25. Kapitel

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Das Mädchen riss die Augen auf, maßloser Schock und Panik stand in ihnen geschrieben.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie auch? Würde ihre Zofe, die gleichzeitig auch von Geburt an ihr Kindermädchen war, nicht zu den Rebellen gehören, hätte es auch niemand sonst erfahren. Ich dürfte es also eigentlich gar nicht wissen.
,,Wie-?'', keuchte Kleà überfordert und sprang auf.
Ruhig wies ich sie an sich wieder zu setzten und nach kurzem Zögern kam sie dem nach. ,,Wie ich das wissen kann? Das tut nichts zur Sache. Fakt ist, du hast mir gerade die Bestätigung gegeben.''
Betreten und sichtlich aufgewühlt senkte sie den Blick und knete unruhig ihre Hände. Sie war nervös, verständlich.
,,Es stimmt. Ich bin die kleine Schwester von Leyon.'', gab Kleà flüsternd zu. Doch sie klang keines Wegs glücklich dabei.
,,Ich nehme mal an, die Familienverhältnisse sind... kompliziert.''
Die Prinzessin lachte verbittert auf. ,,Kompliziert beschreibt es nicht annähernd.''
Ich wartete. Kleà schwieg einige Sekunden, bis ihre Schultern herabsanken und sie den Kopf hängen ließ. ,,Du siehst es doch. Meine Eltern sperren mich weg, mein ganzes Leben habe ich in diesen Zimmern hier verbracht. Sie tun so als würde ich nicht existieren, ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen!'' Ihre Stimme brach und sie schluchzte leise auf. ,,Die einzigen Menschen mit denen ich reden kann und die wissen, dass es mich gibt sind mein Bruder, mein Arzt und Magdaleyn, meine Zofe, die mich im Prinzip aufgezogen hat. Sie ist wie eine Mutter für mich. Die drei sind auch die einzigen neben seinen Majestäten die einen Schlüssel für meine Zimmer haben. Nach jedem Besuch müssen sie abschließen. Ich bin eine eingesperrte, kranke Prinzessin.'' Sie schnaubte tränenerstickt. ,,Was ich will und fühle ist egal. Ich hasse sie! Ich hasse meine Eltern!'' Kleà schlug die Hände vors Gesicht, um ihre lauten Schluchzer zu dämpfen. ,,Entschuldigung, es tut nur so gut mir das alles endlich von der Seele reden zu können...''
,,Ist schon in Ordnung. Ich höre zu.'' Sanft lächelte ich sie an.
,,Ich bin seit meiner Geburt krank, dass sieht man mir ja leider auch an. Ein schwaches Herz, angeschlagenes Immunsystem, plötzliche Schwindelanfälle - ich weiß selber, dass ich alles andere als gesund bin! Aber das ist doch kein Grund mir ein normales Leben zu verwehren, oder?''
,,Nein, das ist es nicht'', stimmte ich ihr leise zu.
,,Leyon hat früher so oft versucht vorbei zu kommen wie es geht, mit der Zeit jedoch sind seine Besuche immer weniger geworden. Jetzt besucht er mich kaum noch, ein-zwei Mal im Monat vielleicht.'' Ihre Trauer stach mir direkt ins Herz, es war schon immer viel zu weich gewesen. Es war ein Wunder das ich solange überleben konnte.
,,Ich kann ihm nichtmal Vorwürfe machen. Er ist der zukünftige König- er hat viele Verpflichtungen und Aufgaben. Und ich? Ich lebe offiziell noch nicht einmal.'' Sie sah sich um. ,,Wobei man das hier auch nicht Leben nennen kann.''
,,Es ist nur...so einsam. Ich bin einsam. Und daran wird sich wahrscheinlich nie etwas ändern.'' Hoffnungslosigkeit stand in ihren Augen, ihr ganzes Gesicht spiegelte ihre Einsamkeit wieder. So oft hatte ich diesen Ausdruck schon gesehen. Leute die keine Hoffnung mehr hatten, kämpften nicht mehr. Ich sprach aus Erfahrung. Und diese junge Prinzessin vor mir stand kurz davor aufzugeben.
,,Hast du deswegen das Stück gespielt?''
,,Ja. Musik lenkt mich ab, lässt mich all meine Probleme vergessen. Wenn ich spiele entkomme ich dieser Welt und tauche in meine ganz eigene ab. Als ich diese Komposition gefunden habe, hat mich die Melodie sofort vom ersten Ton an berührt. Es war so, als würde sie meine Seele spiegeln. Ich habe mich auf verdrehte Weise mit ihr verbunden geführt, auch wenn ich den Text nicht kannte. Aber jetzt, wo ich ihn gehört habe- du singst übrigens wunderschön- weiß ich warum Schweigender Schmetterling mein Lieblingsstück ist.''
,,Ich verstehe dich.'' Und das tat ich wirklich.
Bei Kleà schien ich damit aber einen Nerv getroffen zu haben. Energisch wischte sie sich die Tränen weg und funkelte mich aufgebracht an. ,,Nein, das tust du nicht! Niemand tut es! Ihr wisst nicht, wie ich mich fühle! Wie beschissen mein Leben ist!'', fuhr sie mich wütend an. In ihren Augen loderte Zorn und Verbitterung. ,,Du bist doch nur eine verwöhnte Adelige, die es geschafft hat, sich den nächsten König zu angeln und sich nun bei seiner Schwester einschleimen möchte! Dein Körper und dein hübsches Gesicht alleine reichen wohl nicht aus, hm? Er hat dir von mir erzählt und jetzt willst auf diese Weise versuchen, seine Gunst weiter zu erlangen, ist es nicht so? Gott, wieso erzähle ich so einer wie dir meine Geschichte überhaupt? Einer reichen, verzogenen Adeligen, die noch nie etwas in ihrem Leben leisten musste geschweige denn jemals auch nur annährend diesen Schmerz, den ich fühle, nachempfinden kann! Du bist doch genauso falsch wie du aussiehst!''
Ich ballte die Fäuste vor lauter Wut. Das ging zu weit!
,,Du hast Recht.'', brüllte ich.
,,Was?'' Kleà war jeglicher Wind aus den Segeln genommen worden. Damit hatte sie nicht gerechnet.
,,Allerdings nur mit deinem letzten Satz. Ich bin genauso falsch wie ich gerade aussehe.'' Meine Stimme hatte sich beruhigt, klang fast schon gelassen. Nur wer genau hinhörte, konnte wahrnehmen wie sie vor unterdrückten Gefühlen, die an die Oberfläche wollten, bebte.
,,Wie bitte?'' Grenzenlose Verwirrung schwang in ihren Worten mit. Sie verstand nicht.
Für einen Rückzieher war es jetzt zu spät. Es war Zeit für die Wahrheit.
,,Ich bin falsch.'', wiederholte ich. ,,Eine Lüge. Ich bin nicht Lady Lyana Dorados, ich bin nicht adelig.''
,,I-Ich verstehe nicht'', flüsterte Kleà.
Ich stieß ein erschöpftes Seufzen aus. ,,Ich bin Lyana Kariba. Eine Waise. Ich bin auf der Straße aufgewachsen. Wurde beschimpft, gejagt und war weniger wert als Dreck. Abschaum war der wohl am häufigsten verwendete Begriff, den ich zu hören bekam. Ich musste früh lernen, wie grausam dieses Land ist. Wenn du arm oder ein Waisenkind bist, hast du keine Zukunft, keine Perspektive und deine Überlebenschancen sind auch nicht sonderlich hoch. Wenn der Hunger und die Kälte dich nicht zugrunde richten und du auch nicht in einem Kampf mit anderen, die auf der Straße leben, um geschützte Schlafplätze oder Essen draufgehst, übernehmen das die Soldaten. Abfallbeseitigung nennen sie es. So viel Tote, meist Kinder, habe ich schon wie weggeworfener Müll in dreckigen Gassen liegen sehen. Erfroren, verhungert, ermordet. Ich war jeden Tag aufs neue dankbar, wenn ich nicht zu ihnen gehörte und die Nacht überlebt hatte. Denn die Nächte sind das schlimmste. So oft habe ich geglaubt, ich würde den nächsten Morgen nicht mehr erleben und doch lebe ich noch. Nicht selten habe ich daran gedacht einfach aufzugeben. Wozu lohnte es sich überhaupt zu kämpfen? In diesem Reich leben nur die reichen Bürger und Adelige, der Rest überlebt nur. Ich wurde so oft erniedrigt, habe gebettelt und gefleht. Auf der Straße existiert so etwas wie Freundschaft nicht, es wird nur ums nackte Überleben gekämpft. Ich war einsam, mein Glauben und meine Hoffnung sind mit jedem Tag mehr gestorben. Am Ende war das Einzige, was mich solange am Leben erhalten hat mein Wille und Hass. Hass auf die Königsfamilie und den Adel. Sie wissen von unserem Leid, von der Unterdrückung, der Armut und tun nichts. Sie leben in Saus und Braus, während wir mit dem Tod kämpfen.''
Während ich sprach, glomm neuer Hass in mir auf und ich hieß ihn Willkommen. Er war richtig. Und ich konnte mit ihm eindeutig besser umgehen, als mit dem Gefühlschaos, das der Prinz in mir auslöste.
Kleà war mit jedem meiner Worte stiller und blasser geworden. Tränen schimmerten in ihren Augen und auch meine Augen spürte ich feucht werden.
,,Zwei Jahre lang habe ich als Kind alleine auf der Straße überlebt. Ich hab so viele Grausamkeiten und schreckliche Dinge gesehen, die kannst du dir gar nicht vorstellen. Tja, mit Acht begann dann für mich ein ganz neuer Lebensabschnitt. Aber besser wurde es nicht. Ich habe eines Abends nicht gut genug aufgepasst, war zu müde und fertig. Ich bin einem älteren Mann in die Arme gelaufen, der mich einfach mitnahm. Er machte mich zu seiner Sklavin.''
Die Prinzessin keuchte auf. ,,Aber das ist verboten!''
Trocken lachte ich auf. ,,Nein, falsch. Sklavenhandel ist verboten. Was er laut dem König gemacht hat, ist einem armen, verwahrlosten Mädchen Arbeit und ein Dach über den Kopf zu geben. Niemand schert sich darum, was mit Kindern von der Straße passiert, wenn sie plötzlich verschwinden. Dass ich dabei nur in einer winzigen Besenkammer eingesperrt schlief, interessierte niemanden, genauso wenig wie er mich behandelte.'' Erinnerungen an diese Zeit kamen in mir hoch und ich konnte den gebrochenen Klang meiner Stimme nicht verhindern. ,,Er behandelte mich schlechter als Vieh. Er ließ mich alle möglichen Arbeiten verrichten, egal ob sie sich für ein Kind eigneten oder nicht.'' Ich fuhr gedankenverloren über die Schwielen in meinen Handflächen. ,,Das ironische war ja, dass er ein Fabel dafür hatte sich wie der König höchstpersönlich aufzuführen. Höfliche Sprache, Kniefälle - All sowas ließ er mich und eine andere, ältere Sklavin machen, während wir ihn ehrerbietig mit mein König anreden mussten. Nicht verwunderlich, dass mein Hass auf den echten nur noch mehr gewachsen ist, oder?'' Ich grinste spöttisch, um den Schmerz in meiner Stimme zu kaschieren. ,,Aber meinen Körper bis zum Rand des Belastbaren zu treiben, hat ihm noch nicht gereicht. Nein. Er...'' Ich stockte, presste die Lippen aufeinander und zwang mit aller Macht die Tränen zurück. Ich war stärker, als damals. Ich würde nicht mehr weinen. ,,Er hat...''
,,Nein...'', hauchte Kleà erstickt.
,,Doch. Er hat sich auch an mir vergriffen. Einem gerade mal Neunjährigen Mädchen. Und es hat ihm Vergnügen bereitet, er tat es seitdem öfter. Es war erniedrigend und tat jedes Mal aufs Neue unendlich weh. Für meine Schreie, wenn ich mich gewehrt habe, versucht habe zu fliehen, meine Arbeit nicht schnell und gut genug war, ich etwas getan oder gesagt habe, was ihm nicht gefallen hat oder wenn er einfach Lust drauf hatte, hat er mich bestraft.''
Ich dachte an die vielen Male zurück, wo er urplötzlich ausgeholt und auf mich eingeschlagen hat oder sich abscheuliche Strafen ausgedacht hat wie mich mit bloßen Händen den Boden schrubben zu lassen.
Langsam stand ich auf, drehte Kleà den Rücken zu. ,,Mach mein Kleid auf.'', forderte ich sie ausdruckslos auf und spürte wie sich nach ein paar Momenten zitternde Hände an meinen Rücken legten und die dünnen Goldfäden, die den Stoff an meinem Rücken zusammenhielten, öffneten. Als sie fertig war, streifte ich es etwas ab, sodass der obere Teil meines Rückens offen dar lag.
Laut aufkeuchend schlug sich Kleà die Hände vor den Mund. Ihre Reaktion überraschte mich nicht im geringsten. Mein Rücken bot nunmal einen erschreckenden Anblick. Lange, schlecht verheilte Naben zogen sich kreuz und quer über meine Haut und hoben sich sichtbar von dem Caramellfarbton ab.
,,Häßlich, nicht wahr? Ich bin für immer gezeichnet. Einige stammen von den Soldaten, die im Auftrag des Königshauses öffentliche Bestrafungen ausgeführt haben. Ich habe einmal ein kleines Stück Brot mitgehen lassen, weil ich vor Hunger fast umgekommen wäre und darin meinen einzigen Ausweg gesehen habe. Sie haben mich erwischt und mich mitten auf dem Marktplatz auspeitschen lassen. Nun er fand es witzig meine Narben mit seinen eigenen Peitschenhieben wieder aufzureißen, deswegen sind die meisten auch so dick.'' Mit kalten Augen drehte ich mich wieder zu ihr um. ,,Baron Lepord, schon mal gehört?''
Die junge Prinzessin schüttelte mit schreckgeweiteten und tränenerfüllten Augen den Kopf.
,,Ich habe ihn umgebracht.'', stieß ich emotionslos aus. ,,Ich habe ihn mit einem Küchenmesser aufgeschlitzt, mich für das Leid und all die Schmerzen gerecht, die er mir zugefügt hat. Danach bin ich blutverschmiert einfach losgerannt. Ich hatte gerade einen Adeligen getötet, egal aus welchen Gründen, mir drohte dafür die Todesstrafe. Ich bin einem Rebellen direkt in die Arme gelaufen. Ihm verdanke ich, dass ich noch lebe. Er hat mich mitgenommen, von der Straße geholt und mir bei den Rebellen ein neues Zuhause geboten. Seit über Zehn Jahren bin ich nun eine Rebellin. Mit jedem weiteren Tag konnte ich mich langsam von meiner Vergangenheit erholen. Die Rebellen gaben mir ein Ziel, etwas wofür ich kämpfen konnte und schenkten mir gleichzeitig eine Familie, die ich nie hatte. Es gab endlich Hoffnung, Hoffnung auf Besserung. Das ist das, was uns alle verbindet und immer mehr Anhänger gewinnt. Unsere Rebellion wächst mit jedem Tag.'' Ich fuhr über die Lehne des Sessels und sah berechnend auf das königliche Mädchen herab. ,,Soll ich dir sagen, warum ich hier bin? Willst du es wissen? Ich verrate es dir. Ich wurde hier eingeschleust, um deinen großen Bruder zu beseitigen. Mein Auftrag lautet den Thronfolger dieses Landes zu töten, denn ohne Erben ist das Königshaus dem Untergang geweiht. So viele brennen auf Rache für das, was die Hochwohlgeborenen ihnen angetan haben. So viel Hass und Wut....das halbe Land will die gesamte königliche Familie bluten sehen. Und in dem entstandenen Chaos werden die Rebellen sich erheben und die Macht übernehmen. Dieses Reich wird endlich Gerechtigkeit erfahren.''
Ich lächelte sie kühl an. ,,Du solltest also dankbar sein, dass abgesehen von ein paar ausgewählten Rebellen niemand von dir weiß. Es gibt so viele Menschen, die viel mehr Grausamkeiten erfahren haben als du, also hör auf in Selbstmitleid zu versinken, kleine Prinzessin.''
Ich wandte mich zum Gehen. ,,Ach und du wolltest doch wissen, woher ich das Stück mit dem Text kenne, es ist ein Straßenlied. Viele Straßenkinder singen es leise in eiskalten Nächten, um sich Hoffnung zu machen. Ich habe es von einem anderen Straßenmädchen, Reina, ein paar Wochen bevor sie aufgab, gelernt. Es war schön, es mal wieder zu spielen.'' Bei der Tür hielt ich nochmal Inne. ,,Vielen Dank für den Tee, ich glaube Ihr braucht ihn nun dringender, eure Hoheit.''
Kaum war die Tür hinter mir ins Schloss gefallen, lehnte ich mich erschöpft dagegen und schloss die Augen. Ich war müde. Ich war so unendlich müde.
Trotzdem konnte ich den Verlobungsball nicht einfach sausen lassen. Ich musste da auftauchen, ob ich wollte oder nicht. So hatte ich mir diesen Tag ganz sicher nicht vorgestellt und Leyon wahrscheinlich auch nicht.
Ich seufzte leise und raffte dann die Schultern. Da musste ich mich jetzt durchkämpfen.
Ich irrte durch die Gänge, in der Hoffnung einen Korridor zu finden, der mir bekannt vorkam. Dabei wich ich jedem Dienstboten aus, der meinen Weg kreuzte und versuchte möglichst nur durch einsame Flure zu streifen und dabei unbemerkt zu bleiben. Mein missgestalteter Rücken lag schließlich immer noch für alle zugänglich offen, denn dummerweise hatte ich vergessen Kleà wieder anzuweisen mein Kleid zu schließen. Jetzt musste ich durchgängig vermeiden, dass jemand einen Blick auf meine Rückansicht werfen konnte.
Ich war so damit beschäftigt immer wieder Blicke nach hinten zu werfen, dass ich kaum noch auf den Weg vor mir achtete und prompt in jemanden hineinlief, der gerade um die Ecke bog. Die Person reagierte blitzschnell. Innerhalb von Sekundenbruchteilen schossen Hände hervor und hielten mich an meinen Armen fest, um einen Sturz meinerseits zu verhindern. Erschrocken sah ich hoch, direkt in ein bekanntes Eisblau. Schnell wandelte sich mein Schock in pure Überraschung um.
,,Xander?''
Ohne ein Wort zu sagen, verfestigte sich sein Griff um meine Arme und er sah sich hektisch um, bevor er die Tür zu unserer Rechten aufstieß und mich hinein drängte. Mit einem leisen Klicken rastete das Türschloss hinter uns ein.
,,Was soll das?'', zischte ich und versuchte ihn in der Dunkelheit auszumachen. ,,Und was machst du überhaupt hier?''
Xander ließ mich schweigend los und kurz darauf kündigte ein kaum hörbares Geräusch an, dass er den Lichtschalter betätigt hatte. Knapp eine Sekunde später flackerte es hell über uns und die Lampe an der Decke ging an.
Ich blinzelte kurz bei der plötzlichen Helligkeit. Wir befanden uns in einem kleinen Salon, der nur aus ein paar Sofas und Sesseln bestand und auch wenn kein einziges Staubkorn zu sehen war, war ich mir sicher, dass der Raum so gut wie nie benutzt wurde.
Dann fiel mein Blick auf Xander und ich staunte nicht schlecht, als ich seinen Aufzug registrierte. Er war gekleidet wie ein Adeliger. Der Anblick war so ungewohnt, dass ich ihn für ein paar Sekunden einfach nur anstarren konnte. Es passte nicht zu ihm, die Lederkleidung, die er sonst trug, war viel natürlicher. Dennoch stand auch diese Outfit ihm.
,,Ich nehme mal an, die Frage wie du hier reingekommen bist, kann ich mir sparen?'', stellte ich mit hochgezogener Augenbraue fest. Sein einer Mundwinkel hob sich, sonst blieb sein Gesicht unbewegt. ,,Richtig.''
Xander ließ seinen Blick über mich schweifen. ,,Dreh dich um.''
,,Bitte?''
Er stieß ein Seufzen aus. ,,Dreh dich um. Ich mache dein Kleid wieder zu.''
Mit merklichem Unmut kam ich seiner Aufforderung nach. Seine Präsenz war dicht hinter mir, als sich kühle Finger an den Schnüren zu schaffen machten.
,,Was machst du hier, Xander?''
,,Es gibt eine Planänderung.", teilte er mir mit. ,,Dein Auftrag hat sich geändert, Lyana. Es ist gut, dass der Prinz noch lebt, denn dein Ziel hat sich gewechselt. Du sollst nun den König töten.''
Erleichterung erfüllte mich, doch ich ließ sie mir nicht anmerken und bemühte mich um einen nichtssagenden Gesichtsausdruck. Es war besser, wenn niemand von meinen Gefühlen erfuhr. Zumindest noch nicht.
,,Warum auf einmal?'', fragte ich neugierig nach.
,,Es wurde beschlossen, das du den Prinzen heiratest. Ein totaler Umsturz würde das Volk spalten und Bürgerkriege nach sich ziehen. Außerdem würde der Adel da nicht mitgehen und für Aufstände sorgen. Das ist nicht das, was wir Rebellen wollen. Wir kämpfen für Frieden, Gerechtigkeit und allgemeinen Wohlstand. Die Armut und Unterdrückung muss endlich ein Ende finden. Mit einer gewaltsamen Machtübernahme würden wir das nicht erreichen. Deswegen soll jetzt einfach einer von uns auf dem Thron, also du. Du musst Königin werden, Lyana.''
,,Was?'', brachte ich fassungslos hervor. ,,Ich soll Königin werden?''
,,Ja.''
,,A-Aber...was würde das bringen? Leyon wird als König immer noch die Macht haben, nicht ich. Ich werde nur die Frau an seiner Seite sein. Ich könnte nichts ändern.''
,,Lyana. Wie sind die Gefühle des Prinzen für dich?''
Ich überlegte, ihm eine Antwort darauf zu verweigern, doch letztendlich würde er es ja sowieso herausfinden. Er war schließlich Xander. ,,Er hat gesagt, er liebt mich.'', verriet ich ihm leise.
Auch ohne es zu sehen, wusste ich das sich sein Mund zu einem Lächeln verzogen hatte. ,,Da hast du doch deine Antwort. Er mag vielleicht die Macht über dieses Königreich haben, aber du hast die Macht über ihn. Und wenn er nicht mehr nach deiner- oder besser gesagt unserer- Pfeife tanzen sollte, kann der kleine Prinz immer noch einen plötzlichen Unfall erleiden.''
,,Ich soll ihn also ausnutzen, willst du das sagen?''
Xander zog die letzte Schnur fest und drehte mich zu sich herum. Ernst sah er mir in die Augen. ,,Hör mir zu, Lyana. Schon seit so vielen Jahren kämpfen wir für eine Veränderung. Und jetzt wo dieses Ziel endlich zum Greifen nah ist, dürfen wir nicht aufgeben. Du nutzt ihn nicht aus, du sorgst nur dafür, das er die Interessen der Rebellen vertritt. Du wirst für eine Besserung der Leben so vieler Menschen beitragen. Du wirst eine verdammt gute Königin abgeben! Und weißt du auch wieso?'' Ich konnte ihn nur anstarren. So viel hatte ich ihn noch nie reden gehört. ,,Weil du dich in das Volk hineinversetzen kannst. Du hast am eigenen Leib Armut und Hungersnot erfahren. Bist auf der Straße ohne alles aufgewachsen, hast ums Überleben gekämpft, wurdest versklavt, ausgepeitscht und bist zur Rebellin geworden. Du kennst sowohl das Straßenleben, Sklavenleben, Rebellenleben und das Leben einer Adeligen. Jeder Bürger wird sich irgendwo in dir wiederfinden, du repräsentierst sie alle. Kannst sie auf einer Weise verstehen wie es keine Königin und kein König vor dir getan hat. Du wirst die Verkörperung dieses Landes sein.'' Ein liebevoller Ausdruck, wie ich ihn noch nie zuvor in seinen Augen gesehen hatte, lag in seinem Blick.
,,Meinst du wirklich?'', hakte ich unsicher nach.
Aufrichtig schaute er mir direkt in die Augen. ,,Ja, Lyana.''
,,Und die Königin?'', startete ich einen letzten, halbherzigen Versuch.
,,Um die kümmern wir uns, sobald der König tot ist. Hast du das Gift noch?''
Ich nickte und hob zur Bestätigung die Kette hoch, die ich um meinen Hals trug. Der Anhänger klimperte leise, als er durch die ruckartige Bewegung hin und her baumelte.
,,Gut.'' Hinterhältig verzog sich sein Mund. ,,Trink doch ein Glas Wein mit ihm. Auf die Zukunft dieses Königreichs.''
Auch meine Mundwinkel hoben sich. ,,Mit Vergnügen. Guter Wein hat doch noch niemandem geschadet, nicht wahr?''
Ich war einfach nur froh, dass er mich nicht auf den nicht vorhandenen Erfolg meines ehemaligen Auftrags ansprach. Ich wüsste nämlich nicht, wie ich ihm erklären sollte, warum der Prinz noch lebte.
Sein Glück war teilweise so lächerlich, dass ich mir wahrscheinlich, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, nicht mal selbst glauben würde. Und das ich es mittlerweile auch gar nicht mehr konnte und wollte, konnte ich ihm auch nicht beichten. Meine chaotischen Gefühle gingen nur mich selbst etwas an. Jedenfalls solange bis ich Klarheit gefasst hatte und sie sicher benennen konnte.

Lyana- The Story of a QueenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora