32. Kapitel

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Meine Laune entsprach etwa der einer hochschwangeren Frau, die gerade erfahren hatte, dass sie ihren Heißhunger auf Erdbeertörtchen mit Schokoladencreme und Peanuts nicht stillen konnte, weil ihr verfressener Ehemann es für nötig hielt mit seinen Freunden vom Männerabend den Kühlschrank zu plündern und bis auf eine einfache Scheibe Brot nichts übrig gelassen hatte. Einfach gesagt: Sie hatte ihren Tiefpunkt erreicht.
Schon seit geschlagenen drei Stunden stand ich nun bewegungslos auf diesem kleinen Podest in der Mitte meines Schlafgemachs und wurde für die Hochzeit zurecht gemacht. Neben meinen drei Zofen wuselten auch noch die Schneiderin, ihre Gehilfin und mehrere weitere Dienstmädchen um mich herum. Alle mit dem Ziel mich so schön wie möglich zu machen.
Meine Haut war so glatt poliert und glänzend wie die Spiegelfläche eines Diamanten und dabei auch noch überraschend weich. Ich duftete wie nach einem erfrischenden Bad in Rosenwasser und verströmte gleichzeitig ein leichtes Vanillearoma. Eine interessante, extravagante Mischung, die erstaunlich gut roch.
Überall an meinem Körper waren fremde Hände, die in trubeliger Hektik versuchten, mir ein wunderschönes, makelloses Antliz zu verschaffen. Keine leichte Aufgabe angesichts meiner Narben. Das mussten auch die aufgeregten Frauen um mich herum merken. Denn egal wie viel sie mir von dieser einen bräunlichen Pasta auch auf meinem Rücken schmierten, die Narben waren viel zu groß und wulstig wegen unzureichender Versorgung und schlechter Verheilung, als das sie sich erfolgreich verdecken ließen. Es dauerte nur eine Weile bis auch die Zofen das einsahen und mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter aufgaben. Sie waren nicht zufrieden, aber es war nunmal nicht zu ändern. Immerhin konnten die andere wesentlich kleineren und unauffälligeren Narben auf meiner Haut gut überdeckt werden.
Als nach einer weiteren halben Stunde auch endlich das Kleid so saß wie es sollte, jede Stofffalte genau richtig drapiert war und an meiner Erscheinung keine Mängel abgesehen der Narben auf meinem Rücken mehr zu entdecken waren, beendeten die Frauen im Zimmer ihre Arbeit und schoben mich vor einen Ganzkörperspiegel.
Still betrachtete ich mich. Ich erkannte mich kaum wieder. Das Hochzeitskleid war wirklich ein Traum. Der Stoff lag eng am Körper und breitete sich auf Kniehöhe zu einer weiten Schleppe aus. Die Farbe des Kleides ging von strahlenden Weiß über Hellgold in ein glänzendes, dunkles Gold über. Um meinen Hals lag eine schwere Diamantkette, die perfekt mit den in Gold gefassten tropfenförmigen Ohrringen mit einem kleinen funkelnden Diamanten in der Mitte harmonierte. Meine Haare waren in perfekten Locken kunstvoll hochgesteckt worden, nur zwei Strähnen waren ausgelassen worden und umspielten auf schmeichelhafte Weise mein Gesicht. Winzige Diamanten waren in meine Frisur mit eingeflochten worden und glitzerten leicht. Das Make-up war wie von mir gewünscht dezent gehalten worden und entsprach genau meinen Vorstellungen. Der Lidschatten wies verschiedene goldene Nuancen auf hob den ebenso goldenen Ton meiner Augen hervor, sodass sie noch mehr zu strahlen schienen. Auch auf meinen Wangen war ein leicht goldenes Puder verteilt worden, nur mein Mund stach in einem verführerischen Rotton hervor, der keinesfalls aufdringlich wirkte.
Ich drehte mich einmal bewundernd im Kreis. ,,Bin das wirklich ich?''
,,Ja, Mylady.'' Lora tauchte mit einem langen, schleppenartigem, mit kleinen funkelnden Diamanten besetzten Umhang aus durchsichtiger Seide und weißer Spitze hinter mir auf und legte ihn mir vorsichtig um. Auch wenn ich ihn persönlich für ein wenig zu übertrieben hielt, war er doch bei königlichen Hochzeiten eine Pflicht, und ich würde nicht weitere jahrhundertealte Traditionen zunichte machen. Generell fühlte ich mich nicht wirklich wohl dabei so viele teure Diamanten zu tragen.
,,Seit Ihr bereit?'', erkundigte sich Iona. Mein Gesichtsausdruck musste wohl Bände sprechen, denn sie lächelte mich durch den Spiegel aufmunternd an. ,,Vielleicht hilft es Euch ja ein wenig, aber wir freuen uns auf jeden Fall, dass Ihr Königin werdet. Ich bin mir sicher, Crowen wird sich keine bessere Königin wünschen können.''
Dankbar lächelte ich zurück und wollte gerade etwas erwidern, als Nayla mit aufgeregt glänzenden Augen und hektischem Gesichtsausdruck zu uns trat. ,,Es ist soweit. Ihr müsst jetzt los, Mylady.''
Tief atmete ich noch ein letztes mal durch und folgte dann Nayla hinaus in den Korridor, in dem Drew und Ferin mich schon erwarteten. Beide musterten mich für einen Moment sprachlos, bevor sie schnell zurück in ihre Aufgabe fanden und mich ohne mich noch einen längeren Blickes zu würdigen zu der palasteigenen kirchlichen Kapelle im hinteren Teil des Palasthofs eskortierten. Wobei sich das als gar kein so leichtes Unterfangen herausstellte. Schließlich sollte das Kleid möglichst nicht dreckig werden, weswegen ich den Saum hochheben musste und meine Leibwachen die lange Schleppe. Überall begegneten uns Wachen, die den Weg zäumten- Leyon hatte die Anzahl der im Palast stationierten Soldaten erhöht. Eine notwendige Handlung angesichts der jüngsten Vorkommnisse.
Mit jedem Schritt verstärkte sich das flaue Gefühl in meinem Magen und ich wusste, dass das nicht vom Hunger kam, auch wenn ich heute noch nichts gegessen hatte. Ich hatte es einfach schlicht und ergreifend nicht gekonnt. Auch jetzt wurde mir nur bei dem Gedanken an Essen schlecht.
Dieses Gefühl rührte von etwas anderem her. Ich konnte es nicht richtig benennen. War es Angst? Bekam ich jetzt etwa kalte Füße?
Mir blieb keine Zeit länger darüber nachzudenken, denn wir hatten unser Ziel erreicht. Drew und Ferin ließen im selben Moment die Schleppe los, in dem ich mein Kleid wieder zu Boden fallen ließ, doch ich registrierte es kaum. Meine Augen waren stumpf auf das hölzerne Eingangsportal gerichtet, dass jede Sekunde für mich geöffnet werden würde.
Es kam mir viel größer, gewaltiger vor, als es eigentlich war.
Die beiden Wachen direkt neben dem Tor verbeugten sich leicht vor mir und stießen dann die Flügel auf. Im selben Moment erklangen Fanfaren. Die Gäste in ihren elegantesten Gewändern, die sich bei meinem Eintritt alle von ihren Sitzreihen erhoben und entweder in einen Knicks oder eine Verbeugung fielen, blendete ich einfach aus. Genauso wie die lange Reihe der Soldaten, die an der Wand aufgestellt worden waren. Sie waren nicht mehr als eine dunkle Masse am Rand meines Blickfeldes. Langsam schritt ich den sich vor mir erstreckenden Gang entlang. Aus dem Augenwinkel registrierte ich ein bekanntes Gesicht und erwiderte in einer minimalen Bewegung Xander's Nicken. Neben ihm entdeckte ich Stana und Leix, die mir breit grinsend zuzwinkerten. Bei ihrem vertrauten Anblick ließ die Nervosität zumindest ein klein wenig nach und ich brachte ein winziges Lächeln zustande. Dann richteten sich mein Blick wie automatisch auf das Ende des Ganges. Oder vielmehr die Person, die mich dort erwartete. Meine Mundwinkel hoben sich trotz dem nervösen Herzrasen, der heftigen Aufregung und dem flauen Gefühl wie automatisch, als ich Leyon vor dem Altar stehen sah. Dieser Anblick war so unwirklich und dennoch jagte er einen in freudiger Erwartung kribbelnden Schauer durch meinen Körper. Unsere Augen trafen direkt aufeinander und alles andere um mich herum verschwand, wurde bedeutungslos. Alles was zählte war dieses wunderschöne dunkelgrün, dass mir entgegenstrahlte und nur bei meinem Anblick zu leuchten begann. Auch wenn der Prinz bemüht war eine steinerne Fassade zur Schau zu stellen, um keinerlei Angriffsfläche zu bieten, fielen mir die kleinen Details auf, die seine Glücksgefühle und Freude verrieten. Wie das heller wirkende Grün seiner Augen oder das fast unsichtbare Heben seiner Mundwinkel.
Als ich endlich das Ende erreichte, hielt mir Leyon seine Hand hin und ich ließ die Meine mit einem kleinen Lächeln in sie gleiten, um mir von ihm in höflicher Manier die zwei Stufen hinauf zum Altar helfen zu lassen. Als hätte ich das nicht auch alleine gekonnt, aber das Protokoll verlangte es nunmal so.
Selbst als ich neben ihm stand ließ er meine Hand nicht los. Sie spendete mir in dieser nervenaufreibenden Situation Halt und dafür war ich äußerst dankbar. Ich bekam kaum mit wie sich der versammelte Hofstaat wieder setzte und nun genauso wie Leyon und ich den Pfarrer, der nicht nur jetzt unsere Trauung, sondern auch gleich die Krönungszeremonie durchführen würde, anstarrte. Der alte Mann lächelte leicht, als er seine Rede begann. ,,Sehr verehrter Adel von Crowen wir haben uns heute hier zu einem ganz besonderen Anlass versammelt: Der Eheschließung unseres hochverehrten Prinzen und einer wunderschönen Adelstochter.'' Er machte eine Kunstpause, während ich mich mit einer ganz plötzlich aufgetretenen Frage beschäftigte, die mich nur noch mehr an den Rand einer Hyperventilation trieb: War unsere Eheschließung überhaupt Rechtens? Galt sie überhaupt, wenn man unter falscher Identität getraut wurde?
Ich versuchte Leyon unauffällig mit meinen Augen darauf hinzuweisen, doch entweder stellte ich mich dabei zu blöd an, Leyon war zu dämlich, um es zu verstehen oder dieses Vorhaben war schon von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.
Dann musste ich eben später mit Leyo darüber reden.
Ich war so mit meinen Gedanken beschäftigt gewesen, dass ich erst am Ende seiner Rede wieder einschaltete.
,,...Sollte jemand berechtigten Einspruch erheben, möge er es jetzt tun, oder für immer Schweigen!'' Der Blick des Pfarrers glitt stechend über die Reihen.
,,Ich erhebe Einspruch!''
Jeder einzelne in diesem Raum schnappte bei diesen Worten nach Luft. Alle Augenpaare schossen zu dem mir unbekannten, jungen Mann, der aufgestanden war und seine Stimme so unverblümt erhoben hatte. In den meisten Gesichtern spiegelte sich Schock und Entsetzen wieder, ein paar andere sahen jedoch geradezu schadenfroh über diese überraschende, aber definitiv negative Wendung aus. Sie gierten nach einem Skandal und ich war mir sicher, dass ihnen auch genau dieser geliefert werden würde. Er hatte genau mit diesen Worten begonnen, nur das Ende stand noch offen.
Nun erhob sich auch noch eine junge Frau neben ihm, die starke Ähnlichkeiten zu dem Mann neben ihr aufwies. Ihr Kleid war scharlachrot und bot tiefe Einblicke, ein regelrechter Blickfang. Eigentlich etwas unerhörtes bei einer Hochzeit.
,,Genau, ich erhebe ebenfalls Einspruch!'', ließ sie mit überheblichem Blick laut verkünden. Erneut ging ein kollektives Luftschnappen durch die Reihen der Adeligen. Mein Blick zuckte zu Leyon, der sich neben mir völlig verspannt hatte und meine Hand viel zu fest drückte. Sein Anblick war....furchteinflößend. Anders konnte man es nicht beschreiben. Trotzdem vollbrachte er es beherrscht zu klingen, als er die Stimme erhob. ,,Und unter welcher Begründung?''
Es war totenstill. Es schien fast so, als würde keiner es wagen auch nur zu laut zu atmen, um ja kein Wort zu verpassen oder zu überhören. Gespannt verfolgten alle, die sich ihnen bietende Szene. Es war noch nie vorgekommen, dass die Hochzeit eines Mitglieds der Königsfamilie gestört worden war und das hier....war einfach eine unerhörte Dreistigkeit, die Folgen nach sich ziehen würde. Schwere Folgen für die beiden Verursachen, denn eine solche Respektlosigkeit und Infragestellung konnte Leyon nicht dulden.
Aber auch für uns -Leyon und mich- , je nachdem unter welcher schlagkräftigen Vorlage die beiden Störenfriede agierten. Sollten sie auf irgendeine Weise herausgefunden haben, dass ich eine Rebellin war, war ich geliefert. Dann konnte selbst der Prinz nichts mehr machen, sonst würde es Aufschreie und Unruhe in seinen eigenen Reihen geben, mal ganz abgesehen von den unvorhersehbaren Reaktionen des Volkes. Ich konnte nur spekulieren, welches Tumult das Ganze dann auslösen würde.
Beißende Angst machte sich in mir breit und nahm mir die Luft zum Atmen, ich konnte nichts dagegen tun.
,,Lady Lyana ist nicht die die sie vorgibt zu sein.'', sprach der fremde Mann die verhängnisvollen Worte aus und wieder schnappten die anderen Gäste entsetzt nach Luft. Dann setzte leises Getuschel ein.
Ich war komplett erstarrt. Meine Glieder versagten mir den Dienst, ich konnte nichts anderes tun, als ihn einfach nur völlig geschockt anzustarren. Leyon neben mir verkrampfte sich. Ich wusste, dass er ähnlich empfand wie ich, nur sehr viel besser darin war, seine Emotionen zu kontrollieren und nicht zu zeigen.
Gelassen und sich der vollen Aufmerksamkeit aller Versammelten bewusst, fuhr er laut fort: ,,Sie ist keine Dorados! Sie ist eine Lundos!''
....Warte, was? Im ersten Moment atmete ich erleichtert auf, bis mir klar wurde, was er da überhaupt genau von sich gegeben hatte. Leyon schien nicht wenig geschockt, als ich von dieser überraschenden Enthüllung, wobei, wenn man es denn als solche bezeichnen konnte. Ich war mir nämlich eigentlich verdammt sicher, kein bisschen Adelsblut in mir zu haben, schließlich hat meine Mutter vor ihrem frühzeitigen Tod noch mit mir auf der Straße gelebt. Sie kam aus keinem Adelshaus, das konnte ich mit Bestimmtheit sagen. Wie also konnte sich dieser Adelige anmaßen, so eine ungeheuerliche Behauptung aufzustellen?
,,Wenn Sie keine Beweise für diese Aussage vorweisen können, rate ich Ihnen, jetzt lieber ganz schnell den Mund zu halten.'', knurrte der Prinz bedrohlich und gab seinen Wachen ein Zeichen. Zwei von ihnen lösten sich daraufhin von der Wand und traten auf die beiden vermutlichen Geschwister zu. Der junge Mann hob jedoch nur in einer arroganten Geste die Hand. ,,Die habe ich.'' Er holte ein gefaltetes Papier heraus. ,,Einen Brief von ihrer Mutter, Madell, an Fürst Lundos, in dem sie ihn anfleht, sich wenn schon nicht um sie, dann zumindest um ihre Tochter Lyana zu kümmern.''
Auf seine Worte hin herrschte wieder eine unheimliche Stille, bevor erneut allgemeines Getuschel laut wurde.
Ich stand unter Schock. Woher wusste dieser fremde Mann den Namen meiner Mutter? Meine Mutter hatte nichts mit Adeligen zu tun, er konnte ihn eigentlich gar nicht kennen.
Leyon bedeute einem Wachmann ihm den Brief zu bringen, doch als dieser ihn ihm reichte, riss ich ihm den Zettel aus der Hand. Mit zitternden Händen faltete ich ihn auseinander.

Lyana- The Story of a QueenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt