3. Kapitel

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Fassungslos starrte ich Roywen an, der meinen Blick gelassen erwiderte.
Irgendwie konnte -nein, wollte- ich seine eben gesagten Worte nicht ganz begreifen.
Mein Verstand weigerte sich schlichtweg.
,,I-Ich....was?!''  Das Entsetzen in meiner Stimme war nicht zu überhören. Meine Augen huschten zu Xander, der die ganze Zeit über bewegungslos an der Wand lehnte, und suchten in seinem Blick nach irgendeinem Zeichen, dass das hier ein schlechter Scherz war.
Doch eigentlich kannte ich die Wahrheit schon. Weder unser Anführer noch seine Rechte Hand würden je Scherze machen. Dafür war unsere Situation viel zu ernst.
,,Hör mir zu, Lyana. Keinem Rebell ist es bisher gelungen, ein Mitglied der Königsfamilie umzubringen, dazu sind sie viel zu gut geschützt. Wir haben zwar auch im Adel Verbündete, jedoch können sie keinen Mord begehen. Das liegt daran, dass jeder Adlige bei einem Thronwechsel einen Treueschwur ablegen muss, der auf die Götter geschworen wurde. Und niemand will so einen Schwur brechen, dabei geht es um Ehre, Stolz und Glaube. Unsere Verbündete jedoch umgehen ihn, sagen wir mal. Sie liefern uns nur Informationen über den Palast, nicht über die Königsfamilie, oder helfen uns wie jetzt, eine geeignete Königin auf den Thron zu setzten.''  Seine braunen Augen funkelten listig. ,,Wir warten schon seit Jahren auf so eine Chance. So viele Jahre lang haben wir ausgekundschaftet, gekämpft, geraubt, Verbündete gesucht, Informationen gesammelt.....und jetzt ist es endlich soweit. Jetzt bietet sich die perfekte Gelegenheit. Eine unserer Verbündeten Adelsfamilien hat schon vor langer Zeit mit dem ersten Schritt unsers Planes begonnen und 3 Jahre nach der Geburt des Prinzen verlauten lassen, sie hätten eine Tochter bekommen. Doch das ist auch das Einzige, was man über die ominöse Tochter der Dorados weiß. Natürlich haben sie nie eine Tochter bekommen, aber alle gehen davon aus, dass sie wohl so häßlich ist, dass Lord und Lady Dorados sich für sie schämen und deswegen niemand je das Kind sehen durfte. Da kommst du dann ins Spiel. Du wirst Lyana Dorados sein, die Tochter von Shalom und Atlanta Dorados. Du wirst zum Ball gehen und dort den Prinzen umwerben, während du bei jeder sich ergebenen Möglichkeit versuchen wirst ihn umzubringen. Hast du das verstanden?''
Immer noch völlig vor den Kopf geschlagen, nickte ich unsicher. ,,Verstanden schon, Sir, aber mir ist immer noch nicht ganz klar, wieso die Wahl ausgerechnet auf mich gefallen ist.''
Roywen lächelte nachsichtig. ,,Da gibt es mehrere Faktoren, die schließlich den Ausschlag gegeben haben. Zum einen besitzt du alle erforderten Kriterien, die du brauchst, um überhaupt in sein Augenmerk zu fallen. Du besitzt Schönheit.''
,,Und weiter?'', hakte ich nach, als er eine kurze Pause einlegte.
,,Weitere gibt es nicht. Schönheit ist das wichtigste am Hof. Deswegen wurde der Ruf der Dorados auch so geschädigt. Schöne Töchter kann man gewinnbringend verheiraten, Häßliche sind nutzlos, da niemand mit so jemandem am Hof gesichtet werden möchte. Gut...neben deiner Schönheit, besitzt du zum anderen auch noch Intelligenz, die du aber nicht so offensichtlich zeigen solltest, da adlige Frauen nur als eine Art Puppe neben dem Mann fungieren sollten. Aber das weißt du ja bereits, nicht wahr?'' Er beachtete mich mit einem vielsagenden Blick und ich verspannte mich automatisch.
Zum Glück fuhr Roywen schnell fort: ,,Dann hast du zum anderen ausgezeichnete sprachliche Ausdrucksweisen und mit Abstand das beste Benehmen von den Rebellen, auch wenn es noch Ausbau fähig ist.''
Mein Körper verspannte sich immer weiter und dunkle Erinnerungen versuchten sich wieder in mein Bewusstsein zu drängen, doch ich kämpfte mit aller Macht dagegen an, während ich mir nach außen hin nichts anmerken ließ.
,,Aber darum werden sich die Dorados kümmern. Der letzte Faktor, der für uns eine entscheidende Rolle spielt ist dein kämpferisches Können. Und darin bist du sehr gut. Bei deinem unschuldigem Aussehen würde niemand auf die Idee kommen, dass du eine Rebellin bist oder das Zeug dazu hast einen Mord zu begehen.''
Mir gefiel die Richtung in die das Gespräch ging ganz und gar nicht, doch ich schwieg und beobachtete nur wie Roywen erneut nach dem Brief griff und aus dem Umschlag eine kleine, aber edle Karte zog, die mir vorhin völlig entgangen war.
,,Das ist deine Einladung. Der Ball findet zur nächsten Monatswende statt und beginnt am frühen Abend. Bis zur Monatswende haben wir nur noch fast sechs Wochen Zeit. Die ersten zwei und halbWochen wirst du noch hierbleiben und von Xander persönlich im Kampf trainiert. Danach wird man dich ins Anwesen der Dorados bringen, wo du die restlichen Wochen Unterricht in Etikette, Tanz und Benehmen erhältst. Das wird anstrengend werden und du wirst jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hartes Training haben, aber ich bin mir sicher, du schaffst das. Hast du alles verstanden?''
,,Ja, allerdings hätte ich noch ein paar Fragen, Sir.'' Ich schluckte meinen Ärger über seine Worte und diesen Auftrag hinunter und besann mich stattdessen auf das wichtigste.
,,Nur zu, frag ruhig. Bevor du nachher noch alles durch ein Missverständnis oder eine Unklarheit ruinierst.''
,,Wieso mussten wir so einen Brief klauen und haben nicht einfach den von den Dorados bekommen? Das wäre doch viel einfacher gewesen.''
,,Die Dorados haben keinen bekommen. Wie ich bereits sagte, gehen die meisten davon aus, dass ihre Tochter unvorstellbar häßlich ist. So jemand käme definitiv nicht für den Prinzen infrage.''
Ich nickte verstehend, auch wenn ich innerlich mit den Zähnen knirschte über dieses traurige Gesellschaft in der Aussehen und Ansehen das einzige war, was zählte. ,,Und was soll ich tun, wenn der Prinz sich nicht für mich interessiert und mich direkt wegschickt?''
Roywen's Lächeln war berechnend. ,,Das wird er nicht. Aber für den unwahrscheinlichen Fall.....Du wirst deinen ersten Angriff gleich beim Ball starten können und wenn alles gut läuft bist du schneller wieder hier als auch der erste Bauer nur vom Tod des Prinzen gehört hat.''
,,Wie soll ich ihn denn überhaupt unauffällig umbringen?''
,,Da gibt es doch viele Möglichkeiten. Gifte, Messer und kleine Unfälle bei Unternehmungen wären doch schonmal ein ganz guter Anfang. Achte nur stets darauf, das nie ein Verdacht auf dich fällt und lass es am besten nicht so sehr nach Mord aussehen. Aber das wirst du schon schaffen, da bin ich mir sicher. Die nötigen Utensilien wie Gifte und Waffen werden wir dir natürlich bereitstellen.''
,,Und...Was wenn er mich wirklich ehelichen will und mir einen Antrag macht?'' Diese Frage beschäftigte mich tatsächlich am meisten.
,,Sei unbesorgt. So weit wird es schließlich nicht kommen.''
,,Wie wird es denn dann weitergehen? Also, wenn ich ihn getötet habe. Denn der König lebt dann doch immer noch und hat er nicht auch noch eine kleine Schwester?''
,,Wir werden die Herrschaft übernehmen und neue, bessere Gesetze einführen. Genauer Details stehen dir nicht zu. Und was den Rest der königlichen Familie angeht....lass das mal unsere Sorge sein. Kümmere dich einfach um den Prinzen, den Rest übernehmen wir.''
,,Verstanden, Sir. Es wird mir eine Ehre sein.'', sagte ich die Worte, die er hören wollte.
,,Das sollte es auch.'' Roywen nickte seiner Rechten Hand zu, die sich von der Wand abstieß und um den Tisch herum neben nicht trat. ,,Xander wird sofort mit deinem Training beginnen.''
Mit Xander an meiner Seite wollte ich gerade den Rückzug antreten, als Roywen mich nochmal aufhielt. ,,Ach und eins noch, Lyana. Dieser Auftrag ist streng vertraulich. Das heißt du wirst mit niemanden darüber sprechen.''
Ich nickte und trat hinter Xander auf den Flur.
Kurz bevor die Tür zufiel, hörte ich noch ein leises ,,Und sei vorsichtig.''
Schweigend folgte ich Xander erneut, bis wir das Gebäude verließen und ich kurz stehen blieb, um die frische Luft zu genießen und einmal tief durchzuatmen, während sich das ganze Gespräch noch einmal in meinem Kopf abspielte.
Doch auch jetzt erschien es mir immer noch so unwirklich. Ich werde mich als Adlige ausgeben, um einen Prinzen zu umwerben, während ich eigentlich versuche ihn zu ermorden.
Das konnte doch nur schiefgehen.
,,Steh da nicht so rum. Wir haben nicht viel Zeit.'', drängte Xander mich zur Eile und bedeute mir ihm schneller zu folgen. Er steuerte den Wald an und ich folge ihm eher widerwillig hinein.
Kleine Äste und Zweige brachen unter unseren Füßen, während Xander mich zielstrebig durch einen dichtbewucherten Teil des Waldes begleitet von Vogelgezwitscher führte, den ich vorher noch nie betreten hatte. Was wohl daran lag, dass er mir nie aufgefallen war.
Irgendwann erreichten wir dann offensichtlich Xander's Ziel, denn sein Tempo verlangsamte sich, bis er schließlich ganz anhielt. Neugierig trat ich um ihn herum und nahm den sich mir bietenden Anblick in mich auf.
Vor mir erstreckte sich umgeben von dichten Bäumen eine wunderschöne grüne Lichtung, die zu einer Art Trainingsplatz umfunktioniert worden war, was ihr ein besonderes Flair gab.
An einer Seite waren Zielscheiben an den Bäumen angebracht worden, wo man Messer werfen oder Pfeil und Bogen nutzten konnte. An einigen in die Erde gelassenen Holzbalken waren allerlei Waffen befestigt wie Bögen, Pfeile samt Köcher und Messer und Schwerter in verschiedenen Modellen.
In der Mitte der Lichtung war eine große, geebnete Stelle, die mir verdächtig nach einem Kampfplatz aussah.
Die Frage, warum man Xander oder Roywen nie auf unserem normalen Trainingsplatz im Lager sah, hatte sich hiermit wohl erübrigt.
Ich sah wieder zu Xander, der nun den privaten Übungsplatz betrat und sich in die Mitte der Lichtung stellte. Mit einer Handbewegung wies er mich an es ihm gleich zu tun.
Als wir uns dann gegenüber standen, begann er, wobei er natürlich direkt zum Punkt kam. ,,Zu unserem Glück bist du keine Anfängerin, was das Kämpfen angeht und hast schon einige Erfahrungen in Kämpfen auf Leben und Tod gemacht.'' Seine Stimme war kalt und sein Gesicht emotionslos, während er sprach. Ganz im Gegenteil zu mir, doch ich schaffte es meine aufgewühlten negativen Gefühle hinter einer Maske aus Unbewegtheit zu verstecken. ,,Du kämpfst dadurch schon recht gut, jedenfalls in Kämpfen die auf der Straße stattfinden. Jedoch werden dir deine bisherigen Kampfkünste bei einem ausgebildeten Soldaten nichts bringen, da du über keine Techniken verfügst, geschweige denn wichtige Punkte und Regeln kennst, die dir den Sieg bringen. Was heißt, wir werden nochmal von vorne beginnen müssen.''
Er musterte mich einmal gründlich. ,,Wir beginnen mit Ausdauertraining und leichten Kraftübungen, dann die Grundschritte. Wenn du die kannst, zeige ich dir einige Techniken und Manöver. Erst wenn du den Nahkampf richtig beherrschst, gehen wir zu den Waffen über und ich bringe dir den Umgang mit Messern, Schwertern und Pfeil und Bogen bei. Bist du bereit?''
Eigentlich nicht, aber das interessierte ja eh keinen, also ,,Ja.''
Um Xander's Mundwinkel lag ein sadistischer Zug. ,,Gut. 25 Runden um den ganzen Platz.''
,,Was?'' Entsetzt sah ich ihn an.
,,30 Runden.''
Da ich einsah, dass es keinen Sinn hatte und es nur Nachteile für mich geben konnte mit Xander zu diskutieren, fügte ich mich mit einem wütenden Blick in seine Richtung und begann zu laufen.
,,Schneller!", trieb er mich an und ich verfluchte ihn bereits nach der Hälfte.
Doch an Aufgeben war gar nicht zu denken. Diese Schmach werde ich nicht über mich bringen.
Ich spürte wie mir der Schweiß über das Gesicht lief und mein Herz in meiner Brust zu explodieren schien, aber ich spornte mich innerlich immer weiter an.
Ein Fuß vor den anderen. Ein Fuß vor den anderen.
Nur noch 4 Runden. 3 Runden. 2.
,,Eine Runde noch. Gib jetzt noch mal alles.'' Ich ignorierte Xander und konzentrierte mich stattdessen darauf, dass meine Beine nicht unter mir nachgaben.
,,Geschafft.''
Keuchend und nach Luft schnappend ließ ich mich auf den Boden fallen und versuchte erstmal wieder meinen unregelmäßigen Atem zu beruhigen. Doch Xander schien mir nicht mal eine kleine Atempause zu gönnen. ,,Nicht schlappmachen. Wir haben keine Zeit für Pausen. Jetzt trägst du diese Steine von hier nach da hinten.'' Er wies auf einen großen Haufen schwer aussehender Steine, die in einer Ecke lagen und zeigte dann zu der gegenüberliegenden Ecke am anderen Ende der Lichtung.
Ich stöhnte, bevor ich mich schwerfällig aufrappelte und zu dem ersten großen Stein lief.
Als ich ihn mit beiden Händen hochhob, musste ich feststellen, dass diese Felsbrocken nicht nur schwer aussahen, sondern es auch waren. Erneut entwich mir ein Stöhnen. Mit vor Anstrengung zitternden Armen schleppte ich ihn mühselig quer über den Platz und ließ ihn auf der anderen Seite fallen.
Mein Blick fiel zurück auf den gewaltigen Steinhaufen und mit einem motivationslosen Seufzen machte ich mich unter Xander's strenger Beobachtung an die Arbeit. Dieser konnte es nicht lassen mich immer wieder zu einem schnellerem Tempo zu animieren, was aber nur mäßig Erfolg hatte.
Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich alle Felsbrocken auf die andere Seite transportiert hatte. Ich spürte am Ende jeden einzelnen Muskel in meinem Körper. Mit gebeugter Körperhaltung, da aufrechtes Gehen mir auf einmal viel zu anstrengend vorkam, schleppte ich mich mehr schlecht als recht zu Xander, der mir belustigt entgegen sah.
Mittlerweile war die Abenddämmerung schon eingetroffen und ich stolperte immer wieder über kleine Stöcke und Steine, doch das Eisblau von Xander's Augen leuchtete mir in der leichten Dunkelheit förmlich entgegen und eignete sich hervorragend als Orientierungspunkt.
,,Du siehst fertig aus.'', stellte er fest und ich hätte ihm dafür am liebsten eine geklatscht, jedoch unterdrückte ich den Drang und nickte schlicht. ,,Sind wir dann fertig?''
,,Für heute lassen wir es gut sein. Morgen wirst du schon vor dem Frühstück 20 Runden laufen und danach treffen wir uns hier.'' Dann schien ihm noch etwas einzufallen. ,,Achja, Mittagessen fällt ab jetzt immer für dich aus. Das heißt ich würde an deiner Stelle schön viel frühstücken. Hast du Hunger? Es gibt noch Abendessen.''
Ein wissender Ausdruck lag in seinen Augen, als ich ablehnend den Kopf schüttelte.
Das Hungergefühl war mir eindeutig vergangen, allein der Gedanke an Essen brachte meinen Magen gerade zum rebellieren. Und selbst wenn ich Hunger gehabt hätte, wäre ich viel zu erschöpft gewesen, um mich in die Mensa zu schleifen.
Als Xander sich umdrehte und ging, machte ich mich hastig daran ihm hinterherzulaufen, falls man meine schlurfenden Schritte überhaupt als Laufen interpretieren konnte. Alleine würde ich den Weg nämlich nicht zurückfinden.

Lyana- The Story of a QueenWhere stories live. Discover now