*(60) Vereint*

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Er will bei dir sein. Du musst ihn nur lassen.

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Meine Tante saß am Esstisch und schrieb ihre Einkaufsliste, als Damian und ich runterkamen. Sobald sie uns sah, ließ sie ihren Block und den Stift unbeachtet liegen und strahlte uns an.

„Guten Morgen, ihr Süßen!"

„Morg'n", brummte ich in meiner üblichen Verschlafenheit.

Damian dagegen erwiderte den Gruß meiner Tante ebenso hell und streichelte dabei über meinen Rücken, fast so als wolle er mich trösten, weil ich mein Bett hatte verlassen müssen.

Wenn es nach mir ginge, hätten wir den ganzen Tag kuschelnd und küssend verbracht. Zwei Dinge sorgten dafür, dass das nicht ging.

Erstens: Damian brauchte sein Fleisch.

Zweitens: Er wollte nachhause und Nick sehen, bevor er zurück zur Uni fuhr. Nachdem Damian gestern zuzugeben hatte, wie viel ihm an Nick und dem Leben mit seiner Familie lag, hatte ich es für die einzig akzeptable Reaktion gehalten, mich aus dem Bett zu quälen und meinen Freund nachhause zu bringen.

„Was wollt ihr frühstücken? Marlon, mein Schatz, für dich Kaffee?"

Ich wollte gerade zustimmen, als Damian meinte: „Wir machen uns selbst was. Lass dich von uns nicht stören."

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, den er bloß grinsend erwiderte, bevor er mich mit sich in die Küche zog.

„Du kannst so ein Baby sein", grinste er, während er den Kühlschrank nach dem Speck absuchte, den wir für seine Übernachtungen hier lagerten.

Ich konnte gar nicht beschreiben, wie schön es war, ihn wieder aufrichtig lächeln zu sehen.

„Ich bin zu müde dafür erwachsen zu sein. Außerdem freut es meine Tante, wenn sie was für mich tun kann."

„Mhm", machte er. „Sie erinnert mich an meine Pflegemutter."

Es lief total routiniert ab, wie er die Pfanne, die er immer für seinen Speck nutzte, aus dem Schrank holte, sie auf den Herd stellte, die richtige Platte anschaltete und das Fleisch in die Pfanne warf. Ganz nebenbei schaltete er die Kaffeemaschine an und stellte meine Lieblingstasse daneben.

„Angelina?"

Beinahe unmerklich schüttelte er den Kopf und murmelte: „Emilia."

Es war nicht ungewöhnlich für Damian, dass er vollkommen hypnotisiert in die Pfanne starrte, während sein Speck darin brutzelte. Heute lag in diesem Blick etwas Anderes als Vorfreude auf ein gutes Frühstück. Es waren die Gedanken an etwas Vergangenes, das ihn damals, bevor es kaputtgegangen war, glücklich gemacht hatte.

Ich stellte mich zu ihm und umarmte ihn von der Seite. Diese aufrichtigen, emotionalen Seiten von ihm zu sehen, ließ mich ihm verbunden fühlen.

Damian legte einen Arm um mich und zog mich mit sich, als er sich zur Kaffeemaschine drehte, um meine Tasse zu füllen. Bei der Drehung zurück zum Herd stolperte ich über seinen Fuß, aber er hielt mich fest und sorgte dafür, dass ich gar nicht erst dazu kam, ins Fallen zu geraten. Trotzdem drückte ich mich fester an ihn.

Wir frühstückten, Damian überzeugte mich allein dadurch, dass er mir überhaupt etwas von seinem Speck anbot, auch eine Kleinigkeit zu essen.

Ich trank meinen Kaffee, spürte das Leben langsam in meinen Körper kriechen, beschwerte mich aber weiter darüber, wie nervig es war, wach zu sein. Vor allem deswegen, weil ich den Tag nicht mit Damian verbringen würde.

Wir hatten die letzten Tage viel zu wenig Zeit miteinander verbracht. Ihm heute Nacht zu sagen, dass ich ihn vermisst hatte, waren keine leeren Worte gewesen. Ich sehnte mich danach, ihn für mich zu haben und ganz für ihn zu sein. Zweisamkeit. Süße, eventuell nackte, Zweisamkeit, die mein Herz zum Flattern brachte und immer wieder bewies, dass Damian jede noch so komplizierte kranke Scheiße wert war.

„Sei mal nicht so eine Zicke, Liebling. Kein Wunder, dass dein Freund ein paar Tage Pause von dir gebraucht hat."

Meine Tante hielt sich für sehr witzig.

Damian schien ihre Meinung zu teilen.

„Oh ja. Er ist unerträglich. Ich bin richtig froh, wenn ich ihn gleich wieder los bin."

Ich schnappte mir seine Gabel und pickte ihm damit in die Hand. „Das klang gestern ganz anders, als du meintest, dass du mich vermisst hast."

„Das habe ich nur gesagt, um dich ins Bett zu kriegen."

„Wir saßen schon im Bett."

„Aber wir hatten Klamotten an."

Meine Tante lachte. „Und das ist der Punkt, an dem ich euch frage, ob ihr noch etwas von mir braucht oder ich einkaufen gehen kann."

Ich kickte Damian ans Bein, begleitet von einem warnenden Blick, weil ich mir so sicher war, dass er vorhatte, um Kondome zu bitten oder etwas in der Art. Man sah ihm an, wie viel Mühe es ihn kostete, sich seinen Kommentar zu verkneifen.

Ich verdrehte die Augen, tat so als wäre ich genervt von ihm und seiner Art, mich in die unmöglichsten Situationen zu bringen, lächelte aber, angezettelt von dem verknallten Kribbeln in meinem Bauch.

„Wir brauchen Nachschub an Frühstücksspeck für diesen unlustigen Vielfraß."

„Alles klar." Carla kritzelte auf ihren Zettel, riss ihn aus dem Block und verschwand.

Sobald die Haustür hinter ihr zugefallen war, fragte Damian mich: „Du hast ihr nichts von Markus erzählt, kann das sein?"

Ich schüttelte den Kopf und schloss meine kalten Finger um die warme Kaffeetasse.

„Ich checke das nicht." Er machte sich nicht die Mühe, erst runterzuschlucken, bevor er sich den Mund weiter vollstopfte. Ganz nebenbei merkte er an: „Dass ihr nicht darüber redet, macht es nicht ungeschehen."

Er wagte es nicht, mich anzusehen, forderte keine Reaktion, machte keine Anklage. Es war etwas, das er hatte loswerden wollen und ich ließ es unkommentiert so stehen.

Damian wusste selbst nicht, wie genau Seb meinen Bruder gefunden hatte. Alles, was er mir sagen konnte, war, wo er wohnte, wie wir ihn erreichen konnten und, dass er mich gerne kennenlernen würde.

Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich glauben konnte, dass Damian nicht weiter nachgehakt hatte, als Seb ihm die Adresse meines Bruders überreicht hatte.

Das, was ich wusste, war, dass ich meinem Freund glauben wollte. Er hatte mir alles erzählt, was er wusste. Es gab keine Geheimnisse mehr zwischen uns.


wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt