*(82) Besuch*

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Du gehst ihm aus dem Weg, weil du selbst nicht bei dir sein willst.

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Ich sah dabei zu, wie Damian nach unserer letzten Schulstunde aus dem Klassenzimmer stürmte. Meine Nachricht hatte er gelesen, aber nicht beantwortet.

Er schien noch immer nicht bereit zu sein, mit mir zu reden. Ich hatte also die Wahl, ihm nachhause zu folgen, oder ihm doch noch etwas mehr Zeit zu geben.

Alisha tätschelte meine Schulter. Auch, wenn sie nicht wusste, was genau zwischen Damian und mir los war, merkte sie, wie schwer es mir fiel, ohne ihn aufrecht zu gehen.

„Wie lief eigentlich dein Gespräch mit Damian?", fragte sie Finn.

Er legte von meiner anderen Seite einen Arm um meine Schultern und so liefen wir in einer Reihe durch die Flure.

„Sagen wir mal so: Es hat Marlons Streit mit Damian definitiv nicht gutgetan."

„Wir streiten nicht", wandte ich ein. „Um zu streiten, müsste er mit mir reden. Das tut er nicht."

„Nick und er sind vielleicht nicht blutsverwandt, aber sie sind eindeutig Brüder. Beides feige Schnecken, die ihre Probleme lieber in sich reinfressen als mit jemandem zu reden", meinte Finn.

„Damian hat es nicht anders gelernt."

Es verletzte mich, dass er mir aus dem Weg ging, aber ich wollte ihn dennoch verteidigen. Ich wusste ja, warum er das tat. Ich konnte nicht von ihm erwarten, alles was er bisher erlebt hatte, alles, was er sich angeeignet hatte, um bis hier hin zu überleben, zu vergessen und nach meinen Vorstellungen zu leben.

Klar konnte ich bestimmte Ansprüche stellen, wenn es um unsere Beziehung ging. Aber dabei ging es nicht darum, ihm etwas vorzuschreiben, sondern darum, einen Weg zu finden, unsere Bedürfnisse und Grenzen aufeinander abzustimmen. Dafür brauchte ich seine Kooperation.

„Okay, kann sein. Damian hat es nicht anders gelernt und Nick weiß genau, wie man über Probleme redet, aber entscheidet sich dagegen. Beides beschissen. Können wir uns wieder auf Alisha und Rico konzentrieren? Das macht mich glücklich."

„Und das ist bekanntlich das einzig wichtige", brummte Alisha.

Finn ließ den Sarkasmus in Alishas Ton gekonnt von sich abprallen. „Genau. Also, was machen wir? Gehen wir ihn besuchen?"

So schlecht, wie sich Finns Vorschlag im ersten Moment anhörte, war er nicht.

„Ich will mich bei ihm entschuldigen."

Ich war nicht ich selbst gewesen, als ich Rico geschlagen hatte, aber das änderte nichts daran, dass er schwerwiegende Konsequenzen davongetragen hatte. Ich hatte ihm zwei Knochen in seinem Gesicht gebrochen und einen im Arm. Wegen mir konnte er monatelang kein Basketball mehr spielen.

Rein Rechtlich sprengte das jede Form einer angemessenen Verteidigung meiner Freundin gegenüber. Davon, dass sie gar nicht in einer Situation gewesen vor, vor der ich sie hätte schützen müssen, ganz zu schweigen.

Ich hatte einfach nur hirnlos auf Rico eingedroschen und ihn als Boxsack für meine Probleme benutzt.

Dass ich dabei die Kraft eines Gestaltwandlers gehabt hatte, machte es, abgesehen von dem Überraschungsmoment, der auf meiner Seite gewesen war, alles andere als fair. Er hatte keine Chance gegen mich gehabt.

„Na schön", seufzte Alisha. „Gehen wir ihn besuchen."

Dafür, dass sie diejenige war, die ihm näher gekommen war als jeder von uns, wirkte sie alles andere als begeistert, ihn zu sehen.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt