8. Kapitel

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,,Wir sind da.'' Wayton hielt mir die Tür auf und ich stieg neugierig aus.
Das erste, was mir ins Auge fiel, war das gewaltige Gebäude vor mir, dass eindeutig ein Schloss war.
Die Fassade war in einem hellen Grau und bestand aus einem schönen Sandstein. Viele Fenster, von denen manche bodentief waren, erleuchteten das Innere dieses Schlosses sicherlich stark und vermittelten eine helle Atmosphäre.
Beeindruckt starrte ich an dem Schloss empor und entdeckte zwei Türme, die spitz in den Himmel ragten.
Neben mir war ein hübscher Springbrunnen, dessen Wasser leise eine steinerne Skulptur hinabfloss und um mich herum konnte ich einen akkurat geschnittenen Rasen in strahlendem Grün erkennen, bei dem kein einziger Halm auch nur einen Millimeter höher war als die anderen. Hinter dem Schloss konnte ich den Ansatz eines Parks erkennen, der sich sicherlich einige Hundert Meter weit erstreckte.
Bei diesem ganzen Prunk und Reichtum spürte ich wie die Wut in mir wieder zurückkehrte. Es war so ungerecht.
Da half es auch nicht, dass das Herzogspaar zu den Rebellen gehörte, denn sie blieben Adlige, die nur so im Luxus schwelgten, während der Großteil des Volkes ums Überleben kämpfen musste.
,,Hier entlang, Lady Dorados.'' Wayton warf mir einen bedeutungsschweren Blick zu, als er mir andeutete ihm zu folgen und ich verstand, dass ich nun in meine Rolle schlüpfen musste, auch wenn es mir noch so widerstrebte.
Ab jetzt war ich nicht mehr Lyana Kariba, sondern Lady Lyana Dorados, Tochter des Herzogs und der Herzogin von Dorados.
Wayton führte mich über den gepflegten Vorplatz zu einer Tür, die mehr wie ein Tor aussah und von zwei Soldaten bewacht wurde, die als sie uns erblickten sofort die Tür öffneten, wobei sich diese in der Mitte teilte.
Als wir die Eingangshalle betraten, stockte mir kurz der Atem vor Staunen, doch ich bekam mich schnell wieder in den Griff und folgte Wayton durch einige Flure, bis wir vor einer breit verzierten Tür anhielten und er mir einen kurzen Moment zum tief durchatmen schenkte, bevor wir den dahinter liegenden Saal betraten.
Zu meiner Überraschung war es kein Saal, sondern eher ein Zimmer, indem ein paar riesige goldene Sessel vor einem flackernden Kamin standen. Der Boden war von einem roten Teppich mit goldenen Stickereien bedeckt und passte farblich perfekt zu den Sesseln, die dem Kamin zugewandt waren. Neben der Tür stand ein junges Mädchen, dessen Kleidung sie als Dienerin auswies und die jederzeit bereit schien ihren Herren jeden Wunsch zu erfüllen.
,,Klara, lass uns allein.'' Der Befehl ertönte von einem der Sessel und während die Dienerin ihm unverzüglich nachkam und aus dem Zimmer verschwand, sah ich in die Richtung aus der die Stimme kam.
,,Mylady. Mylord. Ich darf Ihnen Lady Lyana vorstellen.'' Wayton verbeugte sich, obwohl die Sessel uns immer noch den Rücken zu kehrten. Langsam jedoch drehten sich die zwei in der Mitte zu uns herum und ich konnte endlich einen Blick auf die beiden Personen darin werfen. Die Herzogin war von unglaublicher Schönheit. Mit langem hellbraunem  Haar, blasser Haut, einem makellosen Gesicht mit feinen Zügen und großen blauen Augen, die mich musterten. Ihr zierlicher Körper war in ein bodenlanges, tiefblaues Kleid mit weit geschnittenen Rock und goldenen Verzierungen gesteckt. Es war wunderschön und perfekt auf den Goldschmuck mit dem dunkelblauen Juwel in der Mitte abgestimmt.
Der Herzog wies mit seinem kastanienfarbigem Haar, den dunklen Augen und den stark ausgeprägten Gesichtszügen abgesehen von der blassen Haut keine großartigen Gemeinsamkeiten zu seiner Frau auf.
,,Das ist also unsere Tochter.'' Es war eine Feststellung und unter den musternden, leicht abwertenden Blicken breitete sich ein unbehagliches Gefühl in mir aus. ,,Naja, hübsch ist sie ja, das muss man ihnen lassen. Wenn auch nicht auf die herkömmliche Art.''
Ich presste die Lippen zusammen.
Wieso hatten sie sich überhaupt den Rebellen angeschlossen, wenn sie doch genau wie alle anderen Adlige waren? Zumindest schien ihr Denken immer noch das Gleiche zu sein. Aber vielleicht änderte sich mein erster Eindruck ja noch.
,,Ja, sie hat irgendwie etwas orientalisches mit der karamellfarbenen Haut, den schwarzen Locken und den goldenen Augen ansich.'', stimmte ihm seine Frau zu und schenkte mir ein freundliches Lächeln. ,,Ich bin Atlanta. Du solltest mich aber wohl besser Mutter nennen.''
Die Herzogin machte überraschenderweise einen netten Eindruck und ich erwiderte ihr Lächeln zurückhaltend.
Daraufhin vergrößerte sich ihres und sie deutete auf ihren Gemahl. ,,Das ist mein Gatte Shalom, wie du sicherlich schon weißt, obwohl er nicht die Höflichkeit besaß, sich dir selbst vorzustellen.'' Beim letzten Teil warf sie dem Herzog einen strengen Blick zu, bevor sie mich wieder lächelnd ansah. ,,Magst du dich uns vielleicht auch vorstellen? Wir haben schon einige Informationen über dich erhalten, aber ich denke, es ist doch viel schöner, wenn du das selber machst.''
,,Wenn Sie meinen. Mein Name ist Lyana Kariba, aber von nun an Lady Lyana Dorados. Ich bin 20 Jahre alt und freue mich wirklich sehr, meine geliebten Eltern nach meiner langjährigen Auswertsstudie in ländlicher Umgebung wiederzusehen.'' Ich lächelte süß. ,,Ich habe euch ja so vermisst, Mutter, Vater.''
Atlanta schmunzelte, während ihr Mann seinen unwilligen Gesichtsausdruck beibehielt.
,,Ich schlage vor, wir tauschen uns beim Abendmahl weiter aus und du lässt dich jetzt erstmal von deiner neuen Zofe durch das Haus führen und passend ankleiden.'' Shalom klatschte laut in die Hände, woraufhin wie auf's Stichwort ein junges Mädchen in schlichten grauen Kleidern eintrat und ehrerbietig beim Knicks den Kopf senkte. ,,Das ist Zoey. Sie ist deine neue Zofe, Lyana. Wir freuen uns dich wieder bei uns zu haben, Tochter.'' Der letzte Satz kam ihm nur widerwillig über die Lippen, doch ich tat so, als wäre mir der Umstand, dass offenbar genau das Gegenteil zu traf und er mich eben nicht hier haben wollte, nicht aufgefallen und versuchte ein glücklich aussehendes Gesicht Zustande zu bringen. ,,Und ich erst, Vater. Es ist viel zu lange her.''
Aus dem Augenwinkel sah ich wie Atlanta's Mundwinkel zuckten, was sie jedoch keine Sekunde später gekonnt versteckte. Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar und folgte meiner neuen Zofe mit einem letzten Nicken in ihre Richtung auf den Flur hinaus.
,,In diesem Gang befinden sich neben dem Kaminzimmer nur noch Studierzimmer und kleine Salons. Wünschen Sie jeden einzelnen Raum zu sehen, Mylady?'' Mit gesenktem Kopf lief das Mädchen vor mir her und schaute mir kein einziges Mal in die Augen während sie sprach. Es war ungewohnt diese formelle und höfliche Anrede zu hören und es fühlte sich falsch an.
,,Ich denke, das dies nicht von Nöten ist. Ein wenig erinnere ich mich dann doch noch.''
Ihre Antwort bestand aus einem kurzen Nicken. ,,Wie Sie wünschen, Mylady.''
Wir bogen in den nächsten Flur ab, an dessen Ende eine breite Flügeltür war, auf die wir direkt zusteuerten.
,,Das ist der kleine Ballsaal.'' Als wir die imposante Halle betraten, dessen hohe Decke von malerischen Zeichnungen verziert war und dessen glatter Boden aus reinem Gold zu bestehen schien, stockte mir kurz der Atem vor soviel Reichtum, doch ich bekam mich schnell wieder in den Griff. Diese Adligen gingen so verschwenderisch und unnötig mit ihrem Geld um.
,,Kleiner?'' ,,Ja, Mylady, auf der anderen Seite des Schlosses liegt noch der Große. Dieser hier wird nur für kleine feierliche Angelegenheiten mit wenig Gästen genutzt wie Familienbanketts.'' Zoey war zu höflich, um mich auf die Merkwürdigkeit meiner fehlenden Erinnerungen anzusprechen oder sie ging einfach davon aus, dass ich es über die jahrelange Abwesenheit hinaus vergessen hatte. So oder so kam es mir nur zu Gute.
Sie führte mich noch durch einige weitere Gänge, Saale und Treppen. Ich staunte, wie viele Räume es in diesem Anwesen gab und wie prunkvoll hier alles war.
,,Ich zeige Ihnen nun Ihre Gemächer, Mylady.'' Zoey brachte mich in einen Flügel, der im höheren Geschoss lag, und so unglaublich es auch schien, von noch größerem Reichtum zu zollen schien. Vor der Flügeltür standen zwei Wachmänner, die für uns die Tür öffneten, bevor sie wieder ihre steinerne Haltung annahmen. Es musste echt schwer sein den ganzen Tag über wie eine Statue an der Wand zu stehen und als einzige Beschäftigung zu haben, eine Tür zu öffnen.
,,In diesem Flügel liegen ausschließlich die Gemächer der Herzogsfamilie. Neben Ihrem also nur noch das der Herzogin und des Herzogs sowie ein weiteres, aber leer stehendes.'' Zoey steuerte auf eine Tür ganz am Ende des breiten Flures zu und öffnete sie, wobei sie mir den Vortritt ließ.
Neugierig trat ich in das großräumige Zimmer ein, bei dem weder an Platz noch an Geld gespart worden war. Der glatte Pakettboden wies keine einzige Kerbe oder auch nur einen Schmutzfleck auf und ich fühlte mich fast schon schlecht dabei auf ihm zu laufen, in der Gewissheit ihn zu beschmutzen.
In der Mitte des Zimmers lag ein Teppich, der genauso groß wie flauschig war und direkt dahinter war ein gewaltiges Himmelbett, das förmlich zum Schlafen einlud. An der Wand rechts von mir war ein Schreibtisch aus edlem Holz und in der Ecke daneben stand ein Ungetüm von Sessel. Von der gegenüberliegenden Wand gingen zwei Türen ab und als ich die erste öffnete, war dahinter ein Bad, mit allem drum und dran in feinstem Material ausgestattet. Eine Badewanne, Dusche, viele kleine Schränkchen und ein Spiegel von beeindruckender Größe, der die Hälfte der Wand einnahm und ein Stuhl auf dem ein Polster lag.
Hinter der anderen Tür befand sich ein Schrank, der Kleider und Schuhe aller Arten und Farben enthielt. Ballkleider, Abendkleider, schwere Roben, Lange, Kurze und viele weitere genauso wie fast ausschließlich hohe Schuhe abgesehen von einigen Ballerinas. Ich staunte vor diesem Überfluss an Kleider und Schuhen und war mir sicher, sie nie alle tragen zu können. Dann jedoch stellte sich mir ein ziemlich großes Problem: Ich konnte nicht in hochhackigen Schuhen laufen! Kein Wunder, schließlich hatte ich noch nie welche angehabt, sondern trug seit ich denken konnte immer nur robuste, flache Stiefel, die genauso alt waren wie sie aussahen und mehr als nur abgetragen waren. Doch solange sie noch passten und nicht auseinander fielen, würde ich sie auch tragen. Ein anderes Paar hatte ich eh nicht.
Meine Laune verschlechterte sich noch weiter, als ich keine einzige Hose finden konnte. Ich würde doch nicht wirklich jeden Tag in einem Kleid herumlaufen müssen, oder? Wie's aussah schon. Und es passte mir gar nicht. Doch die Kleidung war zurzeit mein geringstes Problem. Im ungefähr zwei Wochen war der Ball und ich war noch nicht im geringsten auf das höfische Leben und Benehmen vorbereitet. Mir graute es jetzt schon davor, mich dem herabwürdigenden und abgehobenen Verhalten der Hochwohlgeborenen anpassen zu müssen, jedoch blieb mir keine andere Wahl. Ich würde so schon als Neuling am Königshof genug Aufmerksamkeit auf mich ziehen, da musste alles sitzen. Ich durfte nicht auch noch durch ungebührliches Verhalten auffallen.
,,Mylady, wenn Sie erlauben lasse ich Sie jetzt für einige Zeit alleine, bevor ich wiederkomme und Sie für das Abendmahl ankleide.'', lenkte Zoey meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und ich nickte ihr freundlich zu. ,,Ja, natürlich. Ich werde mich in der Zeit ein wenig ausruhen. Die lange Reise war ermüdend.''
Kaum war sie mit einem kurzen Knicks aus meinen neuen Zimmern verschwunden, ließ ein Teil meiner Anspannung nach und ich ließ mich erschöpft auf das unglaublich weiche Bett fallen. Ein wohliges Seufzen entkam mir, als ich in die flauschigen Kissen sank. Ich hatte nie auf etwas weicherem gelegen, geschweige denn etwas vergleichbares gespürt. Ich wollte nie wieder aufstehen. Mit geschlossenen Augen versuchte ich zu entspannen, doch ich war noch immer viel zu aufgeregt und trotz der Erschöpfung, verspürte ich keine Müdigkeit, die in mir den Wunsch nach Schlaf erweckte.
Gemächlich setzte ich mich wieder auf und schaute mich nochmal, nur diesmal deutlich langsamer, in meinen Räumlichkeiten um.
Alles war farblich aufeinander abgestimmt, nichts tanzte aus der Reihe und generell vermittelte das Zimmer keine Persönlichkeit. Nichts deutete darauf hin, dass hier jemand wohnte oder wohnen wird. Das einzige, was nicht so ganz ins Bild passte war ein brauner, schmutziger Beutel, der neben der Tür lag und mir vorher gar nicht aufgefallen war.
Mit einem sanften Lächeln hob ich ihn auf und ließ den Inhalt vorsichtig auf einen Tisch aus Mahagoniholz fallen.
Eine dünne goldene Kette, ein schlichtes Sweatshirt und eine Hose in langweiligem Braun kamen zum Vorschein und wirkten in dieser prunkvollen Umgebung mehr als fehl am Platz. Wahrscheinlich sollte ich die alten Klamotten einfach wegwerfen. Doch irgendwie sträubte sich alles in mir dagegen. Es wäre so, als würde ich einen Teil, der Teil, der mein altes Leben widerspiegelte, wegwerfen und das konnte ich nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass ich eh schon bald, sobald ich meinen Auftrag erledigt hatte, in genau dieses Leben zurückkehren werden würde und dann würde ich diese beiden Kleidungsstücke brauchen, denn viel zum Anziehen hatte ich wie fast jeder andere Rebell nicht. Ich musste immer in Erinnerung behalten, dass dieses Leben hier im sorglosen Wohlstand nicht meines und schon gar nicht von Dauer war.
Mein Blick blieb an der Kette haften. Bedächtig griff ich nach hier und hob sie hoch, sodass sie leicht vor meinem Gesicht hin und her pendelte. Sie war das kostbarste, was ich besaß und hatte einst meiner Mutter gehört. Bis zu ihrem Tod hatte sie sie kein einziges Mal abgenommen und sie stets voller Achtsamkeit behandelt. Danach hatte ich sie an mich genommen und wie meinen Augapfel gehütet, auch wenn ich sie nur einmal für kurze Zeit getragen hatte, aus Angst sie zu verlieren, weswegen ich sie immer sicher in einem kleinen Versteck in unserem Quartier verwahrt hatte. Ich wusste nicht wie meine Mutter an etwas so wertvolles wie diese Kette gekommen war. Das sie sie gestohlen hatte, bezweifelte ich, denn dazu wäre sie nie in der Lage gewesen, so sanft und herzlich wie ihr Gemüt gewesen war. Außerdem hätte das teure Schmuckstück dann nie so einen hohen persönlichen Wert für sie gehabt. Ich hatte meine Mutter einmal gefragt, woher sie die Kette hatte und warum wir sie nicht verkauften, da hatte sie mich mit einem so traurigen, verletztem und doch gleichzeitig auch wehmütigen und unglaublich liebevollen Blick angesehen, dass es mir fast das Herz zerrissen hatte, denn der Kummer in ihrem Gesicht, ließ sie plötzlich viel älter wirken als sie eigentlich war. Ich erinnerte mich noch genau an ihre Worte und auch wenn ich damals noch nie die tiefere Bedeutung dahinter verstanden hatte, so wusste ich doch, dass diese Kette etwas besonderes war, vor allem für meine Mutter. ,Manche Gegenstände haben mehr Wert als alles Geld der Welt. Sie beherbergen Erinnerungen, die kostbarer sind als jeder Preis, sei er noch so hoch, den du für ihn bekommen würdest.'
Melancholisch betrachte ich die fein gearbeitete Kette, die aus echtem Gold zu bestehen schien, auch wenn ich mich damit nicht auskannte, so war ich mir doch sicher, das es so war, und an dessen Ende ein kleiner herzförmiger Anhänger hing, in dessen Mitte eine winzige, geschwungene Gravur war. Ein D.
Doch ich wusste weder, wofür es stand noch warum meine Mutter offenbar eine gravierte Kette trug, die nicht mal ihren Anfangsbuchstaben hatte.
Ich schmunzelte leicht selbstironisch, als mir auffiel, dass ich mir schon wieder den Kopf über die Kette und ihre Bedeutung zerbrach, obwohl ich es eigentlich schon vor langer Zeit aufgegeben hatte, zu verstehen was es mit ihr auf sich hatte.
Nach kurzem Zögern legte ich sie mir schließlich an. Ich würde etwas, was mir Kraft und Halt lieferte, gebrauchen und die Kette war nicht nur das Einzige, was mir von meiner Mutter geblieben war, sondern erinnerte mich auch daran, dass ich nicht alleine war.
Die wenigen Klamotten stopfte ich wieder zurück in den kleinen Beutel und verstaute ihn in der hintersten Ecke die ich finden konnte. Als ich mich weiter umsah, fiel mein Blick auf ein mächtiges Bücherregal und ich trat interessiert näher heran. Mit den Fingerspitzen fuhr ich über die dicken Wälzer und dünne Büchlein, wobei es sich bei allen um Benimm- und Geschichtsbücher handelte. Es gab aber auch einige dicke Bänder über die Adelsfamilien und deren Stammbäume. Ich seufzte. Das waren dann wohl meine Freizeit- und Nachtlektüren.
Ich entschied mich nach kurzem Überlegen für eines der Bücher über die Adelsfamilien, da ich das für das Schlauste hielt. Schließlich würde ich ja selber ein Mitglied eben dieser spielen und da wäre etwas Hintergrundwissen wohl gut zu gebrauchen. Mit dem Buch ließ ich mich in einen der breiten und super weichen Sessel sinken, die neben einem der Fenster positioniert waren und begann darin zu schmökern.
Der Adel,
der aus dem Hohen und Niederem Adel besteht, nimmt nach der Königsfamilie die höchste Machtposition im Land ein. Das Königreich ist in mehrere Provinzen unterteilt, die alle von einer Adelsfamilie regiert werden, wobei sie immer noch dem König unterstehen. Im Adel spielen zumeist Etikette, Abstammung, Schönheit, Ansehen und politische Macht die wichtigste Rolle. Je höher die gesellschaftliche Stellung der Familie, desto größer die politische Macht. Die Adligen genießen viele Privilegien, die ihnen durch ihr Geburtsrecht erteilt worden sind.
Unter den Adelsfamilien ist es üblich, dass die männlichen Nachkommen das Erbe der Familie antreten, während die weiblichen meist schon bei der Geburt verlobt werden, um Verbindungen herzustellen und die politische Macht zu verstärken.
Ich stoppte mit dem Lesen der Seite und spürte wie die Wut und der Hass wieder in mir aufkamen. Wie konnte man seinem eigenen Kind so etwas antun? Es jemandem versprechen, der vielleicht gewaltätig ist und sie schlecht behandeln wird, der Frauen keinen Wert zu spricht, der vielleicht 10 Jahre älter ist? Seinem Kind die Chance auf das Glück mit jemandem zu nehmen, in dem es seine wahre Liebe gefunden hat? Ihm verbieten seinen eigenen Weg zu gehen? Doch das wichtigste: Ihm die Freiheit zu verwehren, eigene Entscheidungen zu treffen.
Da würde ich mich lieber freiwillig immer und immer wieder für mein Leben entscheiden als in eine unglückliche Ehe gezwungen zu werden.
Der Hohe Adel,
besteht aus Fürsten und Herzogen. Sie stehen im Rang direkt unter der Königsfamilie und haben somit eine sehr große politische Macht.
Der Niedere Adel,
besteht aus Grafen, Baronen und Lordschaften. Sie stehen im Rang direkt unter dem Hohen Adel und lassen ihre Adelstöchter meist in diesen Rang einheiraten, um mehr Ansehen zu erlangen. 
Das musste ich mir merken, welcher Adelstitel zu was gehört. Shalom und Atlanta gehörten also zum Hohen Adel. Meine Neugier, warum sie sich trotzdem den Rebellen angeschlossen haben, steigerte sich noch weiter. Warum sollte jemand, der alles hat und in einem unermesslichen Wohlstand lebt, alles auf Spiel setzten und sich mit Aufständischen, die nicht gerade für ihre guten Umgangsformen bekannt sind, zusammenschließen? Ich verstand es nicht.
Wäre ich nicht auf der Straße aufgewachsen, sondern hier in diesem Haus, ich wüsste nicht, ob ich da genauso denken würde und etwas von Rebellion halten würde. Was also hatten die Dorados für einen Grund?
Die nächsten Seiten überflog ich nur, da in den folgenden Kapitel die einzelnen Adelsfamilien und deren Stammbäume erklärt wurden. Ich war gerade bei der Familie Lundos, als es leise an der Tür klopfte, bevor sie sich vorsichtig öffnete und Zoey zum Vorschein kam, die eilig knickste. ,,Verzeihung, Mylady, aber ich muss sie nun für das Abendmahl mit Ihren Herrschaften herrichten.''  Ohne zu Wiedersprechen erhob ich mich, legte das Buch weg und folgte ihr ins Bad.
,,Als erstes müssen wir Sie waschen.'' Zoey will schon nach dem Reißverschluss meines Kleides, das ich kurz vor meiner Ankunft hier in der Kutsche gegen meine vorherigen Klamotten eintauschen musste, greifen, um ihn herunterzuziehen, als ich sie aufhalte. ,,Ich denke, das kann ich auch alleine.''
Erschrocken und mit einem verunsicherten Ausdruck in den Augen starrte sie mich an. ,,Aber ich bin Ihre Zofe, Mylady. Ich soll Ihnen bei allem behilflich sein.''
Ich versuchte sie mit einem sanften Lächeln zu beruhigen. ,,Nun, ich will dich ja auch gar nicht von deiner Arbeit abhalten, nur das Entkleiden und Waschen würde ich gerne selbst übernehmen. Da schätze ich Privatsphäre sehr.''
Unsicher schien Zoey hin und her zu überlegen, bevor sie den Kopf senkte. ,,Wie Sie wünschen, Mylady. Ich werde solange Ihr Kleid heraussuchen und im Zimmer warten. Lasst mich vorher nur schnell das Bad einlassen.'' Damit eilte sie zu der großen Badewanne und ließ sie mit heißem Wasser auffüllen, während sie einige gut riechende Öle und Duftstoffe hinzugab. Nach ein paar Minuten stoppte die Zofe den leicht dampfenden Wasserfluss und wandte sich mit einem letzten kleinen Knicks in meine Richtung zum Gehen.
Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss eingerastet, drehte ich den Schlüssel um und atmete erleichtert auf. Das war knapp gewesen. Es tat mir leid, sie so grob abgewiesen haben zu müssen, aber ich konnte nicht riskieren das Fragen aufkamen und würde sie mich entblößt sehen, wäre das definitiv passiert. Ich kannte Zoey nicht gut genug, um den Grad ihrer Verschwiegenheit und Loyalität einschätzen zu können und Fehler konnte ich mir keine leisten.
Mit einem leisen Seufzen öffnete ich selber den Reißverschluss, beobachtete wie das Kleid zu Boden fiel und der Stoff sich um meine Füße sammelte, bevor ich meine Unterwäsche folgen ließ und über beides hinweg stieg. Einen Blick zu dem großen Spiegel vermied ich dabei tunlichst, ich wusste auch so wie mein Körper aussah.
Mit den Fingern überprüfte ich kurz die Temperatur des Wasser und zog sie hastig zurück, als seine Hitze meine Haut zum Brennen brachte und ich hektisch meine Hand schütteln musste. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich noch nie mit so einer hohen Temperatur in Verbindung gekommen bin. Ich war heiße Bäder einfach nicht gewohnt, da wir uns immer -außer im Winter- im Fluss wuschen. Im Winter erhitzten wir dann über kleinen Feuern und großen Wasserkochern in Kesseln das kalte Flusswasser und schütteten es in ein großes Becken in einem hallenartigem Gebäude, das den ehemaligen Bewohnern von Zerada wohl einst als Gemeinschaftsbad diente, dessen Gebrauch wir in dieser kalten Jahreszeit dann wieder aufnahmen. Aber da war das Wasser dann meistens auch nur lauwarm. In Zerada waren wir nämlich sowohl von der Wasser-, als auch von der Stromversorgung abgeschnitten. Heiße Bäder waren einfach ein Luxus, den sich keiner von uns leisten konnte.
Doch, ich jetzt schon. Der Gedanke löste einen Zwiespalt an Gefühlen in mir aus. Auf der einen Seite machte sich ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Freunden und allen anderen Rebellen in mir breit, die diesen Luxus nicht hatten und auf der anderen Seite freute ich mich einfach nur, zum ersten Mal in meinem Leben ein heißes Bad nehmen zu dürfen.
Vorsichtig schwang ich ein Bein über den Wannenrand und tauchte es in das Wasser ein, kurz darauf folgte auch das Zweite und ich ließ mich langsam ganz in das Wasser eintauchen, bis ich bis zu den Schultern in ihm versank. Für einige Sekunden brannte die Hitze auf meiner Haut, doch schon bald verschwand dieses unangenehme Gefühle und die hohe Temperatur begann sich angenehm anzufühlen. Ein träges Gefühl fing an sich in mir auszubreiten. Ich schloss die Augen und genoss das warme Wasser das meinen Körper umspielte und bei jeder meiner Bewegungen leicht gegen die Wand schwappte. Mein Kopf war wie leer gefegt und ich vergaß alles um mich herum. Die Situation in der ich mich befand, der Zwiespalt meiner Gefühle, das Wissen schon bald einen Mord zu begehen, einfach alles. Das einzige was hängen blieb war der wohltuende Duft nach Rosenwasser.
Die Zeit verging viel zu schnell und ich war so entspannt, dass ich beinahe eingeschlafen wäre, hätte Zoey nicht in diesem Moment an die Badezimmertür geklopft und mich gebeten, die Wanne nun zu verlassen. Etwas widerwillig war ich ihrer Aufforderung gefolgt und hüllte mich in ein großes, weiches Handtuch mit dem ich mich erst abtrocknete und es mir dann so umband, dass es möglichst viel von meinem Körper verdeckte. Erst dann schloss ich die Tür auf und ließ meine Zofe herein, die sofort das Bad abließ und mich auf einen Sessel navigierte, nur um sich hinter mich zu stellen und damit zu beginnen meine langen Haare anzuföhnen, was sie jedoch schon nach knapp einer Minute wieder abbrach. ,,Mylady, verzeiht, aber Ihre Haare sind recht ausgefranst. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich sie Ihnen schneide?'' Als sie meinen erschrockenen Blick sah, beeilte sie sich hastig zu sagen: ,,Natürlich nur so viel, bis es wieder ordentlich aussieht. Sie haben Ihr Haar wirklich vernachlässigt.'' Ich ging nicht auf ihre letzte Aussage ein, sondern gab ihr mit einem Nicken meine Zustimmung, sodass sie gleich begann mit einer feinen Schere mein Haar zu bearbeiten. Nachdem sie die Schere wieder weg gelegt hatte, griff sie nach dem Föhn und trocknete meine Haare weiter. Ich saß währenddessen nur reglos auf dem Stuhl und ließ sie machen, bis sie fertig war und zufrieden ihr Werk betrachtete. ,,Jetzt sehen Sie noch schöner aus als vorher.''
Ich erwiderte nichts darauf, umklammerte nur fester das Handtuch und stand auf, um das Bad zu verlassen.
,,Wollen Sie es denn gar nicht sehen, Mylady? Hier ist ein Spiegel.'' Irritiert sah die Zofe, ich sah es einfach als falsch an, sie als meine zu bezeichnen, mich an.
,,Nein, danke.'' Doch als ich das Badezimmer verlassen wollte, hielt mich Zoey auf. ,,Warten Sie, Miss. Ich muss ihre Nägel noch machen und enthaaren ebenfalls.''
Mir stieg die Röte ins Gesicht. ,,Enthaaren?''
,,Natürlich. Wie wurde das denn bisher bei Ihnen gemacht?''
,,Ähm...'' Peinlich berührt sah ich zu Boden. ,,Das habe ich bisher selber gemacht.'' Das das nur für die Intimstellen und das auch nicht regelmäßig zu traf, verschwieg ich ihr lieber, sie sah mich jetzt ja schon geschockt an.
Schnell fügte ich noch hinzu: ,,Und ich werde das auch selber weitermachen. Gib mir nur das Zeug dafür. Meine Nägel stelle ich dir allerdings gerne zur Verfügung. Ich muss zugeben, dass ich sie in letzter Zeit nicht genug gepflegt habe.''

Lyana- The Story of a QueenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora