Hinter dem Nebel

749 67 1
                                    

Auch, wenn keiner von Liliths Kameraden, nicht mal sie selbst, den jungen Elfen namens Omnien vorher mochten, müssten sie sich heute wider Erwarten eingestehen, ihre Meinungen geändert zu haben.

Wenn man sich mit ihm unterhielt, konnte er ein lustiger und sehr freundlicher Zeitgenosse sein. Er brachte, vielleicht auch bewusst, etwas Lockerheit in die Gruppe. Immerhin waren sie auf dem Weg nach Calara, die Stadt, die laut Yuros Briefen unter dem Krieg gelitten haben soll.

Daher waren Omniens Witze und Geschichten sehr begrüßt, auch bei seinen Soldaten. Zwei Hüter des Waldes hatte die erste Hüterin ihnen zur Seite gestellt. Im Hain sehr schweigsam, öffneten die beiden Elfen sich, ebenso wie Omnien, im Verlauf des Ritts. Es stellte sich heraus, dass einer der beiden sogar Frau und Kind im Hain hatte. Er erzählte Geschichten aus dem Alltag des Hüters und Vaters und zeigte Lilith noch einmal auf, dass sie sich in den Elfen getäuscht hatte.

Vielleicht sollte sie sich in Zukunft eher eine eigene Meinung bilden, anstatt sich eine vorgeben zu lassen.

Omnien für seinen Teil erklärte auf dem Weg, was die Hüter des Waldes ausmachte.

"Wir haben schon immer für die Freiheit und Selbstbestimmung jedes Waldbewohners gekämpft. Jahrelang wurden wir in Städte gepfercht, damit der 'Überblick behalten werden kann'. Dass ich nicht lache."

 Er spuckte auf den Boden.

"Aber warum macht ein König so etwas?", fragte Taric. "Immerhin ist ein König ja für sein Volk da, oder?"

Omnien schüttelte den Kopf. "Weißt du, wie ein Königreich wohlhabend wird?"

Der Junge schüttelte erwartungsgemäß den Kopf.

"Also, entweder überfällt und plündert es ein anderes Königreich..."

Er machte eine dramatische Pause. "Oder er nimmt seine Bürger aus, bis nichts mehr von ihnen übrig ist."

"König San würde so etwas machen?", fragte Lilith ungläubig. Er hatte doch wie der edelste Mann der Welt gewirkt!

"Nicht nur er. Jeder König macht so etwas, egal ob Elf oder Mensch."

"Yuro Horelio würde so etwas nicht machen", stellte Lilith klar. An der Stelle würde sie unter keinem Umstand mit sich reden lassen.

"Ich habe gesagt, dass es keine Ausnahmen gibt", widersprach Omnien.

Lilith schwieg und schaute weg. Diesem Prinzip wollte und würde sie immer treu bleiben. Sie war die einzige, die Yuro richtig kannte. Er würde niemals bereitwillig andere für sich selbst leiden lassen.

"Glaub', was du willst", schloss der Elf dann ab.

"Was steckt eigentlich hinter der ersten Hüterin?", fragte Taric. Omnien legte den Kopf schräg und warf ihm einen fragenden Blick zu. "Was meinst du?"

"Abgesehen davon, dass ein zehnjähriges Mädchen in Wahrheit hunderte von Jahren alt ist,", begann Taric, der Elf grinste wissend, "wie kommt eine wie sie zu den Hütern des Waldes und warum wusste sie von Liliths... Gabe?"

Der Elf nickte, er verstand die Frage.

"Keiner weiß, wie lang die erste Hüterin schon lebt. Manche sagen, sie hätte schon zu den ältesten Zeiten gelebt, als das Volk Elfen noch jung war. Von jemandem, der so ziemlich die letzten tausend Jahre mitbekommen hat, kann man natürlich eine Menge Wissen erwarten, oder?"

Taric nickte. Lilith reichte dies aber noch lange nicht.

"Wie ist ihr Name?"

"Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen, sie habe keinen Namen. Die anderen sagen, ihren würde sie aus Scham oder Stolz geheim halten. Doch alle haben wir eines gemein."

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt