*(78) Flucht*

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"The best way to keep a prisoner from escaping is to make sure he never knows he is in prison." - Fyodor Dostoevsky.

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Meine Nachrichten, in denen ich Damian gebeten hatte, sich zu melden, hatte er ignoriert. Als ich ihn an diesem Mittag frage, ob er mir Markus Nummer schicken konnte, sendete er den Kontakt. Auf mein „Danke" antwortete er wieder nicht.

Meine Daumen begannen eine weitere Nachricht einzutippen. Ich schrieb mir meine Gedanken von der Seele und merkte mittendrin, dass das nichts war, das ich ihm per Text mitteilen wollte.

Ich wollte ihm in die Augen sehen, wenn ich ihm klarmachte, dass es mir wehtat, wenn er sich so von mir abschottete. 

Ich wollte ihn in den Arm nehmen, wenn ich gegen sein schlechtes Gewissen kämpfte. 

Ich wollte ihn küssen, wenn er kapierte, dass es sinnlos war, vor mir wegzulaufen. 

Ich würde ihm folgen. Egal, wie viel Vorsprung er hatte, egal, wie schnell er war und egal, wie sehr er versuchte zu fliehen. Er konnte mir nicht entkommen.

Ich löschte die Nachricht also wieder und dachte nach.

Einerseits war ich es ihm schuldig, ihm zu erzählen, was ich gehört hatte. Das Alles hatte immerhin auch etwas mit ihm zu tun. Mit ihm und mit mir und mit uns.

Andererseits würde er, so wie er gerade drauf war, das Ganze nur als Bestätigung sehen, nichts mehr mit mir zu tun zu haben. Zuerst musste ich mich ordnen und versuchen, genug von dem, was ich gehört hatte, zu verstehen, um zu wissen, was Carla und Markus überhaupt gemeint hatten.

Ich konnte also nicht mit Damian darüber reden. Ebenso wenig konnte ich es für mich behalten. Ich wollte dem nicht alleine gegenüberstehen. Ich brauchte jemanden, der auf meiner Seite war.

Obwohl Markus in dem Gespräch so geklungen hatte, als könnte er diese Person sein, brachte ich es nicht über mich, mich ihm anzuvertrauen.

Dass er für Damian da gewesen war, als ich flachgelegen hatte; dass er sich die Umstände gemacht hatte, ihn für zwei Wochen hin und her zu kutschieren; dass er ihn nachts im Wald suchen gegangen war... das konnte alles Teil seiner Masche sein. Und sie hatte funktioniert: Er war mir nähergekommen. Er war Teil meines Lebens. Ohne, dass ich die Chance gehabt hatte, mich dafür zu entscheiden.

All seine hilfsbereiten Akte konnte ich also genauso als hinterhältig interpretieren. Im Streit mit meiner Tante hatte er selbst gesagt, er wollte mir bloß einen Teil der Wahrheit erzählen. Das hatte kalkuliert geklungen. Berechnend.

Ich war nicht bereit, jemandem zu vertrauen, der mich bewusst im Dunkeln lassen wollte. 

Ich wusste zu wenig über Markus und, um ehrlich zu sein, auch zu wenig über mich selbst, um zu entscheiden, ob, das Risiko, auf zuzugehen, es wert war.

Falls meine Tante recht hatte, falls Markus wirklich über mich an Damian rankommen wollte – warum auch immer – konnte ich nicht zulassen, ihm näher zu kommen. Alles, was bisher passiert war, allerdings gab mir eher das Gefühl, dass er versuchte über Damian an mich heran zu kommen.

Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Jede mögliche Erklärung ergab Sinn und erschien gleichzeitig absolut sinnlos.

Ich musste mit jemandem reden, um meine Gedanken zu ordnen. Markus, meine Tante und Damian fielen raus. Übrig blieben Finn und Alisha.

Ich konnte mich kaum an die Nacht meiner Verwandlung erinnern. Ich wusste bloß, was Damian Markus und Markus dann mir erzählt hatte: Ich war mit Damian, Finn und Alisha auf Mikas Konzert gewesen war. Alisha war verschwunden. Wir hatten sie gesucht und mit Rico gefunden. Ich war davon ausgegangen, dass er sie missbrauchte, hatte ihn verprügelt und mich dabei verwandelt.

wild (bxb)Where stories live. Discover now