9. Kapitel

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Jetzt stand ich hier also frisch gewaschen, nach Rosenwasser duftend, komplett enthaart und mit den wohl ordentlichsten Fingernägeln und Haaren, die ich je hatte, schon wieder vor dem nächsten Problem.
Dem Anziehen eines Kleides. Hört sich nicht schwerwiegend an, ist es aber.
Vor allem wenn die Kleider so aufgebaut sind, dass man nicht alleine mit ihnen fertig wird und die Person, die dafür zuständig ist dir zu helfen, deinen Körper nicht sehen darf.
Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung, während Zoey von meinem Problem nichts mitbekam und mir die Unterwäsche, die aus einem schönen, teuer aussehenden Spitzen-BH mit dazu passendem Höschen bestand, beides in einem zarten rosa Ton, passend zu dem bodenlangen, hellrosanen Kleid mit Spitze, dass ich für eure Abend tragen sollte, reichte. Schnell nahm ich sie entgegen und flüchtete mich, bevor die Zofe überhaupt reagieren konnte, zurück ins Bad. Erst dort ließ ich das Handtuch fallen, schlüpfte schnell in die Unterwäsche und hüllte mich dann in den blütenweißen Bademantel, den ich in einem der Schränke hängen sah und der mir erst jetzt auffiel. Und ich hatte gedacht, ich wäre mittlerweile aufmerksamer geworden.
Als ich wieder aus dem Bad trat, empfing mich eine verwirrte Zoey. ,,Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mylady?''
,,Ja. Reichst du mir das Kleid?'' Doch die junge Zofe schüttelte den Kopf und bat mich stattdessen, mich auf dem Sessel vor dem Schminktisch mit Spiegel niederzulassen, damit sie mich erst schminken und frisieren konnte.
,,Möchten Sie zuerst die Haare oder das Make-up gemacht bekommen?'', erkundigte Zoey sich, während sie sich hinter den Sessel stellte und mich durch den Spiegel abschätzend musterte.
,,Erst das Make-up, dann die Frisur.''
Mit einem Nicken begann sie zuerst meine Haare zu kämmen, bevor sie sie zu einer kunstvollen Flechtfrisur auftürmte und das Ganze mit ein paar dünnen Klammern befestigte. Dann widmete sie sich meinem Gesicht. Eine Creme nach der anderen wurde mir aufgetragen, genauso wie diverse Puder. Auch meine Augen und meine Lippen nahm sie sich vor und es dauerte eine Weile bis sie fertig und mit dem Endergebnis zufrieden war.
,,Eigentlich sind Sie ja schon von Natur aus unglaublich schön, aber so zurecht gemacht wird Ihre Schönheit nur noch mal mehr hervorgehoben, Mylady.''  Zoey sah mich durch den Spiegel bewundernd an, während ich mein Gesicht nur anstarren konnte. Ich erkannte mich kaum wieder. Aber das könnte auch daran liegen, dass ich mich das letzte Mal als Kind richtig in einem Spiegel angeschaut hatte. Ich studierte jedes Detail meines Gesichts. Die feinen Gesichtszüge, die durch ein leichtes rosa betonten Wangenknochen, die vollen Lippen, die ebenfalls rosa glänzten, die ebene, makellose  Haut in einem Bronzeton, abgesehen von der feinen, kaum zu erkennenden Narbe über meiner linken Augenbraue, und die großen, leicht ovalen Augen in strahlenden Gold, das von hellblauen Sprenkeln durchzogen wurde, die mich von der Farbe her stark an das Eisblau von Xander's Augen erinnerten. Als ich mich weiter vorlehnte, um mich noch näher betrachten zu können, bemerkte ich, dass sich das Eisblau nicht nur in den Sprenkeln wiederfinden ließ, sondern auch einen kleinen Kranz um die Pupille bildete. Ein dichter, schwarzer Wimpernkranz umgab meine Augen, die zusätzlich nochmal von den rosanen Nuancen auf meinem Lied betont wurden. Meine schwarzen Locken waren kunstvoll hochgesteckt, sodass mein Gesicht nur noch mehr in den Vordergrund gehoben wurde.
Im Vergleich zu Früher hatte sich einiges verändert. Meine Haut war zwar schon immer in einem schönen Braunton, das hatte ich von meiner Mutter gerbt, die den selben Hautton hatte, wenn auch noch ein wenig dunkler als ich, aber sie war nie so makellos und strahlend wie jetzt. Auch meine Augen stachen nun viel mehr hervor als früher. Wobei das Make-up mich in der Tat noch viel schöner machte und einige Aspekte meines Gesichts in ein stärkeres Licht stellte.
Als ich mit meiner Betrachtung fertig war, stand ich auf und bewunderte erst den zartrosa Traum in den Händen der Zofe, bevor ich unschlüssig ihr Gesicht anstarrte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Denn wie sich gerade herausstellte hatte das Kleid am Rücken Schnüre, die zusammengebunden werden mussten und ich konnte das nicht alleine bewerkstelligen. Ich würde wohl oder übel Hilfe benötigen, auch wenn es mir so gar nicht passte. Doch konnte ich Zoey vertrauen, dass sie nicht sofort loslaufen und überall herumerzählen wird, das die Herzogstochter einen teilweise stark vernarbten Körper aufwies? Mal ganz abgesehen von unangenehmen Fragen, die ich nicht gewillt war zu beantworten.
,,Ähm, Mylady?'' Das Mädchen fühlte sich sichtlich unwohl und sah betreten zu Boden. Ihre Stimme klang leise. ,,Falls Sie sich für Ihren Körper schämen-‚'' Ich unterbrach sie harsch. ,,Wie kommst du darauf, dass ich mich für meinen Körper schäme?'' Zoey wagte es nicht mir ins Gesicht zu schauen, stattdessen machte sie sich klein und ihren Wangen nahmen einen rötlichen Farbton an. ,,Naja....wegen den Narben...'' ,,Narben?!'' Erneut fuhr ich sie mehr als grob an an und es tat mir noch im selben Moment Leid, jedoch war ich gerade viel zu sehr von ihren Worten und der Tatsache das sie Bescheid zu wissen schien geschockt, als das ich daran dachte, mich zu entschuldigen.
Nun sah mir die Zofe doch mutig in die Augen. ,,Der Herzog und die Herzogen hielten es für notwendig mich von Ihrer wahren Herkunft zu unterrichten. Schließlich werde ich für einen gewissen Zeitraum Ihre Zofe sein und als solche lässt es sich nicht vermeiden, Ihren Körper mir zu zeigen, vor allem da die meisten Kleider nicht alleine angezogen werden können. Und in weiser Voraussicht gingen Ihre Gnaden bereits von einem nicht ganz makellosen Körper, wie es für eine Adelige normalerweise üblich war  und einigen damit verbundenen Komplikationen aus, und zogen die notwendigen Maßnahmen.'' Mir fiel auf, dass sie strikt darauf geachtet hatte, dass keines ihrer Worte etwas darüber Preis gab, in welchem Verhältnis sie zu dieser Tatsache stand. Nichts hatte verlauten lassen, was sie davon hielt, kein Gefühl in der Stimme und kein unüberlegt geäußertes Wort. Doch damit konnte ich mich gerade nicht näher damit beschäftigen, da ich erstmal begreifen musste, dass Zoey Bescheid wusste und sich das Risiko aufzufliegen und hingerichtet zu werden gerade um einiges größer geworden ist. Dabei spielte es keine Rolle, ob der Zofe absichtlich oder unbedacht ein falsches Wort herausrutschte. Denn wenn sie etwas verriet, wäre ich geliefert.
Kurz kam mir der Gedanke sie einfach umzubringen und somit die Gefahrenquelle zu beseitigen, doch so schnell wie der Gedanke gekommen war so schnell verwarf ich ihn auch wieder. Ich würde keine Unschuldige, geschweige denn noch eine Person mehr umbringen. Ich war Rebellin, keine Killerin.
Zoey schien mein inneres Chaos, das ihre Worte ausgelöst hatten, zu bemerken und  lächelte mich vorsichtig an. ,,Keine Sorge, ich werde nichts verraten. Meine Loyalität gehört voll und ganz meiner Herzogsfamilie. Und Sie gehören ja schließlich auch dazu, nicht wahr, Lady Lyana?'' Sie zwinkerte mir zu und wich meinem prüfenden Blick nicht aus. In ihren Augen stand nichts anderes als Ehrlichkeit und ich atmete erleichtert auf. ,,Na schön. Dann kannst du mir ja jetzt freundlicherweise mit meinem Kleid helfen.'' Zoey schmunzelte leicht. ,,Zu Befehl, Mylady.''
Ich hatte das Gefühl, dass jetzt, wo das geklärt war, eine viel entspanntere und irgendwie auch gelöstere Stimmung zwischen uns herrschte. Und darüber war ich froh. So war es viel angenehmer.
,,Du.'' ,,Wie bitte?'' Zoey sah mich verwirrt an, während sie mir in das Kleid half und die Schnüre an meinem Rücken ordnete. ,,Du kannst mich Duzen. Da du eh schon Bescheid weißt, solltest du nicht so mit mir Reden als wäre ich etwas Besseres und du mir untergeordnet. Dafür stehen wir Rebellen nicht.'' Die Zofe schwieg eine Weile und ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen, bevor sie leicht nickte. ,,Aber nur wenn wir alleine sind, Lyana. In der Gegenwart von anderen werde ich dich so ansprechen wie es sich eigentlich gehört.'' Ich sah das kleine Lächeln, das sich auf ihr Gesicht geschlichen hatte und erwiderte es. Uns beiden war die tiefere Bedeutung dieser Worte bewusst.
Zoey zog die Schnüre fest und band die letzte Schleife. ,,So, fertig. Jetzt müssen S- musst du- nur noch die passenden Schuhe anziehen und dann bist du zumindest Äußerlich schon mal für das Speisen mit den edlen Herrschaften bereit.'' Sie stellte ein paar rosane Ballerina vor mich hin und zwinkerte mir zu. ,,Die Schuhe sieht man ja unter dem langen Kleid eh nicht. Und da es dein letztes Mal ohne hohen Absatz sein wird, will ich mal nicht so sein.'' Sie grinste. ,,Außerdem will ich ja nicht für einen Sturz verantwortlich sein, denn ich glaube, wenn ich dich jetzt mit Absatz rumlaufen lasse, wirst du entweder nie ankommen oder einen sehr holprigen Weg hinlegen.'' Ein Kichern entwich ihr und ich lächelte dankbar. Langsam schlüpfte ich in die Schuhe und musste mich erstmal an das ungewohnte Gefühl gewöhnen. Noch nie hatte ich ein derart teures und gutes Material an den Füßen gehabt und obwohl sie sich eigentlich sehr angenehm zu Tragen anfühlten, so befand ich sie doch als unbequem. Ich vermisste schon jetzt meine klobigen, aber praktischen Stiefel, die mir eine Sicherheit verliehen hatten, die mir bei den Ballerina fehlte.
Unsicher machte ich ein paar Schritte und war erstaunt wie leicht sie sich anfühlten. Ich spürte ihr Gewicht kaum. Es war so als wäre ich barfuß, nur eindeutig angenehmer.
,,Pass auf, Lyana. Ich werde dir jetzt eine kurze Einführung geben wie du dich auf dem Weg zum und im Speisesaal verhalten musst. Das meiste wirst du in den nächsten Tagen nochmal ausführlicher lernen, jedoch muss ich dich kurz über das Wichtigste unterrichten. Also hör mir gut zu.'' Zoey faltete die Hände hinter ihrem Rücken und sah mich konzentriert an. ,,Zuerst einmal zu deiner Haltung. Halte deinen Rücken gerade, zieh den Bauch ein und streck die Brust raus.'' Ich versuchte ihren Anweisungen so gut es ging nachzukommen, jedoch stellte ich mich nicht sehr geschickt an. Zoey musste sie mehrfach korrigieren und sah selbst danach noch unzufrieden aus. Sie seufzte. ,,Daran wird noch gearbeitet werden müssen. Deine Haltung ist katastrophal. Aber gut für heute muss es reichen. Die Angestellten werden sich eh nicht trauen, dich darauf anzusprechen und es befindet sich zurzeit kein Gast im Haus. Also weiter zum Hofknicks. Mach ihn so würdevoll wie möglich. Ungefähr so.'' Zoey führte denn Knicks elegant aus und sah mich dann erwartungsvoll an. Auch ich vollführte einen, empfing dafür jedoch nur einen zweifelnden Blick von ihr. ,,Nun, das sah eher so aus als wolltest du jemanden verspotten, anstatt ihm Respekt zu zollen und deine Ehrerbietung zu zeigen.'' Wenn sie nur wüsste wie Recht sie damit hatte.
,,Aber immerhin kennst die richtige Bewegung schon einmal, jetzt musst du nur noch an einer eleganten Ausführung arbeiten. Den Knicks vollziehst du beim Eintreten in den Saal, wenn du das Herzogspaar erblickst. Danach gehst du zu deinem dir zugewiesenen Platz. Der Stuhl wird dir von einem Diener zurückgezogen werden. Wenn die Speisen serviert wurden, wartest du bis der Herzog die Erlaubnis zum Essen erteilt und beginnst dann langsam und möglichst elegant zu Speisen. Beim Besteck arbeitest du dich von Außen nach Innen. Iss nicht alles auf, auch wenn es dir schmeckt und du Hunger hast und sollte dir etwas nicht bekommen, nimm höflich ein paar Bissen und lege dann ordentlich dein Besteck beiseite. Sprich nicht mit vollem Mund und halte, wenn du Lachen musst, die Hand vor den Mund. Lache und Rede ebenfalls niemals zu laut, das wird als unangenehm empfunden. Das Mahl ist erst beendet, wenn der Herzog es sagt, also steh nicht einfach auf, wenn du fertig bist.'' Sie überlegte kurz, ob es noch etwas wichtiges zu sagen gab. ,,Alles weitere wirst du in den nächsten Tagen lernen.'' Ich starrte sie nur an. Erwartete sie wirklich, das ich mir das alles behalten konnte? Ich hatte die Hälfte schon wieder vergessen und das, obwohl ich mich wirklich bemüht hatte, aufmerksam zu zuhören. Gerade als ich sie bitten wollte die wichtigsten Punkte noch einmal zu wiederholen, wurde sie plötzlich hektisch und drängte mich sanft Richtung Tür. ,,Los, du darfst dich auf keinen Fall verspäten. Unpünktlichkeit wird nicht gerne gesehen. Ich geleite dich hin.'' Die junge Zofe schloss die Zimmertür hinter uns und führte mich durch die vielen Gänge des Schlosses.Vor einer breiten Flügeltür hielt sie an und verabschiedete sich mit den Worten ,,Ich hole dich nachher hier wieder ab.'' von mir, bevor die zwei davor stehenden Wachen die zwei Flügel für mich öffneten und ich in den dahinter liegenden Saal treten konnte. Er war anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte mir unter dem Speisesaal, den großen, imposanten Saal von meiner Herumführung vorgestellt, der einzig von einer langen Tafel eingenommen wurde an dem bestimmt ein beachtlicher Teil des gesamten Adels hätte Platz nehmen können, aber nicht diesen Raum, der zwar immer noch nicht gerade klein war, jedoch hielt sich seine Größe noch in relativ normalen Grenzen. Statt einer Tafel, erblickte ich einen etwas größeren Tisch, der zwar aus edlem Holz, sonst jedoch ganz normal war. Um den Tisch herum, standen Acht Stühle, von denen zwei besetzt waren. An der Wand neben mir standen zwei Diener, jederzeit bereit den Wünschen ihrer Herren nachzukommen. Der Herzog saß am Kopfende des Tisches, seine Gemahlin rechts daneben.
Das Geräusch, als sich die Flügeltür hinter mir schloss, ließ mich aufschrecken und ich beeilte mich einen hastigen Knicks zu machen, der aber laut den Gesichtern der Herzogspaars nicht gerade elegant ausfiel. Glücklicherweise gab keiner der beiden einen Kommentar dazu ab. Der Herzog wies stumm auf den Platz zu seiner Linken und ich nahm schnell gegenüber der Herzogin Platz, die mir ein kurzes, freundliches Lächeln schenkte. ,,Du siehst wundervoll aus, Lyana. Nicht wahr, Liebster?'' Sie bedachte ihren Gatten mit einem auffordernden Blick.
,,Nun, in dieser Auffassung gibst du tatsächlich etwas her.'' Auf den jetzt mahnenden Blick seiner Frau, fügte er widerwillig hinzu: ,,Gut, du besitzt tatsächlich eine dem Adel würdige Schönheit.'' Mehr würde er nicht dazu sagen, das war sowohl seiner Gemahlin als auch mir bewusst, weswegen sie ihre Augen von ihm löste und ich mich höflich bedankte. Darauf reagierte er gar nicht, sondern gab den Dienern ein Zeichen, worauf sich einer von den beiden von der Wand löste und aus dem Raum eilte, nur um kurze Zeit später mit ein paar weiteren Dienern zurückzukommen, die Tablette trugen und uns routiniert die Speisen auftischten, bevor sie wieder verschwanden und sich der eine Diener wieder an seinen vorherigen Platz begab.
Ich wollte gerade mit dem Essen beginnen, als ich mich an die Worte der Zofe erinnerte und zum Herzog sah.
,,Bitte, meine Lieben, ich wünsche Guten Appetit.'' Auf seine Erlaubnis hin, huschte mein Blick direkt zu Herzogin Atlanta, um zu sehen mit welchem Besteck sie begann. Ich wollte ihnen keinen weiteren Grund mich für ein dummes, unkultiviertes Straßenkind zu halten liefern, auch wenn zumindest der letzte Teil irgendwo stimmte.
Ich hatte die uns servierten Speisen noch nie zu vor gesehen und dementsprechend zögerlich nahm ich den ersten Bissen. Es war lecker. Hungrig aß ich weiter und tat einfach so als würde ich die Blicke der beiden Adligen nicht bemerken. Zoey's Rat nicht alles aufzuessen, weil sich dies nicht gehöre, hatte ich schon längst wieder vergessen, oder es war mir einfach schlicht weg egal. Ich hatte Hunger und das Essen hier war vorzüglich. Das Köstlichste, was ich je zu speisen gekriegt hatte. Und ich sah es nicht ein, etwas davon verschwenden zu lassen. Ein Großteil der Bevölkerung lebte in Armut und hatte mit Hungersnöten zu kämpfen und hier aß man absichtlich nicht alles auf. Das war für mich nicht nur ungerecht, sondern auch unverständlich.
Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken und ich bemerkte, dass sowohl der Herzog als auch die Herzogin ihr Besteck bereits sorgfältig abgelegt und offensichtlich ihr Mahl beendet hatten, auch wenn sich auf ihren Porzellantellern immer noch Reste befanden. Ich sah runter zu meinem komplett leeren Teller und legte das Besteck schließlich einfach darauf.
,,Wie ich sehe hat es dir gemundet.'', stellte Herzog Shalom leicht abwertend fest.
,,Ja, es war vorzüglich. Deinen Geschmack scheint es allerdings nicht so ganz getroffen zu haben.'' Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, genauso wenig wie den provozierenden Blick dabei.
,,Bitte?'' ,,Na, dein Teller lässt darauf schließen, dass du es entweder nicht als schmackhaft empfandest oder...du den Wert eines solchen Mahls einfach nicht zu schätzen weißt, Vater.''
Für einen Moment starrte er mich einfach nur fassungslos an, bemüht sich unter Kontrolle zu halten, dann wurde sein Blick wütend. ,,Was fällt dir eigentlich ein? Du unverschämtes, undankbares, dreck-‚'' ,,Shalom!'' Herzogin Atlanta unterbrach ihren aufgebrachten Gemahl und stoppte damit seinen wüsten Fluss an Beleidigungen. Unauffällig wies sie ihn auf die sich immer noch im Zimmer befindenden unerwünschten Zuhörer hin. Mit blitzenden Augen befahl er den beiden Dienern den Raum zu verlassen, die seinem Befehl unverzüglich nachkamen.
Dann wandte er sich wieder mir zu. ,,Und du kleines, dreckiges Rebellenmiststück, hörst mir jetzt mal gut zu! So hast du nicht mit mir zu Reden, weder als Rebellin noch als Tochter, das verbiete ich mir. Du wirst dich gefälligst so benehmen, wie es sich gehört! Wir können dich jederzeit an die Soldaten des Königshaus ausliefern, sei dir dessen bewusst. Ab jetzt erwarte ich ein angemessenes Verhalten von dir.'' ,,Shalom, Liebster, beruhige dich.'' Atlanta legte ihm sanft eine feingliedrige, blasse Hand auf den Arm. ,,Sie kennt unsere Verhaltensweisen und Umgangsformen doch noch gar nicht. Sie ist ein ganz anderes Leben als unseres gewohnt, das kannst du ihr nicht zum Vorwurf machen. Aber ich bin mir sicher, Lyana wird sich schnell einfinden.'' Shalom's Augen verloren ein wenig an Härte, als er in die liebevollen seiner Frau sah, und seine Wut verrauchte spürbar. ,,Das hoffe ich für sie.''
Meine Hände, die sich unterm Tisch zu Fäusten geballt hatten, während er gesprochen hatte, lockerten sich wieder.
Wie es aussah konnte er mich absolut nicht leiden, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Wenn ich ehrlich war, mochte ich die Herzogin, aber mit ihrem Mann konnte ich nichts anfangen. Er war für mich so wie alle anderen Adligen. Und wieder stellte sich mir die Frage, warum er mit den Rebellen gemeinsame Sache machte, wenn er sie doch eigentlich verabscheute.
,,Lasst uns, bevor der nächste Gang serviert wird, doch noch schnell über deinen Tagesablauf für die nächsten gut zwei Wochen sprechen, Lyana. Uns bleibt nicht viel Zeit und du hast viel zu lernen.'' ,,Ja, zum Beispiel wie man seine Zunge hütet.'', warf der Herzog unfreundlich ein und bedachte mich mit einem herablassenden Blick. Atlanta ignorierte sein Gesagtes einfach und fuhr ohne ihm Beachtung zu schenken fort: ,,Zuerst wirst du die richtige Haltung, das Laufen in hohen Schuhen und die elegante Ausführung eines Hofknicks erlernen. Danach wirst du Unterricht in Protokoll, Etikette, Benehmen, Geschichte und was mir gerade aufgefallen ist, im richtigen speisen erhalten. Zusätzlich wirst du noch Tanz-und Reitstunden bekommen. Morgen früh direkt nach dem Frühstück beginnen wir mit deinen Lektionen. Hast du noch irgendwelche Fragen, die dich beschäftigen?''
Ich zögerte, unsicher, ob ich die Frage stellen sollte oder nicht. ,,Ich...Ich würde gerne wissen, warum sie beschlossen haben sich mit den Rebellen zu verbünden.'' Kaum das ich die Frage gestellt hatte, bereute ich sie auch schon, als ich den Schmerz in den Augen der Herzogin aufblitzen, bevor sie ihn verbergen konnte, und den finsteren Ausdruck auf dem Gesicht von Herzog Shalom sah.
,,Das geht dich nichts an, Rebellin. Solche Fragen sind dir nicht gestattet.'', fuhr der Herzog mich an. ,,Du nimmst den Rest des Abendmahls in deinen Räumlichkeiten ein. Das ist besser für uns alle.''
Ich schluckte fast schon eingeschüchtert von seinem plötzlichen Ausbruch, stand jedoch ohne eine weitere Bemerkung auf, knickste spöttisch und verließ hoch erhobenen Hauptes das Esszimmer.
Ohne die davor stehenden Wachen zu beachten, lief ich einfach los.
Ich verstand nicht, warum der Herzog plötzlich so überreagiert hatte. Doch was mir durch die Reaktionen der beiden klar geworden war, war das dahinter eine Geschichte stecken musste. Eine Geschichte, bei der ich darauf brannte sie in Erfahrung zu bringen.

Lyana- The Story of a QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt