*(64) Gesundheit*

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Du willst, dass er glücklich ist. Du willst mit ihm glücklich sein. Du musst nur lernen, wie das geht.

~~~

Seit wir Alisha und Finn weggeschickt hatten, vibrierte mein Handy beinahe ununterbrochen. Ich musste nicht nachzusehen, um wissen, dass Finn mich zuspamte. Er wollte Antworten. Dabei hatte ich die selbst nicht. Und ich war nicht bereit, in eine mögliche Falle zu tappen, um sie zu bekommen.

Dass Damian leichtsinnig mit seiner Sicherheit umging, war kein Geheimnis. Als Markus vorschlug, dass wir in seine Wohnung gehen könnten, um nicht in aller Öffentlichkeit über ein Thema zu reden, von dem niemand wissen sollte, dachte Damian keine Sekunde darüber nach, bevor er zustimmte.

„Vergiss es", schnaubte ich, obwohl ich es hasste ihm in den Rücken fallen zu müssen. Nicht eine Zelle meines Körpers war bereit, den Gedanken, in Markus' Wohnung zu gehen, auch nur in Betracht zu ziehen.

„Wir gehen zu mir nachhause. Da haben wir unsere Ruhe."

Wenn Markus wusste, wo ich zur Schule ging, hatte er bestimmt auch eine Ahnung, wo ich wohnte. Ich hätte davon, ihn mitnachhause zu nehmen also keine Nachteile. Nein, ich wäre in meinen eigenen Wänden und, wenn ich keine Lust mehr auf ihn hatte, konnte ich ihn rauskicken.

„Was, wenn Carla früher nachhause kommt?" Markus zog herausfordernd die Augenbrauen hoch. „Keiner von uns will mich auf ihrem Grundstück sehen."

Ich fragte nicht woher er wusste, wann Carla normalerweise nachhause kam, noch, warum er glaubte, dass sie ihn nicht sehen wollte. Markus würde mir ohnehin keine Antwort geben. Was das anging, waren er und Carla genau gleich.

Der Grund, warum es mich bei meiner Tante nicht dazu veranlasste, in Misstrauen zu verfallen, war, weil sie bisher immer nur Gutes für mich getan hatte. Vielleicht gehörte, mir etwas zu verheimlichen, zumindest in ihren Augen dazu, für mich zu sorgen. Es änderte ja nichts an unserer Beziehung zueinander oder daran, dass ich mein Leben in ihrer Obhut verbracht hatte. Markus und ich dagegen waren Fremde. Und er war derjenige, der mir nicht erzählen wollte, wieso.

„Am besten wir gehen zu Finn auf die Bahn", meinte Damian. „Wenn die Bikes laufen, wird es schwerer, uns zu belauschen."

Markus nickte. „Okay. Dann sehen wir uns da?"

Wieder fand er Selbstverständlichkeit, wo eigentlich Fragen auftauchen sollten. Er konnte nicht wissen, wer Finn war, so Finn wohnte und was Bikes damit zu tun hatten. Trotzdem tat er es.

Nach diesem Gespräch konnte er nicht ernsthaft weiter versuchen, einen auf scheinheilig zu machen.

„In einer Stunde."

Wieder nickte er. „Okay. Bis dann."

Wenigstens sparte er sich diesmal sein aufgesetztes Lächeln.

Ich schaute dabei zu, wie er in sein Auto stieg und vom Hof fuhr. Sobald er weg war, legte Damian seine Hände an meine Schultern und drehte mich zu sich.

„Er will uns nichts Böses, Marlon."

„Ich traue ihm nicht. Und ich kann ihn nicht leiden."

„Schon mal überlegt, ob das eventuell zusammenhängt?", fragte mein Freund nervtötend besserwisserisch.

Nein, eigentlich. Eigentlich klang es einfühlsam und sanft, aber ich wollte, dass es besserwisserisch klang. Ich wollte etwas, über das ich mich aufregen konnte. Was Anderes konnte ich gerade gar nicht.

Markus zu sehen versetzte mich jedes Mal, sowohl körperlich als auch psychisch in Alarmbereitschaft. Obwohl er immer nur ruhig dastand und so tat als wäre er der freundlichste Mensch auf Erden.

Das konnte er nicht sein. Nicht nach dem, was unseren Eltern passiert war. Nicht nach dem, was ihm alles passiert sein konnte.

Er war nichts weiter als ein Schauspieler. Jemand, der versuchte, was er vortäuschte, als Wahrheit zu verkaufen. Genau wie eine Psychose. Ich hatte zu lange dagegen angekämpft, um jetzt darauf reinzufallen.

„Du musst nicht mitkommen", meinte Damian.

Ich mochte den besorgten Ausdruck auf seinem Gesicht nicht. Noch weniger mochte ich, was er sagte. Denn er hatte Recht. Ich musste nicht mitkommen. Um genau zu sein, ging mich, was Markus Damian zu sagen hatte, nichts an. Aber Damian war mein Freund. Seine Probleme waren meine Probleme.

„Du brauchst mich, Damian", machte ich ihm klar. „Sonst machst du nur wieder leichtsinnige Deals und landest in dem Haus eines Inzest-Twink-Harems."

„Aber dir geht es nicht gut." Seine Hände fuhren von meinen Schultern zu meinen Wangen. Er stellte sich näher an mich heran und sah mir eindringlich in die Augen, während seine Daumen über meine Wangen strichen. „Du meintest, du willst keinen Kontakt zu Markus, solange er deine Fragen nicht beantwortet und ich will nicht, dass du deine Prinzipien für mich über Bord werfen musst. Vor allem, wenn deine Gesundheit daran hängt."

„Was ist aus ‚du bist stabil' geworden?" Ich konnte mich in diesem Moment selbst nicht leiden. Ich klang so verbittert. Es war richtig ekelhaft.

„Das hat damit nichts zu tun", sagte er. „Dass es dir nicht gut geht, muss nicht gleich in einer Psychose enden. Es gibt tausend andere Sachen, unter denen du leiden kannst. Du hast mir selbst erzählt, dass du Alpträume hattest, nachdem du das letzte Mal mit Markus geredet hast... Was ich sagen will: Du musst dich nicht für mich da durchquälen. Es geht wahrscheinlich eh nur darum, dass Sebs Onkel mich sehen will."

„Was haben die mit Markus zu tun? Gehört er auch zu dem Harem?"

Damian lachte kurz auf, schüttelte aber sofort den Kopf. „Ich liebe es, wie selbstverständlich wir das Rudel als Harem bezeichnen. Aber nein, Markus gehört nicht dazu."

„Woher weiß er dann davon? Man muss schon selbst Gestaltwandler sein oder zumindest mit einem in Verbindung stehen, um überhaupt zu erfahren, dass sie existieren."

„Ich weiß nicht. So weit, wie ich es sagen kann, ist Markus ein Mensch. Gestaltwandler riechen anders. Seb hat so getan, als hätte er mir geholfen, Markus zu finden, aber ich bin mir sicher, dass er schon vorher wusste, wo er ist und wer er ist. Vor mir haben sie so getan als würden sie sich nicht kennen."

„Und das hat dich nicht misstrauisch gemacht?" Ich sah ihn entgeistert an. „Du hast gemerkt, dass sie dich an der Nase herumgeführt haben und du hast nicht darüber nachgedacht, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen?"

„Natürlich habe ich darüber nachgedacht, sie zur Rede zu stellen. Aber in dem Moment kam es mir sinnvoller vor, mitzuspielen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Markus etwas Böses will. Er hat sich so gefreut, mich zu sehen. Er hat mir tausend Fragen über dich gestellt und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass sein Interesse an dir aufrichtig ist. Das war in dem Moment alles, was für mich wichtig war. Du wolltest deinen Bruder und dein Bruder wollte dich. Ich... Ich dachte, ich kann dich so glücklich machen."

Sein Blick löste sich aus meinem und fiel auf den Boden.

„Damian", hauchte ich, in einer Mischung aus Rührung und Verzweiflung. Mein Glück war keine Rechtfertigung, seinen Verstand zu untergraben und jemandem zu vertrauen, der ihm von ersten Moment an etwas vorgemacht hatte.

Er schüttelte den Kopf und lachte dieses eine, verbitterte Lachen, das mir jedes Mal aufs Neue schmerzhaft ins Herz schnitt. „Ich wollte dich glücklich machen. Und stattdessen haben wir gestritten, du hattest Alpträume, ein Harem ist hinter mir her und deinen Bruder zu sehen löst puren Stress in dir aus. Ich hab's verkackt, okay? Ich hab's so richtig verkackt. Und ich will es nicht noch mehr verkacken. Also lass mich meine Scheiße bitte alleine wegschaufeln."

Ich zögerte keine Sekunde, um meine Hände auf seine zu legen und sie somit an meinem Gesicht festzupressen. „Ich werde dich nie allein lassen."

Er schluckte und schaute mir vorsichtig ins Gesicht.

„Nie", wiederholte ich nachdrücklich. „Alles, was wir tun, tun wir zusammen. So kann ich auf dich aufpassen und du auf mich. Das ist alles, was ich brauche, um glücklich zu sein."

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt