11. Kapitel

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,,Nein, nein, nein. Der rechte Fuß, nicht der Linke!'' Ein verzweifelter Ausdruck hatte sich in den Augen von Mr. Weyn breitgemacht.
Schon seit geschlagenen zwei Stunden versuchte er mir nun schon das Tanzen beizubringen, wobei wir beide feststellen mussten, dass mir das so gar nicht lag. Ich bemitleidete den armen Mann wirklich, der nicht nur am Ende des Unterrichts blaue Füße von meinen Absätzen haben würde, sondern auch völlig fertig mit den Nerven schien.
,,Bitte, Mylady, Konzentration.'' Mr. Weyn führte mich in eine schnelle Drehung und zischte gleich im nächsten Moment schmerzerfüllt auf, als mein einer Absatz sich in seine Zehen bohrte. Seine Hand ließ mich los und fuhr zu seinem Schuh, den er eilig mit verzogenen Gesicht auszog und die geschwollene, blaue Haut darunter zum Vorschein kommen ließ.
,,Oh Gott, das tut mir so schrecklich Leid, Sir!'' Besorgt und entschuldigend zu gleich sah ich zu wie mein Tanzlehrer sich den Fuß hielt und dabei vor Schmerzen stöhnte. ,,Das...ich...Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Brauchen sie etwas? Soll ich einen Arzt holen lassen?''
Als ich näher kam, hob er abwehrend die Hände. ,,Ist schon gut, Mylady. Ich werde den Krankenflügel aufsuchen und ihn dort behandeln lassen. Der Unterricht ist für heute erstmal vorbei.'' Mr. Weyn humpelte an mir vorbei aus dem Saal.
,,Noch nie in meiner ganzen Laufbahn als Tanzlehrer ist mir je eine so unbegabte Schülerin untergekommen.'' Er hatte es nur leise geflüstert, doch ich hatte es trotzdem gehört und senkte deprimiert den Blick auf den glatten Boden unter mir. Etwas verloren stand ich mitten im Saal, nachdem die Tür hinter dem verletzten Mann zugefallen ist und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte.
,,Nun, das hat tatsächlich noch niemand vor dir geschafft, aber hey, jeder hat andere Talente.'' Ich fuhr zu der mir sehr bekannten Stimme herum und erblickte Querin, der lässig an der Wand neben der Flügeltür lehnte und sich nun amüsiert grinsend von ihr abstieß. Nur ein paar Schritte von mir entfernt hielt er an und betrachtete mein zerknirschtes Gesicht mit deutlicher Belustigung.
,,Ich bin miserabel im Tanzen, nicht wahr?'' Ich ließ den Kopf hängen und seufzte frustriert.
,,Ich gebe zu, das lässt sich nicht leugnen.'' Er kam noch einen Schritt näher, sodass er jetzt fast direkt vor mir stand. ,,Aber vielleicht hat dir bisher auch einfach der richtige Tanzpartner gefehlt.''
Mein Kopf fuhr hoch, meine Augen scannten sein Gesicht, auf der Suche nach einem Anzeichen für den fehlenden Ernst hinter seiner Aussage, doch da war nichts.
Querin wandte keine Sekunde den Blick ab, als er mir auffordernd eine Hand entgegen hielt und sich dabei leicht verbeugte. ,,Gestattest du mir dein Tanzpartner zu sein?''
Überrascht wanderte mein Blick zwischen seiner Hand und seinem Gesicht hin und her. ,,Du meinst das Ernst? Du willst wirklich mit mir tanzen, nachdem du gerade gesehen hast, wie es Mr. Weyn ergangen ist?'' Ich konnte mein ungläubiges Staunen nicht verbergen.
Er grinste spitzbübisch. ,,Ach, bei dem alten Miesmacher kümmert es doch niemanden. Ich würde dich trotzdem bitten, meine hochwohlgeborenen Füße mit gebührendem Respekt zu behandeln und nicht auf ihnen herumzutrampeln.''
Ich musste kichern und legte meine Hand schließlich sanft in seine. ,,Ich werde mir Mühe geben.''
,,Das hoffe ich doch.'' Querins Grinsen wurde breiter. Er zog mich an sich heran, legte die eine Hand an meinen Rücken und die andere umschloss neben unseren Körpern in der Luft Meine. Meine andere Hand fand unterdessen den Weg zu seiner Schulter. Ein wenig schüchtern sah ich zu ihm auf.
,,So, und jetzt zeige ich dir wie man richtig tanzt.''

Mit schmerzenden Füßen, die an mehreren Stellen wund waren, schleppte ich mich den Rückweg zu meinen Räumlichkeiten entlang. Eine Mischung aus Seufzen und Stöhnen entkam meiner Kehle, als ich mich endlich auf mein Bett fallen lassen konnte und die Stöckelschuhe abstreifte. Die rote, teilweise aufgeriebene und geschwollene Haut meiner Füße bot keinen schönen Anblick, aber immerhin waren sie nicht blau wie die meines Tanzlehrers.
Aber es hatte sich gelohnt, denn auch wenn ich noch lange nicht behaupten würde, ich wäre eine gute Tänzerin, so konnte ich jetzt zumindest die Schritte und trat niemanden mehr auf den Fuß. Und das war definitiv ein großer Erfolg und eine Erleichterung für jeden, der jemals das Pech haben würde mit mir tanzen zu müssen. Mal ganz abgesehen davon, dass es mir die große Peinlichkeit ersparte auf dem Ball des Prinzen, einem Trampel zu gleichen, während alle anderen elegant über das Parkett schwebten.
Ich erwischte mich bei dem Gedanken zu hoffen, dass auch bei meinem nächsten Unterricht Querin mein Partner sein würde, wobei das wahrscheinlich gar nicht so unwahrscheinlich war, wenn man nach dem ungesunden Zustand der Füße meines eigentlichen Tanzlehrers ging.
Ich überlegte gerade, was ich nun mit meinen eigenen Füßen machen sollte, als Zoey ins Zimmer huschte und dabei in weiser Voraussicht nasse Tücher und einen kleinen Koffer dabei hatte. Überrascht musterte ich sie und dann das Zeug, was sie aus dem Koffer zum Vorschein brachte und auf den Boden neben sich legte, nachdem sie sich vor mich hingekniet hatte. Sie betrachtete meine Füße kurz. ,,Ich behandle kurz deine Füße, Lyana. Die ersten Tanzstunden mit hohen Schuhen sind immer die schlimmsten.''
Dankbar lächelte ich sie an und ließ mich dann wieder nach hinten fallen, um meine angestrengten Glieder zu entspannen. Erschöpft schloss ich die Augen. Ich spürte wie eine angenehm kühle Salbe auf meine Haut aufgetragen wurde, die den Schmerz linderte und wie sanfte, aber koordinierte Hände meine Füße mit weichem Stoff umwickelten.
Als die Zofe fertig war, verräumte sie die Sachen wieder und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. ,,Ich komme in einer Stunde wieder, um dich fürs Abendessen zu richten. Ruh dich solange aus.''
Kaum war sie gegangen überwältigte mich auch schon die Müdigkeit und ich triftete schneller als ich es für möglich gehalten hatte weg.
,,Lyana, komm, aufwachen.'' Ich hörte ein leises Seufzen, bevor ich schließlich grob an der Schulter gerüttelt wurde und sofort kerzengerade im Bett saß. Erschrocken machte Zoey einen Satz nach hinten, fasste sich kurz ans Herz und beruhigte sich dann aber genauso schnell wieder.
Ich lächelte sie entschuldigend an und rutschte widerwillig vom Bett. Ich versuchte meine Füße so wenig wie möglich zu belasten, was sich aber als unmöglich herausstellte. Deswegen lief ich schließlich ganz normal ins Bad und ignorierte dabei so gut es ging die zurückgegangenen, aber immer noch vorhandenen Schmerzen in meinen Füßen.
Gereinigt und nach Blumenwasser duftend ließ ich mich in den Sessel vor dem Schminktisch sinken und schloss die Augen, während Zoey begann mein Make-up aufzutragen.
,,Darf ich dir eine Frage stellen, Zoey?'' Die sanften Pinselstriche auf meinem Augenlid stoppten, was ich als Zustimmung verbuchte. ,,Wie bist du hier gelandet?''
Als nichts mehr von ihr kam, öffnete ich die Augen und sah direkt in das erstarrte Gesicht der Zofe.
Ich wollte ihr gerade mitteilen, dass sie mir nicht antworten müsse, da legte das Mädchen den Pinsel zur Seite und schloss die Augen. Mit einem Mal wirkte sie viel älter als sie eigentlich war.
,,Ich bin- war ein Straßenkind, genauso wie ein Großteil der Dienerschaft hier. Du bist auch auf der Straße aufgewachsen, oder?'' Ein bitterer Zug hatte sich auf ihr Gesicht gelegt und sie fuhr fort ohne eine Antwort abzuwarten. Sie kannte sie bereits. ,,Dann weißt du ja auch wie hart das Leben auf der Straße ist, vor allem wenn man sich alleine als Mädchen durchkämpfen muss. Jeder kämpft für sich selbst, anders überlebt man nicht. Wir sind von der Gesellschaft verachtet und dem Tode geweiht, so war es immer und so wird es wohl auch immer sein, wenn nicht...''Ihr harter Blick lag auf mir und ein hoffnungsvoller Schimmer trat in ihn. Hoffnung auf Besserung, Hoffnung auf Gerechtigkeit, Hoffnung auf eine tiefgreifende Veränderung. Und die sollte ich bringen. ,,Wenn nicht eine von uns auf den Thron kommt.'' Der Satz hing bedeutungsschwer im Raum. Doch er verwirrte mich. ,,Ich glaube, du hast da etwas falsch verstanden. Ich werde nicht Königin. Ich soll nur den Kronprinzen töten. Die Rebellen werden die Führung übernehmen, nicht ich.''
,,Nein, überleg mal. Sollte der Prinz sich für dich entscheiden und du sogar schon seine Frau bei seinem Tod bist, dann wirst du als Königin regieren. Sollten nämlich irgendwelche Rebellen öffentlich in die Regierung eingreifen und eine neue Regentschaft von Zaun brechen, wird es Aufstände geben. Der Adel würde da nie mitmachen und das Volk wird Zwiegespalten sein. Es wird eine Katastrophe geben. Wenn du aber herrscht, dann werden sowohl der Adel als auch die Rebellen und das Volk zufrieden sein. Schließlich vereinst du im Prinzip alles in dir. Als Straßenkind geboren, zur Rebellin geworden und zur Königin gemacht.'' Sie lächelte sanft. ,,Und du hast ein gutes Herz, Lyana. Du würdest eine wundervolle Königin sein, die diesem Land die Veränderung bringen wird, die es so dringend braucht.''
Danach herrschte erstmal Schweigen, bis Zoey sich räusperte. ,,Versteh mich bitte nicht falsch, ich weiß das hier wirklich zu schätzen, genauso wie jedes andere verwahrloste Straßenkind hier, das das Herzogspaar von Dorados aufgenommen hat. Wir haben echt Glück gehabt. Die Beiden sind echt schwer in Ordnung, auch wenn der Herzog manchmal ausfallend wird und oft unsympathisch rüberkommt. Letztendlich sind sie doch eine der wenigen Adligen, die sich überhaupt um uns scheren. Wir haben hier ein Dach über dem Kopf, Essen und Trinken und werden gut behandelt. Wären wir nicht hier gelandet, wären wir mit großer Wahrscheinlichkeit schon längst tot.''
Sie beendete mein Make-up, half mir in das schmale Kleid aus kostbarer Seide und steckte mir mit einem Zwinkern flache Ballerina an, um meine geschundenen Füße nicht weiter unnötig zu quälen.
Wie gestern brachte sie mich zum Esszimmer, in dem heute für eine Person mehr gedeckt war. Ich ließ mich auf meinem Platz nieder und versuche dabei nicht an die unangenehme Situation zu denken, als ich das letzte Mal mit Herzog Shalom an einem Tisch saß. Atlanta, die mein Unwohlsein wohl bemerkt hatte, warf mir über den Tisch hinweg ein aufmunterndes Lächeln zu und zurückhaltend erwiderte ich es.
,,Wie war der Tanzunterricht? Wir haben von Mr. Weyn gehört.''
Ich setzte gerade mit geröteten Wangen zu einer Antwort an, als Querin den Raum schwungvoll betrat, sich mit einer überschwänglichen Bewegung verbeugte und schräg gegenüber von mir Platz nahm. ,,Oh, ihr habt schon angefangen? Ich wollte euch nicht unterbrechen, fahrt ruhig fort.''
,,Ähm...Ja, ich hatte ziemliche Schwierigkeiten. Bei uns wurde nicht sehr oft getanzt und wenn doch, dann ist es eine ganz andere Tanzart. Diese Bewegungen waren ungewohnt für mich und ich habe mich nicht sehr geschickt angestellt.'' Ich senkte peinlich berührt den Blick.
,,Ach komm, ich finde, du hast es mit mir ganz gut hingekriegt, Cousinchen.'' Querin griff nach seinem Weinglas und ließ sich von einem Diener einschenken. Herzogin Atlanta hob eine Augenbraue. ,,Ihr habt zusammen getanzt?''
,,Ja und ich muss zugeben, mit Querin fiel es mir irgendwie leichter.''
,,Ist auch nicht sehr verwunderlich. Mr. Weyn ist zwar ein ausgezeichneter Tänzer und für Anfänger im Kindesalter ein guter Lehrer, das will ich nicht anzweifeln, schließlich habe auch ich von ihm gelernt. Aber für junge Damen, die sich ein wenig ungeschickt anstellen, scheint er kein Gespür zu haben.'' Querin trank einen Schluck und musterte mich über den Rand des Glases hinweg. Ich sah großzügig über die kleine Spitze darin hinweg und schenkte ihm ein Lächeln, bevor ich mich meinem Essen widmete.
,,Was mich aber wundert ist, wieso ihr Lyana nicht früher Unterricht im Tanzen erteilt habt. Generell erscheinen mir einige Punkte immer noch unschlüssig und ein wenig merkwürdig.'' Seine Worte sorgten dafür, dass ich mich verschluckte und hastig die Serviette vor den Mund hob, um mein Husten dahinter zu verbergen.
Shalom räusperte sich. ,,Nun ja, wir hatten nicht gedacht, dass sie schon so früh Tanzen würde müssen, schließlich wollten wir sie eigentlich bis zur Volljährigkeit mit 21 Jahren von der Öffentlichkeit und allen Pflichten die mit dem Adel einhergehen fern halten. Scheint so, als wäre es nun aber anders gekommen. Ich wollte und werde immer nur das Beste für meine geliebte Tochter wollen.'' Mir kam sein letzter Satz zwar etwas dick aufgetragen vor, aber Querin schien überzeugt. Ich meinte sogar kurz einen gerührten Ausdruck in seinen Augen gesehen zu haben.
Überraschenderweise verlief das restliche Mahl sehr angenehm. Sogar mit dem Herzog hatte ich ein paar höfliche Worte wechseln können und auch sonst waren die Gespräche ganz gut gewesen. Ich hatte mich zum ersten Mal in meiner Zeit hier wirklich wohl und willkommen gefühlt. Man hätte uns als Außenstehender wirklich für eine Familie halten können. Nur wusste ich es besser. Auch wenn ich mich kurz bei dem Gedanken erwischt hatte, mir zu wünschen wirklich Lady Lyana Dorados zu sein. Zu dieser Familie dazuzugehören. Doch dem war nicht so, und das durfte ich nicht vergessen.

Lyana- The Story of a QueenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora