33. Kapitel

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,,Lyana? Können wir bitte kurz reden?''
Ich erstarrte mitten im Gang. Stocksteif blieb ich stehen, während der Träger dieser Stimme zu mir aufholte. Ich wusste nicht genau, was ich jetzt tun sollte. Wie verhielt man sich in so einer Situation?
Unsicher sah ich zur Seite, wo nun Fürst Lundos -ich weigerte mich, ihn als meinen Vater zu bezeichnen oder sonst irgendeinen persönlichen Bezug zu ihm herzustellen- auftauchte.
Auch in seinen Augen lag die Unsicherheit und auch etwas Angst, wenn ich das richtig sah. Was, hatte er etwa Angst, dass ich ihn zurückwies? So wie er meine Mutter und mich damals?
Bei seinem Anblick herrschte so ein Gefühlschaos in mir, dass ich keine speziell herausfiltern konnte. Da waren Wut, Schmerz, ein Gefühl von Verrat und irgendwie auch Hass. Verständlich, meiner Meinung nach.
Der Fürst sah mich immer noch an, wartete auf eine Antwort, wie mir nach einem kurzen Moment auffiel.
Kurz überlegte ich ihn wirklich einfach abzuweisen, doch ich dann würde ich nie die Antworten erhalten, die ich wollte und die mir verdammt nochmal zustanden. Vielleicht würde es mir in irgendeiner Weise helfen auch seine Sicht der Geschichte zu erfahren. Also stimmte ich mit unüberhörbarer Kälte in der Stimme zu.
Stumm stieß ich die Tür neben uns auf und ließ ihm ausdruckslos den Vortritt. ,,Danke'', murmelte Fürst Lundos und trat an mir vorbei in den kleinen Salon. Ich bedeutete meinen beiden Leibwachen vor der Tür zu warten und schloss sie dann hinter mir, bevor ich in dem Sessel gegenüber von Fürst Lundos Platz nahm.
Zuerst musterten wir uns einfach nur gegenseitig, studierten den Anblick des jeweils anderen, bis ich mich abwartend räusperte. ,,Also? Sie wollten mit mir reden? Dann reden Sie.''
Der Fürst schluckte. ,,Bitte, Lyana, duze mich doch. Sonst-‚'' ,,Sonst fühlen Sie sich wie ein Fremder?'', fiel ich ihm ungehalten und mit unverhohlenem Spott ins Wort. ,,Aber genau das sind Sie doch. Ein Fremder, nichts weiter.'' Ich lehnte mich etwas vor. Meine Augen schossen förmlich Blitze. ,,Oder nein- Sie sind für mich nichts weiter als ein verdammter Mistkerl, der es nicht wert ist die Bezeichnung Vater zu tragen und bei dem ich mir nun wünsche, mir niemals gewünscht zu haben, ihn jemals kennenzulernen!'' Das Letzte brach ungewollt aus mir heraus, ich hatte keine Kontrolle mehr über mein Mundwerk. Genauso wenig wie über meine Augen, die sich schon wieder mit Tränen füllten. Wie ich es hasste!
Fest krallten sich meine Finger in das weiche Leder der Sessellehnen und gruben kleine Kerben hinein. Fürst Lundos war bei jedem einzelnen meiner Worte zusammengezuckt und hatte den Blick gesenkt. ,,Es tut mir Leid.'', brachte er einfach nur gebrochen klingend heraus. ,,Es tut mir so unendlich Leid.'' Seine Schultern bebten. Seine stolze, erhabene Haltung, die er vorher noch wie jeder andere Adelige auch zur Schau getragen hatte, war komplett in sich zusammengefallen. Dahinter kam ein gebrochener, von innerem Leid und Reue geplagter Mann hervor.
Ich erstarrte, als ein unterdrücktes Schluchzen zu mir rüber tönte. Ein gequälter, herzzerreißender Laut voller auswegloser Verzweiflung und Schmerz. Doch mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Er hatte schließlich auch keins mit meiner Mutter und mir gehabt.
,,Warum?'', fragte ich einfach nur. ,,Warum haben Sie das getan?''
,,Beantworte mir vorher doch bitte eine Frage: Lebt Madell noch?'' Ich sah in seinen Augen, dass er die Antwort eigentlich schon kannte, dennoch glomm ein hoffnungsvoller Funke in ihnen auf.
,,Nein. Sie ist gestorben, als ich sechs war. Die Straße hat über sie gerichtet.'' Ich bemühte mich um einen harten Ausdruck, um den tiefen Schmerz dahinter zu verbergen. Ganz im Gegensatz zu dem Fürsten, der unüberhörbar aufschluchzte und noch mehr in sich zusammengesunken war. ,,Nein'', hauchte er verzweifelt. ,,Nein, nein. Das ist alles meine Schuld!'' Falls er jetzt erwartete, dass ich ihm widersprach und tröstende Worte zukommen ließ, musste ich ihn enttäuschen. Denn in diesem Punkt stimmte ich vollkommen mit ihm überein.
,,Ich habe Madell wirklich geliebt, das musst du mir glauben, Lyana.'', beteuerte Fürst Lundos und auch wenn er mir nicht in die Augen schauen konnte, so erkannte ich doch die Aufrichtigkeit in seiner Stimme. Er meinte ernst, was er sagte.
,,Wieso haben Sie ihr -uns- das dann angetan?'' Ich verstand ihn einfach nicht. Und diese Unverständnis hörte man mir auch deutlich an.
,,Mir ist durchaus bewusst, dass das der schlimmste Fehler meines Lebens war. Und egal wie sehr ich mir auch wünsche, ihn rückgängig machen zu zu können, kann ich es doch nicht ändern. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich es bereue. Hätte ich erneut die Wahl, würde ich mich anders entscheiden.'', gestand der Fürst ein. ,,Aber damals war ich mir noch sicher, mein Ansehen und meine Machtstellung um jeden Preis halten zu müssen. Wäre der  Ruf meiner Familie dadurch in den Dreck gezogen worden -Fremdgehen, ein Kind außerhalb der Ehe- hätte auch Xander darunter leiden müssen, und das wollte ich nicht. Er ist mein Sohn und ich wollte stets nur das Beste für ihn. Er sollte nicht mit Schande und Verachtung aufwachsen.''
,,Sie hätten ihm die Entscheidung selber überlassen müssen. Er hasst Sie dafür, was Sie uns angetan haben.'', verriet ich ihm erstaunlich ruhig. Meine Wut auf diesen Mann brodelte zwar immer noch tief in mir, brach jedoch nicht hervor. Noch nicht.
,,Nun, ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und meine Fehler zu erkennen und zu bereuen. Mittlerweile ist mir genau das auch klar geworden. Nur leider zu spät.'' Er seufzte voller Kummer. ,,Madell war meine Geliebte. Mehr konnte sie nicht sein, mit dem Stand eines Dienstmädchen. Aber im Gegensatz zu meiner Gemahlin, habe ich sie geliebt. Während Josille meinen Tag getrübt hat, hat sie ihn erhellt. Als ich erfuhr, dass sie ein Kind von mir erwartet, war ich im ersten Moment überglücklich. Doch dann brach die Realität mit voller Wucht auf mich herein. Ich musste mich zwischen ihr und einem Ungeborenen und meiner Familie entscheiden. Es war feige und so ungern ich es auch sage, muss ich doch zugeben, dass auch die Erhaltung unserer Macht, Ruf und Ansehen durchaus eine Rolle gespielt hat. Nun bereue ich es aber mehr als alles andere, sie damals ohne alles vor die Tür gesetzt zu haben. Und als sie dann eines Tages plötzlich wieder mit diesem niedlichen Kind vor mir auftauchte, da war es eine Art Kurzschlussreaktion. Ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Auch wollte mein Stolz es einfach nicht zulassen, jetzt etwas zurückzunehmen, was ich damals  fortgewiesen hatte. Und auch die Gedanken meine Familie haben es nicht zugelassen. Daran wie es Madell und dir dabei mit meinen Entscheidungen erging, habe ich damals nicht beachtet. Ich weiß, dass ich es hätte tun müssen. Es war nicht fair, was euch beiden widerfahren ist.'' Nein, das war es nicht. Aber wann war es das schon?
,,Und der Brief?''
Fürst Lundos rutschte etwas unbehaglich auf seiner Sitzgelegenheit herum. ,,Nun....Den habe ich tatsächlich erhalten.., allerdings habe ich ihn gleich darauf in einem heftigen Anflug von Scham und Selbsthass weggeschmissen. Ich habe keine Ahnung wie die Fendos- Geschwister darangekommen sind oder warum es sie überhaupt interessiert hat. Wobei doch, letzteres kann man sich denken. Es ist schließlich allgemein bekannt, dass Lady Tritzia sich schon als nächste Königin gesehen hatte. Die Fendos haben mit seinen Majestäten bereits über eine Verlobung nachgedacht, doch der Prinz schien dem sehr abgeneigt und hatte auf den Ball bestanden, bei dem dann du ausgewählt wurdest. Und ihr Bruder wollte wohl nicht auf die mit der Verlobung seiner Schwester einhergehende Machtposition verzichten. Das Prinz Leyon nun aber dich heiratet, hat ihre Pläne zerstört.'', sprach er abfällig über die beiden. ,,Kein Wunder also, dass sie versucht haben einen Skandal zu finden, der dich ausbotet.''
,,Mit Erfolg, wie's scheint.'',
Der Fürst betrachtete mich mit einem leichten Lächeln. ,,Das denke ich nicht. Man müsste blind sein, um nicht zu sehen, wie sehr der Prinz dich liebt. Nichts und niemand wird ihn davon abhalten können, dich zur Frau zu nehmen.''
,,Da haben Sie vermutlich Recht...'', murmelte ich mit einem leisen Lächeln in der Stimme.
,,Ich erwarte nicht, dass du mir vergibst, Lyana.'', ließ Fürst Lundos verlauten. ,,Ich vergebe mir ja selbst nicht.'' Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und schaute mir direkt in die Augen. ,,Ich möchte nur, dass du weißt, dass es mir leid tut und ich es mehr als alles andere bereue.''
Ich nickte nur. Was hätte ich denn auch sonst tun sollen? Fürs Verzeihen war es definitiv noch zu früh, dazu war die Wunde gerade erst aufgeklafft, größer als zuvor. Vielleicht würde ich es auch nie können. Wer wusste das schon? Die Zeit würde es zeigen.
Der Fürst erhob sich mit einem traurigen Lächeln. ,,Ich wünsche dir jedenfalls alles Gute, Lyana. Auch wenn ich dein Leben bisher nicht mitverfolgen konnte, werde ich es nun tun. Wenn du reden willst oder etwas brauchst, kannst du dich immer an mich wenden. Du erinnerst mich sehr an Madell, ich bin mir sicher, sie wäre jetzt unglaublich stolz auf dich, denn obwohl du so schlechte Voraussetzungen hattest, hast du doch schon bewundernswert viel erreicht und wirst noch viel mehr erreichen. Ich bin stolz auf dich, Lyana. Das wollte ich nur einmal gesagt haben.'' Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen, doch ich hielt ihn noch einmal zurück. ,,Meine Mutter hat Sie immer geliebt, trotz dessen, was Sie ihr angetan haben.'' Er stand mit dem Rücken zu mir, weswegen ich seine Reaktion nicht sehen konnte. Dann ging er und ich blieb mit meinen Gedanken allein zurück. Müde lehnte ich mich mit geschlossenen Augen nach hinten in das weiche Polster. Das Gespräch hatte mir zu schaffen gemacht. Es gab viel über das ich nun nachdenken musste.
Ich wusste nicht wie lange ich da einfach nur saß und nachdachte.
,,Lady Lyana?'' Ferin war es, der mich plötzlich aus meinen Gedanken riss. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er den Salon betreten hatte. ,,Kommt bitte mit. Der Prinz erwartet Euch.''
Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe. Doch eigentlich sollte es mich nicht überraschen. Natürlich wollte er mit mir über die Hochzeit und die ....unschönen Vorkommnisse reden. Daran führte wohl kein Weg vorbei.
Schwerfällig erhob ich mich und folgte Ferin und Drew durch die vielen Gänge des Palastes. Zu meiner Überraschung steuerten wir jedoch den Wintergarten an und nicht das Arbeitszimmer des Prinzen. Wieso zur Hölle sollte Leon ausgerechnet zwischen Grünzeug ein derart wichtiges Gespräch führen wollen? Anscheinend war ich nicht die einzige, die dieser Tag ein wenig durcheinander gebracht hatte.
Im ersten Moment konnte ich Leyon nicht entdecken, erst als ich weiter ins Innere geführt wurde. Die Stelle an der er stand, weckte Erinnerungen. Genau hier hatte Leyon mir den Antrag gemacht, der...nun ja...etwas missglückt ist. Was ganz allein meine Schuld war, dessen war ich mir bewusst. Der Prinz war unfassbar süß gewesen mit seinen Worten und ich...hatte ihn abgewiesen. Zwar zwecklos, aber es ging ums Prinzip.
Vor ihm blieb ich stehen und das Gefühl eines Dèja-vü verstärkte sich noch mehr, als Leyon plötzlich vor mir auf ein Knie sank. Auch diesmal konnte ich ihn einfach nur ansehen.
Er räusperte sich, um seine Unsicherheit zu überspielen. ,,Meinen letzten Antrag hast du abgewiesen, ich hoffe diesmal auf einen anderen Ausgang.'' Er lachte leise. ,,Tut mir leid, mein Kopf ist gerade wie leer gefegt. Das ist mir noch nie passiert.'' Eine leichte Röte färbte seine Wangen und ich kam nicht umhin, sie verzückt zu betrachten. ,,Außerdem habe ich dir bereits einen Heiratsantrag gemacht, beim zweiten nimmt es mir doch bestimmt keiner übel, wenn ich mich kurz fasse?'' Leyon wartete gar keine Antwort ab, sondern atmete tief durch. ,,Lyana Dora...Ka...Lundos?'' Er schnaufte mit einer Spur von Belustigung. ,,Scheiß auf die Namen. Willst du mich heiraten?''
Ich lachte. Doch bevor Leyon es falsch aufnehmen konnte, fiel ich ihm einfach so gut es ging -schließlich trug ich immer noch das verdammte Hochzeitskleid- in die Arme.
,,Ja.'', hauchte ich glücklich. ,,Ja,, ich will.''

Lyana- The Story of a QueenWhere stories live. Discover now