das genau diese Antwort von mir erwartet wurde. Jemand mit diesem Stand, den ich vorgab zu haben, würde ganz sicher nie ein richtiges Messer in die Hand nehmen.
,,Lady Lyana, seit Ihr sicher, dass Ihr das tun wollt?'', hakte Ferin besorgt nach, während Drew mich interessiert beobachtete und auch gleich seinem Partner den Ellbogen in die Seite rammte. ,,Lass sie doch. Wir sind ja da, um für ihre Sicherheit zu sorgen.''
Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln, was jedoch keine Erwiderung fand.
,,Und wenn sie sich aus Versehen selber absticht? Das kannst du dann den Majestäten und seiner Hoheit erklären!'', fuhr Ferin nun ihn an.
,,Sag mal, für wie unfähig halten Sie mich eigentlich?'', rutschte es mir schärfer heraus, als beabsichtigt. Ferin zuckte  zusammen und senkte den Blick. ,,Ich bitte um Verzeihung, Mylady. Ich wollte Euch in kleinster Weise kränken oder Unfähigkeit unterstellen. Ich bin einzig um Eure Sicherheit besorgt und sehe zu viele Gefahren, die mit Eurem Vorhaben einhergehen.''
Mein Gesichtsausdruck wurde sanfter. ,,Ich wollte Sie nicht so anfahren, weiß ich doch Ihre Besorgnis um mich und mein Wohlbefinden zu schätzen. Nur bin ich trotz dessen fest entschlossen mir den Umgang mit dieser Waffenart anzueignen.'' Das dabei keinerlei Risiko für mich, sondern nur für den Prinzen bestand, konnte ich ihm nicht sagen.
Ferin gab sich geschlagen. Aber anstatt einen Schritt zurück zu treten und mir somit Freiraum zum Ausholen zu geben, nahm er Admiral Hawn die Messer aus den Händen. ,,Dann bestehe ich aber darauf, dass wir als persönliche Leibwächter der zukünftigen Königin die Lehre übernehmen.'' Er gab die silbernen Waffen an Drew weiter, der an meine andere Seite getreten war.
,,Na schön'', ließ ich mich auf den Kompromiss ein. ,,Admiral Hawn, Sie können sich nun wieder um Ihr eigenes Training kümmern. Ich will Sie nicht weiter aufhalten.''
Angesprochener entfernte sich auch zugleich und brüllte dabei seine Männer an, sich wieder ihren Übungseinheiten zu widmen. Diese wendeten sich auch sogleich von uns ab, auch wenn hin und wieder einer zu mir herüber schielte.
Im Kopf ging ich durch wie viel Zeit noch übrig blieb, bis der Prinz hier auftauchen würde, um sich seinen täglichen Schwertkampf mit seinen beiden Leibwachen zu liefern. Ich hatte ihn in den letzten Tagen unauffällig beobachtet und festgestellt, dass er immer um dieselbe Zeit den Trainingsplatz der Soldaten betrat und sich ihrem Training für eine Weile anschloss.
Wenn ich richtig lag, würde er in ein paar Minuten erscheinen. Bis dahin musste ich eines der Messer in die Hände bekommen haben.
Ferin nahm eines der Messer von Drew entgegen und zeigte mir langsam wie ich es festhalten musste. Er tat fast so, als würde ich direkt in die Klinge greifen, anstatt zu wissen wofür ein Griff ist. Ich musste mir ein Augenverdrehen verkneifen und tat so als würde ich zu hören, während meine Augen unauffällig die Umgebung im Blick behielten, um das Auftauchen des Prinzen zu bemerken, bevor es alle anderen taten.
,,Versucht Ihr es mal, Mylady.'' Er gab das Messer an mich weiter und ich stellte mich absichtlich dämlich an, während ich seinen Griff nachahmte, sodass Ferin mich mehrmals korrigieren musste. Dann führte er mir an einem neuen Messer die Bewegungen während des Wurfes vor und auch hier ließ ich mich ungeschickter wirken, als ich eigentlich war. Aber es musste ja gleich authentisch rüberkommen.
Ich sah die Soldaten um mich herum unterdrückt grinsen, während sie meine misslungenen Versuche beobachteten. Vor allem das überhebliche Grinsen und der selbstgefällige Blick des Admirals kratzten an meiner Selbstbeherrschung, doch ich ließ mich auch davon nicht aus der Ruhe bringen und ignorierte sie gewissenhaft. Es kam mir schließlich nur zu Gute, denn so würde niemand bei meinem kommenden kleinen Missgeschick Verdacht schöpfen.
Endlich erregten Bewegungen am Rande des Platzes meine Aufmerksamkeit, die genau aus dem richtigen Winkel auf mich zu kamen. Ich tat so, als hätte ich den Prinzen noch nicht gesehen und wandte mich an meine beiden Leibwächter.
,,So in etwa?'', fragte ich unschuldig nach, holte mit dem Messer aus und warf es gezielt schräg zur Seite, wobei ich es so aussehen ließ, als wäre es mir zu früh aus der Hand gerutscht. Denn anstatt nach vorne in Richtung Zielscheibe zu fliegen, zischte es zielsicher auf den Prinzen zu, der die herannahende Gefahr noch gar nicht wahrgenommen hatte.
Als hätte ich erst jetzt das Ziel meines Messers bemerkt, riss ich geschockt meine Augen auf und stieß einen panischen Schrei aus. Auch die anderen Soldaten wurden nun auf die lebensbedrohliche Situation aufmerksam und erstarrten in ihren Bewegungen. Es war merkwürdig. Der Platz war gleichzeitig von einer gespannten Stille und von panischen Aufschreien und warnenden Rufen erfüllt.
Die silberne Klinge blitzte auf, als ein Sonnenstrahl direkt auf sie viel und erst jetzt schienen Leyon und seine beiden Leibwachen darauf aufmerksam zu werden. Selbst über die Entfernung hinweg konnte ich sehen wie ihre Augen sich weiteten und beide Leibwächter einen Satz nach vorne machten, um den Prinzen aus der Schusslinie zu stoßen. Doch ich wusste, dass es dafür zu spät war. Das Messer flog viel zu schnell auf sie zu, direkt auf das Herz des Prinzen.
Ich hatte wirklich gut gezielt, stellte ich fest.
Womit ich -und auch ganz sicher niemand anderes- jedoch nicht gerechnet hatte, war der plötzlich wie aus dem nichts in die Ziellinie flatternde Truthahn. Fassungslos sah ich dabei zu, wie er anstatt des Prinzen von dem Messer durchbohrt wurde und zu den Füßen des Prinzen krachte, während dieser noch in derselben Sekunde von seinen Wachen weggestoßen wurde und Grey sich vor ihm positionierte, bereit jedes weitere Geschoss abzufangen. Doch da kam keins mehr.
Regungslos starrten wir alle den toten Vogel an, der sich wohl gerade den Titel ,Lebensretter des Prinzen' verdient hatte. Jeder war so auf die Flugbahn des Messers und sein Ziel fokussiert gewesen, dass keiner das herankommende Federvieh registriert hatte.
,,Es tut mir so schrecklich leid! Er ist aus dem Gehege entwischt. Ich war gerade dabei ihn wieder einzufangen!'' Unsere Blicke richteten sich auf den jungen Mann, der in dreckigen Latzhosen auf uns zu gerannt kam und offenbar von dem verfluchten Truthahn sprach, der mir gerade die Tour vermasselt hatte.
Ernsthaft mal, wie viel Glück hatte dieser gottverdammte Prinz eigentlich? Das war jetzt mein dritter Mordversuch und bei jedem einzelnen ist er wegen eines verfluchten Zufalls lebend davongekommen!
Heute hätte ich Erfolg haben können, der Thronerbe war schon so gut wie tot gewesen und dann kam dieses verdammte Riesenvieh von Truthahn!
Nach außen hin ließ ich mir nicht anmerken, wie es in mir brodelte. Und das ich auch eine gewisse Erleichterung über sein Überleben verspürte, half nicht gerade dabei mein Gemüt zu beruhigen. Im Gegenteil, es machte mich noch aggressiver.
Seit ich hier war, lief nichts, absolut gar nichts, so wie es sollte.
Mir fiel ein, das genau jetzt der richtige Zeitpunkt war, um mich aus meiner Schockstarre zu befreien und auf meinen Verlobten zu zu rennen.. Denn genau das wurde von mir erwartet.
Aufgelöst weinend eilte ich auf Leyon zu, der selber noch völlig erstarrt wirkte. Seine Leibwachen, die immer noch dabei waren die Gegend nach einem weiteren Angriff zu sondieren, ließen mich ohne zu Zögern passieren. Stürmisch schmiss ich mich in seine Arme, die sich reflexartig um mich legten, und schluchzte laut auf.
,,Oh mein Gott! Es tut mir so leid!'', entschuldigte ich mich bitterlich weinend. Leyon sah verwirrt auf mich runter. ,,Wieso entschuldigst du dich? Du kannst doch nichts dafür.''
,,Doch!'', heulte ich leise weiter. ,,Ich habe das Messer geworfen!''
,,Was?!'' Leyon drückte mich etwas von sich weg und hielt mich dabei an den Oberarmen fest. ,,Du hast das Messer geworfen, habe ich das richtig verstanden?'' Ich nickte nur.
,,Ist dir eigentlich klar, was du da sagst?Das ist nicht witzig, Lyana!", zischte er.
Ich wich seinem Blick aus und ließ noch eine Träne aus meinen Augen quellen. ,,Es war keine Absicht, das schwöre ich! Ich wollte doch nur lernen Messer zu werfen und das gerade war mein erster Versuch. Wie es aussieht, bin ich aber nicht sehr talentiert darin. Ich glaube, so weit hat noch nie jemand eine Zielscheibe verfehlt.'', brachte ich bedrückt hervor und blinzelte am Ende leicht die Tränen weg, während ich wieder vorsichtig zu ihm aufsah.
Auf sein Gesicht hatte sich ein kleines Schmunzeln gelegt. Für einen Moment starrte Leyon mir einfach nur intensiv in die Augen, bevor er ein leises Seufzen von sich gab und mich kopfschüttelnd wieder in seine Arme zog. Schützende Wärme umfing mich, verbarg mein verweintes Gesicht vor den Augen der anwesenden Soldaten und weckte den Wunsch in mir, einfach für immer in seiner wohltuenden Umarmung zu bleiben.
,,Das glaube ich aber auch'', flüsterte er mir liebevoll ins Ohr und drückte mich noch etwas fester an sich. ,,Ab jetzt hältst du dich von dem Übungsplatz der Soldaten fern und das du kein Messer mehr in die Hände bekommst, versteht sich jawohl von selbst. Das ist viel zu gefährlich. Und zwar nicht nur für dich, sondern vor allem für deine Umgebung.''
Ich musste Widerwillen grinsen.
,,Das mir ein Truthahn mal das Leben retten würde....'', ungläubig lachte er leise in mein Haar. Mein Grinsen wurde breiter, ich konnte es nicht verhindern. Ich sollte wütend sein, dass der Truthahn das Messer abgefangen hatte, doch ich empfand nur Erleichterung, Freude und komischerweise Belustigung. Und es regte mich nichtmal auf.
Nach ein paar Sekunden löste sich Leyon von mir und betrachtete mein Gesicht. Meine Tränen waren alle getrocknet und es würden auch keine mehr fließen. ,,Komm, lass uns in meine Gemächer gehen.''
Meine Augenbrauen wanderten nach oben. ,,Bitte?''
,,Ich lass uns auf den Schrecken ein paar Kleinigkeiten bringen. Was hältst du von Nachtisch?''
,,Mitten am Tag?'' Ich zuckte mit den Schultern. ,,Was soll's? Süßkram geht immer.''
,,Dann begleitet mich bitte in meine bescheidenen Räumlichkeiten, Mylady.'' Leyon verbeugte sich galant, vergessen war der Schock der letzten Minuten. Stattdessen hatte sich ein jungenhaftes Grinsen auf seine schönen Züge geschlichen.
Sein Blick wanderte zu dem Mann in Latzhosen, der gerade völlig geschockt auf den Truthahn starrte und anscheinend gerade erst dabei war die Situation zu begreifen. ,,Nun...ich denke, keiner wird Ihnen etwas übelnehmen. Wäre der Truthahn nicht gewesen, wäre ich jetzt vermutlich tot.'',sagte Leyon mit unüberhörbarer Belustigung in der Stimme zu dem armen Mann, der nur wie paralysiert nickte.
Den um uns herum herrschenden Tumult beachteten wir nicht, während wir den Trainingsplatz hinter uns ließen und uns auf den Weg zu seinen Gemächern machten. Ein nervöses Kribbeln breitete sich in mir aus, bei dem Gedanken gleich zum ersten Mal sein privates Reich zu betreten. Wie es wohl aussah? Ich werde es wohl gleich herausfinden.
Unterwegs hielt Leyon eine Dienerin an und schickte sie mit dem Auftrag die Küche über unsere süßen Wünsche zu informieren davon. Die schrägen Blicke, mit denen sie mich die ganze Zeit über unauffällig bedacht hatte, ignorierte ich geflissentlich. Ich konnte mir schon selber denken wie wenig ansprechend mein Gesicht gerade aussah. Wahrscheinlich sollte ich auf der Stelle ein Bad aufsuchen und meine Zofen rufen lassen, aber um ehrlich zu sein machte es mir herzlich wenig aus.
Die Flügeltür zu seinen Privaträumen wurde uns von den beiden davor stehenden Wachen geöffnet und mit einem erwartungsvollen Gefühl im Bauch trat ich zögerlich ein.
Neugierig ließ ich meinen Blick über die teuren Möbel und Einrichtungsgegenstände schweifen. Die Gemächer des Prinzen waren recht dunkel gehalten worden, fast ausschließlich schwarz und Gold blitzten mir entgegen. Die einzigen wirklich farbigen Akzente in diesem Raum waren dunkelgrüne Kissen, die mich an die Farbe seiner Augen erinnerten, und ein paar Gemälde, die teilweise ihn selber zeigten. Ich wollte gerade einen Kommentar dazu abgeben, als mir ein bestimmtes Bild ins Auge fiel. Ich trat näher heran, um mich zu vergewissern. Doch, eindeutig. Dieses Bild zeigte mich.
Hinter mir räusperte sich Leyon peinlich berührt. ,,Nun ja, das...'' Er stockte, schien nicht zu wissen wie er es mir erklären sollte. Seine Erklärung würde ich aber nur zu gerne hören, schließlich hing ein Porträt von mir, von dem ich nichts wusste, in seinen Zimmern. Wann war das überhaupt gemacht worden?
,,Ich- Es ist jawohl nichts dabei ein Bild von seiner Verlobten an der Wand hängen zu haben'', rechtfertigte er sich halbherzig. ,,Von mir sind hier schließlich auch Porträts.''
,,Seltsam nur, dass ich davon gar nichts wusste'', zog ich ihn halb ernst, halb im Spaß auf.
Als auch Leyon merkte, dass er sich nicht für einen Ausraster wappnen musste, entspannte er sich sichtlich. ,,Bevor du fragst, ich werde es nicht abhängen. Dafür ist es viel zu schön.''
Auf seine Worte hin nahm ich das Gemälde nochmal genauer in Betrachtung. Es musste gemacht worden sein, während ich geschlafen hatte, auch wenn ich den Gedanken, dass mitten in der Nacht, während ich seelenruhig schlief, eine fremde Person neben meinem Bett saß und mich malte, doch ziemlich gruselig fand. Schnell schüttelte ich den beängstigenden Gedanken ab und konzentrierte mich wieder auf das Bild. Meine Haare lagen wie ein Fächer ausgebreitet um mein Gesicht herum auf den Kissen, ob beabsichtig oder nicht konnte ich nicht sagen. Sie glänzten in einem satten Schwarz, das einen starken Kontrast zu dem Weißgold des Kissens bot. Die Züge meines Gesichts waren mit unglaublicher Präzision in einer engelsgleichen Feinheit dargestellt, die selbst mich in ihren Bann zog. Mein Gesichtsausdruck war entspannt und sanft, ein leichtes Lächeln zierte meine rosigen Lippen.
Ich musste schön geträumt haben, eine Seltenheit. Sonst hatte ich vor allem früher oft mit heftigen Alpträumen zu kämpfen gehabt. Mittlerweile war es glücklicherweise besser geworden. Ganz zu Freuden meiner Quartierpartnern.
Lange Wimpern warfen dichte Schatten auf meine Wangen.
Der Maler war ausgesprochen begabt. Selbst ich musste zugeben, das ich wunderschön aussah.
,,Der Künstler hat Talent. Du solltest ihn fördern.'' Ich riss mich von dem Bild los und drehte mich zu Leyon um, der unbemerkt hinter mich getreten war und nur langsam seinen Blick von dem Gemälde zu mir gleiten ließ.
,,Diese Schönheit kommt nicht von den Fähigkeiten eines Künstlers, sondern von dir, Lyana. Er hat dich nur so wiedergegeben wie du bist. Du bist wunderschön, Prinzessin.'' Ein liebevoller Ausdruck lag in seinen Augen, als er sanft seine Hand an meine Wange legte und mit den Fingerknöcheln darüber strich. Die Berührung löste einen kleinen Schauer in mir aus und schnell wich ich, erschrocken von diesem Gefühl, was er vermochte in mir auszulösen, von ihm zurück.
Enttäuschung blitzte in seinen Augen auf, die er schnell verbarg. ,,Lass uns in den kleinen Salon nebenan gehen. Dort können wir speisen.''
Ich folgte ihm stumm in eines der Nebenzimmer, das von den Farben und der Einrichtung fast identisch mit dem vorherigen war. Nur das hier auch ein kleiner Esstisch stand mit zwei Stühlen. Kurz fragte ich mich wie viele einsame Mahlzeiten Leyon hier wohl schon eingenommen hatte.
Ich ließ mich auf dem weichen Stuhl ihm gegenüber nieder und vermied es tunlichst ihn anzusehen. Was machte ich hier überhaupt? Ich sollte mir neue Mordpläne überlegen, anstatt mir mit meinem Ziel in dessen Zimmern Nachspeisen servieren zu lassen.
Trotzdem lächelte ich, als zwei Bedienstete still ins Zimmer huschten und einen Dessertwagen neben den Tisch schoben. Routiniert deckten sie mit schnellen Bewegungen den Tisch ein und verschwanden genauso leise wieder wie sie aufgetaucht waren.
,,Was möchtest du? Es gibt Zitronensorbet, Erdbeertörtchen, Pralinen, Blätterteiggebäck und verschiedene Küchlein, mit Sahne, wenn du willst.'' Leyon deutete auf die jeweiligen Nachtische und sah mich dann fragend an.
Unentschlossen betrachtete ich die Auswahl, konnte mich aber einfach nicht entscheiden. Ich war bisher nur selten in den Genuss solcher Köstlichkeiten gekommen, einige der hier angebotenen Dinge hatte ich noch nie zuvor probiert. Dabei dufteten sie alle so lecker! Das wollte ich jetzt unbedingt nachholen.
,,Von allem etwas, wenn das geht.''
Leyon lächelte. ,,Natürlich. Nimm dir was und soviel du willst.''
Strahlend und mit einem gierigen Glitzern in den Augen lud ich mir den Teller voll und probierte auch gleich den ersten Bissen vom Erdbeertörtchen. Der unvergleichliche Geschmack von süßen Erdbeeren breitete sich auf meiner Zunge aus und ich schloss genüsslich die Augen. Es war unglaublich lecker! Mir entwich ein leises Stöhnen. Erschrocken über den Laut, den ich von mir gegeben hatte, riss ich die Augen auf und sah direkt in Leyons, die eine Nuance dunkler wirkten, als noch vor einer Minute. Trotzdem lag neben einem Ausdruck, den ich nicht zuordnen konnte, ein belustigtes Funkeln.
,,Erstaunlich, wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, du isst zum ersten Mal ein Erdbeertörtchen. Süß''
Mit rot angelaufenen Wangen sah ich schüchtern weg. Das alles hier war ungewohnt für mich. Die Art wie ich behandelt wurde, der Wohlstand der mich umgab. Einfach alles. Ich war mit Verachtung, Hass, Boshaftigkeit und grausamer Brutalität aufgewachsen und später bei den Rebellen mit Verzweiflung, Verbitterung und Wut. Denn daraus war die Rebellion entstanden. Aus diesem tiefen, nicht enden wollenden Leid, dass ein doch nicht gerade kleiner Teil der Bevölkerung Tag für Tag durchleben musste.
Und hier? Hier erfuhr ich Ehrerbietung, Angst, Respekt, Bewunderung und....Zuneigung. Das war neu für mich. Ich war Bezeichnungen wie Miststück, Gossenkind und Abschaum gewohnt; süß, Mylady und Prinzessin hatte ganz sicher nie dazugezählt.
Aber sie brachten diese neuen Begriffe und Emotionen nicht mir entgegen, sondern Lady Lyana Dorados. Das durfte ich nie vergessen. Lyana Kariba würde auch hier wie Dreck behandelt werden, nicht mehr wert als Abfall. Denn so wurde ich mein Leben lang behandelt, es war mir eingeprügelt worden. Ich verdankte den Rebellen mein Leben, alles. Da sollte ich mich darauf konzentrieren sie stolz zu machen und meinen Auftrag endlich erfüllen. Doch was tat ich stattdessen? Schlemmte mir mit dem Prinzen den Bauch voll! Ich versagte auf ganzer Linie.

Lyana- The Story of a QueenWhere stories live. Discover now