Das Brechen der Stille

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Es klopfte an der Tür zu Liliths Umkleideraum. Sie atmete scharf ein und schaute noch einmal in den Spiegel. Ein Gesicht voller Unruhe Und Angespanntheit schaute ihr entgegen. Heute war es soweit. Sie war bereits in der Früh zum Schloss aufgebrochen, um sich für die Zeremonie einkleiden zu lassen. Niemand anderes, abgesehen von den Meistern, schien aus dem Kloster eingeladen worden zu sein. Lilith wurde eine verzierte Armeejacke bereitgestellt. Sie war weiß, wie die von Heira und von goldenen Knöpfen geziert. Ein Wunder, dass eine in ihrer Größe gefunden wurde, so jedenfalls die Zofe. Der einzige Unterschied war, dass Lilith keine Orden an ihrer Jacke trug. Dazu stellte man ihr eine schwarze Hose und ebenso schwarze Stiefel zur Verfügung. "Ich bin es, Heira!", erklang die wohlbekannte Stimme des Mannes hinter der geschlossenen Tür.

Lilith seufzte und warf noch einmal einen Blick auf ihre, nicht zufriedenstellende, Kleidung. "Ihr könnt reinkommen."

Heira trat herein, ebenso zur Zeremonie hergerichtet. Er lächelte und schaute sich in ihrem kleinen Räumchen um. "Was für ein schönes, kleines Zimmer", bemerkte der Mann und lehnte sich an den Schreibtisch. In der Tat, das Zimmer war wirklich sehr schön. Ein großes Fenster, durch das man einen der kleineren Innenhöfe im Schloss sehen konnte, gepflegte Wände und eine liebevolle Inneneinrichtung verstärkten dieses Gefühl. So würde Lilith sich ihr zukünftiges Zimmer vorstellen. Wenn das alles vorbei wäre und sie in Frieden leben könnte. Doch sagte mehr, als nur ein Gefühl in ihr, dass es bis dahin noch ein weiter Weg war.

Lilith nickte auf die Aussage des Mannes. "Genau mein Geschmack."

"Bist du aufgeregt?", fragte er mit besorgtem Blick.

Lilith lächelte und reichte Heira ihre Hand entgegen. Sie zitterte wie verrückt und fühlte sich so kalt an, wie ein Eisblock. Und so auch der Rest ihres Körpers.

Der Mann schien zu verstehen. "Das brauchst du nicht sein. Du kennst sie doch, nicht wahr?" 

Sie nickte erneut. "Was wird dort draußen passieren?"

"Nichts schlimmes. Unsere Aufgabe ist nur, uns zu präsentieren, weißt du?"

Auf ihren fragenden Blick redete er weiter. "Das bedeutet: Immer Kopf gerade halten, niemanden ansehen und stets würdevoll wirken. Immerhin stehen wir als Gefährten der Königin da. Zeig' niemandem, dass du Angst hast."

Lilith schaute mit hilflosem Blick zu ihm auf. "Ich weiß nicht, ob ich das schaffe."

Heira stieß sich von dem Schreibtisch ab und trat einen Schritt auf sie zu. Dann umschloss er die eiskalten Hände mit seinen und drückte sie. "Ich glaube an dich. Ich möchte, dass du an dich glaubst, Lilith. Du bist mehr, als das. Versprichst du mir das? An dich zu glauben?"

Lilith ergriff bestätigend seine Hände. Sie wollte es wirklich. "Ich verspreche es."

Er lächelte und ließ die Hände los. "Also, bist du bereit?"

Sie wandte sich der Tür zu und schaute energisch nach vorne. "Bereit."

Lilith konnte hören, wie die Menge draußen bereits bebte. Es war, als würden die Wände unter dem Getrampel und dem Schallen der Hunderten von Stimmen erzittern.

***

Das dumpfe Schlagen der Trommeln durchschnitt die kühle Luft und sogleich die unschöne Stille. Wie ein Donnergrollen kündigten sie den Sturm an, den Rabea losschicken würde. Die Banner des nördlichen Königreiches wehten im leichten Wind, als Lilith die Stufen auf ihrer Tribüne hinaufschritt, um einen besseren Blick auf das Geschehen zu bekommen. Hunderte Soldaten, ein Wald aus Stahl und Holz und viele Banner waren auf dem gewaltigen Vorplatz des Schlosses versammelt. Lilith warf einen unauffälligen Blick hinüber zu Heira. Dieser nickte ihr zu und schaute wieder nach vorne, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Er trug seine weiße Uniform und das üblichen Meer aus Orden zierte seine Brust. Die Trommeln ertönten erneut und schlugen immer schneller.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt