*(57) Probleme*

613 45 0
                                    

Er kann nicht sehen, was in dir vor sich geht, weil du es ihm nicht zeigst.  

~~~~

Ich saß auf den kalten Treppen, die zum Bahnhof und den Straßen der Stadt hinaufführten. Die Luft war hier deutlich besser, die Musik leiser und die Leute weniger.

Im ersten Moment glaubte ich, es mir einzubilden, dass ich Damians Stimme hörte. Mit mir hatte er noch nie so kalt gesprochen. So drohend.

„Halt dich da raus. Ich brauche deine Ratschläge nicht."

„Ich versuche, dir zu helfen."

„Ich habe nicht um Hilfe gebeten."

„Dafür hast du sie gerne angenommen, als es um Markus ging."

Mein Körper war auf den Stufen festgefroren. Obwohl ich nichts lieber wollte als aufzustehen und nach oben zu gehen, um zu sehen, ob Damian wirklich dort stand und dieses Gespräch führte, regte ich mich kein Stück.

„Ich habe mir angehört, was ihr zu sagen hattet. Du hast mir geholfen, Markus zu finden. Damit sind wir quitt. Meine Beziehung ist mir wichtiger als eure Rudelscheiße."

„Sei vorsichtig, was du sagst."

„Sonst was?"

Ein Teil von mir hoffte, dass ich mir das einbildete. Dass ich an der Theke eingeschlafen war und mein Unterbewusstsein sich einen weiteren dämlichen Alptraum zusammenspann. Aber dafür fühlte es sich viel zu real an. Viel zu gefährlich.

„Wage es, mir zu drohen und du wirst sehen, wozu ich im Stande bin."

„Ich weiß das wahrscheinlich besser als du", sagte die andere, mir bekannte Stimme. Dennoch konnte ich sie nicht zuordnen.

„Hör zu, ich kann dir ein paar Tage oder Wochen den Rücken freihalten, aber irgendwann wirst du dich mit deinem Erbe auseinandersetzen müssen. Du kannst nicht ewig davor weglaufen, wer du bist."

„Tu nicht so als würde es dir dabei um mich gehen. Du willst nur deinen eigenen Arsch retten, weil du so dumm warst, deinem Alphawölfchen zu versichern, dass du mich überzeugen kannst, eurem Club beizutreten."

„Du solltest wirklich anfangen, weniger herablassend darüber zu reden. Du bist ein Teil dieser Dynamiken. Ob es dir gefällt oder nicht."

„Fick dich, Seb. Ich habe keine Zeit für deine Scheiße."

Die Erinnerung an den Typen aus dem Zug befreite meinen Körper aus seiner Starre. Das selbe unangenehme Gefühl, als ich schon damals bei ihm gehabt hatte, suchte mich auch jetzt wieder heim. Nein, jetzt war es schlimmer als damals. Weil ich wusste, dass es keine Einbildung war. Seb war ein seltsamer Typ und er führte ein noch viel seltsameres Gespräch mit meinem Freund.

Mein Körper bewegte sich wie von allein in die Richtung, in der ich die beiden vermutete - die Treppen nach oben und an der Außenwand des Bahnhofgebäudes entlang.

„Denkst du, ich habe Spaß daran, einem anstandslosen Idioten in den Arsch zu kriechen? Wir finden diese Situation beide kacke, aber ich versuche wenigstens zu kooperieren."

„Anstandsloser Idiot?" Damian lachte. „Vielleicht hätte ich Anstand, wenn ihr euch die Mühe gemacht hättet, mich früher zu finden. Wenn ich nicht von Heim zu Heim und Familie zu Familie herumgereicht worden wäre, bis ich gar nicht mehr versucht habe, zu irgendwem eine Bindung aufzubauen oder mir auch nur Namen zu merken. Ich war mein Leben lang alleine und habe die Familie zerstört, die mir die Hoffnung gegeben hat, dass ich endlich angekommen bin. Und das nur, weil ihr dummen Penner es nicht auf die Reihe gekriegt habt, mich ausfindig zu machen, bis ich euch zufällig über den Weg gelaufen bin. Jetzt kommt ihr an mit euer verkackten Rudelmentalität und eurem du gehörst du uns bla bla bla. Als wäre ich euch irgendetwas schuldig." 

Er stieß ein bitteres Schnauben aus. „Ganz ehrlich? Früher hätte ich alles getan, um glauben zu können, dass ich irgendwann mal irgendwo dazugehören kann. Aber ich bin kein kleines Kind mehr. Ich brauche niemanden, der mich aufnimmt und schon gar niemanden, der mir vorschreiben will wie ich zu leben habe. Ich will meine verfickte Ruhe."

Ich machte mir keine Mühe, mich hinter der Ecke zu verstecken. Es war mir egal, dass ich mich direkt in etwas hineinbewegte, das mit mir nichts zu tun hatte. Denn das stimmte nicht. Damian und ich plotteten seit Monaten zusammen an seinen Verwandlungen herum, versuchten sie zu verstehen und zu kontrollieren. Wir steckten da zusammen drin. Das bewiesen alle Stunden, die wir damit verbracht hatten, seine Fähigkeiten auszutesten, seine Grenzen zu finden und füreinander da zu sein.

Alle wichtigen Schritte, die wir aufeinander zugemacht hatten, hatte ich veranlasst. Er hatte sich jedes Mal, wenn es kompliziert geworden war, zurückgezogen und aufgehört mit mir und allen anderen zu reden. Ich hatte ihm jedes Mal Zeit gegeben, aus sich rauszukommen und stand schließlich jedes Mal wieder in seiner Höhle und konfrontierte ihn mit seinem widersprüchlichen Verhalten. Ich hatte mir die Mühe gemacht, über meine Verletzung hinwegzusehen und Erklärungen zu verlangen. Ich hatte ihm geglaubt, egal, was er mir erzählt hatte. Ich war davon ausgegangen, er wäre ehrlich zu mir. Er hätte gelernt, seine Probleme mit mir zu teilen. Und ich weigerte mich zu glauben, dass das bloß Wunschdenken gewesen war.

Damian fiel es schwer, von sich aus über sich und seine Sorgen zu reden. Daran hatte sich anscheinend nichts geändert. Also blieb mir nichts Anderes übrig, als ihn dazu zu zwingen.

wild (bxb)Where stories live. Discover now