17. Kapitel

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Seine Hand an meinem unteren Rücken schob mich unerbittlich vorwärts und verhinderte gleichzeitig, dass ich mich auf und davon machte. Obwohl es eh kein Entkommen für mich gab, das wussten wir beide. Aber nur für ungewisse Zeit. Sobald sich mir die Möglichkeit bot, würde ich ihn töten und dann verschwinden. Ich würde also entkommen, nur eben erst später. Das konnte der Prinz aber nicht wissen.
Er führte mich auf die Empore und beachtete die ganzen neugierigen Blicke, die uns folgten, gar nicht. Ganz im Gegensatz zu mir; ich spürte jeden einzelnen auf meiner Haut brennen. Ich war es einfach nicht gewohnt im Mittelpunkt zu stehen oder überhaupt so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.
,,Mutter, Vater, darf ich euch Lady Lyana Dorados vorstellen? Sie ist meine Auserwählte. Ich bitte um euren Segen für eine Hochzeit.'' Seine Stimme klang ehrerbietig und er neigte höflich den Kopf.
Schnell beeilte ich mich zu knicksen und blieb mit gesenktem Kopf neben dem Prinzen stehen. Auch wenn es mir missfiel. Ich wollte dem König keinen Respekt zollen, er verdiente ihn in meinen Augen nicht. Und doch musste ich.
,,Die mysteriöse Tochter der Dorados, interessant.'' Ganz anders als seine Worte vermuten ließen, hörte König Lysander sich jedoch völlig uninteressiert, nahezu gelangweilt an. ,,Heb den Kopf, junge Lady.''
Ich folgte seinem Befehl, blickte ihm jedoch nicht in die Augen.
Das gehörte sich nicht, hatte Atlanta mir eingeschärft. Sieh dem König nie ohne ausdrückliche Erlaubnis in die Augen.
Er und seine Gattin musterte mich. ,,Nun, ansehnlich ist sie, das muss ich dir lassen, mein Sohn.''
Sein herabwürdigender Ton und seine Worte, machten mich wütend, doch ich schwieg gehorsam und ließ mir nichts von meinen Gefühlen anmerken. Er hatte es so herüberkommen lassen, als wenn man mich nur auf mein Aussehen reduzieren würde und es das einzige war, was mich ausmachte.
,,Ich hatte zwar vermutet, dass du mehr auf die typische Schönheit stehst, aber wenn du den eher ausgefalleneres bevorzugst, will ich dir nicht im Weg stehen. Sie ist adelig, schön und hoffentlich still.'' Ich biss die Zähne zusammen und unterdrückte notgedrungen ein Knirschen. Ausgefalleneres? Mir war bekannt, dass im crowenischen Adel helle Haare und Haut üblich waren und auch bevorzugt wurden, aber deswegen musste mein Typ nicht gleich als ausgefalleneres bezeichnet werden. Aber immerhin fragte keiner nach, warum ich irgendwie so ganz anders als meine vermeintlichen Eltern aussah. ,,Mein Segen wird dir erteilt. Sie soll dir gehören.''
Ich kam mir vor wie ein Objekt, das gerade verkauft wurde. Wahrscheinlich war ich das in ihren Augen auch. Diese Menschen waren so abscheulich. Mir wurde fast schlecht. Mit aller Macht unterdrückte ich dieses Gefühl. Ich versuchte mich auf den Gedanken zu konzentrieren, dass es mir in die Karten spielte. Andernfalls würde ich nie nah genug für einen Mord an sie herankommen, redete ich mir ein. Doch es machte die Situation nicht besser. Diese abfällige Art, machte mich wütend. Sie taten so als wäre ich weniger wert und das, obwohl sie mich schon für eine Adelige hielten. Wie würden sie sich erst verhalten, wenn herauskommen sollte, dass ich ein Straßenkind und Rebellin war? Und so jemand bildete die Spitze der Hierarchie. Es war unglaublich wie ungerecht dieses System war.
Ein Arm, der sich fest um meine Taille schlang, riss mich wieder zurück ins Hier und Jetzt. ,,Vielen Dank, Vater. Alle näheren Details bezüglich einer Hochzeit besprechen wir am besten in den nächsten Tagen.''
,,Gut. Ich lass für die Dorados zwei Gästezimmer vorbereiten. Gehe ich Recht in der Annahme, dass deine Verlobte direkt in deine Gemächer mit einziehen wird?''
Mit großen Augen starrte ich den König für einen Moment an, bevor ich meinen Kopf zu Prinz Leyon wandte und ihn flehend ansah. Ich wollte nicht bei ihm schlafen, womöglich noch in seinem Bett. Weder kannte ich ihn, noch mochte ich ihn sonderlich. Und ich konnte ihn nicht gut genug einschätzen, um zu sagen wie weit seine Handlungen gehen würden. Sein bisheriges Verhalten sprach auch nicht sonderlich für ihn. Wenn er mich schon zu einer Hochzeit zwang, zu was dann noch alles? Er war der Prinz. Niemand würde ihn von irgendetwas abhalten oder gar dafür zur Rechenschaft ziehen. Er könnte alles tun, was ihm beliebt und würde trotzdem unbestraft davonkommen. Vermutlich nicht mal der König -sollte er sich aus unerfindlichen Gründen dazu entschließen das Richtige zu tun-, schließlich brauchte er ihn als Thronfolger. Bei diesen Gedanken lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.
Ich war mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt in einem Kampf etwas gegen ihn ausrichten könnte trotz meinem Training, denn mit Sicherheit hatte er auch in diesem Bereich eine hochqualifizierte Ausbildung erhalten und war somit nicht wehrlos.
Ich musste an meinen Auftrag wirklich vorsichtig, unauffällig und vor allem klug herangehen. Andernfalls würde ich scheitern, das wurde mir nun klar.
Die Augen des Prinzen wanderten kurz zu mir, erkannten das Flehen, die unausgesprochene Bitte, in meinem Blick, bevor sie sich wieder auf seinen Vater richteten. Angespannt bangte ich um seine Antwort.
,,Sie wird vorerst in die Gemächer neben meinen ziehen. Lass diese also bitte für sie richten.'' Erleichterung machte sich in mir breit, doch ich empfand auch einen Hauch an Dankbarkeit. Es war nicht selbstverständlich, dass er mir dieses Zugeständnis an Freiheit gemacht hatte, das war mir durchaus bewusst. Es kam mir fast so vor, als würde er versuchen die Tatsache, dass er mir eine Ehe mit ihm aufzwang, auf eine verschrobene Art und Weise wiedergutzumachen. Mit mäßigem Erfolg. Zwang, blieb nunmal Zwang. Vielleicht wollte er aber auch einfach nicht riskieren, dass ich hier eine Szene machte. Wobei ich dabei nicht sagen konnte für wen von uns, dass schlechter ausgehen würde. Bei ihm könnte es nur zu Folge haben, dass sein Ansehen litt und er hinter vorgehaltener Hand zum Gespött wurde, bei mir jedoch konnten die Konsequenzen schon weitaus unangenehmer ausfallen. Von einem Rauswurf über eine Enthebung des Adelstitels bis zur öffentlichen Bestrafung durch Peitschenhiebe könnte alles dabei herauskommen. Ich wäre also, wenn ich genauer darüber nachdachte, weitaus schlechter dran als er.
Die Augenbrauen des Königs waren nach oben gewandert und er runzelte leicht die Stirn, bevor sich sein Gesicht wieder glättete und der Ausdruck von Gleichgültigkeit zurückkehrte. ,,Wie du wünschst, mein Sohn. Auch wenn es mich zugegebenermaßen überrascht.''
Prinz Leyon's Arm um meine Taille verkrampfte sich kurz, auch wenn ich nicht verstand warum. Es war mir um ehrlich zu sein, auch egal. Ich war nur froh nicht direkt bei ihm schlafen zu müssen, sondern mein eigenes Zimmer bekam.
,,Nun, Vater, du verstehst sicher, wenn meine zukünftige Frau und ich uns jetzt zurückziehen.'' Nun war ich diejenige, die sich verkrampfte, auch wenn ich mir alle Mühe gab, mir nichts anmerken zulassen.
König Lysander nickte steif, bevor er sich erhob. Sein dunkelroter Umhang viel dabei zu Boden. ,,Natürlich. Zuerst werden wir die Verlobung aber noch bekannt geben. Stellt euch zu mir.''
Prinz Leyon schob mich bestimmt neben sich ein paar Schritte nach vorne, sodass wir uns direkt neben dem König vorne auf der Empore befanden. Alle Anwesenden starrten zu uns hoch. Ihre Blicke spiegelten unterschiedliche Emotionen wieder. Wut, Missfallen, Enttäuschung und Verachtung waren wohl die häufigsten. Eins hatten sie alle gemeinsam: Keiner war freundlich. Dann entdeckte ich unter ihnen Atlanta, Shalom und Querin und korrigierte mich in Gedanken schmunzelnd; keiner außer ihre. Ihre Augen lagen fast schon freudestrahlend auf mir, was mich ein wenig irritierte, jedoch gar nicht so verwunderlich war, wenn ich mich an ihre Worte erinnerte. Sowohl Atlanta als auch Querin hatten deutlich gemacht, dass sie mich gerne an der Seite des Prinzen und auf dem Thron sehen würden. Und das, obwohl zumindest Atlanta wusste wie mein eigentlicher Auftrag lautete. Und der war nicht heirate den Prinzen, sondern töte ihn. Und bis ich keinen anderen erhielt, würde ich auch alles dafür tun, um ihn umzusetzen.
,,Verehrter Adel von Crowen, ich bin wirklich in aller Maße hoch erfreut ihnen allen mitteilen zu dürfen, dass mein Sohn, Prinz Leyon Daren, seine Wahl gefällt hat, und ich ihnen nun die die zukünftige Braut meines Sohnes und baldige Königin präsentieren darf!'', verkündete König Lysander feierlich. ,,Lady Lyana Dorados, bald Königin Lyana von Crowen!''
Trotz der deutlichen Missgunst in den Augen und Gesichtern der Adeligen, brach der Saal in Jubel und Applaus aus.
Ich fühlte mich zunehmend unwohl. Am liebsten wäre ich gerade ganz weit weg. Oder einfach nur außerhalb des Sichtkontaktes dieser Leute, damit ich ihre abwertenden Blicke nicht mehr auf meiner Haut brennen spüren musste. Wie als hätte der Prinz meine Gedanken gelesen, verfestigte sein Griff um meine Taille sich nochmal und er drückte mich dichter an sich heran. Ich konnte nichts dagegen tun, musste gute Miene zum bösen Spiel machen.
,,Lächeln!'', zischte er mir ins Ohr und ich setzte automatisch ein Lächeln auf, wobei ich hoffte, dass es nicht so erzwungen rüberkam, wie es war. Es fühlte sich so falsch an. Es war falsch.
Prinz Leyon räusperte sich und zog erstaunlicherweise sofort die Aufmerksamkeit der Menge auf sich. Von der vorherigen Lautstärke war nicht mehr viel übrig. Beeindruckend, was ein Räuspern von einer bestimmten Person alles bewirken konnte. Hätte ich mich geräuspert, wäre es vermutlich gar nicht beachtet worden.
,,Ich bin wirklich überglücklich so eine reizende Verlobte gefunden zu haben und kann es kaum erwarten sie endlich als meine Frau bezeichnen zu können. Jedoch steht dazu noch alles offen. Sobald genauere Daten zur Hochzeit geklärt wurden, werden Sie natürlich umgehend benachrichtigt. Nun müssen meine Zukünftige und ich uns leider entschuldigen. Der Abend war ereignisreich und von größtem Erfolg. Ich wünsche ihnen allen eine angenehme Heimreise und danke für ihr Kommen.'' Mit diesen Worten führte der Prinz mich von der Empore und wir verließen in Begleitung seiner beiden Leibwachen, die uns wie Schatten folgten, den Ballsaal.
Kaum waren wir außerhalb der Sicht der Gäste, schüttelte ich seinen Arm ab und schuf Abstand zwischen uns. Er ließ es zu. Stumm liefen wir durch die Gänge, bis wir im dritten Stockwerk eine Flügeltür gesäumt von zwei Wachen passierten und in einen noch edleren, breiten Gang, der in zwei Korridore abzweigte, traten. ,,Das ist der königliche Flügel. Hier befinden sich ausschließlich die Gemächer der Königsfamilie.'', erklärte mir Prinz Leyon und wies auf den Rechten. ,,Dort liegen die meiner Eltern und hier sind meine und nun auch deine.'' Wir bogen in den anderen ab.
,,Und was ist mit Kindern?'', rutschte es mir heraus, bevor ich die Frage stoppen oder klüger formulieren konnte. Der Gedanke war mir einfach gerade gekommen und ich hatte ihn ohne länger darüber nachzudenken ausgesprochen.
Der Prinz blieb abrupt stehen und drehte sich mit amüsierten Gesichtsausdruck zu mir um. Er hob eine Augenbraue. ,,Darf ich fragen, was du damit genau meinst? Falls du mich gerade fragst, ob ich Kinder will: Natürlich möchte ich. Das wird auch von mir -und nun auch von dir- erwartet. Dieses Land braucht später einen Thronfolger.''
Ich wurde rot. ,,Das meinte ich nicht. Ich-‚'' Er unterbrach mich. ,,Entschuldige, aber ich muss dich das jetzt einfach fragen. Du weißt, das vom Königspaar schnell Nachwuchs erwartet wird, um die Nachfolgerlinie zu sichern. Kannst du Kinder bekommen?''
Bitte? Fragte er mich das gerade wirklich? ,,Solltet Ihr mich nicht eher fragen, ob ich Kinder will? Das Ihr mich einfach duzt, ignoriere ich jetzt mal.'' Ich war fast schon belustigt.
Er hingegen klang ernst. ,,Das ist nicht relevant. Als meine Gemahlin ist es deine Pflicht mir Kinder zu schenken. Und wenn du mir meine Frage jetzt nicht auf der Stelle ehrlich beantwortest, lasse ich dich gleich morgen früh untersuchen.''
Ich schwieg. Was sollte ich dazu sagen? Ich wusste es schließlich nicht. Solche Untersuchungen wurden bei mir nie durchgeführt. Warum auch? Es hat sich bei uns nie jemand über Kinder Gedanken gemacht. Wir waren mit dem eigenen Überleben beschäftigt genug.
Er packte mich am Arm. ,,Lyana, verdammt, das ist wichtig! Kannst du keine Kinder bekommen, oder wieso schweigst du?'' Er raufte sich mit der anderen Hand die Haare. ,,Ich kann nur jemanden zur Frau nehmen, der mir auch Erben schenken kann. Hörst du? Also antworte gefälligst!"
Ich überlegte hin und her, wägte meine Möglichkeiten ab. Ich konnte einfach Ja sagen und das Problem war vom Tisch. Oder ich sagte nein und er suchte sich eine neue Frau, somit wäre ich frei, könnte dann jedoch meine Mission vergessen. Und wenn ich die Wahrheit sagte, dass ich es nicht wusste, würde er mich untersuchen lassen und vielleicht feststellen, dass ich nicht schwanger werden konnte. Und da wusste ich nicht, ob ich das verkraften könnte. In Unwissenheit zu leben, kam mir hierbei leichter vor. Ich wollte es ja nichtmal soweit kommen lassen, um mir überhaupt über Babys Gedanken machen zu müssen. Jedoch, was wenn es anders kam und ich ihn wirklich heiraten musste, weil ich ihn nicht rechtzeitig umgebracht hatte oder der Auftrag -so unwahrscheinlich es auch war- sich änderte? Und dann herauskam, dass ich nicht schwanger werden konnte?
Ich war hin und hergerissen. Meine Antwort kam mir so schwerwiegend vor. Die Folgen, die sie haben könnte.... ich wusste nicht, welche Antwort die Richtige war.
,,Lyana!'' Prinz Leyon rüttelte unsanft an meinem Arm. Ich entriss ihn ihm und funkelte ihn mit gemischten Gefühlen an. Meine Gedanken waren ein einziges Chaos. ,,Ich- Ich....'' Verzweifelt huschten meine Augen durch den goldenen Korridor. ,,Ich weiß es nicht, okay?'' Meine Entscheidung war gefallen. Ob es die Richtige war, wusste ich nicht. Aber ich musste es riskieren. Ich log schon viel zu viel - ich war eine Lüge- , da wollte ich wenigstens hierbei ehrlich sein. Denn das war meine eigene Wahl. Und ich selber wollte es auch wissen. Es war nicht selten, dass Frauen von der Straße keine Kinder mehr bekommen konnten durch die ungesunde, meist schmutzige Nahrung, das dreckige Wasser und die verschmutzte Umwelt. Ich wollte irgendwann Kinder und ich wollte das beruhigende Wissen haben, sie auch kriegen zu können.
,,Du weißt es nicht?'' Verwirrung gemischt mit Erleichterung und Angst lag in seinem Blick. ,,Wurdest du nicht getestet? Jedes adelige Mädchen wird doch im Alter von 16 Jahren untersucht. Erben sind einer der wichtigsten Punkte in unserem Leben. Eine Frau, die keinen Nachfolger gebären kann ist-‚'' Er unterbrach sich, doch ich wusste auch so was er sagen wollte; wertlos. Eine Frau, die keinen Erben zur Welt bringen kann, ist wertlos.
,,Das weiß ich! Aber dieser Test wurde bei mir nie gemacht. Meine Eltern wollten mich von solchen Dingen fern halten. Ich sollte weder mit Druck noch mit Zwang aufwachsen und dafür bin ich dankbar.'', fuhr ich ihn an.
,,Du wirst morgen früh untersucht. Die Testergebnisse werden entscheiden wie es weiter geht.'' Er fuhr sich unruhig durch die Haare, ging auf mein Gesagtes gar nicht erst ein. ,,Ich hoffe wirklich der Test fällt positiv aus. Vor allem für dich.'' Das hoffte ich auch. Ich wollte irgendwann Kinder.
Er betrachtete mein Gesicht noch einen Moment, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und vor einer Tür relativ am Ende hielt. Er stieß sie auf und deutete mit einer ausladenden Bewegung hinein. ,,Deine Gemächer für die nächste Zeit, Prinzessin. Vorausgesetzt es gibt ein positives Ergebnis.''
Ich wollte gerade das Zimmer betreten, als er mich aufhielt. ,,Meine Gemächer liegen direkt neben deinen.'' Ich nickte einfach nur, da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte. ,,Ach und Lyana?'' Fragend sah ich ihn an. ,,Als dein Verlobter solltest du mich duzen.'' Sein spitzbübisches Grinsen war das Letzte, was ich sah, bevor die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Ich lehnte mich erschöpft dagegen. Was für ein Tag.
Ich konnte den Prinzen einfach nicht einschätzen. Er kam mir unberechenbar vor. Seine Person schien sich bei jeder unserer Begegnungen, bei jedem Gespräch, komplett zu verändern. Von humorvoll, unterhaltsam und unverschämt zu rau, grob und herrisch und ruhig und gelassen und im schnellen Umschwung wieder zu aggressiv. Doch was davon war der echte Prinz? War er so launenhaft oder doch im Inneren ganz anders? Verwirrt über die Richtung meiner Gedanken schüttelte ich den Kopf. So durfte ich nicht denken. Ich durfte keine Bindung zu ihm aufbauen. Das würde mir, wenn ich ihn ermorden musste, nur im Weg stehen. Ich war nicht hier um den Prinzen kennenzulernen und zu ehelichen, sondern um ihn zu töten. Das durfte ich nie vergessen.
Ich stieß mich von der Tür ab und trat ein paar Schritte in das offene Zimmer. Ich befand mich in einem großen Raum mit hoher Decke, der offenbar als Wohnzimmer diente. Die rechte Seite bestand förmlich nur aus einer großen, weißen Couch und bequemen Sesseln, die um einen Glastisch herum aufgebaut waren. Der Großteil des Bodens unter ihnen war von einem schwarzgoldenen Teppich bedeckt. Auf den Sitzmöglichkeiten lagen ordentlich verstreute goldene und rote Kissen. Generell bestand der Raum hauptsächlich aus diesen Farben rot, Gold, weiß und schwarz, wobei die helleren in diesen Räumlichkeiten überwiegen. Mir war auch schon aufgefallen, das der ganze Palast nur aus diesen Farben bestand.
Die andere Seite wurde von einem gewaltigen Bücherregal dominiert, das die gesamte linke Wand einnahm. Auch einen Kamin und weitere Regale waren in diesem Raum untergebracht.
Von diesem Raum gingen vier Türen ab. Neugierig öffnete ich die erste und lugte in das dahinterliegende Zimmer. Es war ein Arbeitszimmer. Hohe Regale, ein mächtiger Schreibtisch aus teuerstem Ebenholz und ein drehbarer Sessel, direkt hinter dem Tisch füllten das Zimmer.
Hinter der nächsten Tür lag ein kleiner Teesalon. Ein luxuriöses Bad mit allem möglichen ausgestattet gab es ebenfalls. Das andere musste also ein Schlafgemach sein. Meine Vermutung bestätigte sich. Sofort stach mir das riesige Himmelbett entgegen, das noch größer als das im Schloss der Dorados war. Eine edle Tagesdecke aus goldener Seide durchzogen von roten Mustern bedeckte die darunter liegende Bettwäsche und ein Haufen Kissen lud zum Kuscheln ein und weckte die Sehnsucht nach erholsamen Schlaf. Ein weicher, flauschiger Teppich bedeckte auch hier einen Teil des glatten Bodens. Auf beiden Seiten des Bettes standen kleine Nachttischen und in einer Ecke war neben einem großen Fenster ein kuschliger Ohrensessel mit einer Stehlampe daneben. Gegenüber befand sich ein Schminktisch und Spiegel. Meine Aufmerksamkeit wurde von einer schmalen Flügeltür angezogen und als ich sie aufzog, lag dahinter ein Kleiderschrank, dessen Regale bis zum bersten gefüllt waren und sich bis zur Decke erstreckten. Wogender bunter Satin, zarte Seide, Federn und Spitze, Glitzer, Goldbrokate und funkelnde Stoffe übersät mit Edelsteinen und in allen möglichen Farben füllten mein Blickfeld genauso wie Vitrinen mit kostbaren Schmuck und Regale, in denen sich die Schuhe nur so stapelten.
Ich traute mich gar nicht etwas davon anzufassen geschweige denn zu tragen.
,,Es ist alles in Ihrer Größe, Mylady.'' Ich fuhr erschrocken zu der sanften Stimme herum. Hinter mir standen drei junge Mädchen in Zofentracht. Alle drei hatten sie ihre Haare zu einem strengen Dutt nach hinten gebunden und ihre weiblichen Rundungen verschwanden unter dem einfachen, herunterhängenden Stoffs ihrer braunen Kleider.
Sie waren jünger als ich, stellte ich überrascht fest.
Synchron sanken die drei in einen tiefen Knicks. Noch kein einziges Mal hatten sie den Blick erhoben und mir in die Augen geschaut. ,,Verzeihung, Mylady. Wir sind ihre neuen Zofen.'' Die Älteste unter ihnen sprach, blickte dabei jedoch immer noch auf den blitzeblanken Fußboden. Ich wartete darauf, dass sie fortfuhr und mir ihre Namen nannte, doch nichts dergleichen geschah. Kein einziger Ton verließ mehr ihre Lippen und auch die anderen beiden schwiegen beharrlich. Bei genauerem hinsehen, erkannte ich, dass eine von ihnen leicht zitterte. Dabei war die Temperatur in dem Raum nicht annähernd kalt. Und dann sickerte die Erkenntnis zu mir durch, dass ich der Grund dafür war. Sie hatten Angst vor mir. Bestürzt sah ich sie an. ,,Hey, schaut mich an. Bitte.''
Überrascht leisteten sie meinem Befehl folge, wenn auch mit leichtem Zögern. In ihren Augen spiegelte sich Angst wieder, so als erwarteten sie, das ich sie für etwas bestrafen würde. Vielleicht dafür, dass sie unaufgefordert gesprochen hatten, auch wenn mir bei dem Gedanken übel wurde. Und das nennt der König Meinungsfreiheit, ist klar. Das war Unterdrückung.
,,Wie lauten eure Namen?'', fragte ich und lächelte sie freundlich an. Ich wollte sie weder verschrecken noch einschüchtern oder ihnen gar Angst einjagen.
Sie tauschten einen verunsicherten Blick, bevor die Älteste schüchtern die Stimme hob. ,,Ich bin Nayla und das sind Lora und Iona.'' Sie wies erst auf die Blonde mit den Rehaugen und dann auf eine zierliche Brünette.
,,Freut mich. Nennt mich doch bitte Lyana und nicht Mylady.''
In ihren Gesichtern machten sich Schock und Unglaube breit und irritiert von ihren Reaktionen sah ich fragend in ihre geweiteten Pupillen. ,,Ist alles in Ordnung?''
,,S-Sie...Sie...'', stotterte Iona und brachte keinen vernünftigen Satz heraus. ,,Das- Das geht nicht!''
,,Wieso geht das nicht?'' Ich wurde immer verwirrter.
,,Na, weil Sie....über uns stehen! Sie sind eine hochrangige Lady und die zukünftige Königin! Uns ist es nicht erlaubt Sie beim Vornamen zu nennen!'' Nayla's Stimme überschlug sich fast und die Überforderung war ihr sichtlich anzusehen.
,,Und wenn ich euch die Erlaubnis erteile?'' Ich verstand das Problem einfach nicht. Wenn ich es ihnen doch schon vorschlug und sie fast schon darum bat, warum reagierten sie dann jetzt so ablehnend? Für Zoey war das doch auch kein Problem gewesen, eher im Gegenteil.
Lora sah so aus als würde sie gleich in Ohnmacht fallen und besorgt lief ich auf sie zu und fasste sie sanft am Arm. ,,Willst du dich nicht lieber für einen Moment setzen?''
Anders als erwartet, schien ich die Situation damit nur noch schlimmer zu machen, denn sie riss ihre Augen panisch auf und schüttelte hektisch den Kopf. Langsam war auch ich überfordert.
,,Bitte beruhigt euch! Wenn es euch solche Probleme bereitet mich allein mit dem Vornamen anzusprechen, dann müsst ihr auch nicht.'', startete ich den Versuch sie zu beruhigen, mit mäßigem Erfolg. Jetzt wirkten sie nicht mehr so als würden sie gleich vor schreck ohnmächtig werden, sondern so schuldbewusst und ängstlich als hätten sie gerade den schlimmsten Fehler ihres Lebens begangen, dabei war ich nicht mal verärgert oder tat irgendetwas, was zu einer solchen Vermutung führen konnte. Ich war entsetzt, von was diese Mädchen gleich ausgingen. Sie erinnerten mich an mich selbst, als ich noch wesentlich jünger war. Als ich an ihrer Stelle gewesen war. Als ich mich noch von der Angst habe leiten lassen. Jetzt trieb mich der Hass und die Wut. Und damit war ich viel stärker geworden.
,,Verzeiht uns, Mylady...Lyana. Uns wurde diese Anreden nur so eingeschärft, dass es uns schwerfällt sie zu verändern.'' Mit bedrückten Blick und leiser Stimme fügte Nayla hinzu: ,,Außerdem hat uns noch nie jemand nach unseren Namen gefragt oder uns angeboten den Vornamen zu verwenden.'' Sofort kehrte wieder der ängstliche Ausdruck auf ihr Gesicht zurück, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade von sich gegeben hatte. Sie alle sahen so aus, als erwarteten sie jetzt von mir das ich sonst was tun würde. Als ich meine Hand leicht bewegte, zuckten sie alle zusammen und sanken den Blick. Sie dachten, ich würde sie schlagen, wurde mir bewusst. Entsetzen und Wut machte sich in mir breit, doch sie war nicht gegen diese Mädchen gerichtet, sondern den König und seinen gesamten Hofstaat. Zum Glück würde sich bald alles ändern, sobald die Rebellen die Monarchie gestürzt hatten. Alles wird besser werden.
,,Ihr müsst keine Angst haben. Ich werde nie die Hand gegen euch erheben oder euch sonst irgendwie bestrafen, hört ihr?'' Meine Stimme war sanft und aufrichtig. Um den Ernst meiner Aussage zu untermauern, hängte ich noch ein ,,Ich verspreche es'' hinten dran.
Ungläubig, mit weit aufgerissenen Augen starrten sie mich an. ,,Aber...wieso?'', hauchte Nayla und ihre Augen schimmerten wässrig. Ich würde nur zu gerne wissen, was gerade in ihr vorging. Diese Mädchen waren noch so jung und schon genauso wie ich vom Leben unter der Regie des Königshauses gezeichnet.
,,Wie alt seit ihr?'', erkundigte ich mich und ging gar nicht erst auf die Frage von Nayla ein. Egal, wie meine Antwort auch ausgefallen wäre, sie hätte weitere Fragen aufgeworfen und ich durfte kein Misstrauen erregen oder für unliebsamen Gesprächsstoff sorgen. Ich verhielt mich so schon anders, als ich eigentlich sollte. Nochmehr konnte ich mir nicht leisten.
,,Ich und Iona sind gerade 16 geworden, Lora ist 15.'', antwortete Nayla wieder für alle.
Ich verkniff mir zu fragen, ob sie nicht eigentlich zu jung für die Arbeit im Palast waren, da ich selber am eigenen Leib erfahren hatte, dass Alter bei Kindern aus armen Verhältnissen keine Rolle spielte. Sie hatten zu arbeiten, sobald sie ihr 5 Lebensjahr überschritten hatten und somit nicht mehr als Kleinkind galten. Das war aber auch kein Geheimnis.
Das Leben in Crowen war für alle, die nicht in Reichtum hineingeboren wurden, grausam.
Iona huschte an mir vorbei in den Kleiderschrank und förderte mit einem sicheren Handgriff in eine der dicht behangenen Kleiderstangen ein dünnes Nachtkleid mit Spitze zu Tage. Es war schön, keine Frage, dennoch konnte ich mich nicht darauf konzentrieren, da ich gerade ein zweites Mal vor einem sehr bekannten Problem stand.
Zoey war über mich informiert und hat meine Narben deswegen als nicht weiter beachtenswert empfunden, aber wie würden diese drei Mädchen darauf reagieren? Sie waren nicht über mich im Bilde und diese Narben hatte nun mal kein Adeliger. Wie also sollte ich das erklären, so dass es glaubwürdig klang?
Während Lora im Bad verschwand, um mir ein heiße Wanne einzulassen, machte Nyla sich mit geübten Handgriffen an meinem Kleid zu schaffen und mir entwich ein erleichtertes Stöhnen, als der Druck des Korsetts verschwand und ich wieder frei atmen konnte.
Atlanta hatte Recht behalten, nach einer Weile hatte ich tatsächlich vergessen, dass ich überhaupt ein Korsett trug, dafür merkte ich es jetzt aber um so mehr.
Kaum das auch das letzte Stück Stoff meinen Körper nicht mehr bedeckte, schnappte Nyla entsetzt nach Luft. Auch von Iona vernahm ich ein hörbares Keuchen. ,,Was-?''
Ich stieß ein leises Seufzen aus und schloss die Augen. Hektisch grübelte ich über eine passende Erklärung nach, denn die Wahrheit kam nicht infrage.
,,Ich-‚'', fing ich an, brach dann aber ab und setzte von neuem an. ,,Diese Narben kommen von Banditen. Meine Kutsche wurde vor einigen Jahren überfallen, wobei es ihnen gelang meine Wachen zu töten. Sie nahmen mich gefangen und ließen sich an mir aus.'' Die beiden lauschten gebannt meiner ausgedachten Geschichte. ,,Die langen Narben an meinem Rücken kommen von Peitschenhieben, die kleineren an meinem Körper von Messern.'' Zumindest das war die Wahrheit.
In Iona's Augen lag tiefes Mitleid. ,,Das muss schrecklich gewesen sein. Ich vermag mir gar nicht vorzustellen, welche Schmerzen Sie erleiden mussten.''
Ich lächelte ihr dankbar zu, auch wenn ich mich nicht näher damit befassen wollte. Denn der Schmerz damals war tatsächlich beinahe unerträglich gewesen.
,,Wie ging es dann weiter?'', wollte Nyla vorsichtig wissen.
,,Ich erinnere mich nicht mehr genau, ich war damals kaum noch bei Bewusstsein. Ich weiß nur noch, dass Soldaten mich gerettet und mitgenommen haben. Sie haben meine Wunden so gut es geht versorgt und mich zu meinem eigentlichen Reiseziel gebracht. Wie es genau abgelaufen ist, kann ich dir nicht sagen, ich war die meiste Zeit über ohnmächtig.''
,,Sie haben unvorstellbares durchgemacht und dennoch stehen Sie heute hier. Ich bewundere Sie. Nicht jeder hätte die Stärke besessen, das zu überleben und weiterzumachen.'' Aufrichtig sah Nyla mir direkt in die Augen.
,,Danke. Ich würde euch dennoch bitten, dies für euch zu behalten. Ich rede nur ungern über damals und möchte auch kein Mitleid. Versprecht mir, kein Wort über die Narben zu verlieren!''Es war mehr eine Bitte als eine Forderung.

Lyana- The Story of a QueenWhere stories live. Discover now