*(5) Maske*

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Sie sehen nicht dich, sondern nur die Maske, die du ihnen zeigst.

~~~

Wir saßen eine halbe Ewigkeit in Karl's Burgers, aßen, tranken und redeten mit Nick.

Okay, hauptsächlich Nick und Finn redeten. Schon fünf Minuten, nachdem wir unser Essen bekommen hatten, hatte Finn begonnen, Nick mit seinen Pommes zu füttern. So intensiv wie sie sich dabei in die Augen gesehen hatten, hätte es mich nicht gewundert, wenn die Kellnerin sie gebeten hätte, ihr Vorspiel an einen anderen Ort zu verlegen.

Auch nach dem Essen waren wir sitzengeblieben und unterhielten uns. Ich wusste nicht, wann wir den Club verlassen hatten und wie lange wir gebraucht hatten, um zu Karl's Burgers zu gelangen, aber es kam mir nicht so vor, als hätten wir die Nacht schon hinter uns, als der Horizont langsam rosa wurde und die Sonne begann aufzugehen.

Keine Ahnung, was es diesmal war, das mich dazu brachte, schon wieder über Damian nachzudenken. Ich verstand nicht, warum er sich so sehr dagegen wehrte, hier Anschluss zu finden. Ich meine klar, meine Freunde und ich konnten extrem seltsam und anstrengend sein und wir waren sicherlich nicht die beliebteste Gruppe, aber wir waren nett, solange man nett zu uns war.

Es war verdammt anstrengend, in die Schule zu gehen und ständig mit Angriffen rechnen zu müssen. Selbst, wenn es meistens nur verbal war. Ich war ständig damit beschäftigt, mögliche Schwachstellen zu vertuschen und mich nach Idioten umzusehen, die sie erkennen konnten.

Okay, sich unserer Gruppe anzuschließen wäre sozialer Selbstmord. Das sah ich ein. Aber Damian würde sicher andere Leute finden, mit denen er sich gut verstand. Er sah gut aus, das war schon mal ein Pluspunkt.

Das Problem war wohl, dass keiner genug über ihn wusste, um mögliche Gemeinsamkeiten als Anlass nehmen zu können, eine Bindung einzugehen. Selbst, wenn Damian bereit wäre zu reden, hätte keiner eine Ahnung worüber.

Am Rande bekam ich mit, wie Finn Nick bat, ihn aus der Bank zu lassen, weil er auf Toilette musste. Zufällig musste Nick auch. Also gingen sie zusammen.

Alisha schaute ihnen mit verzogenem Gesicht hinterher und fragte mich, ohne den Blick von ihnen zu lösen: „Was geht hier ab? Wieso findet Finn sogar, während wir fast verkloppt werden, jemanden zum Poppen?"

„Weil er Charisma hat", vermutete ich. „Im Gegensatz zu uns."

„Stimmt. Nick tut mir fast ein bisschen Leid. Der hat keine Ahnung, dass er nur ein Typ auf einer Liste ist."

„Das hat dich sonst auch nie interessiert."

„Sonst habe ich die Typen ja nicht kennengelernt. Die meisten von denen waren wahrschein eh Müll. Nick ist nett."

„Vielleicht wird ja mehr draus als nur Sex", schlug ich vor.

Alisha schaute mich kritisch an. Ich schaffte es für ein paar Sekunden, ernst dreinzublicken, fing dann aber gleichzeitig mit ihr an zu lachen.

„Der war gut."

Nach wenigen Minuten kamen Nick und Finn zurück an den Tisch. Alisha und ich warfen einander einen vielsagenden Blick zu, sagten aber nichts zu ihren verwuschelten Haaren und geschwollenen Lippen.

„Hier, bevor wir es vergessen." Nick reichte Finn sein Handy.

Finn nahm es grinsend an sich und tippte seine Nummer ein. „Das hätte ich nicht vergessen."

„Ich auch nicht", lachte Nick leise. „Wollte dir nur keine Zeit geben, es dir anders zu überlegen."

„Mhh, ich liebe es, wenn man mir keine Wahl lässt." Finn gab Nick sein Handy zurück.

Sie sahen sich dabei in die Augen und wieder hatte ich das Gefühl, in ihrem Blickkontakt lag etwas viel Intimeres als es in der Öffentlichkeit erlaubt war.

„So consensual non-consent mäßig?"

„Genau so."

„Damit kann ich dienen."

„Okay." Finn richtete sich an Alisha und mich. „Traummann gefunden. Alle laufenden Suchaktionen können abgebrochen werden."

Nick lachte, Finn grinste, Alisha warf eine zusammengeknüllte Serviette auf Finn und ich nutzte die erste Chance einer Gesprächspause, um Nick auf Damian anzusprechen.

„Hat Damian dir erzählt, dass er mit uns zur Schule geht?"

„Erzählt würde ich jetzt nicht sagen." Nick fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.

Finn verfolgte die Bewegung aufgeregt mit Herzaugen. Als Nick seine Hand schließlich unter den Tisch fallen ließ, legte Finn seine dazu und sie kämpften darum, welche Hand oben liegen durfte.

Ganz nebenbei gestand Nick: „Ich habe es aus ihm rausgequetscht. Er sagt immer nur das Nötigste, außer man triebt ihn in die Enge. Aber dann Halleluja."

Ein wenig beneidete ich Damian um diese Fähigkeit, austeilen zu können, wenn ihm danach war. Sein Verteidigungsmodus war Angriff. Meiner war Erstarren.

„Oh, das haben wir mal mitbekommen, glaube ich", überlegte Finn. „Da wollte unser Deutschlehrer eine Entschuldigung von ihm, weil er zu spät gekommen ist und Damian hat ihn voll auflaufen lassen."

Ich kickte Finn unter dem Tisch ans Bein. „Erzähl ihm das doch nicht."

„Warum?", fragte Finn mich ahnungslos. Typisch Einzelkind. Keine Ahnung, wie sehr Geschwister darauf warteten, ihre Geschwister in die Pfanne zu hauen.

„Keine Sorge, ich weiß Bescheid. Meine Eltern auch. Die haben Herrn Gauck und der Direktorin die Hölle heiß gemacht", grinste Nick.

Finn schaute ihn verwirrt an. „Jetzt hast du mich abgehängt."

„Die Schule wusste von Anfang an, dass Damian ein bisschen schwierig sein kann und sie haben behauptet, sie verstehen, dass er es nicht leicht hatte und sind bereit, sich auf seine Bedürfnisse einzulassen. Dass trotzdem der erstbeste Idiot mit einem Funken Autorität versucht hat, ihn zu disziplinieren, beweist, was für einen Haufen bullshit die gelabert haben."

„Was für Bedürfnisse?", hörte ich mich fragen.

Für einen Moment schaute Nick mich regungslos an. Ich erkannte in seiner Mimik genau, dass er abwog, ob und wie er darauf antworten konnte und wollte.

Schließlich seufzte er und sagte: „Damian kommt aus dem Heim. Meine Eltern haben ihn als Pflegekind zu sich geholt. Er ist nicht daran interessiert, heile Familie zu spielen und hat von Anfang an klargemacht, dass er im Haus meiner Eltern einfach nur eine weitere Wohngruppe sieht, zu der er nie wirklich dazugehören wird. Was die Schule betrifft, geht er nicht davon aus, dass er lange genug hierbleiben wird, um sich bei den Lehrern oder sonst wem beliebt machen zu müssen." Er blickte betrübt auf den Tisch. „Er denkt, meine Eltern schicken ihn früher oder später zurück ins Heim."

„Glaubst du, sie würden das machen?", fragte ich mit belegter Stimme.

Alisha warf mir einen kritischen Seitenblick zu, den ich gekonnt ignorierte. Schon klar, dass ich nichts mit Damian zu tun hatte. Es musste mich nicht interessieren, wie instabil seine Verhältnisse waren und welche Erklärungen ich für sein Verhalten finden konnte. Wie oft er enttäuscht worden sein musste, um so kalt und unberührbar durch die Welt zu gehen.

Trotzdem war da irgendetwas in mir, das verhinderte, dass ich Nicks Erzählung bloß als eine traurige Geschichte über einen meiner Mitschüler wahrnahm.

„Niemals. Die Leute, die für Damian zuständig sind, haben meine Eltern so oft gewarnt und gemeint, er macht nur Probleme. Sie wollten ihn trotzdem. Wenn jemand Damian ein schönes Zuhause geben kann, dann meine Eltern. Zur Not zeigt ihm die Zeit, dass sie es ernstmeinen."

„Hoffentlich."


wild (bxb)Where stories live. Discover now