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Ein Messer weiß nicht, wie scharf es ist, bis Blut von seiner Klinge tropft.

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Ich verbrachte zwei weitere Tage bei Spence. Er war die gesamte Zeit über im Keller. Meine Tante vermutete, das wäre seine Art, uns klarzumachen, dass er genug von uns hatte. Er wollte seine Ruhe. Wir blieben trotzdem dort, weil meine Tante sichergehen wollte, dass ich stabil war, bevor wir den Experten verließen. Er wusste am besten, wie er mich behandelt hatte und was in meinem Körper vor sich ging.

Ich hatte jeden Test mitgemacht, um den er mich gebeten hatte, hatte Blut abgegeben und mich dazu bereit erklärt, ihm meine Nummer zu geben, falls er noch etwas von mir für seine Forschungen brauchte.

Er hatte sicherlich durchschaut, dass meine Dankbarkeit nicht der Hauptgrund dafür war. Ich tat es aus Trotz.

Der Gedanke, dass Damian mitbekommen könnte, dass ich Spence mit mir forschen ließ, und zu wissen, dass Damian das hassen würde, gab mir Genugtuung - die Vorstellung, dass er bereuen würde, nicht bei mir gewesen zu sein, um mich davon abzuhalten.

Es war kindisch. Kindischer, als einfach wegzurennen, sich tagelang nicht mehr blicken zu lassen und über Dritte mitteilen zu lassen, dass er nachhause gegangen war? Wohl kaum.

Es war der erste Morgen, nach dem ich die Nacht wieder in meinem eigenen Bett verbracht hatte. Okay, es Morgen zu nennen war etwas beschönigt. Es war Mittag, als ich wach wurde.

Ich lag eine Stunde im Bett und wartete, ob ich es schaffen würde, nochmal einzuschlafen, einfach, um mich nicht mit meinem Leben auseinandersetzen zu müssen. Es funktionierte nicht. Stattdessen hörte ich die Türklingel und meine Hoffnung, dass es Damian war, der unten stand, trieb mich aus dem Bett.

Dass sich das als falsch herausstellte, überraschte mich nicht. Es enttäuschte mich, aber überraschte mich nicht.

Damian kam nicht zu mir. So lief das bei uns nicht. Nach dem, was Markus mir erzählt hatte, erwartete ich das auch gar nicht.

Damian war wieder in alte Muster verfallen. Ging in die Schule, von dort aus nachhause und verbrachte den gesamten Tag in seinem Zimmer. In der Schule redete er mit niemandem und zuhause ging er ebenfalls allen aus dem Weg.

Ich konnte mir vorstellen, warum er das tat. Er hatte dieses Verhalten jahrelang als Lösung dafür gesehen, dass er anders war. Wenn er andere von sich fernhielt, musste er nicht nur keine Beziehungen beenden, wenn er vielleicht wieder umzog, er brachte sie auch unter keinen Umständen in Gefahr.

Das war Damians größte Angst: Wieder jemanden zu verletzten. Wieder jemanden zu töten. Wieder Leben zu zerstören.

Deshalb konnte ich verstehen, dass er sich zurückzog. Es machte mich traurig und ich wünschte mir, er hätte den Mut, zu versuchen anders damit umzugehen, aber ich konnte es verstehen.

Wenn überhaupt bestätigte dieses Verhalten nur, dass er jemand war, der versuchte, das richtige zu tun. Für jemanden, der seit Jahren mit Schuldgefühlen kämpfe und wochenlang Zeit hatte, sich einzureden, dass in ihm nur Schlechtes war, ergab es wahrscheinlich Sinn, andere zu schützen, indem er sich von ihnen fernhielt.

Ich wusste, dass ich seine Mauern durchdringen könnte. Ich brauchte nur eine Chance. Ich musste ihm klarmachen, dass es mir gut ging und, dass es mir auch gut gegangen wäre, wenn er rein gar nichts getan hätte, um etwas an meiner Situation zu verändern.

Dass er mich gebissen und dadurch verwandelt hatte, war unerwartet gewesen und natürlich wäre es schöner gewesen, entscheiden zu können, ob ich so leben wollte, aber für mich wäre die Welt nicht untergegangen, wenn ich als Gestaltwandler aufgewacht wäre.

wild (bxb)Where stories live. Discover now