I - 2 : Der weiße Wolf

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Während sich dieKontrahenten gegenseitig siegessicher anstarren, fegt ein schwacherWind über den Platz.

„Ich gebe dir eineletzte Chance aufzugeben und dich uns anzuschließen. Du willst dochnicht, dass dir was passiert, oder?"

Wolf blickt höhnisch inMikes Augen.

„Selbst wenn du fünfmalso stark bist wie der versiffte Bär, habe ich keine Angst vor deinenleeren Drohungen!"

Polar, der durch MikesTritt einige Zähne verloren hat, sitzt schluchzend neben dem Ninjaund wendet seinen Blick beschämt von den beiden ab. Wolf kichertverstohlen.

„Ich habe innerlichgehofft, dass du sowas sagst. Ich hatte schon lange keinen neuenGegner mehr."

Sein weißer Mantel wehteein wenig in dem sanften Luftzug. Er streicht sich die Strähnenseines langen, dunklen Haares aus dem Gesicht.

„Dann lass uns endlichanfangen, Wolf", fordert Mike ihn heraus.

„Mit Vergnügen."

Schnell wie der Windtaucht Wolf vor Mike auf, das Schwert zu einem vertikalen Hieb vonoben angesetzt. Beidhändig hält ihm Mike seinen Stab entgegen,woraufhin er einen Tritt in seinen, nun ungeschützten, Bauchkassiert. Er fliegt einige Meter durch die Luft nach hinten, dochschon bevor er am Boden aufschlägt, schlitzt ihm Wolf den Rückenauf.



„Was ist denn, Großmaul?Bin ich zu schnell für dich, oder was?"

Auf dem Boden trifft Mikeeine schreckliche Realisation. Dieser Gegner ist so schnell, dass ersich hinter ihn begeben konnte, bevor er auf dem Boden aufgeschlagenist. So ein Tempo sollte nicht möglich sein. Der Raufbold richtetsich wieder auf und schwingt seinen Stab wild nach seinem Gegner,wird jedoch spielend von Wolf pariert. In einem extremen Temposchmettert Mike den Stab in Richtung seines Feindes, der diesenjedoch durch minimale Bewegungen seiner Klinge abwehrt. Den Momentabwartend, in dem sein Stab und das goldene Schwertaufeinanderprallen, setzt Mike zu einem schweren Tritt an, jedochwird sein Bein von Wolfs linker Hand abgefangen.

„Denkst du Amateurwirklich, dass ich auf einen Trick reinfalle, den ich selbst vor zweiMinuten eingesetzt habe? Kann es sein, dass du dumm bist, odersowas?"

Wolf schwingt Mikes Bein,wodurch dieser eine Pirouette macht. Als er dem Schwertkämpfer mitdem Rücken zugewandt steht, kassiert er einen weiteren diagonalenHieb, wodurch Mikes Rücken nun von einem blutigen „X" geziertwird. Wolf lacht auf.

„Hey, Fremder - Mike,richtig? - Ich sollte dich wissen lassen, dass ich aktuell einenBruchteil meines normalen Tempos draufhabe. Willst du mal fünfzigProzent, oder sogar vollen Ernst sehen?"

Mike reißt seine Augenerschrocken auf. Wolfs Reaktionszeit ist jetzt schon schneller alsalles, was er bisher gesehen hat. Aber das soll nur der Anfang sein?

„Hat dich die Angst vordem großen, bösen Wolf gepackt, Junge?", spottet Wolf. Mike nimmteine defensive Haltung ein, bei der er seinen Stab fest mit beidenHänden packt.

Doch sein Kontrahentgrinst ihn lediglich dreist an, denn er würde nun sein wahres Tempopräsentieren. Binnen eines Augenblicks verschwindet er und tauchtsofort darauf woanders wieder auf, lediglich ein weißes Blitzendeutet seine ungefähre Richtung an. In Schallgeschwindigkeitumrundet Wolf sein Gegenüber, der kaum fassen kann, was geradegeschieht.

„Letzte Chance, gibst dujetzt auf?"

Mike rinnt der Schweißvon der Stirn. Er ist kein Gegner für diesen Unmenschen. Nicht malseinen Bewegungen kann er folgen.

„Ich- Was ist sowitzig?", fragt der junge Mann nervös, als er während seinerAntwort von einem Kichern unterbrochen wurde.

„Ich habe nur geradedaran gedacht, wie ich dich, unabhängig von deiner Antwort,aufschlitzen werde."

Daraufhin verengt Mikeseine Augen.

„Wieso fragst du dann?Ist das eine Egomassage für dich oder sowas?"

Der Klingenmeisterdurchbohrt ihn förmlich mit seinem düsteren Blick.

„Ich ziehe Vergnügendaraus, ein bisschen Drama in meine Kämpfe zu bringen. Wenn ichwollte, wärst du tot, so wie ich dich gesehen habe."

„Du kranker Bastard, dutickst doch nicht richtig!"

„Willkommen in dergroßen Stadt!", äußert der Schwertmeister mit einem Grinsen undstellt sich Mike genau gegenüber, „Weißt du, es wird Zeit dashier zu beenden!"



Letzterer kann nichtanders, als seinen Gegner mit weit aufgerissenen Augen anzustarren,während sein gesamter Körper unaufhörlich zittert und sich eineGänsehaut über seine Haut schleicht. Dieses Gefühl von reinerAngst und Hilflosigkeit war ihm bis jetzt fremd. Das war es also, wasWolf meinte, wenn er von der Stadt spricht. Sie ist gewaltig undverschlingt alles und jeden rücksichtslos. Um sein Ende nicht aufsich zukommen zu sehen, schließt Mike seine Augen.

Da erreicht ein einzigesWort, gesprochen in einer ruhigen, monotonen Stimme, seine Ohren.„Rudelangriff."

Es scheint, als löse Wolfsich in Luft auf, nur um dann neben seinem Opfer zu erscheinen, ihmeinen Hieb zu versetzen und schlagartig wieder zu verschwinden. Immerund immer wieder, ein schneller Hieb nach dem nächsten, von allennur erdenklichen Seiten. Nach etwa zwei Sekunden stehen sich diebeiden Männer wieder gegenüber.

„Was ist denn, ich bindoch hier", lacht Wolf spöttisch.

Sein Gegenüber kannjedoch kaum atmen. Mikes Lederjacke besteht nur noch aus Fetzen, dieauf dem Boden verteilt liegen. Sein Rücken, seine Arme und seinBauch sind überall aufgeschlitzt. Fast so, als sei er in einen Mixergefallen. Einen großen, schadenfrohen Mixer. Er fällt auf die Knieund schließlich komplett zu Boden, atmet aber noch, was ihm einennachdenklichen Blick von Wolf beschert.

„Du hast Glück, ich binein Kämpfer und kein Henker, ich habe genug Stolz, keinengeschlagenen Feind hinzurichten. Lass dir das eine Lehre sein, mitwem du dich in dieser Stadt anlegst. Vielleicht sammelt dich jajemand auf, bevor du verblutest."

Ungewohnt gleichgültigund zugleich ernst, dreht sich Wolf um und verlässt den Schrottplatzmit seinen Begleitern.



Der am Boden liegende Mikeverliert langsam das Bewusstsein. Mit letzter Kraft versucht er sichnoch irgendwie am Boden entlang zu schleifen. Er weiß zwar nichtwohin, aber liegenbleiben und aufgeben kann er auch nicht. Alles umihn herum verschwimmt. Den Boden spürt er kaum noch undschlussendlich wird die Luft auch immer knapper.

Das letzte das er hört,ist eine jugendliche, männliche Stimme: „Boss, da liegt jemand-Scheint Wolfs Handwerk zu sein- Wir müssen ihm helfen!"



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Zur gleichen Zeitpatrouillieren Wolf und sein Gefolge weiter das Gebiet. Nervös undin Gedanken versunken, reißt er sich an seinen Haaren herum.

„Wieso lebt er noch? DerRudelangriff hat ihn komplett zerfetzt... Liegt es an dieserseltsamen Energie die von ihm ausgeht? Weiß der Teufel."

Schließlich kommt dasseltsame Trio, bestehend aus dem Schwertmeister, dem Eisbären unddem bislang unbenannten Ninja, in einer kleinen Vorstadtsiedlung an.Der Bär grummelt.

„Es ist schon ok,Polar", flüstert der Anführer der Truppe, „Du hast dein Bestesgegeben um Whiteville zu schützen."

„Ich habe elendigversagt", knurrt der Bär erzürnt über sich selbst.

„Sei nicht so hart zudir selbst. Ich darf cor solchem Gesindel keine Schwäche zeigen. Dasist alles. Solange wir unsere perfekte Gemeinschaft aufrechterhalten, gibt es kein Versagen."



In dieser kleinen,hübschen Vorstadt gibt es keinerlei Anzeichen auf das Chaos, dasaußerhalb herrscht. Ganz im Gegenteil, auf ihrem Spaziergang wirddie Truppe stets freundlich von den Ansässigen gegrüßt.

„Seit wir dieses Gebiethier erobert haben, blüht es genauso auf, wie der Rest unsererSiedlungen", murmelt Wolf vor sich hin, „Aber es widerstrebt derNatur dieser Stadt. Diese Idylle kann nicht bestehen, wenn keiner fürsie kämpft. Und sobald jemand kämpft, ist sie in Gefahr."

Im Zentrum der Siedlungragt ein Kirschbaum mit weißen Blüten hoch empor.



Chaos City - Staffel 1Where stories live. Discover now