36.°Sehnsucht°

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36.

                                  William

Es ist Freitag und ich gehe seit Montag nicht mehr aus dem Haus, nur, wenn ich zum Therapeuten muss oder zur Apotheke. Meine Eltern machen sich ja schon sorgen um mich, aber als der Therapeut meinte, dass ich bald wieder okey sei, waren sie nicht mehr arg besorgt. Mensch, meine Eltern verstehen auch nicht den Ernst der Lage. Okey, Stopp, was für den Ernst der Lage? Die Lage ist super, finde ich.

Bereits ist es Mittag und ich rauche gerade einen Joint, als es an der Haustür klingelt. Ich drücke meinen Joint aus und gehe dann runter zur Haustür. Gelangweilt öffne ich sie und sehe vor mir eine Heaven, mit Leggings und einem Shirt gekleidet vor mir.

Will sie Sport machen? Holy, no!

»Nein!«, sage ich sofort einschüchternd, doch sie kommt prompt auf mich zu und schließt mit ihrem Fuß die Haustür, während sie mich anfängt zu liebkosten. Na ja, mir gefällt es nicht gerade.

»Hab' ich nicht deutlich genug gesagt, dass ich nichts mehr von dir will?«, schupse ich sie von mir weg. Sie schaut mich entnervt an und schiebt mich richtung Wohnzimmer, wo sie sich auf die Couch fallen lässt und ich daneben.

»Also?« Sie drückt mich plötzlich in den Stoff des Sofas und steigt auf mich drauf.

Werde ich jetzt vergewaltigt?

Sie bewegt ihre Hüften gegen meine und das reicht mir schon. »Bist du eigentlich noch ganz gesund? Ich will nichts von einer Schlampe wie Dir, also halts Maul und verschwinde aus meinem Haus, bevor ich dich verschwinden lasse!«, zische ich zynisch und antagonistisch und plötzlich treten Tränen in meine Augen. »Willi-« Ich lege meine Hand auf ihren Mund, damit sie endlich die Klappe hält. »Raus!«, brülle ich nun erneut und sie rennt sofort weg, bis die Tür zugeknallt wird.

Was erlaubt sie sich? Sie hat bei mir keine Chance, denn ich hass' sie. Was bilden sich alle Mädchen immer ein? Ich bin ein Junge mit Bedürfnissen und wenn ich sage, dass ich Ablenkung brauche, kommen alle von alleine angekrochen. Nicht meine Schuld, wenn Amber oder Heaven sich dann mehr drauf einbilden als gesollt. Meine Nerven sind eh schon am Ende, dass ist auch der Grund, warum meine Atmung plötzlich schwerer wird. Als ob ich ein Trauma erlitten hätte, schlucke ich, renne in mein Zimmer, schließe die Tür ab und lasse mich an der Tür senken. Mein Herz rast und ich atme nur noch ruckartig. Schnappatmung ist bekanntlich nicht so mein Ding. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nun alles beenden soll.

Heute.

Sofort.

Und für immer.

                                  Alexis

Wäre diese Göre heute in der Schule gewesen, wäre es alles andere als gut für sie ausgegangen. Dieses Mädchen ist die reinste Hexe. Und eigentlich habe ich gedacht, dass alle Hexen im Mittelalter verbrannt wurden. Da haben die eine bestimme und die schlimmste ausgelassen. Ich atme einmal ein und aus und hieve mich vom Bett. Scheisse, wenn man das ganze Wochenende durch lernen muss. Yeah, Freudenrufe sind zu hören.

Ich schlage meine Notizen für Literatur auf und besonders ein Gedicht fällt mir ins Auge. Das habe ich vor einem Jahr für William geschrieben. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe oder wieso ich es überhaupt geschrieben habe, doch ich habe es mit Tränen geschrieben.

Ihn anzusprechen ist schwer,
Das letzte mal war auch schon eine Weile her.
Es ist tragisch,
doch unfassbar magisch.

Der Junge ohne Name,
Das kann ich nicht wage',
Ihn anzusprechen und zu fragen:
Ich würde gerne die Wahrheit erfragen,
Was würdest du sagen?
Er würd' verneinen,
Und ich würd' unfassbar weinen.

Jeder würde höhnisch lachen,
Und ich mich zum Affen machen.
Das Leben ist schwer,
So wie das große Meer.
Es ist tragisch,
Doch unfassbar magisch.

Meine Kehle schnürt sich bei seinem Anblick zusammen,
als würde jemand meinen Hals rammen.
Jeder hat komplexe,
Aber seine erinnern mich an eine Hexe.
Es klingt lächerlich und primitiv,
Aber ich bin auch sehr naiv.

Ich würde ihn niemals aufgeben,
Denn ich muss immer wieder mein Herz aufheben,
Da er immer wieder drauf trat,
War es für mich eine schlimme Tat.

Ich vermisse ihn und die Zeit,
Doch mit ihr kam die Weisheit.
Er hatte für alles einen Grund,
Deswegen halte ich meinen Mund.
Verklemmt sitze ich da,
Und weiß nicht wieso ich weine,
Aber es ist nun mal wahr,
Darum schreibe ich diese Reime.

Die ersten Tränen bahnen sich aus meinen Augen und ich weiß nicht, was das soll. Habe ich das wirklich geschrieben? War ich so in Trauer und habe ihn vermisst? Bin ich wirklich so naiv?

Die Tränen kullern nur so aus meinen Augen und bestimmt sieht mein Gesicht aus wie ein lebendiger Wasserfall. Ein Meisterwerk.

Ich muss noch einmal richtig Abschied nehmen, dann kann er tun und lassen was er will. Aber, das geht nicht. Ich habe mich schon von ihm verabschiedet. Nur ist meine Sehnsucht nach ihm so groß, dass ich schon durchdrehe.

William, was hast du nur mit mir angestellt und wieso habe ich das zugelassen?

Ein Kindheitsfreund kann nun auch Vergangenheit bleiben, aber nein. Mein hohles Stück von Gehirn kennt nur das Wort vergessen, wenn es um Lernstoff geht. Ich rolle mit den Augen und wische mir einmal unters Auge. Als ich dann meine Hand ansehe, bemerke ich, wie schwarz die ist.

Meine Mascara!

Schnell flitze ich zum Schminktisch und hole mir ein Wattepad, was ich sogleich mit Abschminkwasser befeuchte. Ungewollt fließen noch mehr Tränen aus meinen Augen und ich entferne mit bisschen Frust meine Mascara komplett von den Augen. Jetzt fühle ich mich nackt am Gesicht.

Ohne wirklich darüber nachzudenken, schweifen meine Gedanken zu William und nun kommen mir mehr Fragen auf.

Wieso sah er so benommen aus, als ich ihn geküsst habe? Wieso hat er mich noch einmal abgescannt, bevor er ins Haus verschwunden ist? Wieso hat es sich nach einem Abschied angefühlt, obwohl keiner von uns richtig weggeht? Wieso ist er so wie er ist und tut diese Sachen, die einen verwirren?

Es ist mir egal, dass ich meinte, dass ich ihn für immer in Ruhe lassen werde. Ich kann das einfach nicht. Ich beschließe, morgen Nacht oder morgen Morgen - wieder vier Uhr morgens oder so, ihn nochmal zu besuchen und dann endlich antworten zu finden.

Danach werde ich hoffentlich alles verstehen.

WilliamWhere stories live. Discover now