Heilsbringer

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Als Lilith dieses Mal durch den Gang lief, hörte sie mehr, als nur ihre eigenen Schritte. Da war noch ihr schwerer Atem unter der Anstrengung des Spurts. Dann war dort noch ein synchrones Pochen, das irgendwo viel weiter vorne seinen Ursprung hatte. Es hörte sich an, als versuche jemand, den Eingang zum Kloster aufzubrechen. 

Als Lilith sich dem Hof näherte, kamen ihr bereits einige Schüler entgegen. Es waren die jüngeren und ein paar Mädchen aus den höheren Altersgruppen. Sie eilten mit vor Panik geweiteten Augen an Lilith vorbei. Unter ihnen war auch Pen, die sich Lilith in den Weg stellte. Das Gesicht des Mädchens war tränenüberströmt und gerötet. "Die sind am Tor, Lilith!", schluchzte sie und packte Lilith an der Schulter. "Komm jetzt mit, sonst wirst du verletzt!"

Diese schüttelte zur Antwort den Kopf. Sie würde nicht mehr wegrennen. Ungeachtet, dass Pen ihre Freundin war, schob Lilith die Hand weg und nahm ihren Weg wieder auf. "Ich habe dir gesagt, dass ich dich beschützen werde", flüsterte sie in sich hinein.

Pen rief noch einmal ihren Namen, ehe Lilith die Tür, die zum Hof führte hinter sich schloss. Die Feuer brannten und zahlreiche Novizen standen im Hof beisammen. Taric und Teddy waren ebenso unter ihnen. Beide trugen jeweils eines der Schwerter, die Ruby mitgenommen hatte. Diese war nicht zu sehen. Egal, wie stark dieses Mädchen war, Lilith wollte sie nicht alleine dort draußen wissen.

"Wir wissen nicht, was dort draußen ist. Daher ist äußerste Vorsicht geboten. Achtet auf eure Nebenmänner und lasst niemanden zurück!", befohl Barth. Er schien die Ruhe selbst zu sein und sah sehr geübt darin aus. Oder vielleicht war es nur seine Ausstrahlung, die ihn in Allem professionell erscheinen ließ.

"Lilith! Was machst du denn hier?!", rief Teddy, der sie gerade entdeckt hatte. Lilith antwortete nicht und musterte die spärliche Gruppe aus männlichen Novizen ihres oder höheren Alters. Nur wenige würden so geübt im Kampf sein, wie es Ruby war. Wie sollte das nur irgendwer überleben?

"Eine weitere Verteidigerin können wir gebrauchen!", rief Barth nur. Bei einer solchen Bestimmtheit in der Stimme des Mannes schien Teddy nicht zu wagen, zu widersprechen.

Doch auch Taric erhob die Stimme. Er hatte ebenso wie ein paar andere eine Lederrüstung angelegt und hielt eines der Schwerter Rubys fest in seiner Hand. "Du solltest nicht hier sein", brummte er.

Warum wollte sie keiner hier haben? Es reichte ihr. "Ich..." Wollte Lilith bereits losschimpfen, als das Pochen am Eingangstor durch ein knacksendes Geräusch ersetzt wurde. Die Tür schien nicht mehr lange zu halten.

"Los!", rief Barth und klatschte in die Hände. Er trug mit Lilith als einziger keine Waffe. "Auf Positionen, sofort!"

Auf seinen Befehl hin wichen die Schüler zu einer Raumseite aus. Bögen wurden hervorgeholt, Pfeile eingedockt. Wenn die Feinde gleich hereinkommen würden, hätten sie eine Salve aus Pfeilen in ihrer Flanke.

Es knarzte noch einmal laut. Dann rumste es zweimal versetzt und die Geräusche vieler Stiefel erfüllten den Gang und den Hof. "Lilith! Sofort weg da!", brüllte irgendwer. Ob es Teddy, Taric oder Meister Barth war, hätte sie nicht sagen können. Jedenfalls hörte sie den Ruf erst, als mit dem eisigen Wind die blutunterlaufenen Augen der Feinde im Gang erschienen. Sie wich ein paar Schritte zurück, weg von dem Ausgang des Hofes.

Als Lilith mit dem Rücken gegen die Innenwand des Hofes stieß, war sie gezwungen, stehen zu bleiben. Der komplette Gang war ausgefüllt mit Dunkelelfen, die nun auf Lilith zustürmten. Ihr Atem wurde schneller, als die widerlich grinsenden Kreaturen voller Kriegsgebrüll näherkamen. Sie kamen näher und näher, bald liefen ungefähr acht von ihnen im Hof auf Lilith zu. Unfähig, sich zu bewegen, presste sie die Augen zusammen und drückte sich an die Wand, im Wunsch, darin zu verschwinden. Dies passierte natürlich nicht.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt