Melancholie

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Die Vögel zwitscherten in der warmen Morgensonne, als Yuro abermals seinen gewohnten Spaziergang machte. In seinem Alter machten andere Leute wahrscheinlich Dinge, wie sich zu raufen oder irgendwelchen anderen Mist zu bauen. Dass er da anders war, störte Yuro nicht. Zu lange hatte er darum gekämpft, diese Sonne von diesem Ort aus zu sehen. Er war nicht wie die Anderen. Natürlich war er das nicht, schließlich war Yuro ein König. Ein König regierte sein Land, leistete große Aufgaben und schlug epische Schlachten. So hatte Yuro es sich als Kind ausgemalt. Manch anderer hätte nun gesagt: "Das stimmt gar nicht! Könige sind gar nicht so toll, wie du denkst!"

Bei den meisten anderen würde das natürlich stimmen. Doch war Yuro das, was sich andere Leute unter einem 'schlechten' König vorstellten? Er war es nicht und wollte es auch nicht werden. Der See, an dem er vorbei schritt, glänzte im Sonnenschein und war bereits so früh voller Leben. Irgendwie war dieser Anblick faszinierend.

"Hängst du wieder in deinen Gedanken? Du siehst ja fast schon aus wie ein alter Mann!", riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Er schreckte auf und drehte sich zu der Stimme um. Yuro wusste natürlich, wer es war und daher machte sein Herz einen freudigen Sprung. Sein Freund kam ihm entgegen. "Solange ich nicht aussehe wie du, ist mir alles Recht", erwiderte Yuro und musste lächeln.

Sein Freund lachte und streckte die Arme zu einer Umarmung aus. "Sadonon", sagte Yuro, als er die Umarmung auffing. Es tat wahrlich gut, seinen engen Freund wieder zu sehen. Der junge Mann löste sich nach einem Moment wieder und musterte Yuro.

"Bist du gewachsen? Du siehst ja fast schon aus, wie ein König!"

Etwas peinlich berührt schaute dieser zu Boden. "Kann sein", murmelte er verlegen.

"Natürlich tust du das. Du tust das, was eigentlich niemand anders in diesem Land kann."
Auf diese Aussage hin warf Yuro seinem Freund einen scharfen Blick zu, grinste jedoch.

Sie liefen weiter, verließen den Garten und kamen an ein kleines Waldstück. Die Sonne stieg rasend und daher war der Wald eine schöne Abkühlung.

"Weißt du, Sadonon. Ich weiß nicht, ob ich all die Verantwortung tragen kann. Am Tag meiner Krönung hatte ich keine Zweifel, doch nun... Wie kann ich ein guter König sein?"

Sadonon blieb stehen. Wie so oft, wenn er etwas wichtiges zu sagen hatte.

"Hör mal zu. Ich habe dir nicht aus Leichtsinn die Krone aufgesetzt. Wenn einer die Krone verdient hat, dann du. Ich habe dich für dein Land und deine Leute kämpfen sehen, als du noch ein Diener warst. Doch durch deine unermüdlichen Mühen hast du großes vollbracht und bist zu größerem geworden."

Sadonon lief langsam weiter und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.
"Ich glaube eigentlich nicht an Schicksale, Bestimmungen, Prophezeiungen und all den Quatsch."

"Stahl, Feuer und Fleisch", wiederholte Yuro den Leitspruch seines Freundes. Dieser lachte auf. "Du hast es dir gemerkt."

"Aber was ich sagen wollte", er räusperte sich. "Entweder wurdest du von Höherem dazu bestimmt, oder", Yuros Freund machte eine dramatische Pause,
"du hast es dir einfach verdient", er grinste und klopfte Yuro auf den Rücken. "Und sonst niemand anders!"

Yuro nickte nur und lief weiter. "Was wirst du jetzt machen?", fragte er und schaute seinen Freund an. Dieser schien auf diese Frage gewartet zu haben.

"Ich möchte für eine Weile in meine Heimat."
Eigentlich war es klar. Als sein Freund damals aus dem fernen Osten kam, war Yuro bereits klar: Irgendwann würde Sadonon zurückgehen.

Daher nickte er nur betrübt. "Wie lange willst du wegbleiben?"

Sadonon zuckte mit den Schultern. "Etwas das Heer aufstocken, an der Technik feilen. Es gibt viele Dinge, um die sich gekümmert werden muss. Daher kann es schon ein Weilchen werden."

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt