Funken des Krieges

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Lilith hatte eine lange Zeit nicht mehr richtig geträumt. So richtig, wie in ihren ersten Tagen, an die sie sich erinnern konnte. Sie hatte nun ihre eigenen schmerzhaften und glücklichen Erinnerungen. Und doch unterschied sich das Träumen von dem, was gerade passierte. Sie fühlte noch immer die Außenwelt.

Die Berührung des Jungen, in den sie sich verliebt hatte, den Kuss der zu keiner Zeit perfekter gewesen wäre. Hinter ihren geschlossenen Augen und innerhalb ihres Herzens durchlebte sie einen Höhenflug der Gefühle. Es kam alles auf einmal, durchflutete ihren Körper und vernebelte ihre Sinne. Lilith war verwundert. Wie hatte sie so lange ohne dieses Gefühl leben können? Es war, als sei eine lang anhaltende Leere in ihrem Brustkorb innerhalb eines Augenschlags bis zum Bersten aufgefüllt worden. Und es war schön. Zu schön, um wahr zu sein. Doch dies war der entscheidende Unterschied zu den Träumen, die Lilith bisher hatte. Diese Situation war kein Traum, sie war Realität. Genau diese Tatsache machte es noch schöner.

Es schien nicht Corans erster Kuss zu sein. Er wusste, was er tat, darin war Lilith sicher. Ob er Ruby auf die gleiche Weise geküsst hatte, wie er es gerade tat? Sie schob den Gedanken beiseite und fuhr fort, den Moment zu genießen. Das war es also, was er sagen wollte. Die Nachricht, die er brachte, war mehr als eindeutig. Es war die gleiche Nachricht, die Lilith anscheinend schon viel länger tief in ihrem Herzen gefühlt hatte.

Als all diese Dinge ihr durch den Kopf gingen, vergingen nur wenige Sekunden. Wenige Sekunden, denen Lilith bereits nachtrauerte, als sie sich zum ersten Mal voneinander lösten. Sie öffnete ihre Augen und schaute in das verwirrende Muster in Corans meerblauen Augen. Er lächelte und schien genauso erleichtert und glücklich zu sein, wie sie. Und das unter solchen Umständen.

"Du glaubst gar nicht, wie lange ich darauf gewartet habe", sagte Coran.

Liliths Herz klopfte noch immer wie wild und die Gefühle strömten auf sie ein, während sie sich verzweifelt einen Satz zusammenzulegen versuchte.

"Seit wir in Arborea waren. Ich hatte dieses Gefühl die ganze Zeit."

Endlich fand Lilith einen klaren Gedanken. "Ich glaube, ich kann meine Gefühle endlich zuordnen." Bei ihren Worten hellte sich seine Miene noch mehr auf.

"Und hier stehen wir nun", sagte er. "Hier stehen wir nun." Wiederholte sie.

Anscheinend wurde Coran ebenfalls von dem Instinkt erfasst, sie nochmal zu küssen. Und Lilith erwiderte den Kuss. Ob sie es besonders gut machte, war ihr gerade sogar egal. Sie tat, wie ihr Körper sie führte. Und trotzdem spürte Lilith, wie die Kräfte sie langsam verließen. Die ganze Zeit auf Krücken zu stehen hatte sie noch mehr ausgelaugt, als sie es bereits war.

"Ich glaube, ich sollte trotzdem schlafen gehen", sagte Lilith daher und versuchte, nicht abweisend zu wirken. Doch Coran steckte das gut weg. Er lächelte und nickte. "Ich glaube, ich kann es dir verzeihen."

Gemeinsam ließen sie die Überreste des Feuers allein und schritten gemeinsam durch die Gänge und den Hof. Sie bekamen viele neugierige Blicke ab und Taric, der noch mit seiner Freundin am Feuer saß, warf Lilith ein dezentes, verstohlenes Grinsen zu. Es sagte eindeutig ein 'Erwischt!' aus.

Sie versuchte ein Lächeln zu unterdrücken und wich seinem Blick aus. Dieses Mal spürte Lilith noch viel mehr Blicke auf ihr und Coran ruhen. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Außerdem machte sie ja nicht mal was! So durchquerten sie den Hof, der trotz der Uhrzeit gut besucht war. Wenigstens war es nicht so still, wie bei Liliths letztem 'Auftritt'.

Kein Wort sprachen sie zueinander, während sie durch den Gang in Richtung der Zimmerkorridore liefen. Doch dieses Mal war es eher eine glückselige Stille, keine peinliche oder unangenehme.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt