23. Kapitel

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Die nächsten Tage vergingen schleppend. Meine Gedanken drehten sich nur noch um den Auftrag und den Prinzen. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was richtig und was falsch war. Was ich eigentlich wollte. Meine Antwort sollte eindeutig ausfallen und doch konnte ich mich nicht mit dem Gedanken an Leyon's Tod anfreunden.
Ich wollte nicht, dass er starb.
Und erst recht konnte ich nicht diejenige sein, die ihn umbrachte.
Es ging einfach nicht mehr, und das stellte ein gewaltiges Problem dar. Ich wusste nicht was ich tun sollte, meine Gedanken und Gefühle spielten verrückt. Ich war ein einziges Chaos.
Die meiste Zeit zog ich mich in meine Privatgemächer zurück und täuschte Unwohlsein vor, damit ich der königlichen Familie aus dem Wg gehen konnte. Leyon war ein paar Mal vorbeigekommen, um sich nach meinem Wohl zu erkundigen, doch ich hatte ihn jedes Mal erfolgreich von meinen Zofen abwimmeln lassen, deren Loyalität erstaunlich schnell zu mir übergeschwappt war.
Ich war schlichtweg überfordert, vielleicht auch verzweifelt. Genau konnte ich das, was gerade in mir vorging, nicht beschreiben.
Nach dem Treffen für die Auswahl meines Brautkleides hatte ich meinen vierten und letzten Mordversuch unternommen. Ich wollte es ein für alle Mal beenden. Spät in der Nacht hatte ich mich mit einem Messer unter meinem Nachtkleid versteckt in Leyons Gemächer begeben. Seine Wachen hatten mich ohne zu Zögern passieren lassen. Natürlich, warum auch nicht, ich war schließlich seine liebreizende Verlobte. Auf Zehenspitzen war ich in sein Schlafzimmer geschlichen und hatte mich über den schlafenden Prinzen gebeugt. Sein im Schlaf völlig unschuldig und engelsgleich wirkendes Gesicht, nichts ahnend von der trügerischen Gefahr, schwebte mir immer noch überdeutlich vor Augen. Mit erhobenem Messer stand ich einfach nur über ihn gebeugt da. Die scharfe Klinge, nur Millimeter von seinem Herzen entfernt, hatte im fahlen Mondschein geglänzt und einen langen Schatten auf seine nackte, glatte Haut geworfen. Die Decke war ihm etwa bis zur Hälfte seines Bauchs gerutscht und hatte mir somit einen unvergesslichen Anblick auf die unbedeckte, muskulöse Brust des Prinzen geboten. Der Moment war mir fast unwirklich vorgekommen. Ich hatte gezögert, konnte ihm nicht das Messer in die Brust rammen, wie es eigentlich mein Vorhaben gewesen war. Alles in mir hatte dagegen rebelliert. Nur einen feinen, hauchzarten Kratzer hatte die Spitze der Klinge letztendlich hinter lassen, als ich das Messer wütend über mich selbst wieder zurückgezogen und unter dem Stoff meines Kleides verschwinden lassen hatte. In dem Moment ist mir bewusst geworden, das ich meinen Auftrag nie erfüllen würde können. Ich hatte versagt, konnte seinem Leben kein Ende mehr bereiten.
Seltsamerweise machte mir das jedoch weniger aus, als es sollte.
Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare und streifte mir die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, die der Wind mir ins Gesicht blies. Die Abendluft war angenehm kühl, erfrischend. Tief einatmend lehnte ich mich gegen das Geländer des Balkons. Ich sah zum klaren Nachthimmel hinauf, dessen tiefschwarzer Farbton immer wieder von hell funkelnden Sternen unterbrochen wurde.
Ich mochte den Nachthimmel, er war beständig. Egal, wo man war, er war immer da. Oft hatte ich, bevor mein Leben als Rebellin begann, in einer dreckigen Gosse oder hinter einem winzigen, verschmutzten Fenster gesessen und einfach in den nächtlichen Himmel gestarrt und versucht die Sternbilder zu erkennen. Er war das einzig Schöne in meinem Leben gewesen.
Leise seufzte ich schwermütig. Die Zukunft war so ungewiss. Noch vor einigen Tagen hatte ich meinen Plan ganz genau vor Augen, war mir sicher gewesen in dem was ich tat, und nun? Nun wusste ich gar nichts mehr.
Nicht, wie ich jetzt nach dieser Erkenntnis weiter machen sollte.
Nicht, wie ich den Rebellen mein Versagen mitteilen sollte.
Nicht, wie die Rebellen reagieren würden.
Nicht, wie es mit dem Prinzen weitergehen würde. Würde jemand anderes kommen und ihn erledigen?
Nicht, wie die Reaktionen des Königspaares ausfallen werden.
Nicht, wie es nach der kommenden Übernahme der Macht der Rebellen weitergehen wird.
Nicht, wie es mit mir weitergehen würde.
Und auch nicht, was ich überhaupt wollte.
Erneut seufzte ich, diesmal vor Erschöpfung. Diese Gedanken waren ermüdend und doch konnte ich sie nicht verdrängen. Ich machte mir Sorgen, hatte vielleicht sogar Angst.
,,Nanu? Was seufzt du denn hier so, Lyana?'' Eine tiefe Stimme ertönte von dem Balkon rechts von mir, der fast direkt an meinen schloss, und ließ mich aufschrecken. Doch ich drehte mich nicht zu ihm um. Ich hatte ihn an der Stimme erkannt.
,,Leyon.'' Das war alles, was ich sagte, eine ruhige Feststellung mehr nicht, während mein Kopf weiterhin im Nacken lag und meine Augen sich keine Sekunde vom Sternenhimmel abwandten.
,,Ich hatte nicht erwartend, dich hier draußen anzutreffen.''
,,Gleichfalls.'' Meine Erwiderung brachte ihn dazu leise zu lachen.
,,Schicksal.''
,,Ich glaube nicht an Schicksal.'', entgegnete ich.
,,Woran glaubst du dann?'' Ich hatte eine Belehrung erwartet, die Frage überraschte mich.
,,An gar nichts.'' Es hörte sich genauso stumpf und traurig an wie es war. Aber ich konnte es nicht ändern. So war es nun mal. Den Glauben hatte ich schon lange aufgegeben.
Aus dem Augenwinkel sah ich wie Leyon sich an das Geländer neben meinem lehnte und mich von der Seite betrachtete. ,,An nichts? Das glaube ich dir nicht. An irgendetwas musst du doch glauben. Und sei es nur Liebe auf den ersten Blick.''
Ich stieß ein kurzes, spöttisches Auflachen aus. ,,Gott bewahre, nein. Es gibt und gab nie etwas an das ich glauben konnte. Also bleibt meine Antwort dieselbe.''
Ich hatte zu viel verraten, aber das war mir mittlerweile fast egal. Er konnte in die Worte interpretieren, was er wollte!Sollte er sich doch seinen Teil dazu denken.
Leyon schwieg eine ganze Weile. Dann räusperte er sich leise. ,,Ich glaube an Schicksal. Dass du auf dem Ball in mich gelaufen bist, halte ich für schicksalhaft. Ich weiß nicht, ob du mir andernfalls richtig aufgefallen wärst, deswegen bin ich dankbar dafür.'' Er schien sich seinen nächsten Worten unsicher. ,,Und ich glaube an noch etwas. An....uns. Ich glaube daran, dass wir beide ein guter König und eine gute Königin werden. Dass wir diesem Land gute Herrscher sein werden. Dass wir alles gemeinsam meistern werden, jede Hürde überwinden, die sich uns in den Weg stellt. Dass wir uns bis zum Ende unserer Tage lieben werden.''
Jetzt konnte ich den Drang ihn anzusehen nicht mehr unterdrücken und gab nach. Sein intensiver Blick brannte sich direkt in mich, brachte mein Herz zum Aussetzen, nur um es danach doppelt so schnell weiterschlagen zu lassen. Das Grün seiner Augen, das selbst in der dämmrigen Dunkelheit noch leuchtete wie einer der Sterne am Himmel, nahm mich auch jetzt wieder in seinem Bann gefangen. Es -er- zog mich förmlich an wie das Licht die Motte.
Es sollte mir Angst machen, was für eine Macht er auf mich ausüben konnte, doch das tat es nicht.
Ich wollte mich in seine schützenden Arme werfen und alles um mich herum vergessen. Der Gedanke war erschreckend.
In dem faden Licht wirkte er wie eine Märchengestalt, nahezu schmerzhaft schön und unwirklich. Ein Märchenprinz.
Der Gedanke zauberte mir zum ersten Mal wieder ein leichtes Lächeln ins Gesicht. Und wäre ich eine andere, wie die für die ich mich ausgab, gäbe es diese ganzen unausgesprochenen Wahrheiten und Lügen, die mich von Tag zu Tag mehr zerrissen, zwischen uns nicht, dann könnte er mein Märchenprinz sein.
,,Woran denkst du?'' Seine Stimme erinnerte mich in dem Moment an Seide. Weich, schön und hauchzart. Es verfehlte seine Wirkung nicht.
,,An vieles. Dich, uns, die Zukunft.'' Ich sah wieder hinauf in die sternenklare Nacht. Um uns herum herrschte Stille, die nur hin und wieder von den dumpfen Schrittgeräuschen patrouillierender Wachen und dem Zirpen eines Insekts unterbrochen wurde. ,,Kommt dir die Zukunft manchmal auch so beängstigend vor?''
Gerade als ich dachte von Leyon käme nichts mehr und die Frage schon zurückziehen wollte, antwortete er doch noch. ,,Ja. Die Verantwortung, die ich schon bald übernehmen muss, ängstigt mich. Ich habe Angst davor ihr nicht gewachsen zu sein, zu versagen. Ich weiß, dass mein Vater nicht der beste König ist und gerade deswegen lastet noch mehr Druck auf mir, da mir bewusst ist, dass ich seine Versäumnisse ausbügeln muss, wenn ich erstmal auf dem Thron sitze.'' Leise fügte er noch hinzu: ,,Manchmal kommt mir der Palast regelrecht erdrückend vor.''
,,Trainierst du deswegen mit den Soldaten? Um der Verantwortung der Krone für ein paar Momente zu entgehen?''
,,Nicht nur. Das stimmt schon irgendwie, aber hauptsächlich, um, sollte es einen Angriff geben, mich auch alleine verteidigen zu können und nicht nur auf den Schutz anderer angewiesen zu sein. Außerdem mag ich den Kampf.''
,,Und du?'' Der Prinz legte den Kopf leicht schräg und musterte meine im Dunklen eher schwer zu erkennenden Gesichtszüge. ,,Warum findest du die Zukunft beängstigend?''
Ich überlegte, ihm keine Antwort zu geben und einfach wieder in meine Gemächer zu verschwinden, entschied mich letztendlich jedoch dagegen. ,,Ich schätze, ich möchte einfach niemanden enttäuschen, auch wenn ich das mit Sicherheit tun werde. Ich muss gerade Entscheidungen treffen, die so entscheidend für die Zukunft sind und weiß das, wenn ich sie gefällt habe, kein Weg mehr zurück führt. Ich habe Angst davor, die Verantwortung dafür zu übernehmen.'', gestand ich auch mir selber ein. ,,Ich kann einfach nicht sagen, wie es weitergeht.''
Ich war mir nicht sicher, ob Leyon mich verstand, aber das war egal. Es half, dass er einfach nur zuhörte. So wie ich es bei ihm getan hatte.
Sanft lächelte der Prinz mich an. ,,Du wirst niemanden enttäuschen, Lyana. Und auch wenn ich gerade nicht so ganz hinter die Bedeutung deiner Worte gestiegen bin, so weiß ich doch, dass du das tun wirst, was dir am Richtigsten erscheint. Einstehen für gefällte Entscheidungen, ob nun richtige oder falsche, fällt schwer, das weiß ich nur zu gut. Aber am Ende muss es doch getan werden. Und du bist nicht alleine. Das ist keiner von uns. Wir sind bald verheiratet, wir haben einander.''
Seine Worte hingen in der Luft, nicht mal der frische Nachtwind vermochte es sie davon zu wehen.
Ich fröstelte, als eine kühle Brise die nackte Haut an meinen Armen und Dekolleté streifte. Das Gespräch hatte mich vergessen lassen, dass ich nur ein relativ dünnes Nachtkleidchen aus goldener Seide trug.
Leyon registrierte nun neben meinem Zittern auch meinen Aufzug. Kurz fuhren seine Augen meinen Körper ab, dessen Rundungen gut sichtbar waren. Als er wieder bei meinem Gesicht angelangt war, blieb sein Blick bei meinem Mund hängen. Meine Lippen kräuselten sich zu einem kleinen Schmunzeln. Ich wusste genau, woran er gerade dachte.
Auch ich hatte ein paar Mal an den Kuss gedacht, sehnte mich danach erneut die Weichheit seiner Lippen auf meinen zu spüren, sie zu schmecken.
Noch vor ein paar Jahren hätte ich nie geglaubt, je so denken zu können, mich nach Berührungen dieser Art zu sehnen. Es erschien mir damals unmöglich. Das ich mittlerweile mit Berührungen von Männern klar kam, verdankte ich nur Xander, auch wenn ich mich doch immer wieder bei denen von Fremden scheute und sie mied wie eine Maus die Katze.
Das ich mich nun nach einer solchen Intimität wie einen Kuss sehnte, bereitete mir Angst und Erleichterung zu gleich.
Eine merkwürdige Mischung, die zu dem Chaos in meinem Inneren passte.
,,Du solltest wieder hinein gehen. Geh schlafen, Lyana. Morgen ist der Verlobungsball, da musst du ausgeruht sein.'', erinnerte Leyon mich. Ich nickte abwesend, viel zu sehr von den Vorgängen in mir eingenommen.
Ich war schon auf der Türschwelle, als ich stoppte. Ich spürte den unergründlichen Blick seiner Augen in meinem Rücken. ,,Gute Nacht, Leyon.''
Ohne es zu sehen wusste ich, dass er lächelte. Seine Stimme verriet ihn. ,,Gute Nacht, Lyana.''
Ich musste mich zwingen nicht zurückzusehen, während ich die glasige Balkontür hinter mir schloss und in mein Bett krabbelte.
Das war ein ungewöhnlich tiefgründiges Gespräch zwischen uns gewesen. Ohne die ständigen Neckereien und bissigen Wortgefechte. Aber es war zur Abwechslung mal ganz schön gewesen. Und es hatte mich nur darin bestärkt, dass ich den Prinzen nicht töten konnte. Er war ganz anders als ich erwartet hatte.
Ich kuschelte mich tiefer in die Kissen und sah hoch zu der weißen von goldenen Mustern durchzogenen Decke über mir.
Noch vor gar nicht langer Zeit hätte ich den Prinzen als arrogant, überheblich, ignorant, unhöflich, unverschämt und genauso grausam wie seine Eltern beschrieben. Nun musste ich mir eingestehen, dass ich damit wohl ziemlich falsch lag. Natürlich war er immer noch unverschämt und hin und wieder sickerte auch etwas Arroganz durch, aber grausam und ignorant kam er mir nicht mehr vor. Stattdessen würde ich ihn eher als humorvoll, ein wenig eigenwillig und auch irgendwo liebevoll bezeichnen. Es gab noch so viel mehr, das ihn ausmachte, das konnte ich alles gar nicht wirklich in Worte fassen.
Auch der Gedanke ihn zu heiraten war nicht mehr so abstoßend wie zu Anfang.
Und da wurde es mir klar, überdeutlich und unmissverständlich: Ich hatte Gefühle für den Thronfolger von Crowen entwickelt.

Lyana- The Story of a QueenWhere stories live. Discover now