27. Kapitel

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Königin.
Ein Wort mit dem ich mich nie in Verbindung gebracht hätte. Und doch wurde mir der Druck, der auf mir lastete, immer bewusster. Er erdrückte mich förmlich, als wäre ich nichts weiter eine Kakerlake, die von einem Schuh zerquetscht wurde. Der Schuh symbolisierte ganz Crowen. Das Volk, den Adel, die Rebellen und die Königsfamilie. Oder  viel mehr das, was von ihr übrig geblieben war.
Denn kaum war der König tot, hatten die Rebellen sich auch um Königin Jallyne gekümmert. Sie wurde erstochen in ihren Gemächern aufgefunden. Auch wenn es wie Selbstmord aussah, wusste ich, dass es richtiger Mord war. Trotzdem tat ich bestürzt, als einer der Wachen aus ihrer persönlichen Leibgarde hervortrat und die schockierende Nachricht bekannt gab. Es hieß, Königin Jallyne hätte den schrecklichen Tod ihres geliebten Gemahls nicht verkraftet und wäre ihm noch in derselben Nacht in den Tod gefolgt. Lächerlich, wenn man bedenkt wie unterkühlt der Umgang zwischen den Beiden war. Außerdem hatte sich der König laut Gerüchten zufolge nicht gerade selten mit Mätressen vergnügt. Viel mehr schätzte ich, dass Xander oder ein anderer Rebell hier im Palast sie beseitigt hatte.
Die Meldung über den plötzlichen Tod des Königspaars verbreitete sich im ganzen Land wie ein Lauffeuer.
Die Reaktionen darauf fielen, soweit ich das mitbekommen hatte, gemischt aus. Ich hatte durchaus die Erleichterung und Hoffnung in den Augen der Bediensteten gesehen und war mir sicher das es einem Großteil des Volkes genauso ging. Ich fühlte jedenfalls das Gleiche, wenn auch gemischt mit Angst vor der Zukunft und der Verantwortung, die sich mir stellte. Angst. Nicht nur davor hatte ich sie. Was würde passieren, wenn Leyon herausfand, wer für den Tod seiner Eltern verantwortlich war? Denn da machte ich mir nichts vor.
Fast automatisch wanderte mein Blick zu Leyon. Mit gestrafften Schultern und unbewegten, nahezu versteinertem Gesicht stand er erhaben neben mir und war gerade in eine leise Unterhaltung mit seinem ersten Offizier verwickelt. Sie gingen gerade nochmal die letzten Details der Sicherheitsvorkehrungen durch, die getroffen worden waren. Die Wachen waren vermehrt worden, fast überall standen sie nun. Die königliche Leibgarde, die nun komplett unter Leyon's Befehl stand, war noch aufmerksamer und vorsichtiger geworden als vorher schon. Jegliche Speisen und Getränke, die der Prinz und ich zu uns nahmen, wurden vor dem Verzehr genauestens geprüft. Auch die Anzahl der Wachen vor den Türen zu meinem und Leyon's Gemächern hatte sich verdoppelt.
Wäre die Lage nicht so ernst, wäre ich vielleicht belustigt gewesen. So viel Aufwand um für unsere Sicherheit zu garantieren, dabei befand sich der Mörder -beziehungsweise die Mörderin- doch schon mitten unter ihnen. Ja, war sogar mit das Zentrum ihres Schutzes. Was für eine Ironie.
Mein Blick fiel auf das Spiegelbild, das von einem der großen Fenster zurückgeworfen wurde. Eine mitternachtsblaue Robe schimmerte unter einem schwarzen Samtcape, das an der Brust der jungen Frau von einem funkelnden Onyx zusammengehalten wurde. Die obere Hälfte ihres feinen Gesichts wurde von dem dünnen, schwarzen Spitzenschleier ihres Pillbox-Hut verdeckt. Ihre schmalen Hände waren behandschuht, sonst trug sie keinerlei Schmuck.
Bei einem Trauerfest war schwarze Kleidung Pflicht. Leyon und ich trugen jedoch um unseren Stand hervorzuheben als einzige auch dunkelblau. Auf Schmuck wurde gänzlich verzichtet, um den Verlust der Trauernden zu untermauern.
Neben meinem tauchte nun ein zweites Spiegelbild auf. Leyon stellte sich neben mich und ich kam nicht umhin festzustellen, dass ihm die schwarz-blaue Uniform ausgezeichnet stand. Es ließ ihn dunkler wirken und hob seinen eher blassen Hautton hervor. Er sah mehr aus wie eine schöne, zum Leben erwachte Statur, statt wie ein Mensch.
Als unsere Augen sich trafen, verhakten sich unsere Blicke ineinander. Ich suchte in dem dunklen Grün nach einem Anzeichen der Wärme, die immer in seinen Augen lag, wenn er mich ansah. Doch irgendetwas hatte sich in den letzten Tagen verändert. Sein Verhalten mir gegenüber war nach dem Fiasko im Wintergarten anders geworden. Reservierter, kühler. Wenn sein Blick nun auf mich traf, waren die Emotionen und Gefühle in ihnen andere als vorher. Härter, irgendwie. Dem liebevollen Ausdruck voller Zuneigung und Leidenschaft war ein kühler gewichen. Manchmal lag in ihm ein tiefer Ausdruck von Schmerz, dann von Wut und Hass und schließlich Unsicherheit und Schuld. Generell wirkte er nachdenklicher und vorsichtiger. Er war verändert.
Und ich verwirrt. Ich konnte seinen plötzlichen Verhaltensumschwung nicht wirklich nachvollziehen. Der Korb im Wintergarten konnte nicht dafür verantwortlich sein, so schätzte ich ihn nicht ein. Aber wenn nicht das, was dann? Lag es am Tod seiner Eltern? Aber es kam mir nie so vor, als würden sie sich besonders nahestehen. Im Gegenteil, nicht selten war mir der blanke Hass in den Augen des Prinzen aufgefallen, wenn er seinen Vater und seine Mutter angesehen hatte. Oder täuschte ich mich da? Nein, da war ich mir sicher. Was konnte....Hatte Kleà vielleicht ihrem Bruder von dem Gespräch erzählt? Wusste er etwa Bescheid? Das würde sein neues Benehmen mir gegenüber erklären. Aber, wenn es so wäre, warum weilte ich dann noch unter den Lebenden? Wieso stellte er mich dann nicht zur Rede und ließ mich in den Kerker werfen und später hinrichten?
Und sollte die kleine Prinzessin doch geschwiegen haben, was war dann der Grund?
Verzweiflung über meine Unwissenheit machte sich in mir breit.
Ich riss mich von dem unergründlichen Grün seiner Irden ab, was ungewöhnlich stumpf wirkte. Das Funkeln war aus ihnen gewichen, nun schienen sie matt. Was auch immer den Prinzen so beschäftigte, es machte ihn fertig. Innerlich.
Selbst die Bewegung, als er seinen Arm mir zum Einhaken bot, erschien kraftlos. Leicht runzelte ich die Stirn und konnte den Anflug von Besorgnis nicht verdrängen. ,,Alles in Ordnung mit dir, Leyon?''
Leyon mied meinen Blick. ,,Das Versterben meiner Eltern scheint mich mehr mitzunehmen, als erwartet.'' 
Er log. Doch ich ging nicht näher darauf ein. Stattdessen zwang ich mich meine Mundwinkel aufmunternd ein Stück zu heben und strich ihm leicht über den Arm. Bei meiner sanften Berührung spannte sich sein ganzer Körper an und verkrampfte, schnell stoppte ich in meinem Tun und ließ mir nicht anmerken, das seine Reaktion mich ein wenig verletzt hatte.
,,Ich bin bereit.'', teilte ich ihm so unbedarft wie möglich mit. Die angespannten Armmuskeln unter dem Stoff ignorierte ich so gut es ging und richtete meine Konzentration stattdessen auf das, was vor mir lag. Das Trauerfest zu Ehren König Lysander und Königin Jallyne, bei dem der gesamte Adel sich am Palasthof eingefunden hatte.
Leyon nickte dem ersten Offizier zu, der daraufhin seinen Soldaten ein Zeichen gab. Dann wurde das gewaltige Eingangsportal geöffnet und Leyon und ich traten umgeben von Leibwachen aus dem Palast. Kühle Luft schlug uns entgegen und ich musste den Drang unterdrücken das Samtcape enger um mich zu legen.
Der schwarze Spitzenschleier vor meinen Augen störte ein wenig, doch wurde schnell ausgeblendet, als mein Blick auf die schwarze Menge zu unseren Füßen fiel. Die schwarzen Kleider bauschten sich leicht auf, als einer nach dem anderen in einen Knicks oder eine Verbeugung fiel.
An der Seite des Prinzen schritt ich die breite Steintreppe herunter und zu den beiden Thronen, die im schwachen Schein der wenigen Sonnenstrahlen, denen es gelang die verhangene Decke des Himmels zu durchbrechen, Gold funkelten. Ich nahm auf dem Thron zur Rechten von Leyon auf dem pechschwarzen Samtkissen Platz, mit dem er ausgelegt war, um das Sitzen angenehmer zu gestalten. Nie hätte ich auch nur zu träumen gewagt jemals auf einem Thron zu sitzen.
Meine Augen zuckten kurz hoch zum bedeckten Himmel, an dem sich die dunkelgrauen Wolken zusammenbrauten. Es schien fast so, als würde der Himmel die düstere Stimmung, die auf diesem Platz herrschte, widerspiegeln wollen.
Ohne es zu wollen fiel mein Blick wieder auf Leyon und ich betrachtete ihn von der Seite. Steif saß er auf dem ehemaligen Thron seines Vaters und ließ seinen Blick über die vielen Gesichter in den dunklen Gewändern schweifen, die sich alle bemühten Trauer zu heucheln.
Auf einmal war ich froh den Schleier aus schwarzer Spitze zu tragen, der meine Augen verdeckte. Denn auch ich tat nichts anderes. Ich war nicht nur eine Lügnerin und Betrügerin, sondern auch eine Heuchlerin. Ich hatte nicht das Recht hier zu sein und Trauer und Mitleid vorzutäuschen, wenn ich doch diejenige gewesen bin, die für ihre Tode verantwortlich war. Oder zumindest für den des Königs. Wobei ich damit ja den Startschuss für den Mord an Königin Jallyne gegeben hatte. Also lag ihr Tod auch irgendwo in meiner Verantwortung.
Es war falsch hier zu sitzen, Teil des Trauerfestes zu sein.
Ich wandte meinen Blick von Leyon ab und suchte in der Menge nach bekannten Gesichtern. Ich entdeckte Atlanta und den Herzog und musste ein belustigtes Schmunzeln unterdrücken, als ich ihren verzweifelten Versuch vernahm ihre Trauermiene zu halten. Wüsste ich nicht, dass sie gerade Genugtuung und Schadefreude empfand, hätte ich es ihr vielleicht sogar abgekauft. Ich hielt weiter nach Xander Ausschau, konnte ihn jedoch nicht entdecken.
Die Menge teilte sich in der Mitte und zwei Leichensärge wurden im Zentrum des Platzes nur wenige Meter vor den Thronen abgelegt. Zwei Tonsöckel ebenfalls.
Ich kannte das Ritual der königlichen Totenbestattung. Jeder in Crowen hatte schon mal davon gehört. Doch ich empfand es irgendwie als ein wenig lächerlich. Vor langer Zeit hatte es einen König gegeben, der vor Eitelkeit nur so gestrotzt hatte. Er wollte nach seinem Tod nicht unter der Erde versauern, aber auch nicht in Flammen aufgehen. Nein, der alte König wollte eine neue, ganz spezielle Art von Totenbestattung, die nur ihm und seinen Nachkommen zu Teil werden sollte. Seine Leiche sollte in dem härtesten Ton des Reiches eingeschlossen und in der königlichen Gruft als Statue aufgestellt werden. Ein Künstler sollte den Ton so gestalten, dass die Statue genauso aussah wie er zu Lebzeiten.
Diese Tradition wurde über die Jahre hinweg fortgesetzt und so wurde jedes Königspaar von Crowen auf diese Weise bestattet. Mir würde dies wohl ebenfalls gebühren, sollte ich bis zur Krönung noch leben und nicht aufgeflogen sein. Oder etwas anderes dazwischen kommen. Noch waren Leyon und ich nicht verheiratet.
Zwei kräftige Männer in schwarzer Lederkluft traten hervor, verbeugten sich vor uns und holten dann zusammen mit ein paar Soldaten vorsichtig die Leichen aus ihren Särgen. Sie stellten die beiden jeweils auf einen Sockel. Während die Soldaten sie ohne eine Mimik zu verziehen festhielten, holten die beiden Männer mit weiterer Hilfe zwei große Kessel mit flüssigem Ton und stellten sie neben sich ab. Dann wurden Seile um die Fußknöchel des toten Königspaares geschlungen und gleichzeitig wurden sie kopfüber in die Tonkessel getaucht, bis zu dem Seil. Schnell wurden sie wieder rausgezogen, bevor der Ton trocknen konnte und auf die Sockel zurückgestellt. Dort wurden die Seile gelöst und ihre Füße übergossen, sodass sie nun an dem Sockel haften bleiben würden. Als nächstes trat eine großgewachsene Frau  vor und begann noch in den flüssigen Ton mit einer dünnen Stahlklinge die Konturen in den grauen Ton zu ritzen, der anfing sich zu festigen.
Während dem ganzen rituellen Prozess war es auf dem Platz fast schon beängstigend still. Kein einziges Wort wurde gesprochen, kein lautes Geräusch verursacht. Manche bewegten sich noch nicht einmal.
Mit einer weiteren tiefen Verbeugung traten alle drei wieder in den Hintergrund zurück. Nun richtete sich alle Augen auf uns. Leyon erhob sich und blickte kühl über die Menge. Seine Haltung war stolz und er machte einen nahezu unantastbaren Eindruck. Eine beeindruckende Leistung angesichts des Anlasses aus dem wir uns hier versammelt hatten. Ich sah genauso wie jeder andere zu ihm auf, als er seine Stimme erhob. ,,Verehrter Adel von Crowen,'' Seine tiefe Stimme hallte über den ganzen Platz, laut und klar, dennoch brüllte er nicht. Keine einzige Emotion schwang in ihr mit, sie war genauso ausdruckslos wie sein Gesicht. Aber wahrscheinlich musste das so sein. Gerade jetzt durfte sich der Prinz keine Schwäche erlauben. Er musste stark, stolz und mächtig rüberkommen. Niemand durfte ihn nun im Angesicht des plötzlich eintretenden Machtwechsels anzweifeln. Leyon musste jetzt zeigen, dass er die Kontrolle behielt und alles im Griff hatte. Sonst würde sein Herrschaftsantritt von Blutbädern und Aufständen gezeichnet sein.
,,wir haben uns heute hier versammelt um von unserem hochverehrten König Lysander Avenik Crowen und unserer geliebten Königin Jallyne Verania Kerin Crowen Abschied zu nehmen. Über zwanzig Jahre haben sie zusammen dieses wundervolle Reich regiert und ihm ihren Dienst erfüllt.'' Bei diesen Worten konnte ich mir noch gerade so ein spöttisches Auflachen verkneifen. Diesem Land seinen Dienst erfüllt? Das ich nicht lachte. Sie hatten vermutlich alles getan, nur nicht das.
,,Nun jedoch mussten sie plötzlich auf tragische Weise das Zeitliche segnen.'' Ein leises, unterdrücktes Gemurmel brachte Unruhe in die Menschenmenge. Es kursierten schließlich allerhand Gerüchte.
Leyon hatte noch in derselben Nacht verkündet, dass der Tod des Königs nicht auf einen willentlichen Mord zurückzuführen war, sondern ein plötzlicher Anfall. Herzprobleme. Das war für mich überraschender gekommen als ein Sandsturm in der Wüste. Denn es stimmte einfach nicht. Und das musste er auch wissen. Wieso log er wissentlich sein Volk an, hatte wahrscheinlich noch die Ärzte zu Stillschweigen verdonnert? Warum? Hatte er Angst, dass man mich verdächtigen würde? Unwahrscheinlich war das nämlich nicht. Schließlich war ich diejenige gewesen, die dem König das Glas überreicht hatte. Das ich also vermutlich umgehend im Kerker landen würde, ganz egal welchen Stand ich nun hatte, wäre gewiss gewesen. Wollte der Prinz das verhindern? Sein Verhalten war im Moment so widersprüchlich, dass ich ihn gerade so gar nicht einschätzen konnte. Und das bereitete mir Sorge. Berechtigt, wie ich fand.
Trotzdem gab es durchaus hinter vorgehaltener Hand Getuschel über einen anderen Grund für den Tod des Königspaars, der so einfach und simple war wie das Einmaleins und gleichzeitig so schwer und kompliziert war wie das Erklimmen einer glatten Felswand ohne Ausrüstung: Mord.
Ungerührt fuhr Leyon fort: ,,Als Prinz von Crowen ist es nun meine Pflicht innerhalb der nächsten vier Wochen mein Erbe anzutreten und als Trohnfolger dieses Reiches mein Geburtsrecht -die Krone- einzufordern. Sobald das Trauerfest zu Ehren meiner Eltern vorbei ist, beginnen die Vorbereitungen für die Krönungszeremonie und auch die Hochzeit wird vorgezogen. Schon Ende nächster Woche werde ich meine wunderschöne Verlobte zur Frau nehmen und direkt danach zum neuen König gekrönt werden.'' Für eine winzige Sekunde entglitten mir die Gesichtszüge, bevor ich wieder die unbeteiligte Maske aufsetzten konnte. In mir drinnen begann die Wut zu brodeln wie die Lava in einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Leyon hatte schon wieder einfach über meinen Kopf hinweg eine solch bedeutende Entscheidung getroffen! Wie konnte es sein, das ich -als die Braut- von der Verschiebung der Hochzeit erst zur selben Zeit wie die Gäste erfuhr? Und wer hatte überhaupt mal gefragt, ob ich schon nächste Woche heiraten wollte?
,,Morgen wird es eine weitere Versammlung geben, diesmal im kleineren Kreis mit meinen Beratern, bei denen die Details und Änderungen bezüglich der kommenden Zeit näher besprochen werden. Nun jedoch, möchte ich an den traurigen Anlass heute erinnern und um eine Schweigeminute bitten, an Gedenken an den König und die Königin, über deren Verlust wir alle tiefe Trauer und Schmerz verspüren.'' Natürlich. Erneut hätte ich beinahe spöttisch aufgelacht. Und wieder war ich froh über den Spitzenschleier, der meine Augen verdeckte. So konnte niemand die alles andere als dem Anlass entsprechenden Emotionen in ihnen sehen.
Wie als wären Leyon's Worte ein überdeutliches Zeichen gewesen, sanken auf einmal alle Frauen synchron mit gesenkten Häuptern in einen tiefen Knicks, die schwarzen Röcke bauschten sich um sie herum auf. Die Männer gingen in derselben Synchronität mit gesenkten Köpfen auf ein Knie, die rechte Hand am Schwertgriff.
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr wie Leyon dasselbe wie die anderen adeligen Männer tat, um seinem Vater und ehemaligen König ein letztes Mal Respekt zu zollen. Ich begriff, dass ich vielleicht dasselbe tun sollte. Erst jetzt viel mir mein Fauxpas auf. Anstatt während der Rede des Prinzen an seiner Seite zu stehen, hatte ich seelenruhig auf dem Thron gesessen. Als einzige wohlgemerkt.
Leyon hatte mich wohl nicht vor versammelten Hofstaat blamieren wollen und mich nicht auf mein peinliches Versäumnis hingewiesen. Ein Funken Dankbarkeit glomm in mir auf.
Schnell erhob ich mich und folgte dem Beispiel der Adelsfrauen, wobei ich mich bemühte meine Bewegungen besonders anmutig zu vollziehen, um nicht noch einen schlechteren Eindruck zu hinterlassen, ihn vielleicht sogar auszugleichen.
Eine Minute lang verharrten alle in dieser Position, still und ohne sich zu regen. Die Ruhe, die sich über den Hof gelegt hatte, wurde einzig und allein gelegentlich von dem fröhlichen Gezwitscher eines Vogels oder dem leisen Rauschen des Windes unterbrochen. Die Stille ließ sich fast schon als andächtig beschreiben.
Dann richteten sich alle wieder auf. Diesmal blieb ich mit erhabener Haltung neben Leyon stehen. Dieser bedachte mich mit einem kurzen Seitenblick und hielt mir dann die Hand hin. Ich legte meine Hand in seine kühle und ließ mich von ihm zu den beiden Statuen geleiten. Ein Diener tauchte neben uns mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung auf und hielt uns ein Gefäß voller schwarzer Farbe hin. Leyon tauchte zuerst seinen rechten Zeigefinger in die Schwärze und trat dann direkt vor die Statue des Königs. Feinsäuberlich zeichnete er das Wappen von Crowen auf die Stirn.
Nun war ich dran. Vorsichtig tunkte ich meinen Finger ebenfalls in die nasse Farbe und tat bei der Königin dasselbe, wie der Prinz bei seinem Vater.
Leyon wandte sich an die Menge. ,,Mögen König Lysander Avenik und Königin Jallyne Verania Kerin in Frieden ruhen, in dem Wissen das Crowen in guten Händen liegt.'' Unsere Leibwachen erschienen wie auf ein unsichtbares Kommando hin neben uns. ,,Nun werden Lady Lyana und ich uns zurückziehen, wir danken euch für euer Beiwohnen.''
Ich verspürte große Erleichterung darüber, dass niemand von mir verlangt hatte ebenfalls eine Rede zu halten. Es wäre mir mehr als unangenehm gewesen. Ein letztes Mal schaute ich mich nach den bekannten eisigen Augen um, konnte sie jedoch auch jetzt nicht ausmachen und musste schließlich innerlich seufzend aufgeben. Xander musste hier irgendwo sein, der ganze Adel -abgesehen von Kindern- musste bei solchen Versammlungen zugegen sein. Aber ich konnte ihn einfach nicht entdecken. Vielleicht hatte er sich gedrückt und zu den Rebellen zurückgezogen? Das war gar nicht so unwahrscheinlich, auch wenn ich es mir schwer vorstellen konnte. Schließlich wäre es bei seinem Doppelspiel klüger dem Adel nicht unangenehm aufzufallen, und Xander wusste das. Wusste sein Vater eigentlich von Xander's Rolle bei der Rebellion? Die Frage ließ mich stutzig werden. Der Fürst müsste doch eigentlich gemerkt haben, dass Xander nicht gerade oft Zuhause war, also ließ sich darauf schließen. Andererseits, hätte Xander mir das nicht mitgeteilt? Und wer wusste eigentlich noch aus dem Adel mehr als er zugab? Das Herzogspaar von Dorados, der zukünftige Fürst von Lundos und vielleicht auch sein Vater...was war eigentlich mit Xander's Mutter? Fragen über Fragen. Ich kam mir so unwissend wie noch nie zuvor in meinem Leben vor. Wissen war Macht, ging man danach würde ich wohl zu den machtlosesten Wesen des Universums gehören.
,,Vorsicht!'' In letzter Sekunde gelang es Leyon mich vor dem Sturz zu bewahren. Er riss mich an sich heran, sodass ich mich nun dicht an seiner Brust wiederfand. Erschrocken weiteten sich meine Augen, gerade noch konnte ich einen Aufschrei unterdrücken. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich die steinerne Treppenstufe nicht richtig genommen hatte und auf der Kante beinahe umgeknickt und zurückgefallen wäre, hätte der Prinz nicht so schnell reagiert und mir die bodenlose Peinlichkeit erspart vor versammelten Hofstaat zu Boden zu gehen, indem er mich in seine Arme gezogen hatte.
Seine Brust hob sich genauso schnell wie meine. Unter meinen Händen, die wie automatisch auf seinem Brustkorb gelandet waren, konnte ich seinen beschleunigten Herzschlag wahrnehmen. Wild pochte sein Herz gegen meine Handfläche. Ich wagte es nicht auch nur an eine andere Ursache als den Schock meines Beinahe-Unfalls zu denken. Dass er so auf meine Nähe reagieren könnte, würde nur für unnötiges und vor allem falsches Denken meinerseits führen. Auch wenn der Gedanke ich könnte an seinem rasenden Herzschlag Schuld sein, mein eigenes Herz vor Freude unfreiwillig einen kleinen Hüpfer machen ließ.
Vorsichtig schaute ich zu ihm auf und als unsere Augen sich trafen, konnte ich endlich wieder ein paar andere Emotionen als Kälte, Schmerz und Wut aus ihnen herausfiltern. Neben dem verständlichen Schock lagen Sorge und auch eine Spur Verlangen  in seinem Blick, als Leyon auf mich herabsah. Sein Griff um meinen Körper herum verfestigte sich und er drückte mich noch ein wenig näher an ihn. Ich war viel zu überrascht und geschockt, um zu irgendeiner Reaktion fähig zu sein und so hing ich wie eine leblose Puppe in seinen Armen, während Leyon mich festhielt als würde die Welt untergehen, wenn er los ließe. Aber wenn ich ehrlich war, musste ich mir eingestehen, dass ich mich genau hier -in den Armen des Prinzen- so wohl und sicher wie nirgendwo anders fühlte. Ich genoss die Wärme, die von ihm ausging. Die Nähe zu ihm. 
Die verzweifelte Sehnsucht, die seine Augen auf einmal zu vereinnahmen schien, warf mich völlig aus der Bann. Ich versank in dem nun wieder strahlenden Grün seiner Irden. Die Mattheit war aus ihnen gewichen, sein vorher noch abgestumpfter Blick glühte förmlich. Seine Arme um mich erhöhten den Druck noch mehr und ich konnte mich nicht mehr bewegen, so dicht presste er mich an sich. Der Prinz wirkte als wolle er mich nie wieder loslassen. Und erschreckender Weise fand ich den Gedanken daran nichtmal schlimm. Im Gegenteil, ich wollte sogar für immer in seiner festen Umarmung gefangen bleiben. Beschützt vorm Rest der Welt, abgeschottet von Leid und Morden, frei von Zwängen und Druck.
Ein Räuspern riss uns aus der kleinen, sicheren Blase in der wir uns gerade noch befunden hatten und ließ uns beide aufschrecken. Ein bedauerndes, wehmütiges Gefühl machte sich in mir breit, als Leyon seine undurchdringliche Maske wieder aufsetzte und mich augenblicklich los ließ. Sofort fehlte mir das wärmende Gefühl seiner Arme um mich.
Nie hätte ich auch nur in Erwägung gezogen, dass ich mich einmal nach der wohltuenden Nähe des Prinzen von Crowen sehnen würde. Doch genau hier und jetzt würde ich mich am liebsten direkt wieder zurück in seine starken, schutzbietenden Arme flüchten.
Ich drängte die aufkommenden Gefühle und Gedanken zurück und schenkte Leyon ein minimales, dankbares Lächeln, was zu meiner Verwunderung keine Erwiderung fand, bevor ich wieder seinen angebotenen Arm nahm und wir den Weg fortsetzten, als wäre nie etwas gewesen. Als hätte es diesen Moment gerade nicht gegeben.
Diesmal passte ich genau auf wohin ich ging und raffte mit der freien Hand, die nicht auf Leyon's Arm lag, den Rock des Kleides ein wenig, um besser zu gehen und das Risiko eines erneuten Sturzes zu verringern.
Wir hatten gerade das Ende der breiten Steintreppe erreicht, als etwas nasses meine Haut traf. Überrascht schaute ich erst auf meine Hand, auf der ein kühler Tropfen langsam eine dünne, feuchte Spur hinterließ, und dann hoch in den Himmel, der sich mittlerweile noch mehr verdunkelt hatte. Die Sonne war nun komplett von dem dichten Wolkenvorhang verdeckt worden, der sich wie eine undurchdringliche Wand vor den Himmel geschoben hatte und das Blau vollständig durch ein dunkles Grau ersetzte. Immer mehr dicke Tropfen lösten sich aus aus den schweren Wolken und innerhalb von Sekunden regnete es in Strömen. Der Wind frischte auf und die Böen nahmen an Kraft zu.
Mein Blick fiel auf den Platz, wo reger Tumult herrschte. Alle rannten so schnell wie möglich zu ihren Kutschen, um sich vor dem nassen Wasserfall in Sicherheit zu bringen. Höfische Protokolle waren vergessen, einzige Priorität war es Schutz vor dem starken Regen und dem herannahenden Unwetter zu finden. Das Grollen eines Donners in der Ferne kündigte laut einen Blitz an, der Sekunden später grell den schwarzen Himmel spaltete.
Ich zog das Samtcape um mich enger, während Leyon mein Handgelenk packte und mich eilig hinter sich her ins Innere des Palastes zog. Mit einem dumpfen Schlag fiel die gewaltige Tür hinter uns zu. Zum ersten Mal seit ich hier war, war die riesige Eingangshalle nicht lichtdurchflutet. Sie vermittelte nun ein eher einschüchterndes, düsteres Flair, aber vermutlich kam mir das auch nur so vor.
Um den dunklen Saum meines Kleides herum bildete sich eine kleine Pfütze, die mit jedem weiteren Tropfen, der sich aus dem dunkelblauen Stoff löste und auf den marmornen Boden fiel, größer wurde. Einer der Regentropfen rann mir seitlich über die Stirn und gerade als ich ihn wegwischen wollte, kam mir Leyon zuvor. Mit dem Daumen wischte er mir den Tropfen weg, wobei mich bei der sanften Berührung ein Schauer überlief. Dann strich er eine nasse Strähne, die an meiner Stirn klebte, aus meinem Gesicht. Anstatt danach jedoch seine Hand zurückzuziehen, spürte ich wie kühle Fingerspitzen hauchzart über meine Wange strichen, wie ein seichter Windhauch an einem warmen Sommertag. Ich erzitterte leicht unter seiner Berührung. Ungewollt fielen meine Augen zu, so sehr genoss ich die liebevolle Behandlung, die der Prinz mir gerade zukommen ließ. Noch nie war ich so berührt worden. Mir wurde warm. Die Kälte, die zuvor in meinen Gliedern steckte, war verschwunden. Zurück blieb ein angenehmes Kribbeln und eine Gänsehaut, die jedoch nicht Temperaturen ausgelöst wurde. Nein, Leyon war der Grund. Mein Körper reagierte auf ihn. Ich reagierte auf ihn wie ich es bei keinem anderen tat.
Seine Finger wanderten andächtig weiter, zogen mit der gleichen Zärtlichkeit eine Spur über mein Kinn zu meinem Hals. Es fiel mir zunehmend schwer einfach nur dazustehen, doch ich wollte keine falsche Bewegung machen, zu groß war die Angst, er könnte aufhören. Es sollte mich erschrecken wie sehr sich mein Denken ihm gegenüber geändert hatte, aber seltsamerweise tat es das nicht. Wie konnte etwas, das so falsch war, sich so richtig anfühlen? Es war mir unbegreiflich und dennoch konnte ich nicht anders als den Atem anzuhalten, als seine Fingerkuppen über die Seite meines Halses wanderten und sich einen Weg zu meinem Dekolleté bahnten. Ich nahm seinen schnellen Atem wahr, der mich wie ein warmer Hauch voller süßer Versprechungen streifte. Auch meine Brust hob sich immer schneller.
Leyon überwand den Übergang von meiner Haut zum Kleidungsstück und fuhr über den samtenen Stoff des schwarzen Capes weiter, bis zu der Stelle, an der sich die beiden Stofflagen teilten. Kurz zögerte er, bevor er mit den Fingern schließlich unter den Stoff fuhr. Erneut stockte mir der Atem, als ich seine Fingerspitzen über die bloße Haut meines Dekolletés entlang des Ausschnitts streifen spürte. Er berührte sanft die Ansätze meiner Brüste, strich über sie wie ein Sammler über sein kostbarstes Stück. Ich bebte leicht unter seinen Fingern, so sehr reagierte ich auf seine Berührungen.
Doch ein einziger Gedanke ließ mich aus meinem verträumten, tranceähnlichen Zustand aufschrecken. Wir befanden uns mitten in der imposanten Eingangshalle des Palastes, wir waren hier nicht alleine.
Ich schlug ernüchtert die Augen auf und trat ruckartig einen Schritt zurück. In Leyons von Verlangen vernebelten Blick schlich sich nun ein verwirrter Ausdruck. Nur langsam zog er seine Hand zurück und schloss für einen Moment um Fassung ringend die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren sie genauso klar wie vorher, auch wenn ich bei genauerem Hinsehen immer noch eine Spur der eben empfundenen Emotionen entdecken konnte.
Peinlich berührt sah ich mich in der Halle um. Die Wachen einschließlich unserer Leibgardisten hatten sich diskret in den Hintergrund zurückgezogen und sahen alle beschämt mit knallroten Köpfen überall hin, nur nicht zu uns.
Verdammt, war das peinlich!
Nichtmal das angeschwollene Donnergrollen und die Blitze, die immer wieder schaurige Schatten an die Wand warfen und für wenige Wimpernschläge die dämmrige Halle erleuchteten, wenn ihr grelles Licht durch die großen Fenster fiel, hatte ich wahrgenommen, so sehr war ich in dieser kleinen Welt, die nur aus Leyon und mir bestand, versunken gewesen.
Erst jetzt merkte ich, wie ich zitterte, und das das wohl dem nassen Kleid, in dem ich immer noch steckte, zu Verschulden war. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper und sah zu Leyon, in der Hoffnung, dass er diese peinliche Situation beendete und mir irgendein Zeichen gab, dass ich mich jetzt in meine Gemächer zurückziehen konnte. Sonst würde ich mich womöglich noch ernsthaft erkälten, denn mittlerweile war mir wirklich kalt. Die Nähe zu Leyon hatte mich davon abgelenkt, aber jetzt fror ich entsetzlich.
Seufzend zog mich der Prinz  wieder zu sich und schloss mich in eine wärmende Umarmung, auch wenn ihm selber ziemlich kalt sein musste, schließlich waren seine Kleider ebenfalls von kühler Nässe durchdrängt. Er richtete sich an eine Dienerin, die mit gesenktem Blick und roten Wangen in der Ecke stand. Beschämt vergrub ich mein Gesicht an seiner Brust, dass diese nass war, war mir dabei egal. Hauptsache ich musste sie nicht länger ansehen und konnte mein Gesicht verstecken. Gott, war das peinlich.
,,Du da, sag Lady Lyana's Zofen Bescheid, sie sollen sich auf der Stelle in ihren Privatgemächern einfinden, ein heißes Bad einlassen und den Kamin anzünden. Außerdem bringen sie ihr einen heißen Kakao.'', befahl Leyon ihr und eilig rannte die Dienerin davon, um den Wünschen des Prinzen so schnell wie möglich nachzukommen.
,,Was ist mit dir?'' Leyon musste doch auch so frieren wie ich.
,,Du bist wichtiger.'', erwiderte Leyon so überzeugt, dass ich gar nicht erst widersprechen konnte. Was redete er denn da? Wusste er denn nicht, was er da von sich gab? Er war der zukünftige König -natürlich war er wichtiger als ich! Selbst wenn ich wirklich eine Lady wäre und mich nicht nur als solche ausgeben würde, würde das trotzdem nichts an der Tatsache ändern, das sein Leben nunmal offiziell als am wichtigsten galt. Wieso also sagte er so etwas?
,,Aber-‚'' Der Prinz unterbrach mich, indem er mich plötzlich mit der einen Hand an meinem Rücken und mit der anderen an meinen Kniekehlen hoch hob, sodass ich nun wie eine Braut in seinen Armen lag. Empört sah ich ihn an, während sich um seine Mundwinkel ein schelmisches Lächeln gelegt hatte. ,,Wir wollen doch nicht, dass Ihr den ganzen Boden voll tropft und womöglich noch ausrutscht, Mylady.''
,,Und was ist mit Euch, mein Prinz? Auch Ihr hinterlasst nasse Spuren.'' Herausfordernd hob ich eine Augenbraue.
,,Erwischt.'', gab Leyon verschmitzt grinsend zu. ,,Ich suche nur nach einer Ausrede dich in meinen Armen halten zu dürfen. Und diese Möglichkeit hier werde ich nicht ungenutzt lassen, zumal ich sicher bin, dass du mir gegenüber nicht abgeneigt bist.''
Wo ich am Anfang seine Worte noch als süß empfunden hatte, hatten die nächsten Worte, die seinen Mund verließen,  es auch schon wieder ruiniert. Er hätte einfach nach seinem ersten Satz den Mund halten sollen.
,,Nun, da wäre ich an deiner Stelle nicht so überzeugt von.'', zischte ich.
Sein Grinsen wurde breiter. ,,Dann willst du mir also weiß machen, dass ich -und alle anderen hier in der Halle- uns eingebildet haben wie sehr du meine Berührungen genossen hast?'' Das Grün seiner Augen funkelte so strahlend wie ich es schon lange nicht mehr gesehen hatte.
Trotzig reckte ich das Kinn, nicht willig offen zu zugeben wie richtig er doch lag. ,,Stimmt genau.''
,,Du weißt schon, dass dir das niemand glaubt?''
Darauf antwortete ich nicht. Es weiterhin zu leugnen war eh sinnlos.
Leyon schenkte mir einen letzten belustigten Blick, der ein wenig triumphierend angehaucht war, bevor er mit mir in den Armen die große, geschwungene Treppe in der Eingangshalle erklomm. Vor Schreck klammerte ich mich haltsuchend an seinen Schultern fest und verbarg vor lauter Scham mein Gesicht an seiner Brust, wobei der Spitzenschleier unangenehm über meine Haut kratzte.
Eine leichte Erschütterung ging durch seinen Körper, als Leyon leise lachte. Geschwind ging er die Treppe hoch und schlug direkt den Weg zu unseren Gemächern ein.
Vor der Zimmertür setzte der Prinz mich vorsichtig ab. Einen Moment schien es so, als würde Leyon noch etwas sagen wollen, doch dann entschied er sich dagegen, lächelte mir nur kurz zu und wandte sich zu seiner eigenen Tür um.
,,Leyon?'', hielt ich ihn unsicher auf. Abwartend drehte er sich wieder zu mir. ,,Du- Ach nichts.''
Schnell schlüpfte ich in meine Räumlichkeiten und lehnte mich an die geschlossene Tür. Wollte ich ihn gerade wirklich bitten mir in meinen Gemächern Gesellschaft zu leisten? Was war nur los mit mir?
,,Lyana!'' In Iona's Stimme schwang überdeutlich Besorgnis mit, als die junge Zofe meinen Anblick registrierte. Der Stoff der Robe hatte sich mit dem Wasser vollgesogen und hing nun schwer an meinem Körper, während sich zu meinen Füßen eine Wasserlache bildete. Meine Haare klebten nass an meinem Kopf und vermutlich war das Make-up in meinem Gesicht ziemlich verschmiert. Der Schauer hatte uns ganz schön heftig erwischt.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie schrecklich ich aussehen musste. Ein Wunder, das der Prinz mich überhaupt bei dem abschreckenden Anblick, den ich gerade bieten musste, auf diese verführerische Weise angefasst hat.
Ohne Widerspruch ließ ich mich von Iona ins Bad zerren, entkleiden und in die Wanne setzen. Ein kleines Seufzen entwich mir, als das heiße Wasser meinen kalten Körper umspielte und mich aufwärmte. Ich ließ mich so tief wie möglich in die Badewanne gleiten und schloss entspannt die Augen. Meine Muskeln lockerten sich, die Anspannung und Kälte wich aus meinen Gliedern. Ein angenehmer Duft nach roten Rosen mit einem Hauch Flieder stieg mir in die Nase und umhüllte mich, spülte den letzten Rest des regnerischen, düsteren Nachmittags von mir.
Am liebsten wäre ich einfach in der wohltuenden, feuchten Umarmung der Wanne geblieben, doch der süßliche Duft heißer Schokolade lockte mich heraus.
Eingehüllt in einen flauschigen Bademantel verließ ich das Bad und entdeckte sogleich die Quelle des verführerischen Dufts. Lora stellte gerade ein Tablett mit einer Tasse Kakao und einem kleinen Teller frischem Gebäck auf den gläsernen Couchtisch. Vom Bad und den Ereignissen des Tages müde, sank ich schwerfällig in den großen Ohrensessel. Dankbar nahm ich von dem jungen Mädchen eine rote Decke entgegen, die erstaunlich kuschelig war und mummelte mich in ihr ein.
,,Können wir Ihnen noch irgendetwas bringen, Lyana?'', erkundigte sich Iona eifrig. Ich schüttelte zur Antwort träge den Kopf und lehnte ihn an der Sesselwand an. ,,Danke, aber ihr könnt gehen. Ich denke, ich werde mich heute frühzeitig ins Bett begeben. Der Tag war anstrengend und hat mich erschöpft.''
Lora und Iona tauschten einen kurzen unsicheren Blick aus, bevor sie schließlich nickten und sich mit den Worten ,,Wenn Sie etwas brauchen, scheuen Sie nicht uns zu Rufen'' zurück.
Als ich alleine war, schnappte ich mir den Kakao und ein Stück des leckeren Gebäcks und ging zu dem Fenster im Eck, wo eine Sitznische ausgearbeitet worden war. Die gepolsterte Fensterbank lag tiefer als bei den anderen und war direkt mit der Wand und dem Boden verbunden. Kissen und eine Decke sorgten für einen kuscheligen Platz, der zum Hinsetzen einlud. Mein eines Bein baumelte leicht von der Sitzerhöhung, das andere hatte ich ein wenig angezogen. Ich ließ den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe sinken, während meine Hände die warme Tasse umklammerten, deren Hitze keinesfalls unangenehm war. Das leise Prasseln des Regens entspannte mich und ich schloss die Augen. Ein Gefühl von Müdigkeit überrannte mich. Dösend lehnte ich mich weiter gegen das Fenster. Dass der Regen dabei unablässig gegen die Scheiben trommelte, störte mich kein bisschen. Im Gegenteil, den beständigen Geräuschen, die in einem unbestimmten Rhythmus verursacht wurden, zu lauschen, beruhigte mich.
Langsam hob ich die dampfende Tasse an meine Lippen. Neben dem unvergleichlichen Geruch von heißer Schokolade nahm ich auch eine Spur von Vanille wahr. Das Aroma intensivierte die Geschmacksexplosion in meinem Mund nur noch mehr, als ich den ersten Schluck nahm. Noch nie zuvor hatte ich etwas so leckeres getrunken.
Damit stand fest: Kakao war mein neues Lieblingsgetränk!
Im ersten Moment war die Hitze unangenehm gewesen, doch das brennende Gefühl war schnell durch Genuss ersetzt worden und gierig trank ich gleich den nächsten Schluck der braunen Flüssigkeit.
,,Pass auf, Prinzessin. Nicht das du dich noch verbrennst.'', ertönte die Stimme des Prinzen neben mir. Ruckartig fuhr mein Kopf zur Seite. Mit einem Schlag war jegliche Trägheit von mir gewichen. Plötzlich war ich wieder hellwach.
,,Ich kann mich nicht daran erinnern, dich hereingebeten zu haben.'', stellte ich trocken fest, nachdem ich mich gefasst hatte.
,,Hast du auch nicht. Ich habe mich selbst eingeladen.'' Leyon zwinkerte mir zu. ,,Als König habe ich das Recht dazu.''
Ich kniff die Augen zusammen. ,,Soweit ich weiß ist deine Krönung erst nächste Woche.''
,,Das sind doch nur unwichtige Daten.'', tat der Prinz meinen berechtigten Einwand ab.
Ein leises Schnauben entwich mir. ,,Pass du besser auf, das dir überhaupt noch eine Krone aufgesetzt werden kann. Wenn du nämlich so weiter machst, gehst du bald mit deinem Ego durch die Decke.''
Leyon lachte tief. Seine Augen funkelten mir entgegen und ich war sicher, dass auch in meinen dieses Strahlen zu erkennen war. ,,Ein weiterer Grund dich in meiner Nähe zu behalten. Du schaffst es mir und meinem Ego immer einen Dämpfer zu verpassen.''
Ich lachte auf. Ehrlich und befreit. Etwas, was ich selten tat. Das Lachen des Prinzen verstummte, stattdessen betrachtete er mich mit einer Faszination und Freude im Blick, die mir eine Gänsehaut beschaffte.
Mein Lachen verstummte. ,,Was ist?''
,,Ich glaube, ich habe es schon einmal gesagt, aber du solltest wirklich öfter lachen. Es macht dich noch schöner.'' Leyon musterte mich auf eine Weise, wie ich sie nur selten gesehen hatte. Der Ausdruck in seinen dunkelgrünen Augen berührte etwas tief in mir drinnen.
,,Es gab aber nie einen Grund zum Lachen.'', murmelte ich kaum hörbar und hoffte, dass der Prinz meine Worte nicht verstanden hatte. Ich war nicht bereit ihm meine Vergangenheit zu offenbaren und auf schmerzhafte Fragen zu antworten. Das konnte ich nicht. Noch nicht. Vielleicht auch nie.
Leyon musterte mich intensiv und ein leichtes Rosa zierte plötzlich seine Wangen. Irritiert sah ich an mir herab und wurde augenblicklich rot. Mir war meine eher unangemessene Bekleidung völlig entgangen, es war einfach in Vergessenheit geraten. Nun aber wurde mir peinlich berührt bewusst, dass ich die ganze Zeit über in nichts weiter als einem schlichten Bademantel vor ihm gesessen hatte. Der sich ein wenig gelockert hatte und etwas zu viel meiner Oberweite offen legte.
Beschämt zog ich die Decke eng um mich und versuchte so viel wie möglich zu bedecken. Wäre es sehr unhöflich jetzt aufzustehen und in meinen Kleiderschrank zu flüchten? Oder sollte ich es einfach überspielen und so tun als wäre meine Bekleidung nicht völlig unzureichend?
Leyon nahm mir die Entscheidung überraschenderweise ab, als er mit wenigen Schritten bei mir war und mich in einer fließenden Bewegung hoch riss. Schwungvoll landete ich in seinen Armen, die sich reflexartig um mich schlossen und meinen Körper fest an ihn drückten. Perplex blinzelte ich ein paar Mal, brauchte einige Sekunden um die neue Situation, in der ich mich jetzt befand, in mich aufzunehmen. Zu einer entsprechenden Reaktion war ich gar nicht erst in der Lage, dazu hatte seine plötzliche Handlung mich viel zu sehr überrumpelt.
Leyon drehte uns einmal um und drängte mich dann rückwärts durch das Zimmer. Dabei achtete er darauf mir nicht auf die Füße zu treten oder mich sonst irgendwo gegen einen Gegenstand zu manövrieren. Ich tat nichts dagegen, ließ mich von ihm einfach rückwärts durch das Zimmer schieben, so sehr vertraute ich ihm. Und mittlerweile machte mir dieser Gedanke auch gar nichts mehr aus. Es hatte keinen Sinn ständig gegen meine Gefühle anzukämpfen. Es gab genug Kämpfe, die ich in der Außenwelt führen musste, da konnte ich einen Kampf gegen mich selbst nicht auch noch gebrauchen.
Leyon stieß eine Tür in meinem Rücken auf und drängte mich in den dahinter liegenden Raum hinein. Ich registrierte aus den Augenwinkeln die bunten Stoffe und schloss daraus, dass er mich wohl ins Ankleidezimmer bugsiert hatte. Wenn auch auf eine ungewöhnliche Art. Leyon hätte mir auch einfach sagen können, dass ich mich um- oder besser anziehen sollte. Aber das war dem Prinzen wohl zu gewöhnlich, langweilig. Wieso einfach, wenn's auch anders ging?
Obwohl wir das Ziel nun erreicht hatten, machte er immer noch keine Anstalten mich los zu lassen. Ich fand mich immer noch dicht an seine Brust gedrückt wieder.
,,Leyon?'' Leise räusperte ich mich. Ich wagte es nicht, ihn wegzustoßen. Vorsichtig sah ich zu Leyon hoch, als keine Antwort von ihm kam, oder sonst eine Reaktion. Nur seine Finger gruben sich leicht verkrampft in meine Taille.
Der Prinz hatte die Augen geschlossen, seine Gesichtszüge wirkten angespannt. Verwirrt zog ich die Stirn kraus. Was hatte er denn auf einmal?
Leyon sah fast schon verbissen aus, als würde er gegen irgendeinen Drang ankämpfen. Behutsam hob ich vorsichtig eine Hand an sein schönes Gesicht und legte sie sanft an seine Wange. Er riss die Augen auf. Das Grün seiner Irden war noch dunkler geworden, als vorher schon und seine Pupillen waren geweitet. Stumm starrten wir einander in die Augen. Sein beschleunigter Atem prallte gegen mein Gesicht, so nah waren wir uns. Gebannt versank ich in dem tiefen, unergründlichen grünen See seiner Augen, der seine Wirkung nicht verfehlte. Ich spürte die Anziehung, die zwischen uns herrschte, überdeutlich. Seine Arme, die sich noch fester um mich schlangen, vermittelten gleichzeitig Schutz und Sicherheit, ein Gefühl von Geborgenheit, aber auch Besitzergreifung und Anspruch. Es war eine einzigartige Mischung zwischen beschützerisch und besitzergreifend, die mir mehr zusagte und gefiel, als es vermutlich sollte.
Gefährlich. Dieser schmale Grad zwischen Vertrauen und Verrat, Liebe und Hass, Wut und Schmerz, war genau das. Gefährlich.
,,Lyana'', hauchte Leyon, sein Blick senkte sich auf meine Lippen, die leicht geöffnet waren. Ich wusste wie gefährlich diese Situation, diese geladene Spannung zwischen uns war und dennoch, oder genau deswegen, war ich umso überraschter von seinen nächsten Worten. ,,Zieh dir auf der Stelle etwas vernünftiges an, sonst kann ich für nichts garantieren! Du weißt nicht, wie viel Selbstbeherrschung ich gerade aufwenden muss, wenn ich mir vorstelle,'' Seine Stimme war tiefer und rauer als sonst. Der herbe, verlangende Ton, der unterschwellig in seinen Worten mitschwang jagte mir einen erwartungsvoll prickelnden Schauer über den Rücken. ,,dass ich nur dieses Band lösen muss,'' Eine seiner Hände strich beinahe andächtig über das Band, das den Bademantel zusammenhielt. Seine Finger wanderten verführerisch entlang des Bandes von meinem Rücken über meine Seiten zu meinem Bauch, wo sie bei dem fest gebundenen Knoten verharrten. Er sah mir wieder in die Augen. Über seine hatte sich ein verlangender Schleier gelegt.
,,um deinen Körper vor mir zu entblößen....'', raunte Leyon. ,,Dann gerate ich ganz schön in Versuchung genau das zu tun.'' Seine Mundwinkel hoben sich, als er das verräterische Zittern meines Körpers als Reaktion auf seine verheißungsvollen Worte vernahm. Der verruchte Ton, den seine Stimme nun angenommen hatte, machte es einem aber auch schwer, standhaft zu bleiben. Leyon war ein überdurchschnittlich attraktiver Mann, das ließ sich nun mal einfach nicht leugnen. Und gegen seinen Charme war selbst ich nicht immun, wie ich bereits feststellen musste.
Ein raubtierhafter Ausdruck legte sich über seine aristokratischen Züge. Leyon erinnerte mich in diesem Moment mehr an einen Wolf auf der Jagd als an einen stolzen Prinzen. Das wölfische Glimmen in seinen Augen bereitete mir ein komisches Gefühl. Es war keine wirkliche Angst, aber auch kein Wohlbefinden.
,,Sag, Lyana.....'' Sein Gesicht nährte sich meinem, während seine Augen sich unablässig in meine brannten. ,,Würdest du dich wehren?''

Lyana- The Story of a QueenDär berättelser lever. Upptäck nu