Hoffnung

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Der Nachmittag zog sich immer länger und spannte Liliths Geduld immer mehr auf die Folter. Taric schien das Ganze nicht mal ansatzweise so wild zu sehen, wie sie und Ruby. "Wenn wir denen erzählen, wer wir sind und was wir machen, lassen sie uns bestimmt gehen", sagte er nur, als Lilith zum dritten Mal anfing, grübelnd im Raum umher zu laufen.

"Es ist einfach so ungerecht!", jammerte sie. "Sie nehmen uns einfach gefangen und jetzt dürfen wir hier sitzen und warten, während Rabea uns entwischt!"

Ruby saß nur dort und schwieg. Taric jedoch winkte ab. "Wenn wir das Ganze richtig aufziehen, wird uns niemand entwischen."

Jetzt fand das Mädchen ihre Worte. "Sag mal, bist du eigentlich verrückt?", schimpfte sie. "Ich gebe ihr Recht. Dieses Mal."

 Letzteres sagte sie in Liliths Richtung.

"Das sind unsere Feinde und so werden wir sie auch behandeln."

In dem Moment wurde der Eingang des Zeltes geöffnet und Omnien trat herein. Was machte dieser Kauz eigentlich die ganze Zeit bei ihnen? "Das solltet ihr lieber nicht, sonst werden wir das Gleiche tun", antwortete er jedenfalls.

Ruby verdrehte die Augen. "Hast du eigentlich nichts zutun?"

Der Mann grinste. "Durch euch schon. Los gehts."

"Wohin?", fragte Lilith irritiert.

"Na, zum ersten Hüter. Meinem Anführer. Eurem Richter."

"Wir klären das, wie Erwachsene", sagte Taric bestimmt und stand auf.

"Euer Freund macht das richtig. Nehmt euch ein Beispiel an ihm", stichelte Omnien und trat wieder hinaus.

Lilith atmete einmal durch und hielt Ruby die Hand hin. Die ignorierte die Geste und ging demonstrativ an Lilith vorbei.

Da war Ruby wieder. Dies war einer der Momente, in denen Lilith feststellte, dass sie mit diesem Mädchen nicht befreundet war. Es fühlte sich in manchen Momenten so an, doch zerschlug das mürrische Mädchen jegliche Chance auf Sympathie mittels Sekunden, wenn sie wollte. Vielleicht war es auch das, was Ruby interessant machte.

Kaum, dass sie alle draußen standen, lief Omnien los, in Richtung des größten Zeltes auf dem Platz. Es hatte mehrere Flügel und thronte auf einer kleinen Anhöhe. Zu klein, um Hügel genannt zu werden, doch groß genug, um bemerkt zu werden. Während sie über den Platz marschierten, kamen sie dem kahlen Baum in der Mitte des Platzes sehr nahe. Er erinnerte von Nahem ebenso an den Baum, der am Ort ihres Erwachens stand und auch an den Baum, der in Alexas Versteck wuchs. Mit einem Mal überkam sie der innige Wunsch, das Holz des Baums anzufassen. Es war das gleiche Gefühl, das Lilith gespürt hatte, als sie den Baum nahe Arborea das erste Mal berührt hatte.

So blieb sie stehen und schaute den großen Stamm hinauf. Der Anblick des graubraunen Holzes erfüllte sie irgendwie mit einem Hauch von Traurigkeit.

Lilith konnte sich nicht wirklich wehren. Sie wollte sich nicht wehren. Nur ganz kurz berühren, das raue Holz fühlen und dann schnell wieder zur Gruppe aufschließen.

Doch, noch bevor Liliths ausgestreckte Hand den Baumstamm berühren konnte, wurde sie äußerst grob beiseite gestoßen. Durch den Ruck fiel sie in den Schnee und schnappte durch die Erschütterung nach Luft.

Hustend drehte Lilith sich auf den Rücken und schaute in die Augen von zwei Soldaten, die ihre langen Speerklingen an ihren Hals hielten.

Die Männer hatten schneeweiße Gewänder an und waren bis auf die Augen verschleiert. Wie lange liefen sie schon mit ihnen über den Platz? Lilith hatte sie gar nicht gesehen.

Melodie des ErwachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt