Vertrauen, Schein und Türen

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"Suchst du etwas, Novizin?", erklang die Stimme Meister Tyvels, als Lilith erneut einen Ton verpatzte und so ihre blau leuchtenden Schmetterlinge sich ins Nichts auflösten.

Vom einen auf den anderen Moment hatte sie die Kontrolle verloren. Dies war leider nicht das erste Mal. Seit mehreren Stunden war Lilith nun mit Tyvel auf dem Berggipfel. Sie selbst hatte darauf bestanden, dass der Mann sie wieder unterrichten würde. Nach ewigem Diskutieren und Abwägen der Argumente hatte er tatsächlich nachgegeben. "Auf deine eigene Gefahr, Kind", hatte er missmutig gesagt. Komischerweise waren ihre Freunde da anderer Meinung.

"Ich finde, du solltest wieder spielen dürfen", bestärkte Taric sie noch am Vorabend. Immerhin war es ihr gutes Recht! Jedenfalls schien Tyvel gar nicht erfreut darüber zu sein, dass sie nun wieder genug Kraft hatte, um zu trainieren.

Lilith stampfte wütend auf und hatte Mühe, sich zu beruhigen. Heute war es wieder, wie ein Fluch. Kaum ein Lied hielt länger, als drei Minuten an und keinen richtigen Zauber brachte sie zustande. Dort waren so viele andere Gedanken. Die vorhandenen Erinnerungen, der Krieg, das Mysterium des Winters. Es beschäftigte Lilith so sehr, dass sie sich wohl kaum auf Dauer konzentrieren konnte.

"Was ist los mit dir?", fragte Tyvel besorgt. "Das sind doch Grundlagen, die du vor Wochen bereits konntest."

Lilith schnaufte schwer. "Ich kriege es einfach nicht hin!"

Dann ließ sie sich erschöpft in den Schnee fallen und verschränkte die Arme. Ihre schwachen Beine begrüßten dies sehr. "Heute klappt einfach gar nichts."

Der Mann stand aus dem Schneidersitz auf. "Ich glaube, du solltest langsam mal anfangen, dich zu konzentrieren." Er stellte sich an ihre Seite.

"Fokussieren, Kind. Hoch mit dir. Nochmal."

Lilith tat wie ihr geheißen und versuchte, die steinerne Mauer der Frustration zu durchbrechen. Erneut legte sie den Bogen auf und spielte das gleiche Lied, wie vorher. Es klappte tatsächlich besser, als beim vorherigen Versuch!

Doch dieses Mal stoppte Lilith von ganz alleine. Es war also nicht die Konzentration, die scheiterte. Eine Frage brannte ihr seit Stunden auf den Lippen. Passend dazu schaute Tyvel sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Was er wohl gerade über sie denken musste!

"War es die richtige Entscheidung? Sie loszuschicken?"

Der Mann nickte, wie immer, wenn etwas seinen Erwartungen entsprechend ausfiel. "Es beschäftigt dich noch immer, wie ich sehe."

Er ging ein paar Schritte in Richtung des Felsens, den Lilith vor einiger Zeit mt ihrem magischem Phönix geröstet hatte. Der alte Mann versuchte anscheinend, eine passende Antwort zu finden.

"Die Königin ist eine Frau von großem Ehrgeiz. Wenige können da mit mir mithalten. Und ebenso ist sie bei diesem Thema unerschütterlich."

"Was meint Ihr damit?"

"Ich meine, dass Rabea diesen Schritt auch ohne dich gegangen wäre. Du hast ihn nur... Wie soll ich sagen... Verfrüht!" Er räusperte sich.

"Doch leider ist das nicht die Antwort, nach der du suchst", stellte Tyvel wahrheitsgemäß fest. "Meiner Meinung nach geht Rabea ein hohes Risiko mit diesem Schachzug ein. Jedoch: Wie ich sie kenne, geht sie keine Risiken ein, solange nicht ein Fünklein Hoffnung darinsteckt."

Lilith nickte. Er hatte Recht mit dem, was er sagte. Vielleicht machte sie sich wirklich zu viele Sorgen?

"Du machst dir zu viele Gedanken", hatte Taric gesagt. "Etwas weniger Panik könnte dir auch nicht schaden", ,murmelte Pen, wenn sie mal von ihrem Buch über Naturheilkunde aufschaute. Anscheinend schien niemand sich die Sorgen zu machen, die Lilith sich machte.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt