14. Kapitel

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Vor uns erstreckte sich das wohl größte und beeindruckendste Gebäude von Crowen, kaum das wir das gewaltige Tor in der hohen, steinernen Mauer, die ein schier unüberwindbares Hindernis für jeden, der keine Einladung vorweisen konnte, darstellte, passiert hatten.
Für einen Moment hatte ich bei den strengen Sicherheitskontrollen Angst bekommen, doch nichts war passiert und die Wachen hatten uns ohne besonders lange Beachtung durchgewinkt. Erleichtert ließ die Anspannung, die sich wie ein Lauffeuer in mir verbreitet hatte, nach und ich konnte aufatmen.
Die erste Hürde war geschafft,  ich war auf dem Palastgelände.
Von Neugierde gepackt strich ich die Vorhänge ein wenig beiseite und schielte durch den entstandenen Spalt. Vorhin hatten wir die Vorhänge zuziehen müssen, um uns vor den Blicken der gaffenden Bürger zu schützen, die immer wieder versucht hatten einen neugierigen Blick ins Innere der Kutsche und seine Insassen zu erhaschen. Durch die vielen Kutschen der Adeligen, die sich alle einen Weg durch die Hauptstadt zum Palast bahnten, hatte sich eine beachtliche Menschenmenge gebildet, die die Straßen belagerte und sich um die Kutschen tummelte.
Mit einem sanften Ruckeln kam unsere Kutsche schließlich auf dem kreisrunden Vorplatz, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit einer marmornen Skulptur  im Zentrum leise vor sich hin plätschert, zum Stehen und einige Sekunden später öffnete ein Diener auch schon die Tür. In gebeugter Haltung wartete er darauf, dass wir ausstiegen. Der Herzog und die Herzogin erhoben sich als erstes, wobei er zuerst ausstieg und ihr dann die Hand reichte, die sie mit einem sanften Lächeln annahm und sich aus dem Gefährt helfen ließ. Querin und ich folgten auf die gleiche Weise, nur das ich dem Diener noch kurz dankbar zunickte, was mir einen überraschten, fast schon fassungslosen Blick von diesem einbrachte. War es denn so unüblich, sich für solche Gesten zu bedanken? In mir regte sich Unverständnis. Ich verstand nicht, warum Adelige sich für etwas besseres hielten und andere Menschen so herabschauend behandelten. Das ergab für mich keinen Sinn. In was für einem ungerechten Land lebten wir, in dem Herkunft bedeutender war als Taten?
Meine Augen betrachteten nun zum ersten Mal das riesige, einschüchternde Gemäuer vor mir genauer. Die Fassade bestand aus einem goldglänzenden Material, die Zinnen auf den Dächern waren pechschwarz und glänzten, wenn sie von Sonnenstrahlen getroffen wurden. Türme, Säulen, Pfeiler und Kuppeln reichten hoch in den Himmel hinein. Ich musste den Kopf in den Nacken legen und selbst dann konnte ich kaum das Ende sehen. Unzählige Fenster in verschiedenen Formen und Größen schmückten die extravagante Außenmauer und ließen Licht ins Innere fließen.
Den Eingang bildete ein gewaltiges Doppelportal, zu dem eine Treppe aus einem grauen, glatten Stein  mit flachen, breiten Stufen hinauf führte. Zwei Wachen in voller Rüstung zäumten ihn.
Eine sanfte Berührung am Arm ließ mich aufschrecken. Atlanta hatte sich zu mir gestellt und bedachte den Palast nur mit einem kurzen Blick, bevor ihre liebevollen Augen wieder auf mir ruhten. ,,Er ist beeindruckend und zugleich beängstigend, nicht wahr?''
,,Ja.'' Ich nickte. Dann fiel mir etwas auf. ,,Gold, schwarz. Wie die Farben des Wappen unseres Königreichs.''
,,Richtig, das war der Gedanke dahinter. Der Palast sollte eins Crowen repräsentieren.'' ,,Einst.'', schnaubte ich. ,,Jetzt steht er für den Adel und Unterdrückung.''
Atlanta sah sich panisch um. ,,Bist du von allen guten Geistern verlassen? Sprich nicht so offen darüber, sonst hängst du schneller am Galgen, als du blinzeln kannst!''
Auch mir wurde langsam mein Fehler bewusst und ich schlug mich innerlich selber für meine Unvorsichtigkeit und Dummheit. Ich musste wirklich besser auf das aufpassen, was ich sagte. Sonst endete das wirklich noch unschön.
Als wir uns beide hastig vergewissert hatten, dass sich niemand in Hörweite befand, der  meine aufständischen Worte mitbekommen haben könnte, senkte ich beschämt den Blick. ,,Tut mir leid.''
,,Ist schon in Ordnung. Verspreche mir nur, solche frevelhaften Worte nicht nochmal von dir zu geben, solange du dich auf Palastgelände befindest!'' In ihrer Stimme lag eine ängstliche Bitte. Es rührte mich zu wissen, dass diese Angst mir galt. Ich freute mich, dass ich ihr etwas bedeute. Es war ein schönes Gefühl das Wissen zu haben, dass sich jemand um einen sorgte. In dem Moment kam es mir wirklich vor, als wären wir Teil einer Familie. Dieser Gedanke fühlte sich so richtig an, obwohl er so falsch war. Sie waren mir in der kurzen Zeit wirklich ans Herz gewachsen. Sogar Shalom war mir nicht mehr so unsympathisch wie am Anfang.
,,Ich verspreche es.'' Ich wollte noch etwas sagen, wollte noch so viel sagen, doch der Herzog machte mir einen Strich durch die Rechnung, indem er sich zu uns gesellte und damit jegliche noch unausgesprochene Worte im Keim erstickte. Damit waren jegliche freundliche Gedanken, die ich ihm gegenüber gehegt hatte, auch schon wieder weg.
Atlanta lächelte mir aufmunternd zu und nahm den Arm ihres Mannes an, den er ihr bot. ,,Jetzt wird es ernst. Viel Glück, Lyana und sei mir bloß vorsichtig, mein Kind.'', flüsterte sie mit deutlicher Besorgnis in der Stimme. Der Herzog nickte mir ernst zu. ,,Wunder dich nicht, wenn du für einige Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen wirst. Es kursieren viele Gerüchte über dich, da du nie der Öffentlichkeit gezeigt wurdest. Wir wurden eigentlich auch gar nicht eingeladen, da die meisten von unfassbarer Hässlichkeit oder einer besonders schlimmen Krankheit  ausgehen und beides nicht an die Seite des Prinzen gehört. Mit Starren und Getuschel musst du also rechnen, so leid es mir tut.''
Das hatte ich ganz vergessen. Ein weiteres Problem, das sich mir stellte. Ihn unauffällig umbringen war heute also mit großer Wahrscheinlichkeit nicht möglich. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass sich mir noch eine andere Möglichkeit bieten würde.
Ich bedankte mich bei dem Herzog für die Warnung und bekam als Antwort nur ein weiteres steifes Nicken. Ihm behagte der Gedanke an seinen Verrat gegenüber dem Königshaus wohl immer noch nicht. Und das würde sich wahrscheinlich auch nicht ändern. Ich konnte froh sein, dass er trotzdem zu Liebe seiner Frau mitmachte.
Querin tauchte mit einem Mal neben mir auf. ,,Na, was tuschelt ihr denn hier? Ich wollte nicht bei eurem Gespräch stören, aber langsam komm ich mir doch komisch vor mutterseelenallein in der Gegend rum zu stehen, während ihr hier die Köpfe zusammensteckt.''
Ich lächelte ihn strahlend an. ,,Alles gut. Wir können. Ich bin bereit für meinen ersten Ball!''
,,Na dann.''
Ich hakte mich bei ihm ein und ließ mich von ihm direkt hinter dem Herzogspaar zum Eingangstor geleiten. Unterwegs beobachtete ich die verschiedenen Kutschen, die vorfuhren und Adlige heraus ließen, die alle dasselbe Ziel wie wir hatten: Den großen Ballsaal des Palastes.
Die Wachen öffneten die beiden Eingangstore und ließen uns mit einigen anderen hinein strömen. Wir steuerten direkt auf eine breite Flügeltür zu, die am Ende eines ebenso breiten Ganges lag. Auch hier wurden uns die beiden Flügel geöffnet und der Strom der Masse wurde langsamer. Neugierig sah ich mich in dem prunkvollen Saal um. Die hohe, goldene Decke endete in einer Kuppel, in dessen Mitte hing ein mächtiger Kronleuchter tief herab, der nur aus funkelnden Kristallen zu bestehen schien und leichte Schatten warf. An der gegenüberliegenden Seite befand sich eine etwa einen halben Meter über dem Boden liegende Empore, auf dem zwei aus purem Gold bestehende, mit schwarzen Samtkissen ausgelegte Throne standen. Und beide waren besetzt.
Ich verkrampfte, als ich merkte, dass wir direkt auf sie zu liefen.
,,Das Adelshaus von Amandos. Lady Emalis!'' Meine Augen zuckten zu dem älteren Herren, der gerade die Ankündigung gemacht hatte und mir wurde klar, was das bedeute. Wir wurden angekündigt. Vorgeführt.
Ich sah wie die Familie Amandos sich vor der Königsfamilie verbeugte oder knickste und sich dann von der Empore abwandte, um sich irgendwo in dem riesigen Saal verstreuten.
Mir wurde schlecht. Panik machte sich in mir breit und ich verspürte große Dankbarkeit, als Querin leicht meinen Arm drückte. Das Wissen, dass er da war, das ich nicht alleine war, beruhigte mich ungemein und ich erwiderte den sanften Druck dankbar. Das Übelkeitsgefühl flaute ab und ich atmete leise einmal tief durch. Ich musste mich jetzt konzentrieren. Mir durfte kein Fehler unterlaufen. Ich durfte nicht noch mehr auffallen, als ich es eh schon als Neuling unter diesen ganzen Gesichtern tun würde.
Ich redete mir selbst Mut zu. Ich schaffte das. Das waren auch nur Menschen, wenn auch ziemlich mächtige, die mit einem Wort mein Schicksal besiegeln konnten. Mein Atem beschleunigte sich wieder und mein Herz hämmerte hart und schnell gegen meine Brust. So funktionierte das nicht.
Nur ein Knicks, versuchte ich mir einzureden, es ist nur ein kurzer Knicks, da kann nicht viel schiefgehen. Das bekomme ich hin.
Meine Hände wurden feucht und das Korsett schien mir plötzlich noch mehr die Luft abzuschnüren, als vorher schon. Ich fühlte mich eingeengt.
Ich bemerkte gar nicht, dass ich mich mittlerweile in Querin' s Arm krallte. Erst als er unauffällig meine Finger etwas löste und dabei meinen Arm etwas stärker drückte, fiel es mir auf. Mit einem entschuldigenden Blick löste ich meine Hand schnell, wobei mir nicht sein erleichtertes Aufatmen entging. Mein schlechtes Gewissen wurde stärker. Ich hoffte, ihm nicht allzu sehr sehr weh getan zu haben.
Tief durchatmend, versuchte ich mich zu beruhigen, mich auf andere Gefühle zu konzentrieren. Fast sofort hatte ich mich wieder unter Kontrolle und war ruhig, als mir der Gedanke kam, wen ich da überhaupt vor mir hatte und wer ich war. Ich war ihnen in meinem Wissen überlegen, ich wusste wer sie waren, aber sie nicht mit wem sie es zu tun hatten. Ich spielte ein Spiel von dem sie gar nicht wussten, dass es existierte. Sie sollten mich fürchten, nicht ich sie. Ich war es nicht, die hier eine Zielscheibe war.
Ich musste mir bei diesen Gedanken fast ein überhebliches Lächeln verkneifen. Mit stolzer Haltung ließ ich mich von Querin bis vor die Empore führen.
Mit unverhohlener Neugierde musterte ich das Königspaar. Der König war genauso wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war ein älterer Mann mit einer Ausstrahlung, die nur so vor Macht strotzte. Die braunen Haare waren an einigen Stellen bereits ergraut. Sein Gesicht war kantig, Lippen und Augen schmal. Ein abfälliger, strenger Zug lag um beide und leichte Falten zierten sein Gesicht. Er war mir direkt unsympathisch. Die Frau neben ihm machte auch nicht gerade einen sympathischeren Eindruck. Auch wenn sie eine elfengleiche, anmutige Schönheit besaß. Sie war groß und dünn. Blonde Locken reichten ihr bis zur Taille und umspielten ihr blasses, schmales Gesicht mit den vollen roten Lippen und den grünen Augen. Ich hätte sie als wunderschön bezeichnet, wäre da nicht der herablassende Blick in ihren Augen und die elegante, aber arrogante Haltung.
Mein Blick wanderte weiter zu einer großen Gestalt, die in formeller Haltung, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, direkt neben dem Thron des Königs stand. Ich war so auf das Königspaar, insbesondere den König, versteift gewesen, dass mir ganz entgangen war, dass dort noch jemand stand.
Doch mir blieb keine Zeit ihn näher zu beachten, auch wenn ich seinen Blick auf mir spüren konnte, da meine Aufmerksamkeit durch das Loslassen meines Armes und der Vorstellung des Ankündigers abgelenkt wurde. ,,Das Adelshaus von Dorados. Lady Lyana!'' Ich versank eine Sekunde zu spät in einem Hofknicks, hoffte jedoch, dass niemand meinen kleinen Fauxpas bemerkt hatte.
Mir entging nicht wie auf die Worte des Mannes der Saal kurz verstummt war, bevor Getuschel ausbrach und ich auf einmal so gut wie jedes Augenpaar auf mir spürte.
Vor allem die stechenden Blicke der Königsfamilie meinte ich ganz besonders auf meiner Haut brennen spüren zu können, als ich mich erneut bei Querin unterhakte und hoch erhobenen Hauptes davon stolzierte.
Ich würde mich nicht einschüchtern lassen. Sie waren meine Gegner, meine Feinde und da war Furcht und Unsicherheit unangebracht. Es könnte mich sogar das Leben kosten. Und soweit würde ich es nicht kommen lassen.

Lyana- The Story of a QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt